Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

gibt es hier bis in den Frühling hinein, und oft bleibt er monate⸗ 
sang liegen. Dann ist der Berg wie ausgestorben, und nur der 
Brieftrãäãger aus Bischofsheim ist dann täglicher Gast. Unentwegte 
Wintersportler aus Fulda, Kissingen, Erfurt, Würzburg und weiter 
her finden sich dann wohl auch am Wochenende ein, und dann ent⸗ 
wickelt sich ein kböstliches Plaudern in den Abendstunden am 
wärmenden Kamin. An Sommertagen aber, wenn die Wall— 
fahrten von nah und fern, vor allem aber aus dem sonnigen 
Frankenlande heraufpilgern, geht es nicht so gemũtlich zu. Dann 
haben die gastlichen Brüder alle Hände voll zu tun; dann sind 
Tausende zu bewirten und für viele die Betten zu richten. 
Am andern Morgen woeckte uns schon frũh das Glöcklein aus 
dem Schlummer, und wenn es auch nur ein Strohsack war, auf 
dem wir ruhten, so waren wir doch erquickt. Noch einmal ward 
uns nach erhebendem Gottesdienste liebevolle Bewirtung zuteil, 
ind dann schieden wir mit herzlichen Haãndedrũcken und dem gegen⸗ 
eitigen aufrichtigen Wunsche eines baldigen Wiedersehens auf der 
eiligen Hohe des fränkischen Kreuzberges. 
Sommer. 
Von Gottfried Buschmann. 
Die Gräser flüstern in der Sommerhelle; 
EFinsame Wege ihre Lieder hüten; 
Es singt dem hohen, lichten Tag die Ouelle, 
Wie wundersam zur Nacht die Sterne glühten 
Don fern schwingt dunbel eine Herdenschelle; 
Drein summt der Bienen silberhelles Tüten. 
Im Liebesrausch kanzt selig die Libelle, 
Und wie in Andacht nicken alle Blüten. 
Dom Pulsschlag der Heimat. 
Jugenderinnerungen eines 
„Knüllhasen“. 
ubohren, natũrlich unbemerkt in der Nebenstube. Dort hatte er 
iun den Schießprügel so auf dem Tisch liegen und nahm die 
Operation vor — ich schaute vorn von der Seite genau zu; denn 
o ein richtiger Junge muß doch alles sehen — da, ein Feuer! 
- ein Krach und — der alte Schuß fährt an meiner Nase vorbei 
iretbt in das gegenüberstehende Bett, das arg gelitten hatte, 
vãhrend ich, vom Pulberdampf schwarz im Gesicht wie ein bleiner 
steger, rũcklings auf dem Boden liege. Die Fortsetzung brauche 
ch nicht weiter zu erzählen, und daß mein Dater und meine Mutter 
en Bruder nicht sonderlich ob dieses Leichtsinnes gelobt haben, 
uuch nicht. Aber die Hauptsache war die: Auf Kaisers Geburts- 
ag donnerte am Abend eine Büchse mehr über das Heimatdorf. 
zin oder zwei Jahre darauf flog beim Ausbohren eines solchen 
zchusjes einem alten Schreiner in der Dorfschmiede einen Tag 
or Kaijers Geburtstag die rechte Hand in die Luft, und er war 
in Krüppel. Die Furcht vor solch alten 1818er Gewehren war 
adurch immer größer geworden. Was sollte nun aber aus dem 
hten in unjserm Holzstalle werden? Ausbohren? Nimmermehr! 
Ind Kaisers Geburtstag kam wieder näher. Mein bester Freund, 
esen Vater als Aufseher in einem Steinbruch angestellt war und 
ie Aufsicht ũber die Sprengstoffe hatte, und ich berieten nun, 
pas zu tun sei, um doch mit aller Gewalt etwas zur Verschönerung 
es Tages mitzutun, wenn der Fackelzug der Schulkinder beendet 
zin würde. Halt, wir hatten die Sache raus! Er begab sich an 
en Ort jeiner väterlichen Tätigkeit und brachte alle Taschen voll 
Dynamit und ein gehörig langes Stück Sündschnur mit. 
Am Nachmittage steckte er dann ganz heimlich im Holzstall dem 
lten Befreiungsrohr, das nicht mit an den Rhein gewollt hatte, 
as Maul voll Dynamit. verstopfte es wie ein richtiger Stein⸗ 
rucharbeiter es getan hätte, und die Kanone war fertig. In 
unkler Nacht schlichen wir auf eine Wiese unter dem Dorfe, wo 
in großer Stoß alter Erdstöcke lag und schoben das Teufelsrohr 
arunter, zündeien bei größtem Herzklopfen die Sündschnur an und 
efen in größter Eile davon. Kaum waren wir vor unserm Hause 
ingebommen, als ein Donnerschlag erfolgte, wie man ihn in dem 
dorflein noch nie gehört hatte. Die alte „Annebott“, die gerade 
ie letzten „Schnepper“ vom Kachelofen abgenommen, fiel vor 
schreck in den Lehnstuhl und glaubte, ein Stern sei vom Himmel 
efallen. Alles kam vors Dorf gelaufen, um zu jehen, was ge— 
hehen war; aber es war nichts zu sehen, alles dunkbel und still. 
Am anderen Tag besichtigten wir zwei 10jährigen Patrioten den 
katort, wo wir nichts mehr fanden, als zerstreut auscinander- 
iegende Baumwurzeln, sonst nichts mehr. So hatte das letzte 
Befreiungsrohr, das nicht mehr bis an den Rhein und nach 
need hinein hatte mitgehen wollen, sein ruhmvolles Ende 
jefunden. 
VOon Caerl Lijius. 
Befährliche, alte Erinnerungsgegenstände an 1818. 
In meinem Heimatdorfe, einem cechten Knüllhasenneste, 
lagen noch Andenben an 18183, als ich so ein Schulbub war, der 
die Augen in allen Ecken hat und da sucht, wo Erwachsene gar 
nichts jsuchen oder juchen Lönnen, mags nun ein Hühnernest im 
Stroh in den „Kehlhölzern“, dem obersten Stock in der Scheune, 
oder im alten Holzstall unter alten Erdstöcken, die noch von der 
altesten Seit stammien, sein. Da haͤtte ich einmal Glück auf einer 
olchen Forscherreise, es fiel mir ein leibhaftiges Feuerrohr oder 
gar zwel in die Finger mit altem Feuerschloß und — festsitzenden 
Schũsjsen. Darum waren sie wahrscheinlich — in der Seit der 
Befreiungsbriege von einquartierten Soldaten weggeworfen oder 
gar versteckt worden von solchen, die heimlich sich aus der Truppe 
entfernt und die Heimat aufgesucht hatten. Das waren Kosaben 
gewesen. die im Heimatdoerf in Ouartier gelegen. Einer davon 
hatte sich Bauernkleidung verschafft, das Pferd verbauft und dann 
zu Fuß die Heimreise ins Kosabenland angetreten. — Meinem 
Großvater hatte ein solcher „Bundesgenosse“ die zerbrochene, 
hölzerne Lanze vor die Füße geworfen mit dem Suruf: „Wird 
zemachtl“ Der Großvbater denkt: „Wird gemacht!“ hat aber 
nicht verstanden, daß er sie machen soll. Als der Kosak nach 
einigen Stunden aus dem Dorf bommt und die zerbrochene Lanze 
noch so wie vorher vorfindet, nimmt er sie und schlägt damit ganz 
erbärmlich auf meines Großbaters Rücken: „Wird gemacht! 
Wird gemacht!“ Und dann haͤt er sie jselbst gemacht. Die Weibs- 
leute hatten vor diesen Genossen gröpke Angst, und wenn sie auf 
dem Felde beschäftigt waren, schauten sie ständig nach dem Wald- 
rand, ob nicht die wũsten Gesellen wieder angesprengt kämen. 
Die waren in der VDerköstigung schwer zufrieden zu stellen, wollten 
rein Schmalz essen und schmierten dasselbe an die Stiefel statt 
aufs Brot und wollten nichts als Wurst und Fleisch. Eine Kuh 
und ein Schwein haben sie bei uns allein aufgezehrt. Bei dem 
großen französijschen Kückzug war auch eine Abteilung mit der 
Kriegobasse über den Knüll durch wirren Wald geflohen, die dann 
in der Nähe von Leuderode überfallen und niedergemacht wurde. 
Für das Geld soll das Dorf Oberhülsa den sogenannten Silber- 
herg, eine gute Waldung, gekauft haben, und um 1000 schrieb mir 
ein alter Schuhmacher aus dem Dorfe Steindorf, daß ihm sein 
Oater erzählt habe, er habe noch gesehen, wie Mädchen aus 
Steindorf die goldenen Tressen von den französischen Soldaten als 
Schmuck auf den Schuhen getragen haben. An dem Ort des 
Überfalles ist seinerzeit ein hölzernes Kreuz errichtet worden. 
Das bezeichnet noch jetzt „das Franzosengrab“, an dem ein ängst⸗ 
licher Knüllhase am Tage nicht gern vorübergeht, geschweige 
denn in der Nacht. Also ich habe zwei leibhaftige 1818er Gewehre 
in der Hand, von denen uns der Lehrer in der Schule schon so 
piel erzählt hatte; nur schade, daß sie nicht knallten. Dann hätten 
wir mal jelbst die Marder, die in unsjerer Scheune hausten und 
welche die Förster bei ihren dörflichen, winterlichen Scheunen⸗ 
Treibjagden erlegten, selbst schießen können. Aber die alten 
Schũsse, die darin steckten!! 
Es war Winter, der Tag von Kaisers Geburtstag bam immer 
näher und näher, und da mußte geschossen werden, wie das so alte 
Siite war. Wer nicht schießen bonnte, der knallte mit der Peitsche. 
Aber Kaiser und Schießen gehörten zujammen, dachte mein Bruder, 
und machte sich am Tage vorher daran, den alten Schuß heraus— 
Ein Beitrag 
zur hessischen Sagensammlung. 
Von Adolf Häger. 
In einer Nummer der Heimat⸗Schollen zu Anfang dieses Jahres 
»urde darauf hingewiesen, daß Herr Dr. Saunert, Kassel, dabei 
oãre, alles, was an wertvollem Sagengut unserer Heimat noch 
orhanden wäre, zu sammeln. Ausführliche Hinweise darüber, was 
u sjammein ist, wurden damals angeführt. Wer vom Lande 
tammt, wird gewiß etwas besonderes hier beisteuern Lönnen, wenn 
x in Großmuiters Geschichtenschatz nur einmal nachkramt. Woer 
iber etwa als Lehrer auf dem Dorfe wirkt, hat es ebenso leicht 
n der Hand, eine Fülle von diesem alten Dolkbsgut einzuheimsen. 
fr braucht nur einmal als Aufsaßthema zu stellen: „Spukgeschichten“
	        
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