Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Heimat· Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
ae. 10/ 1020 
Erscheinungsweisje Nmal monatlich. Bezugspreis 1.20 RM. im Vierteljahr. Frũhere 
Fahrgãnge können. soweit noch vorrätig, vom HeimatschollenVOerlag nachbezogen werden 
I. Jahrgand 
Die neuen Schuhe 50 Von Ernst Eimer. 
Als es auf dem Kirchturm in Stumperod fünf schlug, 
saß Buckelbirns Adam beim Morgenbkaffee. Er wollte auf 
dem Gallmarkt in Grünberg drei Ferbel baufen, und da 
var beine Seit zu versäumen. denn bis dorthin waren's 
zwei dicke Stunden. 
„Christine“, sagte der Bauer zu seiner Frau, „hol mir 
doch einmal meinen blauen Kittel von der Oberläwe und 
den Stecken und den Kanzen, und hol auch den alten 
Kroppen herein, der muß doch gelötet werden.“ 
„Ja, und gelle, Dater, vergiß nur meine neuen Schuhe 
nĩcht, und ich will noch einen Weck und eine Zuckerpfeife,“ 
ries das sechsjährige Karlchen aus seinem Schippelbett heraus. 
„Ei, Juͤngeding, bist du denn auch schon wacker“, meinte 
herwundert der Dater. „Etz schlaf nur weiter. es wird 
naut vergessen.“ — 
Als der Adam mit seinem Lederranzen zur Haustür 
inausstapfte, fuhr gerade der Swiebelhannes mit seinem 
Frachtfuhrwerk vorbei. 
„Ei, das könnt net besser geklappen, Hannes, bleib halten, 
ich mache mit“, rief der Adam und bletterte auf den Wagen. 
Er war froh, daß ihm nun die zwei dicken Wegstunden 
gejchenkt waren. — 
Karlchen saß in seinem Schippelbett und machte große 
eunde Augen. Er bebam neue Schuhe und sollte noch 
chlafen. Das ging doch nicht. In aller Herrgottsfrühe 
zing Karlchen an diesem Morgen schon auf die Gasse. Er 
dam sich vor wie ein reicher Sonntagsjunge. 
Eine Gruppe von Bauern schritt mit großgriffigen Stöcken 
und wichtigen Schritten dem Marbte zu. 
„Häi, ihr Leut“, rief Karlchen. „ich briege aber auch 
heut ein Paar neue Schuhel“ 
Aber die Bauern achteten nicht darauf. Diese sprachen 
»on Frucht und Ferkelpreisen. von bünstlichen Düngern und 
ieuen Kartoffelsorten. 
Jetzt bog der Hammbast um die Ecke. Der wollte sich 
ine Last Gras holen. Der Mensch war himmellang und 
atte bei der Garde gedient, aber er hörte nicht gut. Das 
Zübchen lief ihm vor die Beine und jubelte: „Häi, ich 
riege aber auch heut ein Paar neue Schuhl“ 
„Was ist zu?“ fragte der Hammbast. 
„Ich brieg neue Schuh“, rief das Karlchen. 
„Welche Kuh?“ fragte der andere und bog sich kKrumm 
wie eine Sichel, um besser zu hören. 
Da stellte sich der Junge auf die Fußspitzen und schrie 
dem Hammbast ins Ohr: „Neue Schuhl!“ 
„Ach so“, sagte der Lange, „das dacht ich mir doch gleich, 
denn deine alten haben grijjelichen Durst, die reißen ja 
»as Maul auf.“ Das war richtig. Der Junge konnte 
nit seinem altken Schuhwerk beinen Staat mehr machen. 
Auf allen Seiten war das Leder brüchig, und eine Sehe 
zjuckte sogar neugierig in die Welt. — 
Sebblers Adolf bam die Kappelgasse herunter. Der 
achte mit dem ganzen Gesichtchen, denn sein Dater brachte 
hm auch neue Schuhe. Als die beiden Knirpse einander 
ewahrten, riefen sie sich das große Ereignis gleichzeitig zu. 
Das gab nun ein Staunen, Erzählen und Wichtigtun, und 
eder Mensch, der sichtbar wurde, mußte die Neuigkeit hören. — 
Am Nachmittag, als die ersten Marktgänger wieder 
eimbehrten, strenzten Adolf und Karlchen weit vor dem 
Dorfe auf der Landstraße herum. Sie erwarteten ihre 
däter mit den Schuhen. Da bam der alte Bebbler um
	        
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