peinlich wirken mußte. Die Schloßherrin blickte gleichfalls
in die zuckende Glut, wunderte sich erst und schämte sich
dann und wagte nicht aufzusehen. Ihr Gast hob endlich
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doppelt schöne Frau, wandte sich dann fast gewaltsam ab
und drehte sich nach dem hohen, geschnitzten Lehnstuhl um,
der hinter ihm stand. Mars war darauf dargestellt, zum
Kriege furchtbar gerüstet, aber von gaukelnden Amoretten
mit Slumenbketten gefesselt. Der Obristleutnant zog den
Stuhl näher heran, setzte sich hinein, und nachdem er mehr⸗
mals unruhig die Fingerspitzen über den Keigen der Liebes-
götter hatte gleiten lassen, der auch die Armlehnen bis zu
den vorderen Enden schmückte, sagte er rasch und mit jeltsam
fremder Stimme: „Ich bin verheiratet... ich hatte Euch
belogen.“ Die junge Frau drehte erschrocken den Kopf
nach ihm um, während er unverwandt vor sich hin in die
Glut sah. Dann fügte er mit weicherem Ton hinzu: „Ich
schulde Euch meine Lebensgeschichte.“
Auch die Schloßherrin zog nun ihren Stuhl ans Feuer,
während sie zuügleich unauffällig den Abstand von ihrem
Gaste vergrößerte. Schweigend und scheinbar gleichmütig
ließ sie sich nieder, nur das Sittern der Hand, die hastig
die Falten des Atlasgewandes alattstrich. vorriet ihre
innere Erregqung.
*
„Um die Osterzeit des Jahres 1622 wanderte ich rüstig
meinem Heimatdorfe zu. Ich war so froh wie seit langem
nicht. Die Schulzeit lag hinter mir. Kebtor und Magister
des Pädagogii hatten mir das Testimonium ausgestellt, daß
ich in der Dichtkunst der Griechen und Kömer, in Gram⸗
matik, Khetorik und Logik und anderen nützlichen Wissen-
schaften hinreichend unterrichtet und erfahren sei, um mit
Erfolg die Lectiones der Professoren zu hören. Vor den
rauhen Bräuchen der Deposition und des Pennalismus war
mir nicht bange: ich dachte nur an die goldne Freiheit des
Burschenlebens.
Ein Ding freilich mochte mich ein wenig beirren in
meiner Freude: der Krieg. Er währte nun schon das fünfte
Jahr, zog in den deutschen Landen hin und her und hatte
auch unsere Striche 5wischen Khein und Main und Weser
nicht verjschont. Aber gerade, daß es schon so lange dauerte,
ließ mich auf sein baldiges Ende hoffen. So machte ich
mir also nicht gar zu schwere Gedanken, sondern freute mich
auf die Heimbehr zu meinem Vater, auf die Universität und
überhaupt auf die Jugend und das Leben. die nun erst
richtig beginnen sollten.
Durch einen hohen Buchenwald war ich gewandert, in
dem sich schon der Frühling regte. Weidenkätzchen, Himmel-
schlüselchen und Anemonen nichkte ich im Vorübergehen zu,
als wäre ihnen auch etwas von meiner Freude bewußt.
Die Buchfinben schlugen ohne Ende, und es war nicht anders,
als rüste sich die Heimat, mich fröhlich zu empfangen.
Dann trat ich in einen Fichtenwald ein, und alsbald
war alle Fröhlichkeit um mich und in mir geschwunden.
Dunbkbel und balt lag es zwischen den Bäumen. Aus dem
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Weg ans Licht, und die Amsel sang so klagend, daß mich
schauerte. Ich blieb stehen und lauschte; der Vogel schwieg.
Kein Lüjftchen strich um meine Wangen, und dennoch ging
ein leises Kauschen durch den Wald. Mir war, als hörte
ich verstohlene Schritte hinter mir: ich drehte mich um:
niemand war zu sehen. Da lachte ich über mich selber und
begann ein munteres Liedlein zu pfeifen; aber bein fröhlicher
Widerhall wurde in den Bäumen wach. Fröstelnd schritt
ich schneller fürbaß und wurde einer Sorqge nicht ledig. die
ich mir nicht gestehen mochte, und die sich doch nicht mehr
erscheuchen ließ.
Ich begann zu laufen, denn ich wußte eine Lichtung,
on der aus mein Dorf und mein Vaterhaus sichtbar waren.
Finigemal mußte ich ein paar Schritte langsamer gehen, um
vieder zu Atem zu bommen, doch nicht lange. und ich lief
wieder. Bald hatte ich die Stelle erreicht, aber die Bäume
varen so hoch gewachsen, daß sie die Aussicht verdeckten.
Ich zögerte nicht, an einer jungen Fichte hinaufzusteigen,
ind gewann freien Ausblick ... Da unten lag das Dorf ...
ind da ragte der Kirchturm auf, und davor stand das weiße
Pfarrhaus. „Dem ewigen Gott sei Lob und Danbl!“ ent—
uhr es meinem Munde. Ich schwenbte den Hut und grüßte
das VDaterhaus und war so froh, als könne nun nichts
Schlimmes mehr geschehen sein.
Küstig, aber ohne zu laufen, wanderte ich weiter. Mein
Pfad kam nach einer Viertelstunde ins Freie. Mun bonnte
ch im Gehen mit aller Muße mein Heimatdorf betrachten.
Dort stand wieder der Turm mit den vier Eckhkürmchen.
Ich betrachtete mein Vaterhaus. Am Dorfrand ragte es
ius den Bäumen auf, weiß oder eigentlich schon mehr grau
zu nennen. Sein rotes Dach ... Ich bedeckte die Augen
nit der Hand, weil ich glaubte, sie zu sehr angestrengt zu
»aben .. . Das rote Dach ... wo war das rote Dach? ...
Und das Haus... war das wieblich das weiße Haus, was
dort grau und schmal und hoch in der Ferne stand ... nein,
niicht stand, sondern zu schwanben schien? War das wirblich
ein Haus?... Ich war wie gelähmt von Angst, aber ich
ezwang mich und suchte ruhig zu überlegen... Konnte der
Hater im Garten ein Keiserfeuer angezündet haben, das mit
einem Kauch das Haus bis an das Dach versteckte? ...
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in die Gegend ...
Die weiße, schmale Wand schwankbte, legte sich auf die Seite,
og sich über die Bäume hin und schien verschwunden. Nun
nußte das Haus sichtbar sein ... Nichts! „Der Krieg, der
Kriegl“ stammelte ich und wagte nichts weiter zu denken
ind lief und lief. Einmal bam mir in den Sinn, die Bäume
m Garten seien vielleicht so groß geworden, daß man das
Haus dahinter nicht mehr sehen könne, und ich blieb einen
Augenblick stehen, um schärfer zu beobachten. Ich blammerte
nich an diese letzte Hoffnung, aber eine innere Stimme
agte mir, daß ich selber nicht daran glaube.
Mein Weg führte mich durch eine Schlucht und dann
durch tief gelegene Felder. Endlich erreichte ich die Acher-
höhe ... und ich sah alles klar vor mir liegen. Der Kauch
tieg aus der Scheuer neben dem Pfarrhaus; von meinem
Elternhaus standen nur noch die Mauern. „Wo wird mein
Hater sein?“ war mein einziger Gedanke, und eine dumpfe
Angst sagte mir, daß ich das Schlimmste noch nicht wisse.
Ich eilte durch das offene Gartentor an die Brandstätte.
Ich rief: niemand gab mir Antwort. Einen Augenblich
tand ich unentschlossen, dann lief ich in den Bauernhof
iebenan. Auch er war niedergebrannt, und niemand ließ
ich sehen. „Sie sind alle zusammen geflohen“, dachte ich
ein wenig erleichtert. Moch in drei oder vier Höfe lief ich,
ief die Leute mit Namen und erhielt beine Antwort.
Mieder wollte ich einen Hof verlassen, da broch unter einem
hHolzhaufen ein Mann hervor, vor dem ich erschreckt zurück—
vich, jo wenig menschenähnlich sah er aus. Er winbte mie.
fks war ein alter Knecht, den ich von Kind auf bannte.
„Wo ist mein Dater?“ rief ich ihm zu. Er schwieg und schlug
ie Augen nieder. Da wußte ich alles. Das Herz erbebte mir
»or Schmerz und ohnmächtiger Wut. Mein armer, alter
Dater von unmenschlichen Soldaten hingemordet, er, der niemand
»was zuleide faf, der Leinen Landstreicher pvon der Tür wies!..