Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

peinlich wirken mußte. Die Schloßherrin blickte gleichfalls 
in die zuckende Glut, wunderte sich erst und schämte sich 
dann und wagte nicht aufzusehen. Ihr Gast hob endlich 
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doppelt schöne Frau, wandte sich dann fast gewaltsam ab 
und drehte sich nach dem hohen, geschnitzten Lehnstuhl um, 
der hinter ihm stand. Mars war darauf dargestellt, zum 
Kriege furchtbar gerüstet, aber von gaukelnden Amoretten 
mit Slumenbketten gefesselt. Der Obristleutnant zog den 
Stuhl näher heran, setzte sich hinein, und nachdem er mehr⸗ 
mals unruhig die Fingerspitzen über den Keigen der Liebes- 
götter hatte gleiten lassen, der auch die Armlehnen bis zu 
den vorderen Enden schmückte, sagte er rasch und mit jeltsam 
fremder Stimme: „Ich bin verheiratet... ich hatte Euch 
belogen.“ Die junge Frau drehte erschrocken den Kopf 
nach ihm um, während er unverwandt vor sich hin in die 
Glut sah. Dann fügte er mit weicherem Ton hinzu: „Ich 
schulde Euch meine Lebensgeschichte.“ 
Auch die Schloßherrin zog nun ihren Stuhl ans Feuer, 
während sie zuügleich unauffällig den Abstand von ihrem 
Gaste vergrößerte. Schweigend und scheinbar gleichmütig 
ließ sie sich nieder, nur das Sittern der Hand, die hastig 
die Falten des Atlasgewandes alattstrich. vorriet ihre 
innere Erregqung. 
* 
„Um die Osterzeit des Jahres 1622 wanderte ich rüstig 
meinem Heimatdorfe zu. Ich war so froh wie seit langem 
nicht. Die Schulzeit lag hinter mir. Kebtor und Magister 
des Pädagogii hatten mir das Testimonium ausgestellt, daß 
ich in der Dichtkunst der Griechen und Kömer, in Gram⸗ 
matik, Khetorik und Logik und anderen nützlichen Wissen- 
schaften hinreichend unterrichtet und erfahren sei, um mit 
Erfolg die Lectiones der Professoren zu hören. Vor den 
rauhen Bräuchen der Deposition und des Pennalismus war 
mir nicht bange: ich dachte nur an die goldne Freiheit des 
Burschenlebens. 
Ein Ding freilich mochte mich ein wenig beirren in 
meiner Freude: der Krieg. Er währte nun schon das fünfte 
Jahr, zog in den deutschen Landen hin und her und hatte 
auch unsere Striche 5wischen Khein und Main und Weser 
nicht verjschont. Aber gerade, daß es schon so lange dauerte, 
ließ mich auf sein baldiges Ende hoffen. So machte ich 
mir also nicht gar zu schwere Gedanken, sondern freute mich 
auf die Heimbehr zu meinem Vater, auf die Universität und 
überhaupt auf die Jugend und das Leben. die nun erst 
richtig beginnen sollten. 
Durch einen hohen Buchenwald war ich gewandert, in 
dem sich schon der Frühling regte. Weidenkätzchen, Himmel- 
schlüselchen und Anemonen nichkte ich im Vorübergehen zu, 
als wäre ihnen auch etwas von meiner Freude bewußt. 
Die Buchfinben schlugen ohne Ende, und es war nicht anders, 
als rüste sich die Heimat, mich fröhlich zu empfangen. 
Dann trat ich in einen Fichtenwald ein, und alsbald 
war alle Fröhlichkeit um mich und in mir geschwunden. 
Dunbkbel und balt lag es zwischen den Bäumen. Aus dem 
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Weg ans Licht, und die Amsel sang so klagend, daß mich 
schauerte. Ich blieb stehen und lauschte; der Vogel schwieg. 
Kein Lüjftchen strich um meine Wangen, und dennoch ging 
ein leises Kauschen durch den Wald. Mir war, als hörte 
ich verstohlene Schritte hinter mir: ich drehte mich um: 
niemand war zu sehen. Da lachte ich über mich selber und 
begann ein munteres Liedlein zu pfeifen; aber bein fröhlicher 
Widerhall wurde in den Bäumen wach. Fröstelnd schritt 
ich schneller fürbaß und wurde einer Sorqge nicht ledig. die 
ich mir nicht gestehen mochte, und die sich doch nicht mehr 
erscheuchen ließ. 
Ich begann zu laufen, denn ich wußte eine Lichtung, 
on der aus mein Dorf und mein Vaterhaus sichtbar waren. 
Finigemal mußte ich ein paar Schritte langsamer gehen, um 
vieder zu Atem zu bommen, doch nicht lange. und ich lief 
wieder. Bald hatte ich die Stelle erreicht, aber die Bäume 
varen so hoch gewachsen, daß sie die Aussicht verdeckten. 
Ich zögerte nicht, an einer jungen Fichte hinaufzusteigen, 
ind gewann freien Ausblick ... Da unten lag das Dorf ... 
ind da ragte der Kirchturm auf, und davor stand das weiße 
Pfarrhaus. „Dem ewigen Gott sei Lob und Danbl!“ ent— 
uhr es meinem Munde. Ich schwenbte den Hut und grüßte 
das VDaterhaus und war so froh, als könne nun nichts 
Schlimmes mehr geschehen sein. 
Küstig, aber ohne zu laufen, wanderte ich weiter. Mein 
Pfad kam nach einer Viertelstunde ins Freie. Mun bonnte 
ch im Gehen mit aller Muße mein Heimatdorf betrachten. 
Dort stand wieder der Turm mit den vier Eckhkürmchen. 
Ich betrachtete mein Vaterhaus. Am Dorfrand ragte es 
ius den Bäumen auf, weiß oder eigentlich schon mehr grau 
zu nennen. Sein rotes Dach ... Ich bedeckte die Augen 
nit der Hand, weil ich glaubte, sie zu sehr angestrengt zu 
»aben .. . Das rote Dach ... wo war das rote Dach? ... 
Und das Haus... war das wieblich das weiße Haus, was 
dort grau und schmal und hoch in der Ferne stand ... nein, 
niicht stand, sondern zu schwanben schien? War das wirblich 
ein Haus?... Ich war wie gelähmt von Angst, aber ich 
ezwang mich und suchte ruhig zu überlegen... Konnte der 
Hater im Garten ein Keiserfeuer angezündet haben, das mit 
einem Kauch das Haus bis an das Dach versteckte? ... 
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in die Gegend ... 
Die weiße, schmale Wand schwankbte, legte sich auf die Seite, 
og sich über die Bäume hin und schien verschwunden. Nun 
nußte das Haus sichtbar sein ... Nichts! „Der Krieg, der 
Kriegl“ stammelte ich und wagte nichts weiter zu denken 
ind lief und lief. Einmal bam mir in den Sinn, die Bäume 
m Garten seien vielleicht so groß geworden, daß man das 
Haus dahinter nicht mehr sehen könne, und ich blieb einen 
Augenblick stehen, um schärfer zu beobachten. Ich blammerte 
nich an diese letzte Hoffnung, aber eine innere Stimme 
agte mir, daß ich selber nicht daran glaube. 
Mein Weg führte mich durch eine Schlucht und dann 
durch tief gelegene Felder. Endlich erreichte ich die Acher- 
höhe ... und ich sah alles klar vor mir liegen. Der Kauch 
tieg aus der Scheuer neben dem Pfarrhaus; von meinem 
Elternhaus standen nur noch die Mauern. „Wo wird mein 
Hater sein?“ war mein einziger Gedanke, und eine dumpfe 
Angst sagte mir, daß ich das Schlimmste noch nicht wisse. 
Ich eilte durch das offene Gartentor an die Brandstätte. 
Ich rief: niemand gab mir Antwort. Einen Augenblich 
tand ich unentschlossen, dann lief ich in den Bauernhof 
iebenan. Auch er war niedergebrannt, und niemand ließ 
ich sehen. „Sie sind alle zusammen geflohen“, dachte ich 
ein wenig erleichtert. Moch in drei oder vier Höfe lief ich, 
ief die Leute mit Namen und erhielt beine Antwort. 
Mieder wollte ich einen Hof verlassen, da broch unter einem 
hHolzhaufen ein Mann hervor, vor dem ich erschreckt zurück— 
vich, jo wenig menschenähnlich sah er aus. Er winbte mie. 
fks war ein alter Knecht, den ich von Kind auf bannte. 
„Wo ist mein Dater?“ rief ich ihm zu. Er schwieg und schlug 
ie Augen nieder. Da wußte ich alles. Das Herz erbebte mir 
»or Schmerz und ohnmächtiger Wut. Mein armer, alter 
Dater von unmenschlichen Soldaten hingemordet, er, der niemand 
»was zuleide faf, der Leinen Landstreicher pvon der Tür wies!..
	        
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