Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Ich ging traurig auf meine Stube, um meine wenigen 
Sachen zu packen. Da hörte ich ihn unten in zornigem 
Ton mit seiner Tochter sprechen. Ich hatte wenig Hoffnung, 
daß sie mehr erreichen werde denn ich, und als ich wieder 
in die große Stube bam, hatte sie verweinte Augen und 
schüttelte den Kopf. 
Sevor ich aufs Pferd stieg, streckte ich dem Alten die 
Hand entgegen, denn ich mochte nicht in Feindschaft von 
ihm scheiden: er hatte mir schon genug zu verzeihenl Er 
aber legte die Hände auf den KRücken und sagte: „Geht nur!“ 
Ursula stand in der Tür, ohne daß ihr Vater sie zu hindern 
uchte, und sah mir nach; er mochte wohl in seinem Herzen 
denken, daß er meiner nun für alle Seiten ledig sei. 
HBald nach Mitternacht ließ unter dem alten Eichbaum, 
der einen Steinwurf weit hinter dem Försterhaus am Wald- 
rand stand, ein Käuzchen dreimal seinen Lockruf hören. 
Venn mir nach Gesang der Sinn gestanden, hätte ich wohl 
nicht übel das Liedlein anstimmen mögen: 
Ich armes Käuzlein bleine .... 
Aber es war nicht Singens Seit; denn baum hatte ich mich 
durch den schrillen Kuf kund getan, als am Försterhaus 
sachte das Gartentor aufging. Gleich darauf hörte ĩich leichte 
Schritte. Ich sah eine jugendliche, vermummte Gostalt, 
treckte ihe die Hände entgegen und fühlte mich von zwei 
peichen Armen liebreich umschlungen. Arsula hatte ein 
Pächchen Kleider beĩ sich, das schnallte ich an den Sattel. 
Dann stieg ich hinauf, half ihr in den Steigbügel und setzte 
je vor mich. Mein Pferd wollte die ungewohnte doppelte 
Bürde nicht dulden; ich blopfte ihm den Hals, da beruhigte 
e2s sich und machte sich gehorsam auf den Weg. 
Gespenstig brach das Mondlicht durch den Wald. Dunkle 
Hestalten schienen unter den Bäumen auf uns zu lauern. 
ʒweige bnackten, es raschelte das Laub, und allerlei Getier 
des Waldes wurde durch den Tritt meines Pferdes auf- 
gescheucht. Suweilen ging ein schweres Flügelschlagen 
dicht über unsere Köpfe hin, daß wir den Luftzug zu ver— 
püren glaubten. Ein Keh sprang angstvoll über unsern 
Veg und jagte meinem Pferde Entsetzen ein. Dann wieder 
chrie tief im schwarzen Dickicht ein wehrloses, überfallenes 
Tier, daß es schaurig durch die Stille blang, und Arsula 
schmiegte sich unter dem WMantel, den ich um sie geschlagen 
hatte, fester an mich. Ich hieß sie die Augen jschließen und 
uchte ihr mit zärtlichen Worten und Küssen Mut zu machen 
und den Weg zu bürzen. Allmählich sprach sie seltener. 
Ihre Atemzüge wurden langsamer, und ihr Kopf lag schwerer 
in meiner Brust. Ich merkte, daß sie eingeschlafen war. 
Da wurde mir seltsam zu Mut: ich schämte mich meiner 
Unwürdigkeit! Eine unendliche Särtlichbeit erfaßte mich für 
das Menschenkind, das sich voll blinder Suversicht mir ganz 
ergeben hatte, und ich gelobte mir, durch ewĩge Treue ihre 
eiebe zu belohnen. 
Als sie wieder erwachte, fröstelte sie. Wir stiegen ab 
und gingen eine Weile neben dem Pferde hin. UArsula 
achte, als sie sah, wie es schläfrig den Kopf fast auf den 
Soden hängen ließ und zuweilen, über eine Wurzel stolpernd, 
vieder zu sich kam. An einem Kohlenmeiler rasteten wir. 
Daunn ging es wieder abwechselnd zu Pferde und ʒu 
Fuß stundenlang fürbaß. Niemand begegnete uns auf den 
Landstraßen. Die Dörfer lagen im tiefsten Schlaf, und 
wenn in den Ställen nicht zuweilen die Pferde den Boden 
gestampft und schnaubend an den blierenden Ketten gerijssen 
hätten, wir hätten glauben können. die Häuser seien 
ausgestorben. 
Schon manchen Wald und manches Dorf hatten wir 
durchquͤerkt. als der Mond im Westen verblaßte und gegen 
Aufgang ein falber Schein den Himmel überflog. Der 
Valdweg, auf dem wir einige Seit schon schweigend hin— 
itten, mündete in ein kleines Wiesental, das sich plötlich 
nittken im Walde vor uns auftat. Aus dem Nebel, der 
en feuchten Grund bedeckte, ragte ein Hügel auf. Ein 
Zirchlein stand darauf und neben ihm ein Haus inmitten 
oher Lindenbäume. „Hier soll es sein!“ sagte ich zu 
Irjula. Da umschlang sie statt jeder Anfwort meinen Hals 
ind küßte mich. 
Ich band mein Pferd an einen Lindenbaum neben der 
zirchentür und bat Ursula, auf mich zu warten. Sugleich 
hnallte ich heimlich vom Sattel eine Pistole los und steckte 
ie zu mir. Am Pfarrhaus blopfte ich heftig an den Fenster- 
aden. Dabei kam mir ein närrischer Einfall. Gewiß, der 
Pfarrer mußte denken, er habe es mit Käubern und Plünderern 
zu tun. Wozu sollte ich ihn unnötig ängstigen? Ich wußte, 
vie ich ihn beruhigen bonnte. 
Auf mein erstes Klopfen rührte sich nichts. Ich pochte 
um andernmal, aber erst beim dritten Klopfen hörte ich im 
beren Stock ein Kumoren, als wenn im Dunkbeln ein 
5ftuhl umgeworfen würde. Gleich darauf öffnete sich ein 
fenster, und eine Nachtmütze erschien in der Morgendämmerung. 
dSalve pastorel«, rief ich fröhlich. Eine Stimme, die ebenso 
ut schlaftrunken wie ärgerlich sein bonnte, antwortete: 
Quis tu? Quid est quod me velis?« Ich war mit meinem 
datein zu Ende. „Ich bin ein schwedischer Kornett und 
itte Euch, mich sogleich zu trauen!“ antwortete ich in unjrer 
ieben deutschen Muttersprache. „Wo ist Eure Braut? 
Varum kbommt Ihr so früh?“ rief er zurück. „Meine Braut 
eht an der Kirchentür, und ich habe beine Seit zu warten!“ 
Keine Seit zu warten? Ich habe beine Seit, Euch jetzt 
u trauen. Kölnische Mode ist bei uns noch nicht eingeführt. 
hier zu Lande ist es Brauch, daß man fein nachmittags 
zsie Trauung halte, und ohne Problamation geht das nicht 
in! Könnt Ihr Euch übrigens ausweisen?“ „Ich bitte 
Fuch, macht nicht viel Federlesens, Herr Pfare! Es sollte 
nir leid tun, wenn ich Euch zur Eile treiben müßtel!“ sagte 
9 und erhob drohend die Pistole. Dann fügte ich milder 
inzu: „Ihr möchtet Euch auch, wenn Ihr länger so im 
demd am Fenster steht, gar leicht erbälten!“ „Wahrhaftig, 
jhhr habt recht!“ rief er und schlug das Fenster blirrend zu. 
sch mußte lachen: meine Drohung hatte schnell gewirbt! 
Und wohlgemut ging ich vor der Türe auf und nieder und 
achte an die Abenteuer der vergangenen Nacht .... 
„Der Pfarrer braucht lange, um sich anzuziehen“, fiel 
nir nach einer Weile ein. „Oder sollte ihm die Traurede 
o viel zu schaffen machen?“ Plötzlich kam mies vor, als 
örte ich ein Geräusch im Haus. Schon hoffte ich, er werde 
zleich ins Freie treten, da merkte ich, daß das Geräusch 
ich nach der Rückseite des Hauses wende. Mit einem Satz 
var ich über den Saun und eilte durch den Garten um 
ie Ecke. Ich riß einen Laden auf und schlug das Fenster 
in. Einen Augenblick brauchte ich, um die Augen an die 
finsternis im Inneren zu gewöhnen. Dann brach ich in 
in helles Lachen aus. Von einer Falltür in der Decke 
ing ein Strick herab, und an dem Strick baumelte ein 
Nensch und zappelte sehr erjchrocken, als er mich gewahrte. 
„ch mußte an meine Knabenzeit denken: so hatte ich beim 
äuten oft am Seil gehangen, wenn mich die Glocke mit 
n die Höhe zog. Ich mußte lachen,. ob ich wollte oder 
uücht. Als der Pfarrer mich so fröhlich sah, machte er ein 
janz verdutztes Gesicht und glitt langsam auf den Boden 
uüeder. »Nulla salus fuga, Herr Pfarrl Nun müßt Ihr 
och daran! Warum laßt Ihr Euch auch so lange bitten!“ 
Wann Ihr vielleicht auch nicht ein dapongelaufener Geistlicher
	        
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