Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

VDom Pulsschlag der Heimat. J 
Aus den Forst und Jagdanekdoten 
K. S. von Wildungens. Seun 
74* 
Sarweoelecĩis. 
Barweleis war so ein dickes „lommes Dier“, dabei blein und 
geschwätzig. Einen Fehler trug sie an sich, sie „puttchte“ (kränkelte) 
sortwährend, „hatte es an den Nerven“ (war nervös). Wies das 
Jahr 366 Tage auf, so machte Barweleĩis wenigstens 300 Kranb- 
heiten durch, nämlich jeden Tag eine andere. Dabei wurde sie 
immer runder und „moggeliger“ (dicker). Ihrem Manne, dem 
Hannkurt, erzählte sie getreulich und wortreich deren Hergang, 
„haarchenblein“. Der horte geduldig zu und juchte Barwelers 
dann mit guten Ratschlägen beizuspringen. Manchmal hielt ihm 
SBarweleis sogar nachts um 2 Uhr einen langen Vortrag. Als 
sich das aber ein und alle Tage wiederholte, da wich Hannkurt 
anfangs mit allgemeinen Redensarten aus. Dann aber schwieg 
er „biebchestill“ (mäuschenstill). Da kam er schön an. Barwelers 
meinte: „Du antwortest mir ja gar nichts?“ Darauf entgegnete 
Hannburt trocken: „Was jsoll ich noch sprechen? Ich hab ja schon alles 
gesagt, was ich wußt. Wir müssen eben unser bißchen Elend geduldig 
zujammen tragen“. 
Swischendurch hatte unsere gute Barweleis dann auch an— 
gefangen zu „dobtern“. Da war Lein Arzt im Umbreis von zehn 
Wegstunden, den sie nicht aufsuchte, um ihm ihr Leid ausführlich 
zu klagen und ihn um Kat anzugehen. Die Herren hörten samt 
und sonders sehr interessiert zu. betrachteten sie genau und gaben 
dann ihre Verordnungen. Hieit der eine fleischlose Kost für an- 
gebracht, so erlaubte der andere alles. Viel hinausgehen müsse 
—AD nichts tun, jagte Dobtor 
Mãller, und Dobtor Schulze meinte, moglichsi wenig essen und sich 
immer Beschäftigung machen, daß die Gedankben nicht Lommen. 
Verordnete Dobior Meher Bäder und Lbalte Abwaschungen, so 
jand das vor den Augen des Doktors Grebe wenig Gnade. Es 
pries beine Seitung eins der Mittel an, die „sicher helfen“, näm- 
lich dem Hersteller in seinen Geldbeutel, das sie nicht „kommen 
ließ“ Vergeblich. 
Es ist weiter nicht verwunderlich, daß die kLranke Barweleis 
auch die „alte Karren“ (Katharina) aufsjuchte, die „für“ (gegen) 
ihre Krankheit „was konnte“. Swischen elf und zwölj Ahr nachts 
mũsse sie „linderschlawãndigenack (jpitternackend) auf den Friedhof 
gehn und am letzten Grab ein Bundelchen, aus der Windel vom 
ersten Kind bestehend, in das ein Heller gewickelt war, niederlegen. 
Auch das half bein britßzchen (bißchen). Die gleiche Erfahrung 
machte Barweleis mit den Naturheilbundigen. Der eine besah 
ihre „Netze“ (Arin), der andere ihre Nackenhaare. Geholfen hat, 
was sie gaben, auch nicht das geringste, und Barweleis ging nun 
wieder zu den „gelernten Dobtern“. Immer neue Meinungen 
bekam sie da zu hören, so daß sie schließlich ganz irr und wirr im 
Kopf wurde. Was sollte sie tun? „Gar nichts“, meinte sie da, 
„enig essen muß ich so wie so, ich werde sonst zu „kLomplett“, und 
Sewegung, du lieber Gott, wer hätte die mehr als eine Hausfrau, 
eine Mutter. Nichts tun, unmöglich“. 
MNach langer Seit war Barweleis über ihren bösen Sustand 
glũcklich hinausgekommen. Wie das gebommen ist, und was 
„geholfen“ hat, vermag sie selbst nicht zu sagen. Es ging eben 
eines Tages besser. Sie verwundert sich nun selbst lachend, 
vdaß man sich so anstellen Lann“ und zu jedem Dobtor läuft. Hin 
und wieder grollt ihre Krankheit wie Wetterleuchten von einem 
fernen Gewuͤter noch einmal nach. Am frohesten ist mit ihr der 
Hannkburt, der hat nicht zu wenig auszubaden gehabt. SAlles trug 
er mit Geduld, und bein Wort des Unwillens ist jemals aus seinem 
Munde gebommen. Wenn Barwoeleis wieder einmal „ankt“ 
töhnt), dann verhält er sich still und anteilnehmend, weiß er doch 
aus langer Erfahrung, daß so der Geist der Krankheit am ehesten 
bezwungen werden bann. Die anderen Leute verhalten sich hart— 
näckig ungläubig Barweleisens Krankheit gegenüber. Es ist und 
bleibt nun leider einmal so, wer's „an den Nerben hates, zumal im 
Dorfe, dem wird sein Sustand kaum geglaubt, er wird vielmehr 
von den meisten Menschen heimlich verlacht, derartige Kranke 
gelten als „närrsche Kerle“, die nicht voll zu nehmen sind. Und so 
erging's Barweleis lebenslang. Ja, noch nach ihrem Tode wurde 
sie als abschreckendes Seispiet angefũhrt. Die Leute jagten: „Der 
(die) ist jo Lrank wie Hanukurte Barbweleis, das wurde alle Tage 
dicker.“ Ohne Berechtigung. Wenn Barweleis ihre Krankheit 
auch ein bißchen komisch gemacht hatte, so war sie doch wirblich 
rank. Und wenn ich hier von ihe erzähle, so will ich beileibe 
ucht einen Stein auf ihr Grab werfen, sondern nur ähnlichen 
Fallen das Verstehen erieichtern. Schw. 
20. 
Worelli, ein italienischer Sänger am Hofe des Landgrafen 
friedrich von HessenCassel, war ein leidenschaftlicher Jäger. Ich 
egegnete ihm einst, als er von der Jagd bam, und auf meine 
5rage, was er geschossen habe, antwortete er: „Ab sik geschoß 
in junker Aas, zwei Rabbin und ein Hũhnerwasser“ (einen jungen 
hasen, zwei Rebhühner und ein Wasserhuhn). 
—21. 
Im Hofe eines fürstlichen Residenzschlosses wurde ein flügel- 
ahmer Kranich unterhalten, und die aufziehende Torwache erhielt 
edesmal Sefehl, den Staatsgefangenen zurückzuweisen, wenn er 
ftwa Lust hätte, hinaus zu spazieren. Ein junger Gardist, in der 
Ornithologie schlecht bewandert, der die Schloßwache zum ersten 
Male bezog, fragte bei gleicher Weisung sehr neugierig, wer denn 
der Kranich sei? „Es ist“, bedeutete ihn der anstellende Gefreite, 
‚ein meist schwarzer, langhalsiger und hochbeiniger Patron! Gib 
iur acht, wirst ihn bald anmarschieren jsehen!“ — Ganz wohl“, 
ewiderte jener, „will schon aufpassen! Hier soll er nicht durch⸗ 
vischen!“ und grapitätischer noch als der Kranich spazierte er nun 
iuf seinem Posten auf und ab. 
Sald hernach kbam ein würdiger Geistlicher, dessen allgemein 
merbannte VDerdienste der edle Fürst durch ein ausgezeichnetes 
*utrauen belohnte, der aber — auf eine beim höheren Klerus in 
er Regel ungewöhnliche Weise — von auffallend hagerer Statur 
vpar, in pontificalibuss) aus dem Schlosse. Doch kbaum nahete er 
ich dem Tore, als furchtbar der Rebrut: „Halt! hier darf Er nicht 
assieren!“ ihm entgegendonnerte. „Was soll dies bedeutenꝰ“ 
ragte der Ehrwürdige staunend, „ich bin ja der Kirchenrat N. 
em der Ein- und NAusgang hier noch niemals verwehrt war!“ 
Der diensteifrige Kriegsmann aber antwortete trotzig: „Nichts da! 
Nich joll er nicht irre machen! Ich weiß besser, wer Er ist! Er 
jt der Kranichl“ Und nur mit Mühe ließ er sich endlich eines 
andern belehren. 22 
Ein Bauchredner, der zugleich Jagdliebhaber ist, soll so 
chlau sein, seine Kunst auch zu einem möglichst bompendiösen“) 
Lreibjagen zu benußen. Eer siellt sich nämlich ganz allein an und 
ãßt dann mannigfaltige Stimmen bon Treibleuten aus seinem 
Inneren ertönen, daß sie hinter dem verborgenen Wilde herzu— 
ommen scheinen, welches dann, wie natürlich, ihn anlaufen muß. 
— Wenn auch nicht wahr, doch gut erfunden. 
23. 
Ein Schweizer Bauer hatte einen Jagdhund seines gestrengen 
Junkers mit der Hellebarde totgestochen. Warum haäst du das 
jetan?“ fragte höchst ergrimmt der Gerichtsherr. „Weii er mich 
eißen wollte“, antwortete der Angeblagte ganz gelassen. „Da 
»ättest du“, erwiderte jener, „nur mit dem Stiel deiner Hellebarde 
hn abwehren, nicht aber das Eisen dazu gebrauchen sollen!“ — 
Das würde ich auch getan haben“, verseßte jener, enn Euer 
dund mit dem Schwanze mich hätte beißen wollen. Daä der Kacker 
iber mit den Sähnen mich anfiel, wußte ich mir nicht anders zu 
elfen“. Darüber mußte der Junker lachen und — ihm verzeihen. 
24. 
„Warum feuerten Sie nicht auf den Hasen, der Sie doch so 
chön anlief?“ fragte der Graf von L. einen Pastor, der bei einem 
Feldtreiben neben ihm gestanden hatte. „Aus schuldigem Kespekt 
icht“, antwortete diejer, „denn das waren der Hase, den Euer 
fsxzellenz zu fehlen geruht hatten.“ 
25. 
Ein JagdDilettant, der, wie es bei manchem der Fall sein soll, 
esser lũgen als schießen bonnte, erzählte unter anderem, als man 
on wunderbaren Schüssen sprach, er habe einstmals als Offizier 
iuf einem Marsche nach Schwaben (wohin er, beiläufig gesägt, 
ne gekommen war) einen Sechzehn⸗Ender durch den rechten Hinter⸗ 
auf und durch das linke Gehör geschossen. Man lachte. „Ist's 
iicht wahr, Johann?“ fragte er seinen alten Jäger, der hinter 
einem Stuhle stand, „du warst ja dabei!“ — „Ja, Herr,“ sagte 
ieser ganz ernsthaft, „es war im Walde bei Neustadt an der 
ohen Linde. Der Hirsch hatte, mit Respekt zu sagen, etwas 
Ungeziefer und bratzte sich hinter dem Gehöre. In dem Augenblick 
choß mein gnädiger Herr und traf ihn so, wie er erzählt hat“. 
RIn Amtstracht. *) abgebkürzten. 
xJY Barbara Elisabekh.
	        
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