Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

— dann die Schwalbenpredigt, Pfjalm 84,4: Denn der 
Dogel hat sein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest 
— die Adlerpredigt, Jesaia 40,31: Die auf den Herrn 
harren briegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln 
wie Adler — und endlich der schönsten eine, die Kraut— 
predigt, Sprüche Salomonis 15,17: Es ist besser ein Gericht 
Krauf mit Liebe denn ein gemästeter Ochse mit Haß. Von 
Seit zu Seit Lam dann auch einmal eine neue, die Gemeinde 
pöllig überraschende Predigt hinzu, wie im letzten Herbst 
die Tanzpredigt. Die übertriebenen Kirmessen mit ihren 
tollen Tänzen hatten ihn zu einer ernsten Vermahnung der 
Jungen und Alten beiderlei Geschlechts veranlaßt. Ehrsame 
Jünglinge und Jungfrauen dürfen kanzen, war sein Wort 
bon der Kanzel herunter gewesen, aber nur in Ehren und 
mit Züchten. Wie tanzt man denn aber in Ehren? Wie 
die heilige Maria, die Mutter Gottes, getanzt hat: so 
trullala, teullala, trullala. So tanzen ehrbare junge Leute, 
die Christen sein wollenl Und dabei wiegte er sich in der 
bleinen Kanzel da droben hin und her, als wollte er den 
magdlichen Tanz der Maria vortanzen. Mber ihr, donnerte 
er nun von oben herab, daß ihnen alles Lächeln verging, 
wie tanzt ihr? Wie die Säu, wie die wilden Säu — so 
tanzt ihrl Dabei verrenbte er sich fast die Arme und 
stampfte mit den Füßen, als müßte der Boden aus der 
Kanzel herausgestampft sein. Und dann wetterte er auf 
die Verderbnis der gegenwärtigen Welt, als bräche soaleich 
eine neue Sündflut los. 
Ehrn Matthias wußte wohl, wie die Bauern seine Predigten 
beurteilten und benamsten. Er lächelte leise und fügte in 
Gedanben noch alle die buriosen hinzu: die Ameisenpredigt, 
Sprüche 6,6 — die Storchpredigt, Jerem. 8,1 — die 
Otternpredigt, Matth. 3,1 — die Wurmpredigt, Jesaĩa 66,24 
— die Spatzenpredigt, Matth. 10,29 — die Lilienpredigt, 
Matth. 6,28 und noch viele andere, deren Texte er am 
liebsten von irgendwelchem Getier oder Geblüm hernahm. 
Nach dem Gottesdienst wollte er den Kirchenvorstand zu 
einer Besprechung in die Sabristeĩ einladen, des faulen 
Sodengebälks wegen. Aber er wußte es schon: ein Wunder 
mußte geschehn, wenn sie glauben und tun sollten. 
Und das Wunder geschah. Ehrn Matthias ahnte nicht, 
daß es ihm schon auf den Fersen war. 
Als er den Hof verließ, stieg das Knechtlein geschwind 
die Leiter hinauf, um noch einen Armvoll Heu herabzuwerfen. 
Da brach der Boden mit ihm durch. Die ganze Herrlichkeit 
der faulen Schalhölzer und der Lehmbrocken bam mit Ge— 
polter auf die Ochsen herab, und der Bursche fiel rittlings 
auf den Rücken des stattlichen Handochsen und saß da wie 
im Sattel. Der Ochse aber riß im ersten Schreck den 
Kloben aus dem morschen Balben und schoß, noch ehe sich's 
der Knecht versah, zum Stall hinaus, wobei er ihm das 
Bein am Türpfosten quetschte, und den Weg zur Kirche 
hinauf. Küdiger griff mit der Kechten nach der Halsbette, 
die am Boden rasselte und mit der Linken nach dem Horn 
des Heils am Ochsenkopf, um einen Halt zu haben. Su⸗ 
letzt schien es dem guten Pfarrbnecht gar nicht übel zu be— 
hagen, auf dem Klauenvieh durchs Dorf zu traben. obwohl 
er mehr lag als saß. 
Das Geschrei und Gelächter der überholten Kirchgänger 
ließ den Pfarrer vor der Kirchhofstür sich umwenden und 
den seltsamen Spazierritt seines getreuen Knappen sehen. 
Der stürmte heran und duckte sich hastig unter dem Bogen- 
pförtlein hindurch; denn der Ochse schien geradewegs in die 
Kirche zu wollen. Als ihn aber saftiges Gras und hoher 
Kerbel auf uralten Gräbern zur Weidelust lockten, versenkte 
er sein Maul mit aller Inbrunst in das Grün und gab dem 
Keiter willlommene Gelegenheit zum Absteigen. Hinbend 
ind ächzend rutschte er von dem Ochsenbuckel herab, auf 
dem es ihm zuletzt doch ungemütlich geworden war, faßte 
das Tier an der Halskette, gab vor dem strafenden Blick 
des Pfarrherrn, der an Sperenzien dachte, eine Darstellung 
ind Kechtfertigung und führte den Ochsen an seinen Ort zurück. 
Ehrn Matthias gesellte sich den lachenden Bauern zu, 
die das Geschehnis mit witzigderben Glossen würzten, aber 
uugenblicks verstummten, als er sie wegen dieser Ungebühr 
zar nicht sänftiglich ansuhr. Es wandelte ihn wie Sorn 
in, und er beschloß, die vorgesehene Predigt als unpassend 
allen zu lassen. Erhobenen Hauptes und ohne nach rechts 
der links zu blicken, schritt er durch den Mittelgang zur 
Sakristei. Während die Gemeinde das Hauptlied sang, zog 
ꝛx dort die Gedächtnisschubfächer seines Kopfes auf und 
ramte einen anderen Text hervor. Ja, jetzt hatte er den 
ichtigen: 59. Mose 25,4: Du sollst dem Ochsen, der da 
rischet, nicht das Maul verbinden. Diesen Spruch wollte 
er ihnen vorsetzen und ihre Seelen damit müerbe machen. 
Er betrat die Kanzel. In dieser Stunde sollte ihnen 
zer Herr im Sturm erscheinen, nicht im stillen, sanften 
Sausen. Und er als Diener des Herrn wollte heute zu den 
Donnerskindern gehören; bonnte er auch nicht Feuer vom 
Himmel heischen, die Hölle sollte ihnen doch heiß genug werden. 
Er verlas das Textwort und schwieg bedeutsam. In 
iesem Augenblick drehte sich der Schulmeister auf der Orgel⸗ 
ank nach der Gemeinde um und stieß unversehens an das 
Zontra-Fis, das mit dem letzten Wind im Blasebalg einen 
Ton erzeugte wie das feierliche, tiefdröhnende Brummen 
ines Ochsen. Der Prediger faßte das als ein zustimmendes 
zeichen des Himmels auf und begann, sein Wort auszulegen. 
kr donnerte so gewaltig auf die Kanzelbrüstung, daß sogar 
er Bürgermeister, der den Kopf stets hoch trug, sich ein 
venig niederduckte. Sie hätten es nur ihrem Gott zu 
anken, sagte er, daß die unvernünftige Kreatur in dieser 
Morgenstunde nicht den heiligen Boden des Kirchleins ent 
veiht und den Altar umgestoßen habe. Manche Christen- 
nenschen seien freilich auch nicht viel würdiger, den geweihten 
Zaum zu betreten, als die vernunftlose Kreatur. Aber sie, 
eine Suhörer, könnten und sollten dessen würdig werden. 
And so rüttelte er sie tüchtig, zog auch das Jesuwort Lub. 
4,5 an, das vom COchsen oder Esel handelt, der in den 
Zrunnen fällt und am Sabbat herausgezogen wird. Wieviel 
nehr seien also Werke der Not am Alltag erlaubt! Und 
in solches Werk der Not sei ihnen in der baufälligen 
Rarescheune vor Augen gestellt. Aber dem Diener Gottes 
ind der Gemeinde billigten sie werktags nicht einmal das 
u, was sie ihren eignen Ochsen Sonntags zubilligten. Er 
eanspruche für die Pfarrochsen ja beineswegs solche Ehren, 
vie für den Stier Apis in Agyptenland, der im Tempel 
»es Gottes Ptah zu Memphis gehalten und als Sinnbild 
es Gottes Osiris angebetet worden sei. Aber einen sicheren 
ztall und eine feste Decke über ihre gehörnten Häupter 
wnnten auch seine Sugochsen verlangen. Das stehe ihnen 
iach dem Wort der heiligen Schrift zu. 
Nachdem er am Schluß der Predigt den Junggesellen 
Johann Jakob Halbschmidt, den Gottes Schutz gnädig aus 
em Feldzug heimgeleitet habe, mit der ehrsamen Jungfrau 
Barbara Brehmin aufgeboten oder, landläufig gesagt, von 
er Kanzel heruntergeworfen hatte, gab er noch bebannt, 
zaß nach dem Gottesdienst eine burze Besprechung des 
Zirchenvorstandes wegen der offensichtlichen Schäden an 
den Pfarreigebäuden stattfinden werde. 
Die Kirche leerte sich. Einige Alten schlurften herbei 
und sahen ihrem Pfarrherrn von unten her in die Augen. 
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