Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

und glänzenden Augen, appetitlich wie die erste Maiblirsche 
am Baum. Darüber war ein mächtiges Freuen im Amts— 
haus, und der Dater war ganz näcrrisch vor Glück. 
„Ich will doch mal sehen, das wievielte Kind seit meiner 
Amtszeit hier im Städtchen mein Töchterchen ist!“ sprach 
er in der Schreibstube vergnügt vor sich hin. „An drei— 
hundert, denk' ich, werd' ich schon ins Kegister eingetragen 
haben!“ Sieh, da ging seine Handschrift an, — ganz statt- 
liche Keihen waren gediehen. Der Bürgermeister zählte 
und zählte, — ei, guck' an, sein Töchterchen war das zwei— 
hundertfünfundneunzigste Kind! Schade, es hätte grad das 
dreihundertste sein müssen, das wäre ein Jubiläum gewesen! 
Und da bam wie ein Blitz ein guter Gedanke dem 
Bürgermeister in Kopf und Herz. „Die Mütter“, dachte 
er, „die sind's, die leidenn Wie wär's, wenn man der 
Mutter, die dem dreihundertsten Kind meiner Amtszeit hier 
das Leben gibt, eine Geschenk machte? Namens der Stadt, 
zersteht sichl Die Gemeinde hat ein schönes Stück Geld 
eingenommen am Holz, eine Ehrengabe von hundert Talern 
etwa bönnte sie verschmerzen. Morgen ist Sitzung, da will 
ch's doch gleich zur Sprache bringen.“ 
And so geschah es am nächsten Tag. Der Stadt- 
betordnete Schneidermeister Feind fuhr von seinem Stuhl 
lerzengerade in die Höhe, als der Bürgermeister seine Aus- 
führungen gemacht hatte. Die Fürstenköpfe an der Wand, 
weiß gepudert und rotbäckig im schwarzen Kahmen, schauten 
begierig in den Saal hinab, was es denn so besonderes gäbe. 
„Wenn ich meine Meinung hören lassen darf, ihr Herren“, 
eief Herr Feind in großer Aufregung, „so hätt' ich einen 
andern Vorschlagl Nicht weil ich der Mann bin von der 
Hebamme Feind, — nur allgemein menschlich will ich den 
Horschlag den Herren unterbreiten: Es sind dreihundert 
Mütter, die dreihundert Kinder briegen, — aber eine einzige 
Wehmutter ist's nur, die den dreihundert Kindern zum Leben 
verhilft. Tag und Nacht hat sie beine Ruhe, das Seter 
und Mordio von Groß und Klein macht ihr den Kopf toll; 
wenn's pressiert, muß sie die Supp' wieder aus dem Lößfel 
laufen lassen, falls sie grad am Essen sitzt. So meine ich 
denn, es wär' nur recht und billig, wenn wir das Protoboll 
dahin aufnehmen, daß nicht die Mutter, die das dreihundertste 
Kind bebommt, sondern die Amme, die beim dreihundertsten 
Kind, das in der Amtszeit unseres Herrn Bürgermeisters 
ier im Städtchen geboren wird, ihre Hilfe leistet, die hundert 
Taler in bar als Ehrengabe erhält“. 
O, das war eine lange, wohlgesetzte Kede gewesen, und 
Herr Schneidermeister Feind hätte erst tüchtig verschnaufen 
müssen. Aber es galt, auf seinem Standpunbt zu beharren, 
und da mußte des Mundes Kede noch lange hergeben, was 
sie konnte. Es war ein heftiges Für und Wider; es standen 
die meisten der Stadtväter auf Seiten des Oberhauptes, 
denn wer bonnte wissen, wen's grad betreffen mochtel) Doch 
der Schneidermeister focht so heftig, und schließlich wollte 
2s beiner verderben mit der Wehmutter des Städkchens. 
Man brauchte sie auf jeden Fall. ob die Sahl sich nun 
undete oder nicht. 
Es war ein großer Sieg für Herrn Feind, als ihn der 
Büurgermeister bat, nun möge er das Protoboll in seinem 
Sinn auch aufsetzen. Die Silbertaler blangen ihm schon in 
den Ohren, als er den Federbiel in das tiefe Tintenfaß stieß. 
Als er nach getaner Arbeit stolz die Stimme erhob 
und vorlas, was da schwarz auf weiß in seinem Sinne 
geschrieben stand, da gab's ein mürrisches Käuspern, und 
2s waren nur wenige seiner Freunde, die ihr „Gut gemacht!“ 
in des Schneiders Ohren riefen. Doch die weiß-roten 
Fürstengesichter an der Wand lächelten fein und verschmitzt. 
Am Abend dieses Tages war eitel Freude im Haus 
es Schneidermeisters Feind. Frau Bärwel lobte ihren 
Zämpfer mit hohen Worten und briet ihm ein großes 
Zotelett zu Abend. Auch ein Gläschen Bier durfte nicht 
ehlen, und die Pläne wuchsen höher mit jedem Schluck. 
ẽs war ein schöner Abend, so selig waren sie lang nicht 
nehr gewesen im Schneiderhaus. 
Es war nicht lang danach, so ein, zwei Monate, da 
ieß der Wirt „Sum goldenen Ochsen“ sein Baumstück auf 
dem Oberacker öffentlich meistbietend versteigern, mit zins- 
oser Stundung des Betrags bis zu Martini des Lommenden 
sahres. Herr Schneidermeister Feind horchte auf, als der 
solizeidiener mit der Schelle herumging und die Wichtigbeit 
erkündete. Ein Baumstück, ei, das wär' was Schönes. 
Mer esse Biern und trinke Biern, unn honn aach Biern 
iff't Brot ze schmiernl“ Sieh, das wär' so wasl Im 
varten standen nur die Swetschenbäume, die trugen ein 
ims andere Jahr; dieses Mal waren sie wurmig, und 
gerieten sie das nächstemal gut, dann galten sie nichts. Aber 
in Baumstück mit allen Sorten, das ließ sich eher höher. 
Da gab's Pastorenbirnen und Goldparmänen, Bohnäpfel 
zum Kochen und Kabau, die noch um Pfingsten saftig 
varen; Apfel zum Wein und Bienen zum Kraut, Apfel 
ür Kuchen, und für die Winterabende gelbe Birnen, die 
iuf der Sunge vergehen wie Butter. — alles war da. Herz. 
vas verlangst du!? 
Ganz zappelig wurde Herr Schneidermeister Feind, Nadel 
ind Schere flogen in seinen Händen. Um fünf Ahr war 
die Dersteigerung, bis dahin mußte der Kock fertig sein! 
Der Betrag für das Baumstück zinslos gestundet bis 
Wartini nächsten Jahres, — ei, bis dahin gab's aber noch 
jut fünf Kinder im Städktchenl Was würde das Bärwel 
ür Augen machen, wenn er am Abend heimbäm' und Baum— 
tũcksbesitzer wäͤr! Die Aberraschung, die Freud! 
Auch im Versteigerungssaal war hitziges Gefecht. Das 
Baumstück auf dem Oberacker war bebannt für gute Sorten, 
ncht wenige der jüngeren Bürger bannten sein Obst von 
rüheren heimlichen Streifen her. Doch das Geld war 
»echt rar im Städtchen, in dem bein einziger Fabrikschlot 
»auchte, — wer bonnte da hoch bieten? 
Mit zwanzig Talern fing der Wirt Hausmann an, aber 
chnell bletterten die Zahlen in die Höhe. Sechzig Taler 
— siebzig Taler — achtzig Talerl Sum ersten, zum zweiten 
— Halt! Neunzig Taler, neunzig Taler, — soviel, soviel, 
»i, eil Sum ersten, zum zweiten, zum dritten — — „Hundert 
Taler, hundert Talerl“ schrie Herr Schneidermeister Feind 
ind schaute sich dabei drohend um, als sollte niemand das 
Überbieten wagen. Hundert Taler! Ein schönes Stüch 
ßeldl Man hatte lang zu sparen, bis es beisammen war. 
„Hundert Taler zum ersten-, zum zweiten-, zum drittenmal!“ 
Er machte einen Freudenspeung, der Herr Feind, — das 
Baumstück war sein! 
And nach einem schnellen Stehschoppen beim Weißbech 
in der Ecke lief er heim und schnurstrabs in die Küche. 
Dort saß Frau Bärwel am Herd und hatte den Kopf in 
ie Hände gestützt. Darauf achtete der Meister aber nicht 
n sjeiner Freude und rief: „Frau, denk' dir emal an — — —“. 
Doch heftig unterbrach sie ihn: „Ja, denk die emal an, 
Mann, — seit heut weiß ich's gewiß: zum Lisbeth und 
Jojef gibt's noch eins dazu!“ 
Starr, mit offenem Mund schaute der Schneider das 
Bärwel an. Was? Konnte das möglich sein? Sapperlot, 
ver hätte an so was gedacht, — nach so langer Seit! 
Eine Angst stieg in die Kehle des Heren Feind und 
ieß die Freude über das Baumstück nicht mehr über die 
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