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Auf der Heimatwarte.
Das astronomisch⸗physibalische Museum in Kassel.
Oon Will Scheller.
Wenn von hessischen Fürsten geschrieben oder gesprochen wird,
oflegt gleichsam automatisch die fatale Begriffe erbindung mii
einen Hof zog. Von ihm wird erzählt, daß er Instrumente,
dimmels und Erdgloben jogar auf seinen Keisen mitnahm, und
edenfalls war die von ihm in Kajsjei errichtete Sternwaete eine
er ersten in Europa. Ihm ist denn auch die Grundlage der
jroßen Sammlung des Hessischen Landesmuseums in Kassel zu
anken: zu den aus seiner Seit stammenden Prunkstũcken gehört
ene große astronomische Uhr, die, als „das große Planetenwerk“
ezeichnet, nach einem Schriftsteiler des 11 Jahrhunderts, „ein
ehr kunstreiches und wunderwürdiges Uhrwerk“ ist. so durch eigene
Sewegung aller Planeten Lauf und Sufälle nach des Ptolemaei
Hypothesi vollbommen und sehr kLänstlich fürstellet“ diesjes Werb
vurde 1561 von den Meistern Baldewein und Diepel in Marburg
ollendet. Außer einer beträchtlichen Anzahl mechanischer Kuri
sitãten, wie sie jene Seit liebte, enthält der aus Landaraf Wil—
»elms Seit stammende Teil der Sammlung eine Menge der
erschie denartigsten Sonnen- und Räder-Aren, darunter ein
ostbares Schaustüũck des Augsburger Meisters Hofmann, sowie
por allem bemerbenswerte Instrumente zur Beobachtung des
Himmels, wie — der Aberlieferung nach von Thcho Brahe be—
iutßzt — eine komplizierte Rrmillarsphäre und einen Azikumal⸗
Juadranten, deren solide Arbeit den Ernst ihrer Anwendung
errãät. Nicht gering ist die Zahl der Erd und Himmelsgloben
aus verschiedenstem Material, darunter jolche aus Silber und
olche aus Kupfer getrieben, die wertbollsten zweisellos von dem
Schweizer Jost Byhrgi, den der Landgraf nach Kassel berufen
und dort seßhaft geinacht halte.
Huldigte sein Sohn und Nachfolger, Moritz der Gelehrte,
nehr sprachlichen, literarischen und musikalijschen Neigungen, so
hinderte der Dreißigjahrige Krieg, der auch Hesfjen sehr in Mit—
eidenschaft zog, seinen Enkel, Wihhelim V., den Siandhasten, nicht,
ich eingehend mit der damals erst in der Entstehung befindlichen
geldmeßbunst zu beschãftigen, wovon in der Sammiung des Kajjeler
Landesmuseums materieü und kulturhistorijch wertvolles Werbzeug
Zunde gibt. Hessens bedeutendstem Monarchen. dem Sarockfũrsten
Landgraf Carl, dem Schöpfer der Carls⸗Auec, des Orangerie-
Schlosses und des Riesenbauwerks in Wilhelmobhöhe, des Herkules
Monumentktale Standuhr mit Figurenspiel.
Südwoestdeutsch, Ende 16. Jahrhunderts.
Seelenverbauf“ oder „Soldatenhandel“ sich einzustellen. Tausend-
mal von Historibern widerlegt, findet dieser Klatsch eines aben⸗
leuernden Journalisten, der es in der nach Nordamerika gegangenen
hessischen Armee nicht zu dem erhofften Avancement gebracht hat, heute
noch leichteren Eingang bei Lejern und Hörern als die geschichiliche
Tats)ache, daß die europäischen Fürsten, insbesondere die deuischen,
und darunter auch König Friedrich II. von Preußen, allgemein
Subsidienvertrãge abschlossen, die oft jogar, wie gerade im hessi—
jchen Fall, von den Parlamenten gebilligt oder gar gewünscht
wurden, weil sie letzten Endes dem Lande selbst Vorteile brachten.
Da indessen das fragliche Vorurteil, wie unbegründet es auch sein
mag, nun einmal mit der Vorstellung hessischer Fürstlichkeiten ver⸗
knũpft ist, kann es kaum wundernehmen, daß die positiven Leistun-
gen dieser deutschen Monarchen als einer seichten Geschichts-
elitterung allzu unbequem am liebsten mit Stillschweigen über—
gangen werden. Um so erfreulicher im Sinne einer objeltiben
Aufhellung der deutschen Vergangenheit muß es erscheinen, wenn
Gelegenheit gegeben wird, durch unmittelbare Sinneswahrnehmung,
aljo geradezu handgreiflich darzutun, wie das allgemein-menschliche
Interesse in früheren Seitläuften durch den Kasseler Hof gefördert
worden ist.
Eine solche Gelegenheit bietet die unlängst in neuer Ordnung
erõffnete Sammlung astronomischer und physibalischer Instrumente
und Apparate im hessischen Landesmuseum zu Kassel. Viese um—
jangreiche, in fünf geräumigen Sälen und Simmeern eindrucksvoll
aufgestellte Sammlung zeigt, fast einzig in ihrer umfassenden Art
und in dem teilweise unschätzbaren Wert ihres Inhalis, daß die
hessijschen Fürsten nicht nur, wie etwa aus Bauten, Parbanlagen
und Galerien hervorgeht. die schönen Künste, sondern auch die
Wißenschaften in einer Weise gepflegt haben, die hinter ähnlichen
Leistungen der Monarchen weit größerer Länder nicht zurücksteht.
Philipps des Großmũtigen Sohn, Landgraf Wilhelm iV., der nicht
ohne Geund den Beinamen der Weise erhalten hat, ein Renaij.-
sance-Fürst ganz großen Formats, brächte, neben inancher anderen
Teilnahme, vor allem der Himmelskbunde das größte Interesse
entgegen und galt in seiner Seit als der füchtigste praktische
Astronom neben Tycho Brahe, den er mit anderen Gelehrken an
Luftpumpe.
Von Jan von Musschenbroeb nach o'Gravesande (Leyden).
nit Obtogon und Kasbaden, war es vorbehalten, die von seinen
Ahnen angelegte Sammlung astronomischer, physikalischer und
eodãtijscher Instrumente in besonderem Umfang zu erweiteen.
Aus seiner Seit stammen nicht nur die ersten Teleskope und