Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Ich wollte Näheres erfahren, aber der Knecht forderte 
nich auf, mit ihm unter die Keiser zu kriechen. Ich weigerte 
mich — was lag mir an meinem Leben! — um ihn jedoch 
zum Keden zu bringen, folgte ich ihm schließlich in einen 
Schuppen, in dem er Schutz gegen Feinde und die Kälte 
der Nacht zu finden hoffte. 
„Der Anholt ist mit seinen Völkern in das Land ge— 
kommen,“ sagte er. „Anholt, ach Unhold sollte er heißen! 
Käuberisches Gesindel hat er unter seinen Fahnen gehabt: 
Wallonen, Burgunder, Polacken und Kroaten. Tag für 
Tag sind neue Truppen durch unser Dorf gekommen. Was 
sie an Vieh geschlachtet, an Frucht und Futter fortgeführt 
haben, ist nicht zu sagen. Kein Stück VDieh, beine Meste 
Korn, bein Sicheling Stroh ist mehr im Dorf, und wieviel 
ist ohne Notdurft verschwendet und verwüstet worden! Die 
Obstbäume haben sie umgehauen, die Häuser beschädigt und 
einige durch Anachtsamkeit und Mutwillen verbrannt, alles 
paben sie durchwühlt nach Gold und Kostbarkeiten und haben 
die Leute gedrillt bis aufs Blut. Und da galt nicht das 
Sprichwort: Auf geraubter Straße ist sicher wandern; denn 
vas die einen noch übrig gelassen hatten, das nahmen die 
Folgenden. „Und mein VBater?“ fragte ich. „Habt nur 
Heduld!“ jagte er. „Schließlich kamen die Kroaten. Das 
varen die schlimmsten von allen. Hoffärtig waren sie an— 
zusehen: ihre Pferderüstung, ihre Pistolen, ihre Karabiner 
uind Säbel, alles war mit Silber beschlagen, sie trugen 
Knöpfe von Silber und silberne oder goldene Platten auf 
der Brust. Eine Fahne hatten sie, darauf war ein Wolf 
abgebildet, und wie die Wölfe stürzten sie sich in die Häuser, 
die doch rein ausgeplündert waren, und kbehrten das Anterste 
zu oberst. Dazu fluchten und wetterten sie so greulich, als ob 
der Teufel gestorben wäre und sie nicht mehr holen Lönnte. 
In der Nacht, da die Soldaten schliefen, machten sich 
die meisten Bewohner auf und flüchteten in den Wald. 
AUnter den wenigen, die zurückblieben, war Euer DVater. Er 
fürchtete, das herrenlose Gut der Bauern möchten sie erst 
recht verwüsten und zerstören, und er hoffte, durch Ermahnungen 
hielleicht doch mancherlei Schaden hintanzuhalten. Wer 
sonst im Dorf blieb, verbroch sich in irgend ein Loch oder 
in ein zerstörtes Haus, wo niemand Beute suchte. 
Als sie am nächsten Morgen das Nest leer fanden — 
es war gestern, nein, ehegestern — da fluchten und hausten 
sie, als wären sie schier von Sinnen. Ich hörte von meinem 
HDersteck aus das greuliche Kumoren. Endlich vernahm ich, 
vie einer in deutscher Sunge rief: „Bruderr, ich hab der 
Pastor gefunden!“ Der andere antwortete ebenfalls in einem 
jremdartigen Deutsch, aber in anderer Sprechweise: „Botz 
undert dausend Sack voll Enten! Daß dich der Donner und 
agel miteinander erschlagl Der Pastor muß uns Gold 
ʒeigen, oder wir legen ihn schlafen!“ Und damit stürmten 
ie weiter, dem Pfarrhause zu, ohne daß ich ihnen zuvor⸗ 
ommen kbonnte, Euren Dater zu warnen. 
Ein paar Stunden später wurde es still im Dorf. Ich 
roch aus meinem Versteck hervor und lief nach dem Pfarr— 
»of. Das Haus stand in Flammen. In dem Flur lag 
Euer VDater erschlagen. Ich trug ihn ins Freie, daß ihm 
das Feuer nichts anhaben bonnte, und rief ein paar versteckte 
Bauern herbei. Wir schafften den Leichnam auf den Kirch- 
»of, gruben in Eile ein Grab und legten ihn mit einem 
Daterunser hinein. Den Brand löschen bonnten wir nicht: 
alle Brunnen waren von den durchziehenden Keitern geleert 
o»der verwüstet worden. Auch der Hof nebenan ging in 
Flammen auf.“ 
Als der Knecht seine Erzählung geendet hatte, überließ 
ch mich ganz meinem Schmers. ohne mich meiner Tränen 
zu schämen. Der Allteé hörte es, suchte im Dunkeln meine 
Hand und drückte sie. 
In jener Nacht kbonnte ich nicht schlafen. Unruhig warf 
ch mich hin und her. Ein Entschluß mußte gefaßt werden 
ür den nächsten Tag und für das künftige Leben. An 
Studieren bonnte ich nicht mehr denben, denn ich war aller 
Mittel beraubt. Aber ich hatte eine Pflicht zu erfüllen: 
neinen VDater zu rächen. 
Die ganze Nacht dachte ich an nichts als an Krieg 
ind an Kache. Ich war Soldat. In kiefer Dunkelheit 
chlich ich mich an einen kroatischen Vorposten; dann wieder 
iberfiel ich an der Spitze einer Keiterschar ein baijerliches 
dager; ich sprengte in offener Feldschlacht auf den Gegner 
os, bis ich ihn an der Gurgel packen bonnte. ... und 
mmer fand ich mich zuletzt einem Kroaten gegenüber, der 
zie Ahr meines Vaters oder den King meiner Mutter trug, 
und ich erwürgte ihn mit Wollust. 
Als ich mich am nächsten Worgen bei Tagesgrauen 
erhob, hatte ich mit meiner Jugend abgeschlossen. 
Der Knecht neben mir hörte, daß ich aufstand, und hieß 
nich seinen Imbiß keilen; ein Stück alten Brotes mußte 
Jenügen, unsern Hunger zu stillen. Ich bat den Knecht, 
nir das Grab meines VDaters zu zeigen, und ich merbkte 
hm den Schrecken an, in den ihn mein Wunsch versetzte. 
Aber er broch dennoch vor mir aus dem Schuppen und 
ief geduckt mehrere Dorfgassen entlang bis zum Friedhof. 
Ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. In der Nähe 
er Kirche blieb er stehen, deutete auf ein frisches Grab 
ind machte schleunigst wieder behrt. „Ihr kommt doch bald 
urück?“ fragte er. „Nein, ich werde Soldat.“ Er stand 
inen Augenblick verwundert, dann begriff er und reichte 
nir die Hand. „Lebt wohll!l“ sagte er und lief von dem 
Friedhof, als wenn ihm der Böse im Nacken säße. 
Nicht lange verweilte ich an den Gräbern. Mehr zog 
s mich in das Haus, in dem meine Eltern an die zwanzig 
Jahre gelebt hatten. Jetzt sah ich erst recht die Verwüstung. 
Das Strohdach hatten die Flammen verzehrt, das Fachwerk 
ind die Decken waren eingestürzt. In der Studierstube 
neines Daters, die verhältnismäßig wenig gelitten hatte, 
ag alles durcheinander. Der Bücher- und Abtenschrank 
var umgestürzt. In der Hoffnung, einen letzten Gruß meines 
daters zu finden, griff ich durch die eingedrückte Kückwand 
es Schranbes und zog das unversehrte Kirchenbuch heraus. 
sch schlug es auf. Die klaren, wohlbebannten Süge hatten 
is zum Schluß seine Gedanbken festgehalten: Nulla fides, 
dietas viris qui casstra Sequuntur ....*) und ganz zuletzt, vielleicht 
uur wenige Stunden vor seinem Tode geschrieben, fand ich 
en Stoßfeuzer: 
Bellica nondum habent finem! Die Krieqstrompeten sind 
ioch nicht verstummt .... 
Ich juchte weiter in dem Schrank und zog einen Settel 
eraus von seiner Hand. Es war der Plan einer Predigt, 
sie er an einem der vier Bußtage gehalten hatte. „De 
anato paralytico oder von dem geheilten Gichtbrüchigen“ 
tand darauf; und aus der Predigt fand ich noch einen Ge— 
anken aufgezeichnet, der mir die Tränen in die Augen 
rieb: „Ach, daß wir leidmütig erkennen möchten, wie unser 
iem VDatterland einem solchen brank darniederliegenden Gicht- 
rüchigen gleicht, auf daß wir uns zu dem allmächtigen, 
Jütigen Gott, dem rechten himmlischen Arzt, täten wenden!“ 
Ich steckte den Settel zu mir und trug ihn seitdem 
nanches Jahr in einem Täschchen auf der Brust, bis er 
nie im Schlaf von einem, der wohl ein Mittel zum Fest— 
nachen darin vermutete, gestohlen wurde. 
xWaeder Glaube noch Gesikttktung haben die Krieashorden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.