Ich ging traurig auf meine Stube, um meine wenigen
Sachen zu packen. Da hörte ich ihn unten in zornigem
Ton mit seiner Tochter sprechen. Ich hatte wenig Hoffnung,
daß sie mehr erreichen werde denn ich, und als ich wieder
in die große Stube bam, hatte sie verweinte Augen und
schüttelte den Kopf.
Sevor ich aufs Pferd stieg, streckte ich dem Alten die
Hand entgegen, denn ich mochte nicht in Feindschaft von
ihm scheiden: er hatte mir schon genug zu verzeihenl Er
aber legte die Hände auf den KRücken und sagte: „Geht nur!“
Ursula stand in der Tür, ohne daß ihr Vater sie zu hindern
uchte, und sah mir nach; er mochte wohl in seinem Herzen
denken, daß er meiner nun für alle Seiten ledig sei.
HBald nach Mitternacht ließ unter dem alten Eichbaum,
der einen Steinwurf weit hinter dem Försterhaus am Wald-
rand stand, ein Käuzchen dreimal seinen Lockruf hören.
Venn mir nach Gesang der Sinn gestanden, hätte ich wohl
nicht übel das Liedlein anstimmen mögen:
Ich armes Käuzlein bleine ....
Aber es war nicht Singens Seit; denn baum hatte ich mich
durch den schrillen Kuf kund getan, als am Försterhaus
sachte das Gartentor aufging. Gleich darauf hörte ĩich leichte
Schritte. Ich sah eine jugendliche, vermummte Gostalt,
treckte ihe die Hände entgegen und fühlte mich von zwei
peichen Armen liebreich umschlungen. Arsula hatte ein
Pächchen Kleider beĩ sich, das schnallte ich an den Sattel.
Dann stieg ich hinauf, half ihr in den Steigbügel und setzte
je vor mich. Mein Pferd wollte die ungewohnte doppelte
Bürde nicht dulden; ich blopfte ihm den Hals, da beruhigte
e2s sich und machte sich gehorsam auf den Weg.
Gespenstig brach das Mondlicht durch den Wald. Dunkle
Hestalten schienen unter den Bäumen auf uns zu lauern.
ʒweige bnackten, es raschelte das Laub, und allerlei Getier
des Waldes wurde durch den Tritt meines Pferdes auf-
gescheucht. Suweilen ging ein schweres Flügelschlagen
dicht über unsere Köpfe hin, daß wir den Luftzug zu ver—
püren glaubten. Ein Keh sprang angstvoll über unsern
Veg und jagte meinem Pferde Entsetzen ein. Dann wieder
chrie tief im schwarzen Dickicht ein wehrloses, überfallenes
Tier, daß es schaurig durch die Stille blang, und Arsula
schmiegte sich unter dem WMantel, den ich um sie geschlagen
hatte, fester an mich. Ich hieß sie die Augen jschließen und
uchte ihr mit zärtlichen Worten und Küssen Mut zu machen
und den Weg zu bürzen. Allmählich sprach sie seltener.
Ihre Atemzüge wurden langsamer, und ihr Kopf lag schwerer
in meiner Brust. Ich merkte, daß sie eingeschlafen war.
Da wurde mir seltsam zu Mut: ich schämte mich meiner
Unwürdigkeit! Eine unendliche Särtlichbeit erfaßte mich für
das Menschenkind, das sich voll blinder Suversicht mir ganz
ergeben hatte, und ich gelobte mir, durch ewĩge Treue ihre
eiebe zu belohnen.
Als sie wieder erwachte, fröstelte sie. Wir stiegen ab
und gingen eine Weile neben dem Pferde hin. UArsula
achte, als sie sah, wie es schläfrig den Kopf fast auf den
Soden hängen ließ und zuweilen, über eine Wurzel stolpernd,
vieder zu sich kam. An einem Kohlenmeiler rasteten wir.
Daunn ging es wieder abwechselnd zu Pferde und ʒu
Fuß stundenlang fürbaß. Niemand begegnete uns auf den
Landstraßen. Die Dörfer lagen im tiefsten Schlaf, und
wenn in den Ställen nicht zuweilen die Pferde den Boden
gestampft und schnaubend an den blierenden Ketten gerijssen
hätten, wir hätten glauben können. die Häuser seien
ausgestorben.
Schon manchen Wald und manches Dorf hatten wir
durchquͤerkt. als der Mond im Westen verblaßte und gegen
Aufgang ein falber Schein den Himmel überflog. Der
Valdweg, auf dem wir einige Seit schon schweigend hin—
itten, mündete in ein kleines Wiesental, das sich plötlich
nittken im Walde vor uns auftat. Aus dem Nebel, der
en feuchten Grund bedeckte, ragte ein Hügel auf. Ein
Zirchlein stand darauf und neben ihm ein Haus inmitten
oher Lindenbäume. „Hier soll es sein!“ sagte ich zu
Irjula. Da umschlang sie statt jeder Anfwort meinen Hals
ind küßte mich.
Ich band mein Pferd an einen Lindenbaum neben der
zirchentür und bat Ursula, auf mich zu warten. Sugleich
hnallte ich heimlich vom Sattel eine Pistole los und steckte
ie zu mir. Am Pfarrhaus blopfte ich heftig an den Fenster-
aden. Dabei kam mir ein närrischer Einfall. Gewiß, der
Pfarrer mußte denken, er habe es mit Käubern und Plünderern
zu tun. Wozu sollte ich ihn unnötig ängstigen? Ich wußte,
vie ich ihn beruhigen bonnte.
Auf mein erstes Klopfen rührte sich nichts. Ich pochte
um andernmal, aber erst beim dritten Klopfen hörte ich im
beren Stock ein Kumoren, als wenn im Dunkbeln ein
5ftuhl umgeworfen würde. Gleich darauf öffnete sich ein
fenster, und eine Nachtmütze erschien in der Morgendämmerung.
dSalve pastorel«, rief ich fröhlich. Eine Stimme, die ebenso
ut schlaftrunken wie ärgerlich sein bonnte, antwortete:
Quis tu? Quid est quod me velis?« Ich war mit meinem
datein zu Ende. „Ich bin ein schwedischer Kornett und
itte Euch, mich sogleich zu trauen!“ antwortete ich in unjrer
ieben deutschen Muttersprache. „Wo ist Eure Braut?
Varum kbommt Ihr so früh?“ rief er zurück. „Meine Braut
eht an der Kirchentür, und ich habe beine Seit zu warten!“
Keine Seit zu warten? Ich habe beine Seit, Euch jetzt
u trauen. Kölnische Mode ist bei uns noch nicht eingeführt.
hier zu Lande ist es Brauch, daß man fein nachmittags
zsie Trauung halte, und ohne Problamation geht das nicht
in! Könnt Ihr Euch übrigens ausweisen?“ „Ich bitte
Fuch, macht nicht viel Federlesens, Herr Pfare! Es sollte
nir leid tun, wenn ich Euch zur Eile treiben müßtel!“ sagte
9 und erhob drohend die Pistole. Dann fügte ich milder
inzu: „Ihr möchtet Euch auch, wenn Ihr länger so im
demd am Fenster steht, gar leicht erbälten!“ „Wahrhaftig,
jhhr habt recht!“ rief er und schlug das Fenster blirrend zu.
sch mußte lachen: meine Drohung hatte schnell gewirbt!
Und wohlgemut ging ich vor der Türe auf und nieder und
achte an die Abenteuer der vergangenen Nacht ....
„Der Pfarrer braucht lange, um sich anzuziehen“, fiel
nir nach einer Weile ein. „Oder sollte ihm die Traurede
o viel zu schaffen machen?“ Plötzlich kam mies vor, als
örte ich ein Geräusch im Haus. Schon hoffte ich, er werde
zleich ins Freie treten, da merkte ich, daß das Geräusch
ich nach der Rückseite des Hauses wende. Mit einem Satz
var ich über den Saun und eilte durch den Garten um
ie Ecke. Ich riß einen Laden auf und schlug das Fenster
in. Einen Augenblick brauchte ich, um die Augen an die
finsternis im Inneren zu gewöhnen. Dann brach ich in
in helles Lachen aus. Von einer Falltür in der Decke
ing ein Strick herab, und an dem Strick baumelte ein
Nensch und zappelte sehr erjchrocken, als er mich gewahrte.
„ch mußte an meine Knabenzeit denken: so hatte ich beim
äuten oft am Seil gehangen, wenn mich die Glocke mit
n die Höhe zog. Ich mußte lachen,. ob ich wollte oder
uücht. Als der Pfarrer mich so fröhlich sah, machte er ein
janz verdutztes Gesicht und glitt langsam auf den Boden
uüeder. »Nulla salus fuga, Herr Pfarrl Nun müßt Ihr
och daran! Warum laßt Ihr Euch auch so lange bitten!“
Wann Ihr vielleicht auch nicht ein dapongelaufener Geistlicher