Ich wollte Näheres erfahren, aber der Knecht forderte
nich auf, mit ihm unter die Keiser zu kriechen. Ich weigerte
mich — was lag mir an meinem Leben! — um ihn jedoch
zum Keden zu bringen, folgte ich ihm schließlich in einen
Schuppen, in dem er Schutz gegen Feinde und die Kälte
der Nacht zu finden hoffte.
„Der Anholt ist mit seinen Völkern in das Land ge—
kommen,“ sagte er. „Anholt, ach Unhold sollte er heißen!
Käuberisches Gesindel hat er unter seinen Fahnen gehabt:
Wallonen, Burgunder, Polacken und Kroaten. Tag für
Tag sind neue Truppen durch unser Dorf gekommen. Was
sie an Vieh geschlachtet, an Frucht und Futter fortgeführt
haben, ist nicht zu sagen. Kein Stück VDieh, beine Meste
Korn, bein Sicheling Stroh ist mehr im Dorf, und wieviel
ist ohne Notdurft verschwendet und verwüstet worden! Die
Obstbäume haben sie umgehauen, die Häuser beschädigt und
einige durch Anachtsamkeit und Mutwillen verbrannt, alles
paben sie durchwühlt nach Gold und Kostbarkeiten und haben
die Leute gedrillt bis aufs Blut. Und da galt nicht das
Sprichwort: Auf geraubter Straße ist sicher wandern; denn
vas die einen noch übrig gelassen hatten, das nahmen die
Folgenden. „Und mein VBater?“ fragte ich. „Habt nur
Heduld!“ jagte er. „Schließlich kamen die Kroaten. Das
varen die schlimmsten von allen. Hoffärtig waren sie an—
zusehen: ihre Pferderüstung, ihre Pistolen, ihre Karabiner
uind Säbel, alles war mit Silber beschlagen, sie trugen
Knöpfe von Silber und silberne oder goldene Platten auf
der Brust. Eine Fahne hatten sie, darauf war ein Wolf
abgebildet, und wie die Wölfe stürzten sie sich in die Häuser,
die doch rein ausgeplündert waren, und kbehrten das Anterste
zu oberst. Dazu fluchten und wetterten sie so greulich, als ob
der Teufel gestorben wäre und sie nicht mehr holen Lönnte.
In der Nacht, da die Soldaten schliefen, machten sich
die meisten Bewohner auf und flüchteten in den Wald.
AUnter den wenigen, die zurückblieben, war Euer DVater. Er
fürchtete, das herrenlose Gut der Bauern möchten sie erst
recht verwüsten und zerstören, und er hoffte, durch Ermahnungen
hielleicht doch mancherlei Schaden hintanzuhalten. Wer
sonst im Dorf blieb, verbroch sich in irgend ein Loch oder
in ein zerstörtes Haus, wo niemand Beute suchte.
Als sie am nächsten Morgen das Nest leer fanden —
es war gestern, nein, ehegestern — da fluchten und hausten
sie, als wären sie schier von Sinnen. Ich hörte von meinem
HDersteck aus das greuliche Kumoren. Endlich vernahm ich,
vie einer in deutscher Sunge rief: „Bruderr, ich hab der
Pastor gefunden!“ Der andere antwortete ebenfalls in einem
jremdartigen Deutsch, aber in anderer Sprechweise: „Botz
undert dausend Sack voll Enten! Daß dich der Donner und
agel miteinander erschlagl Der Pastor muß uns Gold
ʒeigen, oder wir legen ihn schlafen!“ Und damit stürmten
ie weiter, dem Pfarrhause zu, ohne daß ich ihnen zuvor⸗
ommen kbonnte, Euren Dater zu warnen.
Ein paar Stunden später wurde es still im Dorf. Ich
roch aus meinem Versteck hervor und lief nach dem Pfarr—
»of. Das Haus stand in Flammen. In dem Flur lag
Euer VDater erschlagen. Ich trug ihn ins Freie, daß ihm
das Feuer nichts anhaben bonnte, und rief ein paar versteckte
Bauern herbei. Wir schafften den Leichnam auf den Kirch-
»of, gruben in Eile ein Grab und legten ihn mit einem
Daterunser hinein. Den Brand löschen bonnten wir nicht:
alle Brunnen waren von den durchziehenden Keitern geleert
o»der verwüstet worden. Auch der Hof nebenan ging in
Flammen auf.“
Als der Knecht seine Erzählung geendet hatte, überließ
ch mich ganz meinem Schmers. ohne mich meiner Tränen
zu schämen. Der Allteé hörte es, suchte im Dunkeln meine
Hand und drückte sie.
In jener Nacht kbonnte ich nicht schlafen. Unruhig warf
ch mich hin und her. Ein Entschluß mußte gefaßt werden
ür den nächsten Tag und für das künftige Leben. An
Studieren bonnte ich nicht mehr denben, denn ich war aller
Mittel beraubt. Aber ich hatte eine Pflicht zu erfüllen:
neinen VDater zu rächen.
Die ganze Nacht dachte ich an nichts als an Krieg
ind an Kache. Ich war Soldat. In kiefer Dunkelheit
chlich ich mich an einen kroatischen Vorposten; dann wieder
iberfiel ich an der Spitze einer Keiterschar ein baijerliches
dager; ich sprengte in offener Feldschlacht auf den Gegner
os, bis ich ihn an der Gurgel packen bonnte. ... und
mmer fand ich mich zuletzt einem Kroaten gegenüber, der
zie Ahr meines Vaters oder den King meiner Mutter trug,
und ich erwürgte ihn mit Wollust.
Als ich mich am nächsten Worgen bei Tagesgrauen
erhob, hatte ich mit meiner Jugend abgeschlossen.
Der Knecht neben mir hörte, daß ich aufstand, und hieß
nich seinen Imbiß keilen; ein Stück alten Brotes mußte
Jenügen, unsern Hunger zu stillen. Ich bat den Knecht,
nir das Grab meines VDaters zu zeigen, und ich merbkte
hm den Schrecken an, in den ihn mein Wunsch versetzte.
Aber er broch dennoch vor mir aus dem Schuppen und
ief geduckt mehrere Dorfgassen entlang bis zum Friedhof.
Ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. In der Nähe
er Kirche blieb er stehen, deutete auf ein frisches Grab
ind machte schleunigst wieder behrt. „Ihr kommt doch bald
urück?“ fragte er. „Nein, ich werde Soldat.“ Er stand
inen Augenblick verwundert, dann begriff er und reichte
nir die Hand. „Lebt wohll!l“ sagte er und lief von dem
Friedhof, als wenn ihm der Böse im Nacken säße.
Nicht lange verweilte ich an den Gräbern. Mehr zog
s mich in das Haus, in dem meine Eltern an die zwanzig
Jahre gelebt hatten. Jetzt sah ich erst recht die Verwüstung.
Das Strohdach hatten die Flammen verzehrt, das Fachwerk
ind die Decken waren eingestürzt. In der Studierstube
neines Daters, die verhältnismäßig wenig gelitten hatte,
ag alles durcheinander. Der Bücher- und Abtenschrank
var umgestürzt. In der Hoffnung, einen letzten Gruß meines
daters zu finden, griff ich durch die eingedrückte Kückwand
es Schranbes und zog das unversehrte Kirchenbuch heraus.
sch schlug es auf. Die klaren, wohlbebannten Süge hatten
is zum Schluß seine Gedanbken festgehalten: Nulla fides,
dietas viris qui casstra Sequuntur ....*) und ganz zuletzt, vielleicht
uur wenige Stunden vor seinem Tode geschrieben, fand ich
en Stoßfeuzer:
Bellica nondum habent finem! Die Krieqstrompeten sind
ioch nicht verstummt ....
Ich juchte weiter in dem Schrank und zog einen Settel
eraus von seiner Hand. Es war der Plan einer Predigt,
sie er an einem der vier Bußtage gehalten hatte. „De
anato paralytico oder von dem geheilten Gichtbrüchigen“
tand darauf; und aus der Predigt fand ich noch einen Ge—
anken aufgezeichnet, der mir die Tränen in die Augen
rieb: „Ach, daß wir leidmütig erkennen möchten, wie unser
iem VDatterland einem solchen brank darniederliegenden Gicht-
rüchigen gleicht, auf daß wir uns zu dem allmächtigen,
Jütigen Gott, dem rechten himmlischen Arzt, täten wenden!“
Ich steckte den Settel zu mir und trug ihn seitdem
nanches Jahr in einem Täschchen auf der Brust, bis er
nie im Schlaf von einem, der wohl ein Mittel zum Fest—
nachen darin vermutete, gestohlen wurde.
xWaeder Glaube noch Gesikttktung haben die Krieashorden