Vom Büchertische der Hoeimat.
Friedrich Volland, Balladen der Liebe. Brosch. 2 — RM.
Aus alten Chroniken und jungen Tagen. Brosch. 1.25 RM.
Axel Juncker Verlag Berlin W. 15.
Die deutsche Balladendichtung der leßten Jahrzehnte hat
wir bliche Gipfellelstungen aufzuweisen. Es sei nur an die Schöpfungen
eines Detlev von Liliencron, Börrles von Mänchhausen, einer
Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney erinnert. Ihnen
gesellt sich der viel zu wenig bebannte Friedrich Volland mit seiner
zwei bedeutenden Balladenbüchern, die holzschnittartige Prägung
bon höchster künstlerijscher Kraft und Meisterschaft tragen. Der
Ton seiner Balladen ist eigen, urtief und frei von herbömmlichem
Wortgeblingel. Sumeist sind die Strophen voll überquellender,
rauschender Sprachmusik. In unerhörter Kühnheit gestaltet der
Dichter Leben und Menschen, wie sie sind, ohne aber abstoßend
zu wirben; im Gegenteil: der Kristall seiner zujammenfassenden
Kunst spiegelt das wahre Sein und läßt den Leser so leicht nich!
los. Sein Stoffkreis umzirbt alle Wesenheiten des Menschseins
Kitter und Mönch, Bauer und Vagant, Aristokrat und Lump,
Käuber und Handwerksmann leben in seinen Schöpfungen. Das
Thema der Liebe wird mannigfach in Dur und MWoll variiert.
Auch hessische Sagenmotive hat der Dichter gestaltet, so in
den Balladen Der Räüder, Der Brunnen zu Mälsung, Graf von
der Hoyen, Das Krideweiß, Intermezzo u. a. Literaturfreunde
werden sich mit der Erwerbung dieser sehr preiswoerten Bücher
angenehm bereichert sehen. 8
Max Jungnickel, Die Uhrenherberge. Ein Märchen-
reoman. Berlin⸗Sehlendorf 1921. Rembrandt- VDerlag. 113 Seiten.
Die Welt der kbleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge, der
stillen, Laum bemerkbaren Ereignisse, der bescheldenen, oftmals
armen Menschen, kurz, der seelischen Alltagsbeschauung und ihrer
zartsinnigen Symbolik, seit je bevorzugter Aufenthaltsort von
Max Jungnickels dichterischer Phantasie, gibt auch diesem „Märchen⸗
roman“ den Schauplatz des Geschehens. Es ereignet sich im Grunde
nichts, als daß der Erzähler, mitleidig, wie er ist, bei einem blinden,
von der Frau verlassenen Uhrmacher übernachtet, dessen kleine
Tochter, ein Wesen freilich von märchenhaftem Liebreis, au
geheimnisvolle Weise zu einem Stern in Beziehung steht,. der
seinerseits während der Nacht mit den vielen in Reparatur be—
findlichen Uhren Swiesprache ũber das Schicksal hält. Dazu
können die Uhren aus langer Erfahrung mit ihren Besitzern
natũrlich mancherlel beitragen, und der fremde Gast lauscht dieser
Unterhaltung mit jener Feinhörigkeit, die nur dem Dichter zu
eignen pflegt. Daß er nachher in das traurige und doch wieder
auszeichnende Geschick der bleinen Familie verbettet wired, scheint
dem magischen Erlebnis jener Nacht nicht ganz unangemessen.
Angemessen dem zwischen Traum und Wachen schwebenden Be—⸗
gebnis ist jedenfalls die sanfte, beinahe flüsternde Sprache der
Erzählung, von deren innerer KReinheit soviel Überzeugungsbkrafl
ausgeht wie Erquickung von ihrer äußeren Anmut. W. S.
Ernst Schmitt, Das tolle Jahr. Ein Roman aus der
Kepolutionszeit 1848. Eugen Diederichs Verlag in Jena 1027.
Wie immer in den Romanen Ernst Schmitts ist auch in diesem
neuen Werl des hessischen Dichters der Held ein deutscher Mensch,
der in und um sich nicht nur fürs eigene Ich, sondern zugleich fürs
Banze seines Volkes zu bämpfen hat. Der Christof Wagener in
„Hochzelt“, der reitende Förster „Leberecht Kitt“ und der Heinrich
Tylmann im tollen Jahr sind sehr nahe Verwandte, zusammen⸗
gehörig dem Wesen wie dem Schicksal nach. VDerwurzelt in der
Heimat, die sie immer von neuem mit mehr als böperlichen Sinnen
erleben, wachsen sie mit ihrem Willen weit hinaus in den Himme
des Daterlandes, der über ihrer Heimat sich wölbt, und dle große
Frage ihres Lebens trägt am Ende die Antwort in sich, da sie
sich nicht entwurzeln lassen, treu bleiben der Erde, die in ihren
Slut nur eine andere Form gewann, oder sterben in dieser Treue
die freilich in solcher Festigkeit schon von E. M. Arndt dem hesj⸗
sischen Volkstum nachgerühmt ward. Hier erweist sie sich in dem
Ernst, mit welchem der junge Tylmann mit der Welt und den
Forderungen seiner Seit sich auseinandersetzt im Getümmel jener
„Revolution“, die an ihrer auf deutschem Boden wohl nie ver—
meidlichen Halbheit zugrunde ging, ohne dem Deutschtum selber
wesentlich zu schaden. Neben dem Helden, der auch in seinen
allermenschlichsten Kämpfen und übrigens in enger Verbindung
mit jeiner heimatlichen Landschaft, dem Vogelsberg, geschildert
wird, wächst vor allem die Gestalt Heinrichs von Gagern empor,
des Präsidenten der ersten deutschen Nationalversammlung, der in
einer starken Dersönlichkeit verkörperten deutichen Sehnsucht nach
nationaler Einheit, die in jenen Tagen so wenig erfüllt wurde,
vie sie heute erfũllt ist. So gehört der Roman in seiner ver—
ichteten Geistigkeit und plastischen Sprache zweifellos zu denjenigen
dichtungen der Gegenwart, denen neben der Länstlerischen auch
ine im tiefsten Sinne vaterländische Berechtigung und Bedeutung
uzusprechen ist. W. S.
Max Halbe, Frau Meseck. Eine Dorfgeschichte. Verlag
Z)hil. Reclam jun. Leipzig. Preis geb. 0,80 RM.
Das landläufige Work „Junges Weib und alter Mann haben
lie nit gut getan“— in seiner Umkbehrung gibt der vorliegenden
dorfgeschichte das Leitmotiv. Der Dichter hat alles Geschehen,
as zeitlich weit auseinander liegt, mit meisterhafter Komposition
n einen verregneten Erntetag hineingepackt. Inspektor Meseck,
er als Oierundzwanzigjähriger aus angeborener Sucht nach bäuer⸗
lchem Grund und Boden der alten Frau Gerlach die Hand zum
khebund reichte, um auf ihren Tod zu warten, feiert an diesem
kentetag seine silberne Hochzeit mit ihr. Er hat sich gründlich
erjpebullert; die zahe Alte wird ihn ebenso überleben, wie sie
hren ersten Mann überlebt hat. Otto Mejeck ist in den fünfund-
wanzig Jahren an ihrer Seite alt und grau geworden. Nun
berschaut er sein Leben: es ist verloren wie die Ernte dieses nassen
zommers. Und ehe er mit dem fünfundneunzigjährigen „Scheusal“
»on Silberbraut vor den Altar der Dorfkirche tritt, tut er lieber
en Sprung ins Ungewisse, in den Tod. — Das triebhafte Handeln
Mejecks mit jeinen Wutanfällen und seinem furchtsamen Kuschen
»or der Alten ist mit glänzender psychologischer Motivierung ge—
jeben. Hans von Hülsen sagt in seinem Nachwort nicht zuviel,
benn er die Dorfgeschichte ein Kabinettstũck der Menschengestaltung,
dandschaftsschilderung und Stimmungsmalerei nennt. „Frau Meseck“
teht in der deutschen Dorfliteratur mit an erster Stelle. K.
Die Philipps·Aniversität zu Marburg 15821-1027. Fünf
Zapitel aus ihrer Geschichte (1121 -1866) von H. Hermelinb
ind S. A. Kaehler. Die Aniversität Marburg seit 18606 in
Finzeldarstellungen. Marburg 19271. NM. G. Elwert'sche Verlags⸗
uchhandlung (G. Braun). XIV., 865 Seiten. Geh. 30.-. in
deinen geb. 35. ⸗ RM.
In dem Buche, das als Festschrift zur Dierhundertjahrfeier
der Aniversität Marburg erschlenen ist, behandelt der bebannte
airchenhistoriler Hermelinß das Gründungsjahrhundert (1821 -
645), der Marburger Historiker Kaehler die Seit von der Kestau⸗
ation der Hochschule bis zum Ubergang an Preußen (1653 —
866), während die neuere Entwicklung in mehr chronikalischen
kinzeldarstellungen von Vertretern der betreffenden Disziplinen
ind Institute geschlldert wird. Hermelink und Kaehler jahen es
ils ihre Hauptaufgabe an, „dle überterritoriale Bedeutung dieser
m wesentlichen in kerritorialen Grenzen verlaufenden Aniversitäts-
ntwicklung heraustreten zu lassen.“ Eine solche überterritoriale
Zedeutung wird Marburg allerdings wohl nur im Gründungs-
ihrhundert zugesprochen werden Lönnen. Damals stand die
hilippsuniversistät mitschaffend und mitbestimmend in den großen
heologischen Kämpfen der Zeit. Als sie zu Beginn des 17. Jahr⸗
underts Landeshochschule des niederhessischen Territoriums wurde,
oar es mit dieser überterritorialen Bedeutung bald zu Ende, und
ur einzelne Glanzperioden ragen aus der Entwicklung der nächsten
Jahrhunderte einsam empor. So hat, abgesehen von der Be—
eutung aller Teile des Buches für die hessische Geschichte, der
Pisjenschaften als solcher und natürlich der Hochschule selbst, der
on Hermelink bearbeitete Teil besonderen Wert für die gesamte
eutsche Geistesgeschichte, in welcher Marburg als erste vom mittel-
ilterlichen Univerfitãtstypus losgelöste Hochschule eine in der Tat
ervorragende Stellung einnimmt. Auch der erste Teil der
Zaehlerschen Darstellung darf, soweit das überhaupt gesagt
verden bann, als abschließend bezeichnet werden, dagegen jcheint
die eigentlich kurhessijsche Seit, das 19. Jahrhundert, noch mannig ·
acher Ergänzung und Vertiefung bedürjtig. Das 865 Seiten
Lexikbonformat) starke Werk ijst in einem Bande gebunden. Es
ewinnt dadurch nicht an Handlichkeit. Eine Trennung in mehrere
Bande wäre gewiß vorteilhafter gewesen. W. 6.
Hoessenland. Heft 8. Aus dem Inhalt: Börner, K. Kinteln
dosch, Ph., Prof. Or. Vor 120 Jahren. Die französische Besetzung
er Grafschaft Schaumburg, H. Die Vierhundertjahrfeier der
Dhilipps·Aniversität. L. 3. Heimatmuseum Witzenh. Sweiter
eutscher Naturschutztag in Kassel. Struck, Dr. G. 150 Jahre
Tasseler Kunstabademie. 800 Jahrfeier in Bettenhausen. Escherich,
Alte Kunst am Mittelrhein. Erlebnisse eines Handwerboburschen
n pMobburs 1806. Vom Kasseler Staatstheater. Aus Heimat
in *;remde.