Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

aufzusetzen gehabt hat, die Kunde nach Gusinen gelaufen, 
er, jetzt ein junger Meister und doch schon der beste in 
seinem Fach, sei abgestürzt und habe das Genick gebrochen. 
„Stroh auf den Wagen! Die Gäule davorl!l“ hat der 
Dobtor Engroth, jetzt ein Weißbopf und den Siebzig nahe., 
barsch und mit einem steinernen Gesicht befohlen. Und auf 
dem Sattelpferd hat sich der Alte dann den tollsten Kitt 
seines Lebens geleistet. 
And ist dann über die größte Entkäuschung dieses Lebens 
schier aus dem Häuschen gebommen. Statt eines gebrochenen 
Genickes aber auch nur ein gebrochenes Bein vorzufinden? 
Da hätt' auch ein hohes Tier von der Aniversität sämtliche 
Sterne vom Himmel heruntergeflucht! Ein Glück nur, daß 
der Kleine getobakt hat wie ein Schlot und damit und mit 
dem verschweißten Gesicht und dessen Blässe einen Elemenfs- 
berl von Beinbruch aufgewiesen hat. 
Dier handfeste Simmerochsen hat der Dobktor Engroth 
dann zupacken heißen. „Beiß auf die Pfeif! Beiß, was 
du bannst, Kleiner!“ hat er mit einer merkwürdig rostigen 
Stimme den Verunglückten angefahren, und dann haben auf 
seinen Wink die VDier gezogen, stetig und ruhig, wie ihre 
VDerwandten aus der hörnernen Linie das hätten auch nicht 
besser tun können. Des Dobtors unförmliche Tatzen aber 
haben sicherer und zärter als die einer Mutter nach dem 
Kechten gesehen. 
Es hat einen leisen Krach gegeben, und da sind diese 
Dobtorhände richtig geflogen. 
„Ausspucken, Kleinerl“ hat er dann mit einem auf— 
atmenden Lachen befohlen. Und da hat es sich erwiesen, 
daß der Kleine die Pfeifenspitze abgebissen gehabt hat. Aber 
erloschen ist die Pfeife eineweg nicht gewesen. Dem Dob— 
tor, wie der dem Kleinen von der Stirne den dicken Schweiß 
abtrocknen wollte, hat ein Tobabsnebel, den man gut hätt 
mit dem Messer schneiden können, solch einen nichtswürdigen 
Kotzen zugebracht, daß er zwischen Husten und Fluchen bei 
jeinem Dobktorhut sich verschworen hat, seinethalben bönnten 
fortan und zu allen Seiten die Lausbuben gleich regimenter— 
weis an der Lungensucht kropieren. Eine Pfeif kät der 
Dobtor Engroth beinem mehr verschreiben. 
Die Kette der Bilder aus einem glückhaft einfachen 
Leben ließe noch um ein gutes Stücklein sich verlängern. 
Aber noch nicht einmal davon, wie der Kleine Anno 
Achtundvierzig unter die Kevoluzzer geraten, dabei ver— 
wischt und von den Sabermentspreußen zum Tod durch das 
Blei verurteilt worden und dennoch an Leben und Gesund— 
heit so heil wie seine liebe Pfeife in sein heimatlich Nest 
zurückgekommen ist, soll des näheren etwas berichtet sein. 
Es hat überdies aus dem Kleinen über sein Kevoluzzer- 
abenteuer niemals einer etwas Kechts herauszubekommen 
gewußt. Nur der Galoppschuster, der verdrehte Pechdraht, 
der aber bloß bis zum ersten Kreuzweg mitgelaufen und 
dann flugs wieder auf sein Dreibein zurückhretiriert ist, hat 
wissen wollen, die sechs S.. preußen, die man am Kanonen- 
buckel droben im Schwabenländle gefunden habe auf einem 
wüsten Haufen und so, als müsse ein Kiese einen oder gar 
ihrer zwei an den Beinen gepackt und mit ihnen als leben- 
digen Keulen den andern die Schädel eingeschlagen haben: 
die und beine anderen hätten den Kleinen auf den Richt- 
platz zu transportieren gehabt, und man braucht noch lange 
kein Schuster und gelehrter Hans Sachs zu sein, sich einen 
Oers darauf zusammenzureimen. Es muß' derselbe Kiese 
gewejen sein, der einen Schusterstuhl mit einem lebendigen 
Pechdraht darauf freihändig auf die Brunnensäule hinauf- 
spediert hat, die auf dem Gusiner zweiten Marktplatz als 
steinerne Erinnerung an irgend ein Duodes-fürstlein in fürst— 
icher Einsamkeit und Erhabenheit mitten in einem großen 
Vasserbecken in die Luft hinaufragt, und einzig aus dem 
Hrunde ist auch wohl das Verslein ungedichtet geblieben. 
Aber das andere ist heut noch im Schwange, es habe der 
Aleine zwischen seinen Preußen so mordsmäßig aus seiner 
Pfeife „janften Heinrich“‘ genebelt, daß er in den Wolken 
uuf einmal seinen Begleitern entrückt und von denen statt 
einer ein Kälblein zum Kichtplatz geführt worden sei, so in 
einer Tappsigkeit gerade im rechten Augenblick unter die 
Preußen gefahren. 
War's nun zum Lachen oder zum Grausen: aus dem 
Kleinen und seiner Pfeife hat man wirblich nichts über diese 
Fpisode ihres Lebens trotz aller Versuche herausbekommen. 
Und von den sechs Dutzend Lebensjahren, die der gute 
Hott dem Kleinen nach dem Umsturzspektakbel noch geschenkt 
»at, glaubt der Chronist auch nicht mehr als in großen 
zügen berichten zu sollen. Und das wäre das: NMAus der 
Krankheit zur Gesundung, aus dem Sweifel und dem Jer— 
um zur Wahrheit, aus Freud und Leid in das Alltags- 
jeleise hat unser Held sich immer an seiner Pfeife zurück- 
gefunden. „Der VDater raucht wieder!“ haben sich alle 
m Haus unter einem glücklichen Lächeln dann zugeraunt, 
und es schienen die Tage dann wie mit Flügeln zu laufen. 
NMur das möge der liebe Leser sich noch gefallen lassen. 
daß er ihn zum letzten der Bildlein hinführe. 
Dem Hundert seiner Jahre ist der Kleine sehr nahe 
jewesen, da haben der Kationierungsgeier und der In— 
lationsdrache ihm seine paar ersparten Groschen und damit 
als allererstes seinen Tabak genommen. 
Ein paar Tage lang hat er die Pfeife balt zu rauchen 
hersucht. Dann hat er sie still in die Ecke gestellt, und 
hon dem Aigenblick ist ihm der Tod zu Häupten gestanden. 
Mit einer Hand voll Tabab hätt ihm einer noch gar 
zu gern eine Freude bereitet. Su spät. Als großen Lohn 
ür kleine Liebe hat er aber ein gar rührend Sild er— 
chauen dürfen, und das wird er bis an sein Lebensende 
ucht mehr vergessen. 
Mit unruhvollen Händen hat der alte Wann nach et— 
vas gesucht. Dann hat er die Linke wie zu einem Pfeifen- 
opf zusammengeschlossen, und mit den drei Fingern der 
Kechten hat er einen eingebildeten Tabab hineingeladen. 
Der Daumen ist dann sein Pfeifchen für sein letztes Kauchen 
iuf Erden gewesen, und an dem eifrig schmauchend, ist er 
nit dem Lächeln des zufriedenen Kindes in die Ewiabeit 
inũbergeschlafen. 
An dem verdutzten Petrus vorbei ist einer eifrig to— 
»abend unter dem Himmelstor durch in die Ewiabeit ein- 
jezogen. 
VDor seines Gottes Majestät hat er aber dann die Pfeife 
hefürchtig weggesteckt, in die Brusttasche, in die linke der 
Joppe, die inwendige, wie das auf Erden auch immer seine 
Hewohnheit gewoesen ist. 
Bei der Himmelsarbeit raucht er selbstredend auch nicht, 
hat's ja hier unten auf der Erden auch nicht getan und 
haut darum droben wie vordem im irdischen Jammertal 
den erdgeborenen, so auch den himmlischen Simmerochsen 
eins hinter die Ohren, wollte deren einer beim Behauen 
des Wolbenbalbenwerkbs mit der Pfeife die Axt unterstützen. 
In der himmlischen Freizeit aber greift er — er hieß 
nuuf Erden nur der Kleine — an der Harfe vorbei nach 
der Pfeife. 
Siehen am Himmel Wölklein von ganz besonderer Art 
»orüber, zart und kraus und zu gar absonderlichen Formen 
ich gestaltend, so meint einer, vergangener Seiten sich er— 
nnernd, mit zufriedenem Lächeln einen Alten in seinem
	        
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