Hilde der Kaufleute, ihre Stände aufgebaut, und hielten ihre
Erzeugnisse feil. Dreierlei Tuche lagen ausgebreitet und lockten
in ihrer bunten Pracht das Auge; das lundische, das aus London
hezogen wurde, das leidische, das aus der holländischen Stadt
Leiden bam, und das inländische, zu dem die zahlreichen Schaf⸗
herden des Landes die Wolle geliefert.
Bei den Gewandschneidern bonnte man für vier Weißpfennige
von denen zweiunddreißig auf einen Taler gingen, einen langen
zwiefaltigen Rock erstehen und für zwei Weißpfennige einen kurzen
zinfaltigen Mantel, auf der Seite offen. Die Schuhmacher hielten
Sauernschuhe feil für fünf Weißpfennige, beste Frauenschuhe
bosteten deren drei.
Wer heute Geld hatte, bonnte sich schöͤne Kleidung, Schnupf-
tũcher, Federn und Hosenträger baufen, und wer beins hatte, ging
wenigstens ũber den Marbkt, um sich an den schönen Sachen zu
ergößen. Es ließ sich heute leben in Kassel; für drei Weißpfennige
Lonnie man eine gute Mahlzeit erhalten, zu der es sogar Wein gab.
Aber auch Possenreißer, Kurpfuscher, Sahnbrecher und Arznei—
brämer hatten sich eingefunden, um Leichtgläubige zu unterhalten.
ihre Dienste anzubieten, und ihre Waren zu verbaufen.
Mit gewichtiger Miene schritt der Marbktmeister zwischen den
en einher, damit alles in Ordnung hergehe und Lein Anfug
geschehe.
Ein Stand schien besonders das Interesse der Marbkkbesucher
zu erregen. Da hatte sich eine große Ansammlung von Menschen
gebildef, die immer mehr Sulauf erhielt. Auf erhöhtem Platz
stand ein Mann in der Mitte, der schrie fortwährend mit größtem
Stimmaufwand in die Menge: „Kauft Theriab, Leute, Fauft!“ ...
Mißtrauisch ging der Marktmeister um den Wenschenhaufen
herum. Dann nickte er bedächtig mit dem Kopf. Natürlich, wenn
die Leute von Krankheiten heimgesucht wurden, dann machten die
Arzneihändler die besten Geschäfte.
Da war vor drei Jahren, ums Jahr 15096, eine verderbliche
Krankheit ũber das Hessenland gekommen, die den Aezten viel
Kopfzerbrechen verursachte. Die medizinische Fabultät zu Marburg
hatte sich in gelehrten Abhandlungen ergangen ũber das Wesen
der Seuche, die man Kriebelkrankheit oder Krumpfsucht nannte,
ohne dem Übel auf die Spur zu kommen. Und die Arzte hatten
immer noch die Köpfe geschüftelt und sich in ihren gepuderten
Perũcken gebratzt, als in der Seit von Ostern bis Martini in
Kasjel bereits dreitaujend Menschen von der Seuche dahingeraff
waren. Suweilen waren an einem Tage dreißig Personen gestorben.
Wohl hatte schon Landgraf Philipp, unter dessen Seit das
Land ebenfalls von Seuchen heimgesucht wurde, als oberstes
Mittel gegen die Krankheit verschrieben, daß man „das Herz von
Traurigkeit und Furcht, das Hien von schwerer Imaqgination und
Bedanben frei halten mũsse“.
Aber es war bisher noch bein triftiger Beweis erbrach;
worden, daß diejes Mittel sich als kräftig genug gegen die Kranb⸗
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die aus mancherlei Stoffen bereitet wurden, und deren Kenntnis
sich aus ältesten Seiten lebendig erhalten hatte. —— — —
Frohe und erwartungsvolle Mienen waren auf dem Jahr-
markie überall zu sehen. Nur ein Händler, der in der Nähe der
großen Menschenansammlung seinen Kram feilhielt, machte ein
ditterboses Gesicht.
Wie alljãährlich war Jörg, der Störger aus dem Harz, nach
dem Jahrmarbt zu Kassel gekommen, um seinen Theriak zu ver
baufen. Heute jedoch war er mit dem Absaßt gar nicht zufrieden.
Gerade ihm gegenũber halte sich der fremde Störger aufge—
baut, der ebenfalls Theriak feilbot. und dessen Stand wurde nicht
leer von Käufern.
„So ein verfluchter Kerl!“ murmelte Jörg grimmig in seinen
Bart. Wenn das so weiterging, würde er heute Abend mit vollem
Kasten und leerem Beutel wieder abziehen bönnen.
Bei Sanbt Veit, was bonnte aber auch der Kerl da drũben reden!
Der machte ein Gefehz und ein Rũhmen von seinem Theriab, daß
ein rechtschaffener Händler da gar nicht mitkonnte. Seine Ware sei
in den Apoiheben VDenedigs bereitet und ganz besonders bräftig.
„Ein Heilmittel, wie es bein zweites gibtl“ schrie der Fremde
mit überschnappender Stimme in die Menge. „Kauft, Leute, kbauft!“
Mißmutig baute Jörg, der Störger, an seinem Bart. Was
war das bisher für ein gutes Geschäft gewejen, der Handel mit
Theriall. In diesen Seilen der Seuchen und Krankheiten schienen
die Leute von der Arznei ganz besonders viel zu erwarten. Frei⸗
lich, gegen den Tod war bein Kraut gewachsen. Erst gestern noch
hatte er erfahren, daß in diesem Jahre in Witzenhausen acht-
hundert Menschen gestorben waren.
Wieder gellte die Stimme des fremden Störgers zu ihm
herũber. Woraus der Theriab bereitet sei, ob das die Leute auch
wüßten? And dann zählie der Kerl da drüben auf: aus Opium.
panischem Wein, Angelikawurzeln, Baldrianwurzeln, Meerzwiebeln,
ius Simt, Myrrhe, Eisenvitriol und zweiundsiebzig Teilen ge—
ꝛeinigten Honig.
Hoch hielt er in seinen Händen eine Probe des gelben Lat-
vergs, damit es ja auch alle Leute sehen bönnten, und I dem
händler, schlen es, als ob er ihm damit höhnisch zugewinkt hätte.
Jetzt fraß der Kerl da drüben sogar bei Gott große Stücke
bon Kröten, Schlangen und anderem Angeziefer, tat dabei noch,
als ob es ihm wunder wie gut geschmeckt hätte, und nahm dann
bon jeinem Theriak ein, um den Leuten zu beweisen, daß es ihm
nichts schade. Igittegitt, da konnte es einem ja ũbel bei werden.
In einen rechtschaffenen Sorn haͤtte sich Jörg innerlich hinein-
geeifert. Sum Teufel. er war doch auch nicht auf den Kopf ge—
allen, er wũürde den Kerl schon lehren, ihm das Geschäft zu ver—
derben. Der zog ja mit seinem Getue das ganze Volb an sich.
Wie er es eben von seinem Konburrenten gesehen hatte, so
nachte er es auch. Auf ein paar Kästen stellte er sich neben
seinen Kram, legte die hohlen Hände an seinen Mund und fing
aus vollem Halse an zu schreien:
„Schau, Bauer, schau,
Hier ist eine wilde Frau!“
Schon drehien sich die Leute nach ihm herum, um die wilde
frau zu jsehen. Lachend und drängelnd zogen die Mädchen die
Burschen und die Frauen ihre Männer mit, um ihre Neugierde
zu befriedigen.
Jörg, der Störger, aber schrie, als sich nun ein großer Haufen
Leute um seinen Kram drängte, mit verdoppeltem Eifer in die Menge:
„Lauf, Bauer, schau und lauf,
Hier findest du den besten Kauf!
Dill, Petersill, Wurmsamen,
In Goͤttes Namen heran, heran,
Wer da hat einen bösen Sahn,
Hier ist der Mann,
Her ihn ohn' Schmerzen langen bann!“
Unter den Suschauern war wohl mancher, der einen bösen
zahn hatte, und den er sich heute von einem der von Jahrmarkt
zu Jahrmarkt wandernden Sahnbrecher ziehen lassen wollte, aber
zamit war noch Seit bis zum Abend, ehe sie wieder den Heim⸗
peg in das Dorf antreten wũürden. Jetzt wollten sie sich erst noch
in Neuem vergnũgen, bamen sie doch nur immer zu den Jahr⸗
nãrkten in die Hauptstadt.
„Wo ist denn die wilde Frau?“ fragte ein fürwitziges Mädchen,
als sich der Störger etwas verschnaufen mußte.
Liebe Leut'“, antwortete der Händler verschmitzt lächelnd, „ich
hab mich versprochen, es ist beine Frau, es ist ein Mann!“
Kehrte sich gegen den fremden Störger und rief unter dem
Beifall der Umstehenden zu ihm herũber:
„Friß Schlangen, friß Kangen,
Friß Eitschen, friß Leitschen,
Friß Ratzen, friß Katzen,
Friß Läus und Mäus!“
Dröhnendes Gelächter der Umstehenden lohnte den Händler,
der so teefflich zu reimen verstand, und diejes Gelächter machte
ie Leute wohl noch neugieriger, als es der fremde Störger mit
einem Geschrei und seltsamen Getue vermocht hatte.
Schmunzelnd fuhr Jörg, indem er sich wieder an seinen Kon⸗
Lurrenten wandte, der jetzt berlassen neben seinem Kram stand, fort:
„Ich will deiner Gesellschaft gern entraten.
Ich halt mich an die Schweinebraten,
—Ar
Frisch Semmeln und ein Krũglein Wein“,
und sich wieder an die Umstehenden wendend, setzte er gemütlich
hinzu: „Solches ist, liebe Freunde, eine gewisse Arznei und der
tarke Nestel, jo Leib und Seel zujammenhält.“
Mit diejein Appell an den gesunden Sinn der Käufer hatte
Jörg das Kichtige getroffen. Jetzt hatte er die Lacher auf jeiner
Seite. Er vergaß dann aber auch nicht zu sagen, daß er Theriab
zu verbaufen häbe, der ganz besonders gegen Schlangenbisse helfe,
da derselbe aus dem Gijst der Dipern bereitet werde, die in der
Brasschaft Schmalkalden so helmisch seien.
„Gebt mir für fünf Heller!“ rief einer der Umstehenden, der
eine helle Freude am Keimen gehabt hatte, und nun bonnte der
händler kaum alle Hände füllen.
Leer war inmiiten des Trubels der Stand des fremden
Slörgers, der Kröten und Schlangen verzehrt hatte, um die Käufer
ainzulocken. — —
Diesen jonderbaren Wettstreit zwischen den beiden Therlab⸗
Hhändlern hielt ein Seitgenosse für merkwürdig genug, daß er den
Horgang mitsamt den Reimen des schlagfertigen Jörg vom Harz
n einer handschriftlichen Chronik des Jahres 1599 aufzeichnete.
die sich in der Kasseler Bibliothel befindet.