Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

die Wegbiegung und hatte das Schuhzeug über der Schulter 
Ȋngen. Mdolf durfte seinen Schatz jetzt selber tragen und 
stapfte an der Hand des Daters stolz wie ein kbleiner König 
dem Dorfe zu. 
„Ich hab meine schon“, rief er triumphierend dem Karlchen 
zu. Dem war das Weinen näher als das Lachen. Denn 
o viele Marktleute nun auch schon bamen, sein VDater ließ 
sich noch nicht sehen. Da dappelte der Junge immer weiter. 
Die Sehnsucht nach den Schuhen krieb ihn vorwärts. Lange⸗ 
weile bekam er nicht unterwegs, denn da gab es gar viel 
zu gucken. Handelsleute in langen, grauen Mänteln trieben 
ganze Koppeln Kühe vor sich her, und das laute, hastige 
Hewelsch, das sie auf ihrem Marsche vollführten, hörte sich 
gar lustig an. Junge und alte Bauernfrauen schleppten 
gefüllte Kissenzichen unter dem Arm. Andere trugen 
seue Töpfe, Keibeisen, Milchseihen und Salatschüsseln heim- 
wärts, und ein dürres, schmächtiges Bäuerchen hatte gar 
den Kopf durch ein neues, umfangreiches Gäulsbummet 
gesteckt und wackelte unter dieser schweren Last gar drollig 
hin und her. 
Der im ganzen Vogelsberg bebannte „Hühner-Hutch“ 
lief auch in der Keihe. Der hatte sein Federvieh auf den 
Markt gebracht und dafür ein Wuzzi erhandelt. Das saß 
in einer mächtigen Kötze, die der Alte auf dem Rücken 
trug, und grunzte wie ein bleines Teufelchen. Der „Hühner- 
Hutch“ hatte eins über den Durst getrunben. 
„Tu einmal sacht, du kommst in die Kötze“, fiel er das 
Karlchen an, als es in die Nähe kam. Da brüllte das 
Bübchen, als wenn es aufgespießt würde, und umsprang 
den bösen Mann und seinen noch böseren Korb in großem 
Bogen. 
Zum Glüch kam jetzt ein Stumperöder Frachtfuhrwerb 
mit zwei dicken, prächtigen Schimmeln daher. 
„Ei, die Leda und der Kastor“, rief der Junge mit 
noch weinerlichem Stimmchen und wischte sich mit seinem 
schmierigen Händchen die Tränen aus den Augen. 
Auf dem mächtigen Kastenwagen lag ein breiter Bretter⸗ 
deckel. darauf saß ein großer, bunter Haufen Markbtleute. 
Karlchen sprang um den Wagen herum und quckte nach 
einem Dater. 
„Ei, du liebes Gottchel!“, schrie entsetzt die dicke Hefe- 
Bett, „das ist ja dem Buckelbirns Adam seiner. Ei 
Butzedingelche, du läufst dich ja ire. Komm und mach 
mit heim. Dein VDaterche ist ja noch in Geimig. Ihr liebe 
Leut, hebt doch das Kindche heraufl* 
Aber da hätte man das Buzßedingelche sehen sollen. 
Vie ein galoppierendes Gäulchen stob es davon. Ohne 
Hater und Schuhe wollte es nicht heim. 
Gar manchem Warbtgänger fiel der bleine Wandersmann 
unterwegs noch auf. Das war bein Wunder; denn das 
Karlchen sah aus wie ein echter Gossenrutscher, der zu 
Hause ungewaschen durchgebrannt ist. Am Vormittag war 
er beim Klettern auch noch an einem Plankennagel hängen 
geblieben, und der hatte ihm den Hosenboden aufgerissen. 
Nun guckte am Hinterviertel ein aroßes Stück Hemd 
heraus. 
Das bunte Treiben auf der Landstraße war dem 
Jungen der beste Wegweiser, und so kbam er glücklich vor 
den Toren des Städtchens an. Da gabs so viel zu 
jucken, daß er eine Seitlana den Vater mitsamt den 
Schuhen vergaß. 
Am Wege saß ein trauriger, blinder Mann. Der hatte 
ein Brettchen auf seiner Brust und spielte auf einer Dreh— 
orgel .Lobe den Herren“. Dann waren da schwarze Männer 
nit großen Hüten, die führten Bären und Kamele am 
Seil. And ein solches großes Kamel steckte den Kopf so— 
jar zu einem offenen Fenster hinein und holte sich dort ein 
Stückchen Brot. 
Ei und dann die vielen Läden! Da lagen mürbe Wecke 
ind ein ganzer Haufen Schobolade und Suckerwerk. Das 
zätke dem Karlchen viele Jahre gereicht. Und von einem 
Ahrenladen bam der Junge schon gar nicht mehr los. Wie das 
litzerte und funkeltel Ganz weltvergesjen stand er da und 
rehte sich erst wieder um, als böse Gassenjungen gar schaden- 
roh gröhlend an seinem Hemdenzipfel zogen. Da heulte 
das Bübchen gar erbärmlich; aber je mehr es brüllte, desto 
recher rissen die Strenzer am Hemd. — 
NMun stapfte gar eilig ein Bauersmann mit seinem Eichen- 
tecken daher. Das war der Buckelbiens Adam, und der 
var in beiner leinen Aufregung. Als er fürs Karlchen 
die Schuhe kaufen wollte, fand er das Waß nicht mehr in 
einem Lederranzen. 
„Einen Eid bönnt ich drauf schwören, daß ich's diesen 
Morgen eingesteckt habe“, versicherte der Bauer dem Schuh⸗ 
händler. 
„Ei, das ist Euch wahrscheinlich in einem andern Laden 
ius dem Kanzen gefallen“, meinte dieser. 
Nun hastete der Adam in den Geschäften herum und 
uchte das Maß für die Schuhe; das war aber nirgends 
nehr zu finden. Seine Stimmung war deshalb nicht die 
este, als er jetzt auf die Gassenstrenzer stieß, wie diese dem 
Bübchen das Hemd aus der Hose zerrten. 
„Ihr miserable Läusknäcker, ihr Gewitteräser“, brüllte 
ꝛx die Bande an, „laßt ihr den Augenblick das arme 
Kindchen in Kuhl“ And als nun der Bauer seinen Eichen- 
müppel auf den Bengeln herumtanzen ließ, da stoben sie 
vie der Wind davon. 
„Dater“, fragte jetzt der kleine Hemdenmatz unter Lachen 
ind Weinen, „wo hast du meine neuen Schuh?“ 
„Ei du großer Gott, mein Karlchel“ rief da ganz ver— 
virrt der Adam und ließ vor Aberraschung seinen Prügel 
allen. „Ei, Kindsdingelche,“ fuhr er fort, „um Himmels- 
villen, wo kommst du dann her und wie siehst du ausl Aber 
das mag nun sein, wie's will, ich bin gottfroh, daß du da 
hist. And etz ebei und schnell zum Schusterl“ 
Der Alte versuchte nun seinem Jungen das Hemd 
'n die Hose zu stopfen, aber das war nicht mehr mög— 
ich; denn der Hosenboden war in der ganzen Breite auf- 
jerissen. Da bebam das Karlchen vor allen Dingen im 
zächsten Kleiderladen ein eisjenfestes Höschen. And als 
ie Beiden zum Schuster kamen, da machte der erstaunte 
Augen. 
„Alleweil ist uns geholfen“, rief der Bauer, „ich bring 
in lebendiges Maß!“ 
Das glückstrahlende Karlchen bekam jetzt ein paar Schuhe, 
die saßen wie angegossen. Er bekam auch noch seinen Weck 
ind seine Suckerpfeife. Und in der Wirtschaft aß das Büb- 
hen mit seinem Dater ein barwarisches Stück Fleischwurst 
ind durfte sogar dreimal am Schoppen trinben. 
Als die Beiden heimwärts wollten, hatken sie auch noch 
Hlück. Sie fanden ein Fuhrwerk und bonnten bis nach 
5tumperod auf dem Wagen sitzen. 
In dem eisenfesten Höschen und in den neuen Schuhen 
ind mit der Sucherpfeife im Mäulchen spazierte das stolze 
Karlchen an diesem Tage noch lange in seinem Dorfe auf 
ind ab. And die Eltern hatten alle Mühe, das Bübchen 
or der Dunbelheit ins Haus zu bringen.
	        
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