Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

und nur für größere Städte bestimmt. Später wurde die Sahl 
zergrößert, sodaß jeder Kanton mindestens einen Gendarmen hatte, 
n Homberg war es »lLe Blanche«. Weiter wurde eine geheime 
Polizei gebildet, bei der leider auch hessische Landsleute als Agenten 
in Dienst traten. Endlich wurde der Code Napoleon und die ge— 
amte französische Gerichtsbarbeit eingeführt. In Kassel wurde ein 
Appellationsgericht eingesetzt. Acht Kriminalgerichte in den 
einzelnen Departements wurden an den Hauptorten errichtet. In 
edem Distrikt wurde ein Tribunal erster Instanz eingerichtet. Den 
Tribunalen unterstanden in den einzeinen Kantonen die Friedens- 
gerichte. „Der Friedensrichter als Einzelpersönlichkeit war eine 
angesehene, auch meist politisch einflußreiche Persönlichkeite). Der 
Friedensrichter für den Kanton Homberg, Fenner, hatte seinen 
Sitßz in Homberg. „Als Verwalter der Gerichtsbarkeit wurden 
den Tribunals⸗ und Friedensgerichten Notare zur Seite gestellt, die 
e nach der Größe ihres Amtskreises — eines Tribunals- oder 
Frledensgerichtsbezirks — in Notare 1. und 2. Klasse zerfielen“). 
Homberg hatte einen Notar 2. Klasse, das weist der Stempel 
zines Kaufbriefes nach, auf dem es heißt: Karl Kembe Cant. 
Notar zu Homberg, Distrikt Hersfeld, Werradepartement, König- 
eich Westfalen. Die Neuerungen Napoleons hatten ihre angenehmen, 
iber auch ihre unangenehmen Seiten. Nur die fühlten sich unter dem 
Schutze des französischen Adlers wohl, die unter der Fremdherr— 
schaft zu Keichtum und Ansehen gebommen waren. Wer aber 
von der Verschwendung des Hofes beinen Nutzen zog, war fast 
durchweg ein Gegner des Franzosentums. 
Wenn auch die nun folgende nächste Seit „der tiefsten Er— 
niedrigung“ wenig danach angetan war, die wackern Hessen zu 
ermutigen, so wurde doch gerade durch sie der in ihrem Herzen 
schlummernde Groll noch vermehrt; die still erduldete Schmach zu 
rächen, wurde das Siel der Wünsche vieler Tausender“). UÜbermut 
und Sittenlosigkeit der Eindringlinge, Unfähigkeit, Bestechlichbeit 
uind Günstlingswirtschaft von Hof und Beamten, Abergriffe der 
allmãchtigen, geheimen Polizei unter Bongars, die drũckenden 
Abgaben, Kontributionsgelder oder Steuern (in den niederen 
Oolkskblassen betrugen die direkten Steuern im Jahre 1809 52/5 
Frank pro Kopf), das Bewußtsein, ohne Schwertstreich unter das 
Joch der in so vielen ruhmreichen Schlachten geschlagenen Fran⸗ 
zojen gekommen zu sein, und die besonders bei den Bauern, Forst- 
beamten und Geistlichen starke Anhänglichbeit an das alte Fürsten- 
aus bewirkten bald eine immer mehr wachsende Unzufriedenheit?). 
Dazu bam, daß die entlassenen Soldaten und Offiziere, die im 
Lande umherzogen, die schon erbitterten niederen Volbsschichten 
gegen das französische Joch aufhetzten. 
Hessen erwies sich aus drei Gründen als ganz besonders zur 
Ausfũhrung einer Vollbserhebung geeignet. Einerseits befand sich 
hier infolge der frũheren militärischen Verhältnisse eine unverhältnis⸗ 
näßig große Anzahl briegsgeübter Soldaten; sodann besaß, außer 
dem preußischen, wohl bein anderes deutsches Volk eine solche, zu 
edem Opfer fähige Liebe zu seinem angestammten Fürstenhause, 
und als drittes fand sich damals in Hessen ein Mann, der durch 
eine persönlichen Eigenschaften wie wohl bein zweiter dazu ge— 
schaffen war, seine Landsleute zum Kampfe zu führen. Das war 
der Freiherr Wilhelm von Dörnberg zu Hausen. 
Er wurde am 14. April 1768 auf Schloß Hausen bei Ober— 
aula geboren. Er wurde Fähnrich in der hessen-Lasselschen 1. Garde, 
trat später in preußische Dienste und geriet nach der Schlacht bei 
Jena in französische Gefangenschaft. Nachdem er nach kurzer Seit 
vieder freigelassen war, begab er sich nach Hessen, „um zu sehen,“ 
wie er sagt, „was dort zu tun sei“‘. Dörnberg war der Mann, der 
alle zu einer Aufgabe wie der ihm bestimmten erforderlichen Eigen- 
schaften besaß. Eine Siegfriedsgestait, dabei in allen ritterlichen 
Künsten erfahren, von raschem, sicherem, aber angenehmem Blick, 
Aug und tapfer, in der Stunde der Gefahr aber kühl und bedäch— 
tig, verband er mit einem achtunggebietenden vornehmen Wesen 
ein freundliches und leutseliges Benehmen. 
Jérôme fand an dem stattlichen mannhaften Frelherrn Ge— 
allen und ernannte ihn im Mai 1809 zum Obersten der Chasseurs 
Tarabiniers, einer aus Förstern bestehenden Elitetruppe in Mar— 
burg. „Hier fing ich nun recht ernstlich an,“ schreibt er, an meinem 
Plan zur Befreiung Deutschlands zu arbeiten. Seine Stellung 
war hier ganz besonders dazu angetan, ihn für die Ausführung 
des Planes, soweit er Hessen belraf, wirben zu lasen, indem er 
unter seinen Jägern ein Material fand, wie er es nicht besser zur 
Unterstützung der Sache wünschen Lonnte. Unter den Osfizieren 
hatte Dörnberg zahlreiche Anhänger. Besonders waren von 
der Gröben und von Bothmer in Vörnbergs Pläne eingeweiht. 
Er verschaffte sich auch Unterstützung in Kassel. Der fräühere 
urhessijsche Minister von Schmerfeld, der woestfälische General- 
5) Kleinschmidt S. 135. 6) Goccke S. 100. 7) Scipio S. 280. 8) Kürschner S. 107. 
irettor der Domänen von Witzleben, Generalinspektor der Forsten 
on Wintzingerode, der Geheime Kriegsrat Lennep, Oberst 
ẽengelhardt, Major Krupp und zohlreiche andere waren im stillen 
ür die Vorbereitung der Erhebung fätig. 
„In Anbetracht der damals unvollkommenen Verbehrsmittel 
rschien es für Dörnberg wünschenswert, mit den Gesinnungs- 
enosjen in Kassel eine unverdächtige Verbindung zu unterhalten.) 
dierzu bot Homberg eine treffliche Gelegenheit, und namentlich 
as dort befindliche adlige Fräuleinstift bildete bald den Mittel- 
unkt der Verbündeten in Hessen. Außerdem lebten in Homberg 
och einige andere Angehörige hessischer Adelsfamilien, die jämt- 
ich um Dörnbergs Pläne wußten“. 
„Neben dieser Adelsverbindung bestand eine anfangs von ihr 
õllig unabhãngige Verbindung der bũrgerlichen und ländlichen 
Zevõlberung, welche merkwũrdigerweise ihren Hauptsitz ebenfalls 
1 Homberg hatte“.0) Hier standen der Friedensrichter Martin, 
essen Dater, der Pfarrer der Stadt, und dessen Schwiegervater, 
er Apotheber Rommel, an der Spiße. Der aristobratischen Be— 
»egung galt als Siel ihres Strebens die Befreiung Deutschlands, 
ährend die bürgerliche Bewegung nur die ihres engeren Dater- 
indes im Auge hatte. Etwa gegen Anfang des Jahres 1809 
and eine Verschmelzung beider Parteien statt, sodaß nun beide 
dörnberg als ihren Führer anerkannten. 
„Während die hessischen Patrioten der Entwickelung der Er— 
ignijsse hoffnungsfreudig entgegensahen, erhielt Dörnberg uner⸗ 
»artet den Befehl, sein Bataillon mit den zum Abmarsch nach 
zpanien bestimmten Truppen zu vereinigen.) Er jelbst wurde 
iach Kassel zurückgerufen, was in ihm den Verdacht erregte, daß 
ie Sache vorraten sei. Er beschloß daher, jeßt zu handeln, und 
andte den Leutnant Bothmer nach Homberg, um die Verbündeten 
u benachrichtigen. Kaum war Bothmer fort, als Dörnberg die 
dachricht erhielt, daß zwei Divisionen französijcher Truppen von 
Nainz aus im Anmarsch sjeien. Anter diesen Umständen blieb 
hm nichts anderes übrig, als den gefaßten Entschluß wieder 
ückgängĩig zu machen. Obgleich bereits 80 Dörfer benachrichtigt 
zaren, blieb das Geheimnis bewahrt. Dörnbergs Besorgnis, der 
Nan wäre verraten, erwies sich als unbegründet. Er wurde in Kassel 
um Obersten eines Chasseurregimentes ernannt. Auch die Leute 
riner jeßigen Abteilung bonnte Dörnberg für jeine Pläne gewinnen, 
benso wie den größten Teil der Offiziere und Mannschaften des 
um Teil in Homberg „bantonierenden“ Käürassiererregimentes. 
So war die Mitte des Monats April herangebommen, und 
ie sich jetzt verbreitende Kunde von dem NAusbruch des Krieges 
wischen GEsterreich und Frankreich ließ die Seit zum Kampfe in 
hesjen geeignet erscheinen, als ein Swischenfall eintrat. Schill, 
er mit Dörnberg in Verbindung stand, wollte mit diesem zusammen 
»sschlagen. Aber durch einen Brief an Schill, den die französische 
dolizei abfing, wurde Schills Plan verraten. Schill wurde be— 
achrichtigt, er solle sofort zur Erhebung aufrufen und sich nach 
dessen durchschlagen. Dörnberg wünschte den Tag der Erhebung 
n Hessen von der Anbkunft Schills abhängig zu machen. Die 
folgezeit hat gezeigt, wie verhängnisvoll es für beide Teile 
verden sollte, daß man hiervon abging. 
Der bedächtig und klar blickende Dörnberg wurde indessen 
n einem von den hessischen Patrioten zu Kassel abgehaltenen 
driegsrate ũberstimmt und der 24. April als Tag der Erhebung 
estgesetzt. Am 19. April erfuhr jedoch Dörnberg, daß einer der 
nit im Bunde bejindlichen Offiziere am 22. April den Befehl 
er Schloßwache habe. Mit Rücksicht auf diesen für den Aus- 
jang der Sache günstig erscheinenden Umstand wurde am 21. April 
er folgende Tag. — also der 22. — als Tag der Erhebung be— 
immt. Am 22. abends sollten die Sturmglocken die Aufständischen 
ammeln, um dann nach Kassel zu marschieren, die Stadt zu er— 
bern und den König gefangen zu nehmen. 
„Mit Windeseile flog Dörnbergs Ruf zu den Waffen durch 
as Land“, und bald verbündete der Kuf der Sturmglocke in Stadt 
ind Land, daß die lang ersehnte Stunde der Erhebung gegen die 
erhaßte Fremdherrschaft geschlagen habe. Im Kreise Wolfhagen 
atte der dortige Führer des Aufstandes, der Forstassistent Berner, 
egen den Befehl Dörnbergs die Leute schon am Morgen alarmiert. 
Dieser Umstand sollte üble Folgen sür den Verlauf des Auf- 
andes haben, und es unterliegt wohl keinem Sweifel, daß Berner 
ie eigentliche Schuld des Mißlingens des Planes zugeschrieben 
perden muß.“2) Der Stallmeister von der Malsburg, der auf seinem 
ßute Elmarshausen gewesen war, begegnete bei seiner Rückbehr 
inem Trupp der Ausständijschen. Auf jeine sofortige Anzeige 
eim Könige wurde der Staatsrat zu einer Sitßzung berufen. In 
ieser Sitzung wurde auch der Name des Ortes Dörnberg genannt. 
einfolge eines Irrtums entstand nun das Gerücht, der Plan sei 
9) Scipio S. 232. 10) Scipio S. 233. 11) Scipio S. 233. 12) Goccke SG. 157.
	        
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