Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Die jüũngere Knüllhäsin saß in der Nähe der Lampe und stopfte 
Strümpfe, während der alte Knüllhase elwas ausgegangen war, 
um in des „Teufels Gebetsbuch“ zu studieren. Da plößlich geht 
die Stubentür auf, und ein baumlanger, wũster Geselle kommt in 
die Stube gestürzt, faßt den Mehlsack im Gewicht von ca. zwei 
Zentnern mit den Sähnen und trägt ihn so von einer Bank 
auf die andere, wettert und schimpft auf die Menschheit; auf ein 
Leben bäme es ihm gar nicht mehr an, denn er hätte soeben 
in einem Nachbardorf schon einen Bauern tot geschlagen, und 
wenn er jetzt bein Geid bekäme. schlüge er uns alle drei Stuben- 
injasjen tot. 
AbIV 
Schemel auf die Erde und verbroch mich wie ein Küchlein unter 
Muͤtters Schũrze. Die Mutter war nicht mehr weit von einer 
Ohnmacht, hatte aber doch noch die Geistesgegenwart, meiner 
Schwester etwwas ins Ohr zu sprechen, worauf diese in der Stuben- 
lũr verschwand. Sie sollte den Dater rufen, der auch in einigen 
Minuten ankam. Der war ein Knällhase, aber bein Angsthase. 
— Ein Grijff ũber den Ofen nach einer dicken Holzbliwwer, ein 
Donnerwetter und — der Käuberhauptmann war mit einem Sprung 
zur Haustür hinaus und spurlos verschwunden. C. E. 
Und noch Geld dazu! 
Meister Kasper, der Tischler, ging allsonnabendlich zu Herrn 
Suscho, dem Sadarbkräusler und Bartschrapper, der auch Sähne 
zog, um sich für den Sonntag verschönern zu lassen. 
Sonnabends pflegte aber Frau Buscho den Frisierladen zu 
eeinigen. Deshalb verlegte an diesem Tage Herr Buscho die Aus- 
ibung seiner bũnstlerijchen Tãtigbeit in ein Simmer hinter der Kũche. 
Als Meister Kasper wieder einmal zum Bartputzer kam, war 
die Frau gerade am Keinemachen. Sie bat ihn, durch die Küche 
in das Hinterzimmer zu gehen. Als er die Käche betrat, stieg 
ihm ein feiner Duft in die Nase. Er schnupperte umher und ent⸗ 
deckte auf der Pfanne ũber dem Herdfeuer ein Beejsteakb, das 
die gute Frau ihrem lieben Manne briet. Meister Kasper machte 
ich daran und verzehrte den Leckerbissen. Nachdem er sich hatte 
das Haar scheren und den Bart putzen lassen, wollte er seine 
Schuldigkeit mit einer Marb begleichen. — „Ich will dir was sagen“, 
neinte der geschãftige Bartbratzer, „hab beine Seit zum Rausgeben, 
geh zu meiner Frau und bezahls ihr!“ — Meister Kasper ging durch 
die Küche. — „Frau Doktern, Ihr Mann hat beine Seit. Sie sollen 
mir fünfundzwanzig Pfennig rausgeben!“ — Die Frau gab dem 
Schalb jünfundzwanzig Pfennig raus, ohne daß sie oder ihr Mann 
iberhaupt etwas erhalten hatse. — Am Abend war Meister Kasper 
im Berein „Frohsinn“, dem auch Herr Buscho angehörte, ohne 
heute da zu jein. Da rũhmte sich denn der Meister seines Streiches: 
Heut han ich die Haare geschnitten kriegt, ein Beefsteab gegessen 
ind noch fünfundzwanzig Pfennig rausbekommen!“ K. 
Singe, wem Gesang gegeben. 
Die Melsunger sind von jeher ein sangesfrohes Völlchen ge⸗ 
vesen. Das beweisen heute noch die Gesangvereine, die hier be⸗ 
tehen. Aber nicht nur den weltlichen Gesang und die patriotischen 
dieder pflegen sie, sondern ebenso den Kirchengesang und die 
eistlichen Lieder. Da war nun im Anfang des vorigen Jahr- 
underts ein Metropolitan in Meljungen, der hörte sich lieber auf 
er Kanzel sprechen als die Gemeinde singen. Sonntags ließ er 
»om Hauptlied nur einen Vers singen, höchstens aber zwei Verse. 
das gefiel den Kirchengängern schlecht, sie hätten zu ihrer Er— 
auung und zur Befriedigung ihrer Sangeslust gern fünf bis jechs 
derse gesungen, wie sie es gewohnt waren. Deshalb murrten sie 
eimlich und laut darũber, jedoch vergeblich. Da- wandten sie sich 
im die Kirchenältesten, die mußten ihre Wünsche dem Herrn 
Middelbuldan“ vortragen und ihn bitten, doch mehr Verse singen 
u lassen; aber anscheinend auch ohne Erfolg. Da stand eines 
zonntiags das Lied 298 aus dem alten Gesangbuch auf den Tafeln. 
Als die zwei ersten Verse gesungen waren, sahen alle höchst er⸗ 
taunt, daß auch der dritte noch gesungen werden sollte. Beim 
zchluß des vierten klappten viele die Bũücher zu und sahen dann 
nit Verwunderung, daß der Herr Middelbuldan noch nicht auf 
der Kanzel stand und sangen mit Begeisterung auch den fünften 
och. So ging es weiter durch den sechsten, siebten und achten. 
da wurde die Gemeinde unruhig, und der Küster oder Opfermann, 
er seinen Platz neben dem Pfarrstand an der Kanzel hatte, sah 
ach dem geistlichen Herrn hin, ob es ihm vielleicht nicht gut oder 
b er eingeschlafen sei. Doch der sang aus voller Brust mit und 
hien die Unruhe der Gemeinde nicht zu merken. Als nun der 
wõlfte Vers gesungen war und er immer noch nicht auf der Kanzel 
eichien, ging ein Kirchenältester hin und fragte: „Herr Metro- 
olitan, wissen Sie denn, daß wir den dreizehnten Ders eben 
ngen?“ — „Jawohl, mein Lieber, das weiß ich genau, denn ich 
inge ja mit und erfülle Euch damit Euern Wunsch betreffs längern 
zejanges. Ich habe extra dies schöne Lied mit neunzehn Versen 
usgesucht.“ Er ließ achtzehn Verse vor der Predigt singen und 
en neunzehnten hinterher. Sehr erbaut war die Gemeinde über 
ieje zu große Erfũüllung ihres Wunsches nicht, auch wurde die 
)redigt nicht mit der nötigen Andacht angehört und auf dem 
»eimweg wurde füchtig räsoniert. Eine Seitlang hereschte auch 
5pannung zwischen Gemeinde und Pfarrer, doch die Gemeinde⸗ 
inder söhnten sich wieder mit ihm aus, als er jeden Sonntag fünf 
is sechs Verse singen ließ, und nahmen ihm auch den kleinen 
Kachecabt nicht weiter übel. 
Auf der Hoimatwarte. 
DOr. Eduard Lohmeyer f. 
In Kassel verschied der frühere langjährige Direktor der 
hejsijchen Landesbibliotheb, Bibliothebsdireltor a. D. Dr. Lohmeyer. 
fr war 1847 in Kinteln geboren, besuchte das Gymnasium jeiner 
ODaterstadt, studierte in Heidelberg, Leipzig, Marburg und Berlin 
Kechtswijjenschaft, später Philologie und vergleichende Sprach- 
wissenschaft und wurde 1882 3weiter, 1886 erster Bibliothekar an 
der Landesbibliothek. Im Jahre 1912 trat er in den Ruhestand. 
Er veröffentlichte sprachwissenschaftliche Abhandlungen und die 
„Handschriften des Willehalm Ulrich von Türheim“. 
Der Präsident des Landesbirchenamtes. 
Am 80. Soptember schied der Landgerichtsdirektor De. Karl 
Sähr aus dem preußischen Justizdienst aus und wurde an Stelle 
des verstorbenen Dr. Karl Stamm Präsident des Landesbirchen- 
imts der evangelischen Landeskbirche in Hessen. Der neue Präsident 
jt am 30. Wai 1880 in Kassel geboren. Nach dem Besuch des 
Friedrich U Gymnasiums studierte er die Rechte, war einige Jahre 
in Koblenz tätig und Lam nach dem Weltkrieg, an dem er mit 
Auszeichnung teilnahm, als Landrichter nach Kassel, wo er 1922 
zum Landgerichtsdirektor ernannt wurde. Nebenamtlich leistete 
er der evangelischen Landesbirche bisher schon wertvolle Dienste, 
auch trat er schriftstellerijsch in der Tagespresje hervor. 
Die Hindenburgbrücke bei Rinteln. 
Am 30. Soeptember fand die feierliche Einweihung der neuen 
Weserbrũcke bei Rinteln statt. Landeshauptmann von Gehren 
ibergab die Brücke mit den besten Wünschen für die Entwicklung 
der Weserschiffahrt und der Stadt KRinteln dem öffentlichen Verkehr. 
Der Kintelner Bürgermeister Dr. Wachsmuth taufte die Brücke 
mit Genehmigung des Reichspräsidenten auf den Namen Hinden- 
durgbrũcke. Abends fand eine festliche Beleuchtung der neuen 
Brũcbe statt. 
Jubiläum der Marburger Säckerzunft. 
Ende September beging die Marburger Bäckerinnung ihr 
ũnfhundertjãhriges Sunft⸗ und sechzigjaähriges Innungsjubiläum. 
Vann der erste Gildebrief ausgestellt wurde, läßt sich nicht mehr 
ejtstellen. In einer Urkunde aus dem Jahre 1895 ist von Bäckern 
ie Rede. Am 1. Januar 1422 erneuerte Landgraf Ludwig J. 
zie Statuten der Marburger Bäckerzunft. Die Sunft ist dann 
494 und später durch landesherrliche Urkunden mehrfach erneuert 
vorden. Die Sunft hatte die Stadt Marburg mit Brot zu ver— 
ehen. Daß das Bäckergewerbe sich in den Familien vererbte, 
eigen Namen wie Kaabe, Schott, Kunbel und Waͤtthäi, die noch 
eute in der Marburger Bäckerinnung vertreten sind. Nach dem 
Zückgang des Sunftwesens gründeten die Bäckermeister eine freie 
innung, die seit 1920 unter der Leitung des Obermeisters B. Kaabe 
teht. Mit der Jubelfeier wurde auch die Weihe einer neuen Innungs- 
ahne verbunden. 
Kleine Chronik. 
Oberstudien-⸗Direkkor Geh. Kat A. Schulte⸗Tigges, der 
deiter des Realgymnasiums in Kassel, trat mit dem 1. Obtober 
n den Ruhestand. Anläßlich der Abschiedsfeier im Realgymnasium 
vpurde eine Plabette mit dem Bild des verdienstvollen Schulmannes, 
zer dem Realgymnasium von 1904 bis 1020 vorstand, enthüllt. — 
In Meljungen will man, einer Anregung des Verlegers der 
Heimat · Schollen“ folgend, das Wahrzeichen der Stadt, den Barten⸗ 
veßer, nach dem alle Melsunger daheim und draußen genannt 
verden, am Giebel des erneuerten Rathauses anbringen lassen. 
Zeim mittäglichen Glockenschlag joll der Bartenwetzer wie in alten 
zeiten jeine Barte wetzen und allen Bürgern ein Mahner zur 
kinigkeit und zur treuen Pflichterfüllung sein. Die Aufbringung 
er Kosten wird durch freiwillige Spenden erfolgen. 
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit dem Herausgeber gestattet. 
herausgeber: Konrad Bernecher. Deuck und Verlag: M. Bernecher, Melsjungen.
	        
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