Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Swar ist nach dem elementaren Ausbruch der Volbswut un— 
perzũglich ein Abgesandter des Rates an den Generalgouverneur 
Lagrange in Kassel abgegangen, um diesem das Geschehene als 
das Werkb einer unbesonnenen Menge hinzustellen, an dem die 
meisten Einwohner unschuldig seien, und Lagrange hat sich auch 
dahingehend ausgesprochen, daß die Stadt auf Schonung eechnen dũrfe. 
Trotz der erlassenen Amnestie aber rũckt der französische 
General Barbot am 9. Januar 1801 mit einer zweitausendfünfj⸗ 
hundert Mann starken Heeresabteilung in Hersfeld ein, um Suũhne 
für den Frevel zu fordern. 
Die Obrigkeit zieht ihm entgegen. 
Fußfällig bittet der Bürgermeister um gnädige Behandlung 
der Stadt. 
Anter den Offizieren fällt die Gestalt eines Mannes auf mit 
offenen edlen Gesichtszügen, dessen Auge teilnahmsvoll auf den 
Abgesandten ruht. Das ist Oberstleutnant Johann Baptist Lingg, 
der Führer der badischen Jäger. 
Der General aber erdoffnet dem Stadtrat, daß er auf Exekution 
nach Hersfeld geschickt sei, daß die Stadt alle Unterhaltskosten 
der Truppen zu kragen habe und er nicht eher fortziehen werde. 
bis alle Schuldigen bestraft seien. 
Dann marschieren die Soldaten ein. Wie sie hausen, darũüber 
jagt ein Kirchenbuchchronist, daß es einer Plünderung gleichbam. 
Fünftausend Paar Schuhe, tausend Kapotröcke werden geforderl! 
und andere Gegenstände „unzähliger Menge. sie sind nicht alle 
zu nennen“. Funftausend Taler erhält der General, auf dreißig 
taujend Taler wird der Schaden geschätzt. 
Am 11. Januar werden die italienischen Soldaten unter Kapitän 
Guillien nach Hersfeld zurückgeholt und müssen ebenfalls für die 
erlittenen Mißhandlungen reichlich entschädigt werden. 
In ihrer Angst schaffen die Bürger alles an, was geforderl 
wird, um Mißhandlungen zu entgehen. Beschwerden sind vergeblich. 
Es ist gut, daß Meister Pforr und Seelig entflohen sind. Die 
Häujer der Urheber des Aufftandes werden geplündert; das Haus 
des Sattlers Seelig, aus dem der töd⸗ 
liche Schuß gefallen ist, wird dem Erd⸗ 
boden gleichgemacht, mit dem Gebot, 
daß der Plat nie wieder bebaut werden 
soll. Auf die Flüchtigen wird eifrig ge⸗ 
fahndet, doch ergebnislos, sie sind in 
siicherem Versteck. 
Anm IAU. Januar zieht Barbot mit 
seinen französijchen Truppen ab, Oberst- 
leutnant Lingg bleibt mit den badischen 
Jägern und einer Kompagnie Italiener 
als Besatßzung zurũück. Die Bürger 
atmen auf. 
Aber schon am 26. Januar behr 
Barbot wieder, er bringt mehrere 
Wagen voll Gefangene von seinem 
Streifzuge mit. 
Ein Hersfelder Soldat namens 
Schüßler ist darunter. Bei der Re— 
volte am Weihnachtsabend ist er nicht 
dabeigewesen, aber er ist ũberführt, ein 
ranzösijsches Gewehr verheimlicht zu 
haben. Er wird zum Tode verurteiit. 
Von einer Abteilung Italiener wird 
er vor das Klaustor geführt und an 
einem Platz neben der Straße, die nach 
Kassel führt, erschossen. Mutig und be— 
herzt stirbt er, sein Leichnam wird von 
den Bürgern auf dem Friedhofe beerdigt. 
Dann zieht Barbot wieder ab und 
die Bürger denken, der Sühne für die 
Seschehmje am Weihnachtsabend sei 
Henũge getan. 4 
„Wie schrecklich war unser Erwachen 
aus dieser lieblichen Täuschung!“ heißt 
rs im Kirchenbuche. 
Sum dritten Mal behrt Barbot unvermutet nach Hersfeld 
zurüũck. Anerbittlich ist der Kaijer der Franzojen gegen eine Stadt, 
die es gewagt hat, einen Soldaten der „unüberwindlichen“ Armee 
zu beleidigen. 
Geheimnisvoll ist das Benehmen der Offiziere. Furcht und 
Angst erfüllt die Gemũter der Bewohner. 
Am Abend werden auf Befehl des Generals große Mengen 
Stroh und dũrres Keisig in das Exerzierhaus am Markt und in 
das Stift gebracht. Der General und seine Offiziere, darunter 
Lingg, reifen durch die Straßen der Stadt und um die Ringmauer. 
Ihre Mienen lassen auf Schreckliches schließen. — Kaum ein Auge 
chließt sich in dieser Nacht, mit Besorgnis erwarten die Bürger 
den Morgen. Zu alledem heult ein Sturm in den Lüften, als ob 
das jũngste Gericht angebrochen sei. 
Als der, Morgen dämmert, da sehen die Sürger, wie die Be— 
atzung mit allen Kranken die Staͤdt verläßt, nur Lingg mit seinen 
Soldaten bleibt zurũck. 
Aher, o Schrecken, die Franzosen machen vor den Toren Halt 
and richten die Kanonen gegen die Stadt. Drohend sind die 
Mãäuler der Geschũtze auf Heesfeld gerichtet, bereit, jeden Augen- 
blick Tod und Verderben zu speien. 
Patrouillen durchziehen die Straßen, ein Pibett Jäger postiert 
ich auf dem Rundgang des Turmes, die Klöppel aus den Glocken 
verden entfernt. Das Spritzenhaus wird umstellt und die Feuer⸗ 
preiße mit Beschlag belegt. 
Jetzt erst wird den geängstigten Bewohnern klar, welch furcht⸗ 
hares Strafgericht der Feind im Sinn hat. 
Der Rat und die Beamten eilen nach dem Hause des Generals; 
sie wollen Gewißheit haben. Barbot erscheint im Versammlungs- 
zimmer und nimmt eine Order Napoleons aus der Tasche. 
Mit kalten Worten macht er bebannt, „daß die Staot Hers 
feld wegen der am 24. Dezember 1806 darin vorgefallenen Em— 
põrung und Ermordung eines italienischen Soldatenausgeplündert, 
in der Mitte und an den vier Ecken angesteckt und verbrannt 
werden soll“. 
Blaß und wortloe, ũberwältigt von der Schrechensbotschaft, 
tehen die Kaäte. 
F Schneidend jährt der französische General fort: „Wünschen 
Sie sich Glũck, meine Herren, daß Sie nicht sämtlich erschossen 
perdenl Die Behoͤrden einer Stadt sind jür das Betragen der 
Zũrger verantwortlich. Wehe Ihnen, wenn ein Einziger den 
Exekutionsmaßregeln sich widersetzt oder jolche zu hindern wagt. 
SZagen sie den Surgern, daß ich jetzt ausmarschiere und die Voll- 
zjiehung der Strafe dem Obderstleutnant Lingg übertragen habe. 
Die Order des Kaisers muß bejfolgt 
werden. Sobald Widersätzlichkeit er⸗ 
folgt, lasjse ich die vor der Stadt auf- 
gestellten Kanonen Feuer geben.“ 
Der General verläßt das Simmer, 
besteigt sein Pferd und begibt sich zu 
den vor der Staͤdt haltenden Truppen. 
Wer bann den Jammer und das 
Geschrei der unglücklichen Bewohner 
ermessen! 
Da schreitet Lingg aus seinem 
Quartier im Steinwegschen Hause am 
Hanfsack und läßt einige der Jammern- 
den um sich treten. 
Leute,“ spricht er, „der Kaiser hat 
den Befehl gegeben, und er muß befolgt 
werden. Aber, da viele unter euch 
unschuldig betroffen wũürden, habe ich 
es durchgesetzt, daß der Befehl nur 
dem Worktlaut nach vollzogen wird. 
Es werden vier einzeln stehende Häuser 
an den Ecken der Stadt angezündet 
und das Exerzierhaus in der Mitte. 
Diese Häusjer mũssen niederbrennen 
und dũrfen nicht geloscht werden. Ver⸗ 
haltet euch ruhig und gefaßt, beĩ der 
geringsten Ausschreitung kehren die 
Truppen zurũck, und die Stadt ist nicht 
mehr zu retten.“ 
Dankbar und vertrauend schauen 
die Umstehenden zu dem Wanne auf, 
der mit schlichter Handbewegung jeden 
Dank ablehnend aus dem Kreis heraus- 
tiriff und zum Marbtplaß sich wendet. 
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„Huiii, huiii,“ heult der Sturm. 
Uber die Dächer fährt der Nordwest, dreht breischend die Wetter- 
sahne in den Angeln, wirft Slegel von den Dächern und knallt 
einen schadhaften Fensterladen an die Hausfront. 
Wehklaͤgend und die Hände ringend stehen die Frauen vor 
den Häußern, sie sehen nach dem Himmel, während ihnen der 
Sturm fast die Tũcher von den Köpfen reißt. 
Gnade Goit der Stadt! Wenn der Steafbefehl Napoleons 
oollzogen wird und das Wetter so weiter tobt, wird von der Stadt 
dald nur ein großer Aschenhaufen übrig sein. — Hört, hört, in 
das Heulen des Sturmes mischt sich rollender Trommelwirbel. Die 
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LZingaa⸗Denkmal.
	        
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