Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Aus al it 
us alter Seit. 
3 3 die Gemüter; schon sind das Pfarrhaus und die umliegenden 
Wie Hersfeld 31u seinem Wahr⸗ Hãuser von den Sewohnern geräumt. 
zeichen Lkam. Aus dem nahen Kathaus hat man in Eile die wichtigsten 
9 Briefschaften und Urkunden in Sicherheit gebracht, falls das Un⸗ 
Historische Slizze von Georg Klinb. heil weitergreisen soilie. 
Was war das doch heuer für ein merkwũrdiges Wetter, dachten Anwmõoglich ist es, dem Feuer in der schwindelnden Höhe Ein— 
die Bũrger der guten Stadt Hersfeld, und holten aus der Lade halt zu tun. Klirrend fallen die Schiefersteine, mit denen die 
den wohlverwahrten Kalender herbei, in dem schwarz auß weiß Spitze gedeckt ist, von Seit zu Seit in die Tiefe und auf das Dach 
tand, daß der Monat Frost und Schnee bringen werde. Nichte der Kirche. Immer weiter fressen die Flammen. 
von alledem war eingetreten, ungeahnt gelinde war die Witterung Ein Schrei geht durch die Menge. Es neigt sich langsam die 
geblieben, trotzdem es doch schon hoch auf Weihnachten ging. Eine chlanbe Spitze des Turms. Wohin wird sie falen? 
oerdrehte Weit war das schon! Nicht mal mehr auf den hundert Dann geht ein Aufatmen durch die Umstehenden. Im 
iährigen Kalender bonnte man sich verlassen! Fallen ist die Spitze in sich zusammengebrochen, der größte Teil 
Das dachte auch der alte Turmwächter Heß, der an jenem bleibt an der steinernen Ballustrade hängen. 
denkwurdigen Abend des 20. Dezember 1760 soeben aus der Tür Die Sorge um die Glocken lastet auf den Umstehenden. in 
seiner luftigen Wohnung hoch oben auf dem Kirchturm auf den ullen Gesprächen bommt es zum Durchbruch. Wenn der Glocken⸗ 
Sõller hingustrat und langsam den Rundgang umschritt. Bedächtig tuhl Feuer fängt, wird auch bald das bostbare Geläute in die 
jah er auf das altgewohnte Bild zu seinen Füßen, auf das sich Tiefe stürzen. 
eben die ersten Schatten der Dämmerung senbten. Schon über vierhundert Jahre hängt die „Osterglocke“ dort 
Man Lonnte es sich gar nicht vorstellen, daß in vier Tagen oben, unersetzlich wäre ihr Verlust sür die Stadt. Ob es nicht 
schon Heiligabend war, sann der alte Mann vor sich hin, und doch möglich ist, das Feuer zu löschen und die Glocken zu retten? 
dachte zurũck an die leßten Jahre, wo um dieselbe Seit die Häuser Und eine Bewegung geht durch all die Menschen, die ver- 
und Dächer der Stadt sich so drollige weiße Mützen aufgesetzt sammelt sind. Dier beherzie Männer lösen sich aus der Menge 
hatten, an denen er immer und schreiten troß drohender 
seine heimliche Freude gehabt. Befahr nach dem brennenden 
AUnvermittelt aber hob Turm. Das waren Georg 
der Türmer die Hand zu den Hagemann und Justus 
Augen und starrte verwun⸗ Salzmann, beide Meister 
dert in die Dämmerung hin⸗ des Bäckerhandwerks, Bar⸗ 
aus. War da nicht eben ein bier Kaselitz und Simmer⸗ 
feuriger Schein ũber den meister Hubert. Einer nach 
Himmel gefahren? dem andern vorschwindet im 
Ein Gewitter im De— Eingang zum Turm. 
zember? Das war doch wohl Staärber fallen die Flocken, 
aum moͤglich. Dessen konnten aber unbeweglich steht die 
sich ja die ältesten Hersfelder Menge. Ihre Gedanben sind 
nicht erinnern. Und doch mußte bei den kühnen Bürgern da 
es ein Blitz gewesen sein, ein oben, die ihr Leben einsetzen 
eises Donnern lief noch ver⸗ für die Stadt. Unvergesjen 
hallend hinterher. Da wollte seien ihre Namen! 
er doch gleich mal nach dem Mit Axten und Haben 
„Wettoerloch“ Ausschau hal⸗ arbeiten die vier Maäͤnner, 
ten. Schlüũürfenden Schrittes deren mannhaftes Vorgehen 
ging er nach der anderen ansteckend wirkt, und denen 
Seite des Turmes. Natürlich, bald Soldaten der Garnison 
eine finstere Wolke hing dro— und andere Bürger folgen. 
hend dort drũben mit zackigen. Stundenlang dauort es, bis 
schwefelgelben Rändern. das Feuer erstickt ist, erst nachts 
Weoiter aber bam der Tüũr⸗ gegen halb drei ist die gefahr⸗ 
ner nicht in seinem Gedan⸗ volle Arbeit beendet. 
engang. Grell und steil fuhr ein zuckendes Feuer über den Schwelender Rauch steigt in die Luft, das Schneetreiben hat 
Himmel, stach ihm schmerzhaft in die Augen, ein furchtbarer sich gelegt; es ist heller Mondschein eingetreten. — — — 
Schlag erfolgte, der ihm fast die Besinnung raubte. Keieg und Notzeit herrschte im Lande. Unmöglich war es 
Mit zitternden Händen hielt sich der Wächter an der steinernen ür die Stadt, das Dach des Turmes in der bisherigen Weise 
Balustrade fest und starrte entgeistert vor sich hin. vieder herzustellen. Achtzig Fuß vom Rundgang bis zum Knopf 
Schlag, auf Schlag folgten Blitz und Donner. hatte früher die Kirchturmpitße gemessen. Die Kosten dafüe wur⸗ 
Lichterloh brannte die schlanke Spitze des Turms. — — — den für unerschwinglich erklärt. 
Französische Soldaten vom Schweizerischen Regiment Dlesbach Mit einem Notdach wurde der Kirchturm versehen und die 
lagen in der Stadt einquartiert. Die sahen zuerst das aus dem dloßgelegte Türmerwohnung schleunigst wieder in Ordnung gebracht. 
Dach des Kirchturms hervorbrechende Feuer. Fragende Stimmen Wohl juchten sechs Jahre später Bürgermeister und Kat der 
werden unter ihnen laut. Ob dem Türmer etwas zugestoßen ist? Stadt beim Konsistorium um Genehmigung einer Landesbollekte 
Warum läßt er nicht die Feuerglocke erschallen? rach, um den nur notdũrftig abgedeckten Oberbau des Turmes 
Da eilen die Trommeischläger der Grenadiere durch die Stra. vieder herzustellen und das Kirchendach zu reparieren, aber nie— 
ßen, und glarmieren die Bürger, die, das Unheil nicht ahnend, sich nand dachte mehr daran, die Spißtze in ihrer früheren Höhe 
in ihren Häusern befinden. Von Haus zu Haus laufen die Sol. pieder herzustellen. Man hatte sich an den Anblick gewöhni. 
daten mit dem Ruf: „Das Gotteshaus brennt!“ So kam Hersfeld zu seinem stumpfen Turme, dem Wahr— 
Rauchgeschwärzt und mit versengten Kleidern taumelt der zeichen der Stadt 
Heß adus dem Turmaufqang und ist immer noch wie von 
innen. 
Schwarz voller Menschen steht der Plaß beim Rathaus und 
der Marbkt. Funben stieben durch die Luft, verlöschen im Fallen, 
oder werden vom Wind weithin getragen. Immer höher schlagen 
die Flammen. Weithinleuchtend steht der brennende Turm wie 
eine riesige Fackel über der Stadt und bescheint schaurig die 
Umgebung. 
Es fängt langsam an zu schneien. Aber wie festgebannt 
stehen die Menschen vor dem furchtbar⸗schönen Bilde. Die bange 
Frage, wohin die brennende Kirchturmspitze fallen wird, beschäftigt 
Mäher. Genmälde
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.