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„eimat · Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
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Der gefoppte Schneidersmann õ Von Maria Mathi.
Heut ist auf einmal ein großes Jammern im bkleinen
Haus des Schneidermeisters Feind. Sonst klingt das lustige
Klipp⸗ Klapp der Schere heraus, oder es poltert das BSügel-
eisjen, wenn es eine widerspenstige Naht zu glätten gilt;
manchmal hört man auch das helle Klingen eines Silber-
kalers, aber nicht zu oft, — und dann ist es meistens noch Frau
Sãrwoel Feind, die einzige, getreue Wehmutter des Städtchens,
die das versteckte Kästchen aufschließt, um etwas hineinzu-
tun. Denn fast kLommen die Kinder zahlreicher an im
Städtchen, als neue Feiertagsbleider gebraucht werden, —
und der Schneider gibt's noch mehr, die zum RVockprobieren
ein lustiges Stücklein wijssen.
Aber heute wollt' ich beinem geraten haben, grad beim
Schneider Feind das Maß nehmen zu lassen zum Hochzeits-
jrack, — er würde heut die Elle handhaben wie einen Säbel,
und jede Stecknadel wüchse in seiner Wut zum Dolch, da
mit er zustäche, als wolle er alle Tücke der Welt auf ein.
mal wegschaffen und zum Plunder in die Lumpenkbiste werfen.
Horch, das Stöhnen und Brummen und Rumoren geht
wieder anl Ich weiß, was los ist, — es ist etwas All⸗
tägliches, — und zu allerletzt hätten sich der Schneider Feind
und seine Frau Bärwel darüber vertan, wenn das All-
tãgliche nicht durch die Amstände zum riesengroßen Ding
geworden wäre, das mit seinem Schatten nun das ganze
Häuschen füllt!
Frau Bärwoel liegt in Wehen; sie ist so schwach wie
dürre Keiser, beinen Finger kann sie rühren, und die Andere,
die Hergelaufene, muß ihr Kind ins Leben leiten. O, über
die Dummheit des Mannsvolks! Der ihre gar, der hatte
ihr nicht nur die Suppe eingebrockt, sondern sie ihr auch
gründlich versalzen! Und das martert jetzt ihr Herz, während
as Weh mit scharfem Eisen durch ihren Leib fährt. „Klingling“
nacht das Schellchen an der Hauskür, und mit einem fürchter⸗
ichen Fluch fährt der Schneidermeister aus der Kanapee-
Ecke auf, in die er verstört und verzweifelt hineingefallen
par. Ahal jetzt bommt die mit dem lachenden Gosicht, ein
Spott und Hohn auf seine so klüglich ausgetüftelte Sache.
„Schneider, laßt's euch nicht verdrießen!“ ruft die „Her⸗
gelaufene“ mit frohem Lachen. „Das Kind, das ich euch
hole, wird euch sicher nicht nur das Baumstück wieder auf-
»ringen, sondern auch goldene Apfel drauf wachsen lassen!“
„Himmelsackerment!“ schreit der Schneider, „auch das
veiß mer schonl O, was bin ich für ein Esjel, ein Kamel bin
ch, ein Kindvieh und alles, was in Stall und Pferch geht!“
„Ja, ja, 's ist gutl“*“ sagt die Hebamme aus dem Mäckes-
dorf und geht an die Waschschüsjel, um mit Bürste und Seijfe
ie Hände zu bearbeiten! „jetzt aber bitt' ich euch, Herr
Feind, geht ein Weilchen in den Garten! Hier wird's bald
inen kleinen Krischer geben, da brauchen wir den großen nicht.“
O, er geht ja schon, der Herr Feind! Am liebsten liefe
er ans End' der Welt, die Wut ölt seine dünnen Beine.
Den Einfaßblümchen wird's angst und bang, auch Schneider
rönnen trampeln wie die Elefanten, wenn sie einen Sorn
m Leibe haben! Er schnaubt und brummt, die Finken in
der Hecke werden ganz still und ducken sich. Er stößt Worte
uus wie Trompetenköne, und seine Arme streichen die Geige.
Kommt, wir schleichen uns hinter ihm her und horchen auf
die seltsame Musik, — vielleicht kLönnen wir abends in der
Dämmerstunde ein Liedlein singen, darüber gar die beittlige
Ahne lachen wirdl — — —
Dem Bürgermeister war ein spätes Töchterchen geboren
worden, eĩin gesundes, hübsches Kind mit roten Bäckchen
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