Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

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xeimat Schollen 
Slätter zur Mflede hessischer Art, Geschichte und Heimatkunst 
Nr. 20 / 1927 
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 RM. im Vierteljahr. Frũhere 
Jahrgänge bönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-⸗erlag nachbezogen werden 
I. Jahrgang 
Auf dem Lullusmarkt 
VDon Heinrich Kuppelꝰy. 
Die Herbsttage waren frostig und klar, und die Sonne 
zargte schon mit ihren wärmenden Strahlen. Wie standen 
ruf dem Rübenacker zwischen Straße und Bahndamm, 
upften aus, blopften die Erde von den roten und gelben 
Kunbeln und schnitten die Blätter ab. Die Hände waren 
lamm und steif, und jede Ablenkung von unserem eintönigen 
Tun war uns willkommen. Sur Linben brausten die Süge 
horbei, denen wir jehnsüchtig nachsahen, auf der hohen Straße 
zur Kechten rollte Gefährt um Gefährt vorüber. Auf manch 
rinem dieser Wagen — mochte es nun ein Hersfelder Sier-, 
Bäãcker⸗ oder Metzgerwagen sein — bog sich der Fahrer 
unter seinem Kutscherverdeck hervor und schmetterte uns mit 
oreiter Stimme den Gruß „Brorer Lolls! Brorer Lolls!“ 
ns Ohr. Wir lachten und gaben ihm den Gruß in unserer 
Aussprache mit „Broder Lolls!“ zurück. Der Gruß war 
das Seichen, daß es jetzt bei den Lollsbrüdern in Heersfeld 
hoch herging, daß das Lollsfeuer lohte, daß die Ausrufer 
»or Buden und Selten ihre Herrlichbeiten anpriesen, daß 
die größten Wunder der Welt derer harrten, die das nötige 
Kleingeld hatten, daß alles zu haben war, was das Herz 
degehren Lonnte — burzum: daß dort auf ein paar Tage 
das Paradies offen stand. 
AUnd dieses Paradies sollte auch ich betreten dürfen. 
Morgen wollte die Mutter zum Einkaufen hinfahren und 
mich mitnehmen. Die Vorfreude ließ mich kbaum schlafen. 
Und als ich nach stundenlangem Wachsein dennoch endlich 
einschlief, umgaubelten mich die tollsten Träume von Seiltänzern, 
Feuerfressern, Kingkämpfern, Degenschluckern und dergleichen 
Künstlern und Helden der Menschheit. 
*) Aus dem demnächst erscheinenden Buch von Heinrich Ruppel: „Herrgotts- 
»ögel“. ODerlag: A. Bernecker, Melsungen. 
Die Mutter kbaufte in bebannten Geschäften ein und hieß 
nich indessen den Marktrummel besehen. Sur bestimmten 
zeit wollten wir uns an bestimmtem Ort zusammenfinden. 
sch verlor mich im Marktgewimmel und sah mit Erstaunen, 
aß meine Träume mir nur blasse Bilder der Wirkblichkeit 
eboten. Es war ein Jubel und Trubel auf dem weit— 
iumigen Marbtplatz, daß einem die, Augen übergingen. 
)on dem ganzen Geschwärm und Gelärm blieb mir nicht 
iel im Gedächtnis. Es war eben zuviel für einen Dorf- 
uingen, zuviel für einen jungen Menschen, der nur zwei 
Augen und zwei Ohren hat, die dazu noch wenig geübt 
ind. Das könte, trudelte, brauste, knallte, schäumte, schwirrte, 
vogte, wallte, schob und drängte sich durcheinander, daß 
nan sich wie in einen Strom geworfen fühlte, von dem man 
ich sacht treiben ließ. Auch an eine Mühle bonnte man 
enben, wo die Räder blappern, die Mahlgänge schüttern 
ind das Schlagwerb stampft. Nirgends ließ sich Fuß fassen, 
leiben, beobachten, nachdenklich verweilen. Man bkreiste 
nit im wilden Wirbel. 
In diesem Getriebe des Fremden, Niehgesehenen und 
Inheimlichen tauchte plötzlich ein bekanntes Gesicht auf und 
achte mich seelenfroh. Wer war's? Pfarrsch Hugo, der 
held aus meinen Kindertagen, der nun hier Pennäler war. 
Aber in welchem Aufzug kam er daher! Der hochge— 
hossene, hagere Kerl hatte sich in einen engen Bratenrock 
ezwängt; die Hosen zeigten hoffnungslosen Hochwasserstand; 
ils Kragen trug er eine Manschette, die ihm bis über die 
Ohren reichte, und ein Sylinderhut thronte schief auf jeinem 
5chopf. Eine farbige Künstlerbrawatte wallte kühn auf seine 
deldenbrust herab. Das putzige BSild wurde aber erst durch 
rinen Begleiter vollendet. Das war ein kleiner, dicker
	        
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