Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

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eimat· Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
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Ar. 22/ 1020 
Erscheinungsweise Nmal monatlich. Bezugspreis 1,20 RM. im Vierteljahr. Frũhere 
Jahrgänge bönnen, soweit noch vorrätig, vom HeimatschollenDerlag nachbezogen werden 
I. Jahrgang 
Der Diebesdaumen von Großenritte (Ende )7. Jahrh. )*. 
VDon Theodor Apel. 
Große Aufregung herrschte Ende der siebziger Jahre 
des 17. Jahrhunderts in dem Dorf Großenritte und in dessen 
Nachbarsjchaft. ÜUberall in den Wirtshäusern, bei Kindel- 
dieren, Kirmessen und anderen Gelegenheiten wurde, namentlich 
hon den mutwilligen jungen Burschen ein neues Lied gesungen, 
das zwar nach Form und Inhalt jeglicher Poesie ermangelte, 
aber einen gewissen volkstümlichen Ton anschlug und nach allem, 
vas man darüber hört, eine sehr sangbare und pfeifbare — 
28 wurde überall gepfiffen — Melodie gehabt haben muß. 
Es handelte von einem Diebesdaumen, der im Bier gefunden 
sei; es waren allerlei andere Dorfskandale in das Lied 
mit hineinverwoben und mehrere bebannte Personen des 
Dorfes wenn nicht mit Namen benannt, so doch dermaßen 
denntlich gemacht, daß sie jedermann herausfinden bonnte, 
o der Wirt, in dessen Bier der Daumen gefunden war, der 
Ortsvorsteher, der ein großer Wichtigtuer gewesen zu sein 
scheint, eine Anzahl Frauen und der Pfarrer. Letzterer 
hatte, als die Geschichte von dem Daumen im Dorfe auf- 
tauchte, von der Kanzel dagegen gewettert. Es war in 
enen Tagen noch Sitte der Pfarrer, namentlich der Dorf- 
»farrer, unliebsame Dorkommnisse in der Gemeinde, oft 
ogar persönliche Streitigkeiten mit einzelnen Gemeindegliedern, 
des langen und breiten auf die Kanzel zu bringen und 
ft genug die Auseinandersetzungen mit persönlichen Invebtiven 
zu spicken, was damals manchen Prozeß verursacht, wenn 
auch viele, vielleicht infolge schlechten Gewissens, es sich 
gefallen ließen und dazu stilljchwiegen. Hier folgte kein 
Prozeß daraus, sondern nur eine Anulkung in dem Spottliede. 
NAus dem erschienenen Buch: „Deer zerbrochene Galgen und andere Kultur—⸗ 
Kuriosa aus dem Hessenlande“. ODerlag: A. Bernecker, Melsungen. Preis 8 RM. 
Aber der Pfarrer selbst fing nun einen Prozeß wegen 
»es Liedes an und mit ihm klagten die beiden andern 
Vüũrdenträger des Dorfes, der Gemeindevorsteher und der 
ßastwirt; der Pfarrer, weil er sich in der Würde seines 
Amts verletzt fühlte; der Gastwirt, weil er Schädigung in 
rinem Gewerbe fürchtete, vielleicht auch, weil das Lied im 
Zastzimmer seines Konkurrenten, des andern Großenritter 
Virts, gesungen war, und er diesen mit der Klage hinein- 
ulegen hoffte; der Ortsvorsteher aber, weil er als echter 
Zauer alles andere eher ertragen bonnte, als vor der 
zemeĩinde blamiert zu werden. Die angesungenen Weiber 
aben nicht geblagt, wahrscheinlich weil sie in dem Liede 
icht einzeln genannt wurden. Es entstand ein langwieriger 
)rozeß wegen der Sache mit zahllosen Terminen und Ver— 
ehmungen, deren Protokbolle uns in den Abkten der Orts- 
2positur Großenritte aufbewahrt sind; es wurde eine 
Anzahl Personen gefänglich eingezogen, aber wieder entlassen 
ind der einzige, den man im Loch behielt. ein junger Haus— 
ohn, der offenbar besonderes Gefallen an dem Liede gefunden 
atte, wurde auf ein BSittgesuch und ein Seugnis seines 
daters, daß er wegen beginnender Gebrechlichkeit den Sohn 
ür jeine Berufsarbeit nötig habe und sich dafür verbürge, 
aß sich der Sohn auf jede Vorladung stellen werde, am 
ẽnde auch laufen gelajjsen. Die Angeblagten, es waren 
auptsächlich der ebengenannte Bauernsohn Georg Rudolph 
ind sein Dater Lips (Philipp) Rudolph, waren natürlich 
injchuldig wie die neugeborenen Kinder, sie hatten das Lied 
inmal gehört, Lannten aber den Inhalt baum, nur die 
Nelodie hatten sie gepfiffen. Die Seugen wußten auf die 
neisten Fragen von gar nichts. und was sie im übrigen 
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