Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Vom Büchertische der Hoeimat. 
Friedrich Volland, Balladen der Liebe. Brosch. 2 — RM. 
Aus alten Chroniken und jungen Tagen. Brosch. 1.25 RM. 
Axel Juncker Verlag Berlin W. 15. 
Die deutsche Balladendichtung der leßten Jahrzehnte hat 
wir bliche Gipfellelstungen aufzuweisen. Es sei nur an die Schöpfungen 
eines Detlev von Liliencron, Börrles von Mänchhausen, einer 
Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney erinnert. Ihnen 
gesellt sich der viel zu wenig bebannte Friedrich Volland mit seiner 
zwei bedeutenden Balladenbüchern, die holzschnittartige Prägung 
bon höchster künstlerijscher Kraft und Meisterschaft tragen. Der 
Ton seiner Balladen ist eigen, urtief und frei von herbömmlichem 
Wortgeblingel. Sumeist sind die Strophen voll überquellender, 
rauschender Sprachmusik. In unerhörter Kühnheit gestaltet der 
Dichter Leben und Menschen, wie sie sind, ohne aber abstoßend 
zu wirben; im Gegenteil: der Kristall seiner zujammenfassenden 
Kunst spiegelt das wahre Sein und läßt den Leser so leicht nich! 
los. Sein Stoffkreis umzirbt alle Wesenheiten des Menschseins 
Kitter und Mönch, Bauer und Vagant, Aristokrat und Lump, 
Käuber und Handwerksmann leben in seinen Schöpfungen. Das 
Thema der Liebe wird mannigfach in Dur und MWoll variiert. 
Auch hessische Sagenmotive hat der Dichter gestaltet, so in 
den Balladen Der Räüder, Der Brunnen zu Mälsung, Graf von 
der Hoyen, Das Krideweiß, Intermezzo u. a. Literaturfreunde 
werden sich mit der Erwerbung dieser sehr preiswoerten Bücher 
angenehm bereichert sehen. 8 
Max Jungnickel, Die Uhrenherberge. Ein Märchen- 
reoman. Berlin⸗Sehlendorf 1921. Rembrandt- VDerlag. 113 Seiten. 
Die Welt der kbleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge, der 
stillen, Laum bemerkbaren Ereignisse, der bescheldenen, oftmals 
armen Menschen, kurz, der seelischen Alltagsbeschauung und ihrer 
zartsinnigen Symbolik, seit je bevorzugter Aufenthaltsort von 
Max Jungnickels dichterischer Phantasie, gibt auch diesem „Märchen⸗ 
roman“ den Schauplatz des Geschehens. Es ereignet sich im Grunde 
nichts, als daß der Erzähler, mitleidig, wie er ist, bei einem blinden, 
von der Frau verlassenen Uhrmacher übernachtet, dessen kleine 
Tochter, ein Wesen freilich von märchenhaftem Liebreis, au 
geheimnisvolle Weise zu einem Stern in Beziehung steht,. der 
seinerseits während der Nacht mit den vielen in Reparatur be— 
findlichen Uhren Swiesprache ũber das Schicksal hält. Dazu 
können die Uhren aus langer Erfahrung mit ihren Besitzern 
natũrlich mancherlel beitragen, und der fremde Gast lauscht dieser 
Unterhaltung mit jener Feinhörigkeit, die nur dem Dichter zu 
eignen pflegt. Daß er nachher in das traurige und doch wieder 
auszeichnende Geschick der bleinen Familie verbettet wired, scheint 
dem magischen Erlebnis jener Nacht nicht ganz unangemessen. 
Angemessen dem zwischen Traum und Wachen schwebenden Be—⸗ 
gebnis ist jedenfalls die sanfte, beinahe flüsternde Sprache der 
Erzählung, von deren innerer KReinheit soviel Überzeugungsbkrafl 
ausgeht wie Erquickung von ihrer äußeren Anmut. W. S. 
Ernst Schmitt, Das tolle Jahr. Ein Roman aus der 
Kepolutionszeit 1848. Eugen Diederichs Verlag in Jena 1027. 
Wie immer in den Romanen Ernst Schmitts ist auch in diesem 
neuen Werl des hessischen Dichters der Held ein deutscher Mensch, 
der in und um sich nicht nur fürs eigene Ich, sondern zugleich fürs 
Banze seines Volkes zu bämpfen hat. Der Christof Wagener in 
„Hochzelt“, der reitende Förster „Leberecht Kitt“ und der Heinrich 
Tylmann im tollen Jahr sind sehr nahe Verwandte, zusammen⸗ 
gehörig dem Wesen wie dem Schicksal nach. VDerwurzelt in der 
Heimat, die sie immer von neuem mit mehr als böperlichen Sinnen 
erleben, wachsen sie mit ihrem Willen weit hinaus in den Himme 
des Daterlandes, der über ihrer Heimat sich wölbt, und dle große 
Frage ihres Lebens trägt am Ende die Antwort in sich, da sie 
sich nicht entwurzeln lassen, treu bleiben der Erde, die in ihren 
Slut nur eine andere Form gewann, oder sterben in dieser Treue 
die freilich in solcher Festigkeit schon von E. M. Arndt dem hesj⸗ 
sischen Volkstum nachgerühmt ward. Hier erweist sie sich in dem 
Ernst, mit welchem der junge Tylmann mit der Welt und den 
Forderungen seiner Seit sich auseinandersetzt im Getümmel jener 
„Revolution“, die an ihrer auf deutschem Boden wohl nie ver— 
meidlichen Halbheit zugrunde ging, ohne dem Deutschtum selber 
wesentlich zu schaden. Neben dem Helden, der auch in seinen 
allermenschlichsten Kämpfen und übrigens in enger Verbindung 
mit jeiner heimatlichen Landschaft, dem Vogelsberg, geschildert 
wird, wächst vor allem die Gestalt Heinrichs von Gagern empor, 
des Präsidenten der ersten deutschen Nationalversammlung, der in 
einer starken Dersönlichkeit verkörperten deutichen Sehnsucht nach 
nationaler Einheit, die in jenen Tagen so wenig erfüllt wurde, 
vie sie heute erfũllt ist. So gehört der Roman in seiner ver— 
ichteten Geistigkeit und plastischen Sprache zweifellos zu denjenigen 
dichtungen der Gegenwart, denen neben der Länstlerischen auch 
ine im tiefsten Sinne vaterländische Berechtigung und Bedeutung 
uzusprechen ist. W. S. 
Max Halbe, Frau Meseck. Eine Dorfgeschichte. Verlag 
Z)hil. Reclam jun. Leipzig. Preis geb. 0,80 RM. 
Das landläufige Work „Junges Weib und alter Mann haben 
lie nit gut getan“— in seiner Umkbehrung gibt der vorliegenden 
dorfgeschichte das Leitmotiv. Der Dichter hat alles Geschehen, 
as zeitlich weit auseinander liegt, mit meisterhafter Komposition 
n einen verregneten Erntetag hineingepackt. Inspektor Meseck, 
er als Oierundzwanzigjähriger aus angeborener Sucht nach bäuer⸗ 
lchem Grund und Boden der alten Frau Gerlach die Hand zum 
khebund reichte, um auf ihren Tod zu warten, feiert an diesem 
kentetag seine silberne Hochzeit mit ihr. Er hat sich gründlich 
erjpebullert; die zahe Alte wird ihn ebenso überleben, wie sie 
hren ersten Mann überlebt hat. Otto Mejeck ist in den fünfund- 
wanzig Jahren an ihrer Seite alt und grau geworden. Nun 
berschaut er sein Leben: es ist verloren wie die Ernte dieses nassen 
zommers. Und ehe er mit dem fünfundneunzigjährigen „Scheusal“ 
»on Silberbraut vor den Altar der Dorfkirche tritt, tut er lieber 
en Sprung ins Ungewisse, in den Tod. — Das triebhafte Handeln 
Mejecks mit jeinen Wutanfällen und seinem furchtsamen Kuschen 
»or der Alten ist mit glänzender psychologischer Motivierung ge— 
jeben. Hans von Hülsen sagt in seinem Nachwort nicht zuviel, 
benn er die Dorfgeschichte ein Kabinettstũck der Menschengestaltung, 
dandschaftsschilderung und Stimmungsmalerei nennt. „Frau Meseck“ 
teht in der deutschen Dorfliteratur mit an erster Stelle. K. 
Die Philipps·Aniversität zu Marburg 15821-1027. Fünf 
Zapitel aus ihrer Geschichte (1121 -1866) von H. Hermelinb 
ind S. A. Kaehler. Die Aniversität Marburg seit 18606 in 
Finzeldarstellungen. Marburg 19271. NM. G. Elwert'sche Verlags⸗ 
uchhandlung (G. Braun). XIV., 865 Seiten. Geh. 30.-. in 
deinen geb. 35. ⸗ RM. 
In dem Buche, das als Festschrift zur Dierhundertjahrfeier 
der Aniversität Marburg erschlenen ist, behandelt der bebannte 
airchenhistoriler Hermelinß das Gründungsjahrhundert (1821 - 
645), der Marburger Historiker Kaehler die Seit von der Kestau⸗ 
ation der Hochschule bis zum Ubergang an Preußen (1653 — 
866), während die neuere Entwicklung in mehr chronikalischen 
kinzeldarstellungen von Vertretern der betreffenden Disziplinen 
ind Institute geschlldert wird. Hermelink und Kaehler jahen es 
ils ihre Hauptaufgabe an, „dle überterritoriale Bedeutung dieser 
m wesentlichen in kerritorialen Grenzen verlaufenden Aniversitäts- 
ntwicklung heraustreten zu lassen.“ Eine solche überterritoriale 
Zedeutung wird Marburg allerdings wohl nur im Gründungs- 
ihrhundert zugesprochen werden Lönnen. Damals stand die 
hilippsuniversistät mitschaffend und mitbestimmend in den großen 
heologischen Kämpfen der Zeit. Als sie zu Beginn des 17. Jahr⸗ 
underts Landeshochschule des niederhessischen Territoriums wurde, 
oar es mit dieser überterritorialen Bedeutung bald zu Ende, und 
ur einzelne Glanzperioden ragen aus der Entwicklung der nächsten 
Jahrhunderte einsam empor. So hat, abgesehen von der Be— 
eutung aller Teile des Buches für die hessische Geschichte, der 
Pisjenschaften als solcher und natürlich der Hochschule selbst, der 
on Hermelink bearbeitete Teil besonderen Wert für die gesamte 
eutsche Geistesgeschichte, in welcher Marburg als erste vom mittel- 
ilterlichen Univerfitãtstypus losgelöste Hochschule eine in der Tat 
ervorragende Stellung einnimmt. Auch der erste Teil der 
Zaehlerschen Darstellung darf, soweit das überhaupt gesagt 
verden bann, als abschließend bezeichnet werden, dagegen jcheint 
die eigentlich kurhessijsche Seit, das 19. Jahrhundert, noch mannig · 
acher Ergänzung und Vertiefung bedürjtig. Das 865 Seiten 
Lexikbonformat) starke Werk ijst in einem Bande gebunden. Es 
ewinnt dadurch nicht an Handlichkeit. Eine Trennung in mehrere 
Bande wäre gewiß vorteilhafter gewesen. W. 6. 
Hoessenland. Heft 8. Aus dem Inhalt: Börner, K. Kinteln 
dosch, Ph., Prof. Or. Vor 120 Jahren. Die französische Besetzung 
er Grafschaft Schaumburg, H. Die Vierhundertjahrfeier der 
Dhilipps·Aniversität. L. 3. Heimatmuseum Witzenh. Sweiter 
eutscher Naturschutztag in Kassel. Struck, Dr. G. 150 Jahre 
Tasseler Kunstabademie. 800 Jahrfeier in Bettenhausen. Escherich, 
Alte Kunst am Mittelrhein. Erlebnisse eines Handwerboburschen 
n pMobburs 1806. Vom Kasseler Staatstheater. Aus Heimat 
in *;remde.
	        
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