Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Hilde der Kaufleute, ihre Stände aufgebaut, und hielten ihre 
Erzeugnisse feil. Dreierlei Tuche lagen ausgebreitet und lockten 
in ihrer bunten Pracht das Auge; das lundische, das aus London 
hezogen wurde, das leidische, das aus der holländischen Stadt 
Leiden bam, und das inländische, zu dem die zahlreichen Schaf⸗ 
herden des Landes die Wolle geliefert. 
Bei den Gewandschneidern bonnte man für vier Weißpfennige 
von denen zweiunddreißig auf einen Taler gingen, einen langen 
zwiefaltigen Rock erstehen und für zwei Weißpfennige einen kurzen 
zinfaltigen Mantel, auf der Seite offen. Die Schuhmacher hielten 
Sauernschuhe feil für fünf Weißpfennige, beste Frauenschuhe 
bosteten deren drei. 
Wer heute Geld hatte, bonnte sich schöͤne Kleidung, Schnupf- 
tũcher, Federn und Hosenträger baufen, und wer beins hatte, ging 
wenigstens ũber den Marbkt, um sich an den schönen Sachen zu 
ergößen. Es ließ sich heute leben in Kassel; für drei Weißpfennige 
Lonnie man eine gute Mahlzeit erhalten, zu der es sogar Wein gab. 
Aber auch Possenreißer, Kurpfuscher, Sahnbrecher und Arznei— 
brämer hatten sich eingefunden, um Leichtgläubige zu unterhalten. 
ihre Dienste anzubieten, und ihre Waren zu verbaufen. 
Mit gewichtiger Miene schritt der Marbktmeister zwischen den 
en einher, damit alles in Ordnung hergehe und Lein Anfug 
geschehe. 
Ein Stand schien besonders das Interesse der Marbkkbesucher 
zu erregen. Da hatte sich eine große Ansammlung von Menschen 
gebildef, die immer mehr Sulauf erhielt. Auf erhöhtem Platz 
stand ein Mann in der Mitte, der schrie fortwährend mit größtem 
Stimmaufwand in die Menge: „Kauft Theriab, Leute, Fauft!“ ... 
Mißtrauisch ging der Marktmeister um den Wenschenhaufen 
herum. Dann nickte er bedächtig mit dem Kopf. Natürlich, wenn 
die Leute von Krankheiten heimgesucht wurden, dann machten die 
Arzneihändler die besten Geschäfte. 
Da war vor drei Jahren, ums Jahr 15096, eine verderbliche 
Krankheit ũber das Hessenland gekommen, die den Aezten viel 
Kopfzerbrechen verursachte. Die medizinische Fabultät zu Marburg 
hatte sich in gelehrten Abhandlungen ergangen ũber das Wesen 
der Seuche, die man Kriebelkrankheit oder Krumpfsucht nannte, 
ohne dem Übel auf die Spur zu kommen. Und die Arzte hatten 
immer noch die Köpfe geschüftelt und sich in ihren gepuderten 
Perũcken gebratzt, als in der Seit von Ostern bis Martini in 
Kasjel bereits dreitaujend Menschen von der Seuche dahingeraff 
waren. Suweilen waren an einem Tage dreißig Personen gestorben. 
Wohl hatte schon Landgraf Philipp, unter dessen Seit das 
Land ebenfalls von Seuchen heimgesucht wurde, als oberstes 
Mittel gegen die Krankheit verschrieben, daß man „das Herz von 
Traurigkeit und Furcht, das Hien von schwerer Imaqgination und 
Bedanben frei halten mũsse“. 
Aber es war bisher noch bein triftiger Beweis erbrach; 
worden, daß diejes Mittel sich als kräftig genug gegen die Kranb⸗ 
—XADDVDD 
die aus mancherlei Stoffen bereitet wurden, und deren Kenntnis 
sich aus ältesten Seiten lebendig erhalten hatte. —— — — 
Frohe und erwartungsvolle Mienen waren auf dem Jahr- 
markie überall zu sehen. Nur ein Händler, der in der Nähe der 
großen Menschenansammlung seinen Kram feilhielt, machte ein 
ditterboses Gesicht. 
Wie alljãährlich war Jörg, der Störger aus dem Harz, nach 
dem Jahrmarbt zu Kassel gekommen, um seinen Theriak zu ver 
baufen. Heute jedoch war er mit dem Absaßt gar nicht zufrieden. 
Gerade ihm gegenũber halte sich der fremde Störger aufge— 
baut, der ebenfalls Theriak feilbot. und dessen Stand wurde nicht 
leer von Käufern. 
„So ein verfluchter Kerl!“ murmelte Jörg grimmig in seinen 
Bart. Wenn das so weiterging, würde er heute Abend mit vollem 
Kasten und leerem Beutel wieder abziehen bönnen. 
Bei Sanbt Veit, was bonnte aber auch der Kerl da drũben reden! 
Der machte ein Gefehz und ein Rũhmen von seinem Theriab, daß 
ein rechtschaffener Händler da gar nicht mitkonnte. Seine Ware sei 
in den Apoiheben VDenedigs bereitet und ganz besonders bräftig. 
„Ein Heilmittel, wie es bein zweites gibtl“ schrie der Fremde 
mit überschnappender Stimme in die Menge. „Kauft, Leute, kbauft!“ 
Mißmutig baute Jörg, der Störger, an seinem Bart. Was 
war das bisher für ein gutes Geschäft gewejen, der Handel mit 
Theriall. In diesen Seilen der Seuchen und Krankheiten schienen 
die Leute von der Arznei ganz besonders viel zu erwarten. Frei⸗ 
lich, gegen den Tod war bein Kraut gewachsen. Erst gestern noch 
hatte er erfahren, daß in diesem Jahre in Witzenhausen acht- 
hundert Menschen gestorben waren. 
Wieder gellte die Stimme des fremden Störgers zu ihm 
herũber. Woraus der Theriab bereitet sei, ob das die Leute auch 
wüßten? And dann zählie der Kerl da drüben auf: aus Opium. 
panischem Wein, Angelikawurzeln, Baldrianwurzeln, Meerzwiebeln, 
ius Simt, Myrrhe, Eisenvitriol und zweiundsiebzig Teilen ge— 
ꝛeinigten Honig. 
Hoch hielt er in seinen Händen eine Probe des gelben Lat- 
vergs, damit es ja auch alle Leute sehen bönnten, und I dem 
händler, schlen es, als ob er ihm damit höhnisch zugewinkt hätte. 
Jetzt fraß der Kerl da drüben sogar bei Gott große Stücke 
bon Kröten, Schlangen und anderem Angeziefer, tat dabei noch, 
als ob es ihm wunder wie gut geschmeckt hätte, und nahm dann 
bon jeinem Theriak ein, um den Leuten zu beweisen, daß es ihm 
nichts schade. Igittegitt, da konnte es einem ja ũbel bei werden. 
In einen rechtschaffenen Sorn haͤtte sich Jörg innerlich hinein- 
geeifert. Sum Teufel. er war doch auch nicht auf den Kopf ge— 
allen, er wũürde den Kerl schon lehren, ihm das Geschäft zu ver— 
derben. Der zog ja mit seinem Getue das ganze Volb an sich. 
Wie er es eben von seinem Konburrenten gesehen hatte, so 
nachte er es auch. Auf ein paar Kästen stellte er sich neben 
seinen Kram, legte die hohlen Hände an seinen Mund und fing 
aus vollem Halse an zu schreien: 
„Schau, Bauer, schau, 
Hier ist eine wilde Frau!“ 
Schon drehien sich die Leute nach ihm herum, um die wilde 
frau zu jsehen. Lachend und drängelnd zogen die Mädchen die 
Burschen und die Frauen ihre Männer mit, um ihre Neugierde 
zu befriedigen. 
Jörg, der Störger, aber schrie, als sich nun ein großer Haufen 
Leute um seinen Kram drängte, mit verdoppeltem Eifer in die Menge: 
„Lauf, Bauer, schau und lauf, 
Hier findest du den besten Kauf! 
Dill, Petersill, Wurmsamen, 
In Goͤttes Namen heran, heran, 
Wer da hat einen bösen Sahn, 
Hier ist der Mann, 
Her ihn ohn' Schmerzen langen bann!“ 
Unter den Suschauern war wohl mancher, der einen bösen 
zahn hatte, und den er sich heute von einem der von Jahrmarkt 
zu Jahrmarkt wandernden Sahnbrecher ziehen lassen wollte, aber 
zamit war noch Seit bis zum Abend, ehe sie wieder den Heim⸗ 
peg in das Dorf antreten wũürden. Jetzt wollten sie sich erst noch 
in Neuem vergnũgen, bamen sie doch nur immer zu den Jahr⸗ 
nãrkten in die Hauptstadt. 
„Wo ist denn die wilde Frau?“ fragte ein fürwitziges Mädchen, 
als sich der Störger etwas verschnaufen mußte. 
Liebe Leut'“, antwortete der Händler verschmitzt lächelnd, „ich 
hab mich versprochen, es ist beine Frau, es ist ein Mann!“ 
Kehrte sich gegen den fremden Störger und rief unter dem 
Beifall der Umstehenden zu ihm herũber: 
„Friß Schlangen, friß Kangen, 
Friß Eitschen, friß Leitschen, 
Friß Ratzen, friß Katzen, 
Friß Läus und Mäus!“ 
Dröhnendes Gelächter der Umstehenden lohnte den Händler, 
der so teefflich zu reimen verstand, und diejes Gelächter machte 
ie Leute wohl noch neugieriger, als es der fremde Störger mit 
einem Geschrei und seltsamen Getue vermocht hatte. 
Schmunzelnd fuhr Jörg, indem er sich wieder an seinen Kon⸗ 
Lurrenten wandte, der jetzt berlassen neben seinem Kram stand, fort: 
„Ich will deiner Gesellschaft gern entraten. 
Ich halt mich an die Schweinebraten, 
—Ar 
Frisch Semmeln und ein Krũglein Wein“, 
und sich wieder an die Umstehenden wendend, setzte er gemütlich 
hinzu: „Solches ist, liebe Freunde, eine gewisse Arznei und der 
tarke Nestel, jo Leib und Seel zujammenhält.“ 
Mit diejein Appell an den gesunden Sinn der Käufer hatte 
Jörg das Kichtige getroffen. Jetzt hatte er die Lacher auf jeiner 
Seite. Er vergaß dann aber auch nicht zu sagen, daß er Theriab 
zu verbaufen häbe, der ganz besonders gegen Schlangenbisse helfe, 
da derselbe aus dem Gijst der Dipern bereitet werde, die in der 
Brasschaft Schmalkalden so helmisch seien. 
„Gebt mir für fünf Heller!“ rief einer der Umstehenden, der 
eine helle Freude am Keimen gehabt hatte, und nun bonnte der 
händler kaum alle Hände füllen. 
Leer war inmiiten des Trubels der Stand des fremden 
Slörgers, der Kröten und Schlangen verzehrt hatte, um die Käufer 
ainzulocken. — — 
Diesen jonderbaren Wettstreit zwischen den beiden Therlab⸗ 
Hhändlern hielt ein Seitgenosse für merkwürdig genug, daß er den 
Horgang mitsamt den Reimen des schlagfertigen Jörg vom Harz 
n einer handschriftlichen Chronik des Jahres 1599 aufzeichnete. 
die sich in der Kasseler Bibliothel befindet.
	        
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