Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Mit einem letzten Blick über die Hecke des Pfarrgartens 
hinüber nach den Gräbern verließ ich die Heimat. — 
Ich folgte der Fahne des Braunschweigers. 
Als ich zum erstenmal in dunkler Nacht nahe am Feind 
auf Vorposten stand, keines Menschen Atem hörte und auch 
rein Stern mir zum Troste leuchtete, da bedachte ich, daß 
sich auf der weiten Welt so gar niemand um mich sorge, 
und ich kam mir elend und verlassen vor wie ein Kind, das 
sich verlaufen hat. „Wenn die Mutter noch lebte!“ seufzte 
sch. Aber dann stellte ich mir vor NAugen, was ich jetzt 
für ein mühseliges und friedloses Leben führte, und die 
Sitterbeit stieg mir in die Kehle. „Nein, es ist besser, daß 
die Mutter tot ist!“ dachte ich. „Wie müßte sie sich grämen 
und ängstigen! ... Ach, gäbe es doch gar keine Ansterblichkeit, 
damit sie von all dem Elend nichts zu wissen brauchtel“ 
Indes wurden solche Gefühle immer seltener, und zumal 
am Tag stellten sie sich bald kaum noch ein. Im Kampf, 
auf Märschen, im Lager und im OQuarftier, unterm Lärm 
der Waffen und beim Geplauder der Kameraden konnte 
nan fast an nichts anderes denken als an das Nächste: Die 
Kast, den Kampf, das Essen, Trinken und Schlafen. Nur 
rins stand mir unverrückt vor Augen: Kache für den Tod 
neines Daters! In jedem Gegner, dessen Muttersprache 
nicht das Deutsche war, sah ich seinen Mörder. Keinem 
Kroaten gab ich Quartier. Aber ich tkötete beinen ohne 
ehrlichen Kampf, und während ich so viele für immer stumm 
nachte, war ich selber stets bereit zu sterben und erwartete 
reine Gnade von meinen Feinden. Mein Kachedurst machte 
mich tollkühn, und meine Anerschrockenheit brachte mir den 
Kuf eines tapferen Soldaten ein. Mancherlei Anerkennung 
ward mir zuteil, und für einen Soldaten von Fortune hatte 
ich zumal bei meiner Jugend ein unerhörtes Glück. Daher 
fehlte es mir unter ergrauten Kriegern und jungen Herren 
don Stand nicht an Neidern. 
Aber je mehr Erjolg ich hatte und je mehr Anerkennung 
cch fand, desto mehr trat allmählich meine erste Absicht, 
meinen Dater zu rächen, zurück, und es blieb die Gewohn⸗ 
heit des rauhen, waghalsigen Keiterlebens. Ich spielte mit 
dem Tod wie mit einem groben Gesellen, der im nächsten 
Augenblick aus dem Scherz Ernst machen kbonnte. Selbst 
die alten Soldaten schüttelten die Köpfe und meinten, ich 
müsse von Sinnen sein, und wirklich, wenn ichs heute über— 
denke, es war ein gut Teil Großmannssucht dabei. Aber 
o wild im Kampf, so ausgelassen beim Wein und so sorg- 
lsos beim Würfelspiel ich auch war, ein rechter Soldat, so 
wie es die andern verstanden, bin ich nicht gewesen. „Man 
nerkt Euch noch das Komplimentierbuch und die hohe 
Schule an!“ sagte spöttisch ein Offizier. der durch den Krieg 
reich geworden war. 
Wie groß bei solcher Denkungsweise oftmals mein Un- 
mut über das Treiben der losen Soldateska gewesen sein 
mag, läßt sich leicht ermessen. Und wenn nicht die Mörder 
meines Daters auf der anderen Seite gestanden hätten, und 
wenn ich mir nicht gesagt hätte, daß ich doch auch für 
unsern evangelischen Glauben kbämpfe, ich weiß nicht, ob ich 
dem Herzog treu geblieben wäre. 
Christian von Braunschweig starb, und Graf Mansfeld 
olgte ihm nach. Der König von Dänemark legte die 
Waffen nieder, und alles glaubten wir verloren. Da er— 
schien uns als der Ketter in der Not die schwedische 
Majestät. Wie groß der Jubel über sein Erscheinen war, 
vißt Ihr jelbst. Freilich verlangte er, daß seine Soldaten 
nicht nur Mannsfäuste, sondern auch Christenherzen hätten, 
und manchem wollte die neue Art nicht gefallen. Aber 
die Besseren unker uns gewannen nun erst die rechte Freude 
im Soldatenstand . .. Anter der Fahne des höchstseligen 
Königs gestritten zu haben, ist mein größtker Kuhm und 
neine schönste Erinnerung.“ ... 
Der Obristleutnant hielt inne und sah in Gedanben ver— 
unken in das Feuer des Kamins. Die Schloßherrin an 
einer Seite, die seiner Erzählung mit Aufmerbsambeit ge— 
olgt war, aber vergeblich darauf gewartet hatte, von seiner 
frau zu hören, glaubte, er habe nun völlig den Faden ver— 
oren. Leije schob sie einen Eichenblotz in das Feuer, das 
iur noch schwach flackerte. Das Holz verdeckte jäh die Glut, 
ind fast erschrocken fuhr der Obristleutnant fort: 
„Nach der Schlacht bei Breitenfeld wurde ich Kornett. 
die Freude über den Sieg und mein schnelles Avancieren 
nachten mich so glücklich, wie ich es seit langem nicht ge— 
oesjen war. Wegen meiner Furchtlosigbeit und sonstigen Brauch- 
arkeit hatte mein Obrist, Graf Heidelbach, ein großes 
hertrauen zu mir gefaßt. Bald nach der Schlacht im 
Atober 31 schickte er mich in seine Heimat, die nicht weit 
on unserm Wege lag. Anser Kegiment hatte schwere VDer- 
uste gehabt: es waren nicht wenige gefallen und brank ge— 
oorden, und einige hatten am hänfenen Strick das Fliegen 
elernt. Daher sollte ich den Vater des Obristen um ein 
aar handfeste Männer bitten: dünkten ihn doch beine 
zoldaten treuer und verläßlicher als seine Hintersassen und 
andsleute! 
Es ging schon gegen Abend, als ich nach stundenlangem 
Zitt durch dichten Wald ins Freie Lam. Meine Augen 
atten sich an das Dämmerlicht des schattigen Weges ge— 
»öhnt und waren wie geblendet, da sie nun plötzlich im 
zonnenschein ein freundliches Dörfschen inmitten herbstlich 
unter Wiesen, Büschen und Bäumen liegen sahen. Der 
Vald zog rings über die Hügel hin und ließ die Abhänge 
en Feldern frei. Haselhecken säumten die Wiesen ein, und 
Rasenraine begrenzten die Acher, die alle stufenförmig über- 
inander lagen. Sauber und freundlich sah alles aus und 
m freundlichsten das Dörfchen, von dessen dunklen Siegel- 
ächern weiße Rauchwölbchen berzengrade in die rote 
Abendsonne stiegen. Das leuchtete mir so einladend in die 
Augen, daß ich am liebsten Sweck und Siel der Keise ver- 
essen hätte, um in einem gastlichen Häuschen den Abend 
ind die Nacht zu rasten. 
Langsam rikt ich auf einem Wiesenpfade bergab. Bald 
atte ich ein ansehnliches Haus erreicht, das, von dem 
brigen Dorf entfernt, an einem Waldvorsprung auf einem 
zügel lag. Von der Hecke leuchteten Hagebutten und Pfaffen- 
ütchen, und dahinter standen die großen braunen Käder 
er mexikanischen Sonnenblume. Das Haus war mit dichtem 
kjseu schier übersponnen. Ein Geweih über der Tür ließ mich 
ermuten, daß hier ein Förster wohne. Mich lockte es, nach 
em stundenlangen Alleinsein mit einem verständigen Mann 
in freundliches Wort zu tauschen, aber mein Vößlein schien 
peiter zu wollen, und ich fügte mich. Der Weg bergab 
»em Dorfe zu ging ein Stück zwischen Hecken hin, und ich 
itt fürbaß, gedankenlos und fröhlich. 
Plõtzlich, an einer Biegung, seh ich, einen Pistolenschuß 
veit, ein Mädchen mir entgegenkommen, das an einem Joch 
wei Wassereimer krägt. Sie blickt, während sie mit ihrer 
dast langsam bergan steigt, auf den Boden, aber ihr Gang ist 
ꝛicht. Die Hecken sind hoch und ohne Lücken, und der Weg ist 
hmal. Ein kbecker Gedanbe geht mir durch den Kopf, als 
h das junge Mädchen aufschauen und zaudern sehe: ich 
oill ihr neckend den Weg vertreten und das Viertelstündchen, 
as ich ihrem Vater hatte gönnen wollen, mit ihr verplaudern. 
Hute Seit, schöne Jungfer!“ rkuf ich ihr entgegen. Sie 
aückt und weiß nicht recht. was von dem fremden Dogel zu
	        
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