Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

—E 
„eimat · Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
————— 
Der gefoppte Schneidersmann õ Von Maria Mathi. 
Heut ist auf einmal ein großes Jammern im bkleinen 
Haus des Schneidermeisters Feind. Sonst klingt das lustige 
Klipp⸗ Klapp der Schere heraus, oder es poltert das BSügel- 
eisjen, wenn es eine widerspenstige Naht zu glätten gilt; 
manchmal hört man auch das helle Klingen eines Silber- 
kalers, aber nicht zu oft, — und dann ist es meistens noch Frau 
Sãrwoel Feind, die einzige, getreue Wehmutter des Städtchens, 
die das versteckte Kästchen aufschließt, um etwas hineinzu- 
tun. Denn fast kLommen die Kinder zahlreicher an im 
Städtchen, als neue Feiertagsbleider gebraucht werden, — 
und der Schneider gibt's noch mehr, die zum RVockprobieren 
ein lustiges Stücklein wijssen. 
Aber heute wollt' ich beinem geraten haben, grad beim 
Schneider Feind das Maß nehmen zu lassen zum Hochzeits- 
jrack, — er würde heut die Elle handhaben wie einen Säbel, 
und jede Stecknadel wüchse in seiner Wut zum Dolch, da 
mit er zustäche, als wolle er alle Tücke der Welt auf ein. 
mal wegschaffen und zum Plunder in die Lumpenkbiste werfen. 
Horch, das Stöhnen und Brummen und Rumoren geht 
wieder anl Ich weiß, was los ist, — es ist etwas All⸗ 
tägliches, — und zu allerletzt hätten sich der Schneider Feind 
und seine Frau Bärwel darüber vertan, wenn das All- 
tãgliche nicht durch die Amstände zum riesengroßen Ding 
geworden wäre, das mit seinem Schatten nun das ganze 
Häuschen füllt! 
Frau Bärwoel liegt in Wehen; sie ist so schwach wie 
dürre Keiser, beinen Finger kann sie rühren, und die Andere, 
die Hergelaufene, muß ihr Kind ins Leben leiten. O, über 
die Dummheit des Mannsvolks! Der ihre gar, der hatte 
ihr nicht nur die Suppe eingebrockt, sondern sie ihr auch 
gründlich versalzen! Und das martert jetzt ihr Herz, während 
as Weh mit scharfem Eisen durch ihren Leib fährt. „Klingling“ 
nacht das Schellchen an der Hauskür, und mit einem fürchter⸗ 
ichen Fluch fährt der Schneidermeister aus der Kanapee- 
Ecke auf, in die er verstört und verzweifelt hineingefallen 
par. Ahal jetzt bommt die mit dem lachenden Gosicht, ein 
Spott und Hohn auf seine so klüglich ausgetüftelte Sache. 
„Schneider, laßt's euch nicht verdrießen!“ ruft die „Her⸗ 
gelaufene“ mit frohem Lachen. „Das Kind, das ich euch 
hole, wird euch sicher nicht nur das Baumstück wieder auf- 
»ringen, sondern auch goldene Apfel drauf wachsen lassen!“ 
„Himmelsackerment!“ schreit der Schneider, „auch das 
veiß mer schonl O, was bin ich für ein Esjel, ein Kamel bin 
ch, ein Kindvieh und alles, was in Stall und Pferch geht!“ 
„Ja, ja, 's ist gutl“*“ sagt die Hebamme aus dem Mäckes- 
dorf und geht an die Waschschüsjel, um mit Bürste und Seijfe 
ie Hände zu bearbeiten! „jetzt aber bitt' ich euch, Herr 
Feind, geht ein Weilchen in den Garten! Hier wird's bald 
inen kleinen Krischer geben, da brauchen wir den großen nicht.“ 
O, er geht ja schon, der Herr Feind! Am liebsten liefe 
er ans End' der Welt, die Wut ölt seine dünnen Beine. 
Den Einfaßblümchen wird's angst und bang, auch Schneider 
rönnen trampeln wie die Elefanten, wenn sie einen Sorn 
m Leibe haben! Er schnaubt und brummt, die Finken in 
der Hecke werden ganz still und ducken sich. Er stößt Worte 
uus wie Trompetenköne, und seine Arme streichen die Geige. 
Kommt, wir schleichen uns hinter ihm her und horchen auf 
die seltsame Musik, — vielleicht kLönnen wir abends in der 
Dämmerstunde ein Liedlein singen, darüber gar die beittlige 
Ahne lachen wirdl — — — 
Dem Bürgermeister war ein spätes Töchterchen geboren 
worden, eĩin gesundes, hübsches Kind mit roten Bäckchen 
67
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.