drehte sich nach ihr um, nahm die Mütze vom Kopf und
sagte: „Es blöpt schon wieder.“
Mit gefalteten Händen standen beide da. Wem es
galt, wußten sie nicht — aber ein Kind war weniger
im Dorf. 5— J
„Wir hätten die Kinder nicht gehen lassen sollen,“
sagte die Frau.
Wiesendaniel stülpte die Mütze auf den Kopf: „Warum
nicht?“
„In Steinackers liegt ein totes und ein Lrankes Kind. —
Sag, Daniel, heißt das nicht Gott versuchen?“
Er starrte seine Frau an: „Gott versuchen —“ murmelte
er, und dann sagte er laut: „Nein, Gott vertrauen heißt
das! Die Kinder sind in Gottes Handl!“
„Aber Daniel, war es denn so unbedingt nötig, daß
sie in Steinackers gingen?“
„Marilies,“ sagte Wiesendaniel „sie sind früher dorthin
gegangen, weshalb sollen sie heute nicht hingehen?“
Marilies schwieg. Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl,
wurde aber die Sorge nicht los. Und als die Kinder
lange ausblieben, machte sie sich Vorwürfe. Sie hätte sie
doch nicht gehen lassen sollen, und wenn auch ihr Mann es
wollte, denn es war so — Gott versucht ——
Heiter, wie sie gegangen waren, kamen die Kinder
wieder und erzählten von vielen Blumen und Kränzen, die
Steinackers Mariechen bekommen habe. Der kbleine, zwei⸗
einhalbjährige Gustav wollte sich gar nicht beruhigen, Blumen
und Kränze wollte er wie Steinackers Mariechen.
Marilies war blaß geworden und fuhr mit der Schürze
nach den Augen. Wiesendaniel rief seinen Gustav zu sich
ind steich zärtlich besorgt über dessen helles Lockenhaar.
Slumen und Kränze, verlangte der Kleine in kindlichem
Hestammel.
„Blumen und Kränze —“ wiederholte Wiesendaniel
tief ernst, „aber Gustav, Steinackers Mariechen ist doch
gestorben —.“
Da wollte der Kleine auch sterben — mit weinerlicher
Stimme brachte er es heraus. Wiesendaniel holte tief
Atem. Er sah, wie seine Frau wieder mit der Hand nach
den Augen tastete, und es bam etwas Grolliges über ihn.
„Marilies!“ sagte er streng, zurechtweisend, um dann
aber gleich wieder mit seinen Kindern zu plaudern, suchte
er sie doch auf andere Gedanken zu bringen, doch es gelang
ihm nicht, sie von dem abzubringen, was sie gesehen hatten.
AUnd als Gustav immer wieder Blumen und Kränze ver—
langte — sterben wollte — brachen Marilies die hellen
Tränen aus den NAugen.
„Gottvertrauen,“ sagte Wiesendaniel, aber nicht mehr
jo streng, ihm war selber weh zu Mute, doch er wollte es
sich nicht anmerken lassen. —
Ein trüber Wintermorgen folgte diesem Tag. Wie mit
nassen, balten Tüchern blatschte der Wind gegen die Fenster.
Bei Wiesendaniels war die Haustüre schon frühe auf, aber
es bam niemand in den Hof, auch von den Kindern ließ
sich keins sehen.
Mit mißtrauischen Augen guckte der Nachbar Stoffel
durch die Fensterscheiben, und als sich so nach neun Ahr
Marilies auf der Haustreppe zeigte, riß er das Fenster
schnell auf.
„Was ist denn bei euch los?“
„Die Kinder!“ rief Marilies zurück, und ohne sich weiter
mit ihm einzulassen, eilte sie ins Haus.
Mit einem lauten Krachen flog Stoffels Fenster zu. Nun
hatte er es ja, der da drüben, der in seinem Aberglauben
nicht an Ansteckung hatte glauben wollen. Nun war es
auch im Hinterdorf, und bein andrer als der Wiesendaniel
war schuld.
In dem großen, breiten Familienbett lagen Wiesendaniels
Kinder, alle drei nebeneinander.
„Gottes Schickung,“ sagte Wiesendaniel und nahm das
Starbsbuch vom Eckbrettchen. Als Marilies zu ihm trat
und fragte, ob er nicht einmal zum Dobtor gehen wolle,
h»egehrte er auf: „Was soll der Dobtor? — Hier der muß
helfen — Gott!“
Den ganzen Tag saß er hinter seinem Gebekbuch, kat
zaum das NMtigste in Haus und Hof, und am Mbend saß
ꝛxr noch. Er hatte fast das ganze Buch durchgelesjen, wählte
mmer die schönsten und kräftigsten Gebete, und sah oft nach
dem Bett, als warte er auf etwas. Wenn er aber die
raurigen Augen seiner Frau sah und das Klagen der
Kinder hörte, las er schnell das Gebet noch einmal, oder
»r suchte nach einem anderen, von dem er bessere Hilfe erhoffte.
AUnd wieder ging Marilies auf ihn zu — es störte ihn
aum. Einen Augenblick stand sie vor ihm, sah, wie er
zifrig betend die Lippen bewegte, dann sagte sie: „Du
olltest zum Doktor gehen, Daniel, denn wenn man eine
Arznei hätte, Lönnte man den Kindern doch etwas Linde—
ꝛung verschaffen“
Er sah kaum auf von seinem Buch, ein unwilliges Knurren
zam über seine Lippen: „Arznei —? Gott ist die beste
Arznei — und gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen.“
„Du, du! — Wie kannst du nur so gleichgültig zusehen,
venn deine Kinder so leiden?!“ Mit glasharten Augen
olickte sie ihn an und schrie: „Gott hast du versuchtl!! —
Und nun willst du ihn zum zweiten Mal versuchen, willst
nicht zum Doktor gehenl — Wer hat denn aber dem Dobktor
das Wissen und die Mittel gegeben? — Doch nur Gott! —
Und Gott will, daß wir uns ihrer bedienen sollen! Doch
venn wir uns ihrer nicht bedienen, dann heißt das: Gott
berjuchen!“
Wiesendaniel war nahe daran, wieder aufzulodern —
Hott versuchen! — Er warf einen scheuen Blick nach dem
»reiten Bett in der Hinterstube — dort stand seine Frau
chon wieder, die noch eben die fürchterliche Anklage gegen
hn erhoben hatte. Schnell wandte er die Augen wieder
1b und starrte auf sein Buch — beten, beten wollte er. —
Er brachte aber die Augen nicht von einer Stelle fort, sah
die großen fettgedruckten Buchstaben an. bis ihm die Augen
veh taten — Gott versuchen! —
Es klang ihm in den Ohren, stand es nicht auch da
in dem Buch — und was war es, daß er die Augen nicht
»on der Stelle brachte? — Größer und mächtiger wurden
die Buchstaben vor ihm, wuchsen zu großen Gebilden, be—
famen grüne, rote und blaue Känder, fingen an in allen
Farben zu schillern. — And dann war es, als ob plötlich
Bewegung unter sie KLomme, — einer sprang auf, und da
ioch einer, drei, vier, eine ganze Menge. Wie übermütige
Tobolde tanzten sie über das vergilbte Papier und fielen
zann zappelnd darauf nieder. Als ob sie bämpfen wollten,
eder um seinen richtigen Platz, hob nun ein Rutschen und
S—chieben an, bald hierhin, bald dorthin, bis sie so groß
ind schwer geworden waren, daß sie sich nicht mehr rühren
sonnten. Und dann lagen sie steif und still und schrien den
Viesendaniel an:
„Du sollst Gott nicht verjuchen!“
Er machte eine rasche Handbewegung, schlug ein Blatt
im, und als er da einen Augenblick hinsah, flogen ihm die
zgleichen Worte entgegen. Aufgeregt blätterte er weiter,
durchs ganze Buch, aber es war, als ob die Worte ihn
erfolgten. überall flogen sie ihm entgegen:
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