Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Lieber Hunger leiden als aufstehn. 
Den Schäfern wird seit den ältesten Seiten nachgesagt, daß 
sie e 5 jeien. egh ge 3 Fage⸗ e Seher 8 
ein Heubaum auf einem Orlesch, während die afe sich au 
ruhen, da sie jatt sind. An den Weideplat stoößt ein Acker, auf Kindermund. 
dem der Schafhalter Hinnerch Kurz mit seinem Gespann beschäftigt Mutti“, jpricht blein Anni, „kaufe mir bitte eine große Puppe, 
ist. Auf einmal weint mein Schäfer fürchterlich, und der Hinnerch vie sie in Kassel in den Schaufenstern stehn!“ Die größere Schwejter: 
ruft: „Wos fehlt der dann, ormer Necklowes?“ „Ech honn jo Aber Anni, das sind doch Wachs puppen zum Ausstellen!“ Klein 
Honger!“ ist die Antwort. „Dann geh doch on mengen Schnapp- Anni ganz begeistert: „So eine Puppe, die jeden Tag wächst, 
sack oön lang der Brot ön Worscht!“ xuft ihm der Kurz zu. Da wöchte ich gerne haben!“ O. 
— 
Auf der Heimatwarte. 
mtgegnet ihm der im Grase liegende Schäfer: „Ech honn jo en 
nengem Ranzen do henger mär öch Brot ön Worscht; äwwer 
ann ech dos honn well, muß ech mech remdrehn!“ C.Lieje. 
Carl Bantzer. 
Zum 70. Geburtstag des Känstlers am 6. August. 
Der Geist eines Volkes findet in dem geschichtlichen Verhalten 
der Massen des letzteren großen Ereignissen und Schicksalen gegen- 
ũber, und nicht in militärischen, wirtschaftlichen, politischen Leistungen 
den entscheidenden Ausdruck. Am deutlichsten verlautbart er sich 
bielmehr in den Einzelnen, die aus dem von ihrem Volb besiedelten 
Boden hervor und über ihn hinausgewachsen sind, um aller Welt 
zu künden von dem Wesen, das sie, unbegreiflich zwar, doch ũber⸗ 
mächtig erfüllt. Der Geist des hessischen Volbsstammes ist, 
wie diejer selbst im täglichen Leben, zurückhaltend, barg in seiner 
Außerung, beusch in seinem Empfinden. Infolgedessen entspricht 
es seiner Art, daß er nicht allzuviel Einzelne hervorgebracht hat, 
die von ihm in wesentlicher Weise Kunde geben. Die es aber 
tun, sind Leute, auf die er stolz sein kann. Einer von denjenigen 
aber, auf welche dies im vollsten Sinne des Wortes zutrifft, ist Carl 
Banßzer, der in diesem Monat das siebzigste Lebensjahr vollendet. 
Schon vor ihm hat das Hessenland bedeutende Vertreter der 
bildenden Kunst hervorgebracht. Es braucht nur an die Familie 
Tischbein, an Ludwig Knaus, an Böttner, Bromeis erinnert zu 
werden. Aber wenn er diese und alle anderen in etwas über⸗ 
trifft, dann geschieht es in der unerhörten Stärke, mit welcher er 
hessisches Wesen zum Ausdruck bringt. Und diese Feststellung ist 
um so ehrenvoller für ihn, als er dabei nicht in einer Be— 
schränkung der darstellerischen Motive und ihrer Behandlung 
perharrt, sondern in einer Weise verfährt, die ihm lebhafte An— 
2ebennung auch von seiten des auf eine einseitige deutsche Heimat- 
dunjt naturgemaß nicht eingestellten Auslandes, insbesondere des 
romanischen, eingetragen hat. Was dieses an ihm ichätzt. ist die 
Farbigkeit auf 
und die Be— 
vegung in 
seinen Bildern, 
Werte rein 
bũnstlerischer 
Art, die in sei⸗ 
nem Schaffen 
mithin stark ge⸗ 
nug sind, um 
auch dem Frem⸗ 
den verstaͤndlich 
und reizvoll 
erscheinen zu 
können. Ein 
Franzose hat 
ihn sogar ein- 
mal als den Ke⸗ 
prãjentanten 
deutscher Kunst 
ũberhaupt be⸗ 
zeichnet. 
Das besagt 
piel. Es be— 
agt, daß Ban⸗ 
zers Kũnstler⸗ 
tum etwas ist, 
das zu allen 
Menschen 
pricht, das als 
allgemein 
menschlich be⸗ 
trachtet werden 
Lann. Was und 
wie er es schildert, das hat demnach nichts eng Begrenztes, 
aur in einem bestimmten nationalen Leéebensbezirk Verständ- 
liches. sondern etwas, das der Welt. der Menschheit angehört 
ind nur ganz großen Künstlern eigen ist. Troßdem gibt er, wie 
ejagt, in wesentlicher Weise von seiner Heimat Kunde, trotzdem ist 
ein Schaffen so hessisch, wie es das eines Malers nur sein bann. Frei- 
ich: echt hessijch jsein, das heißt, im besten Sinne deutsch sein, und 
eutsch sein, das heißt auch heute noch, für die Menschheit leben. 
Was ijst es nun, das Banßer, der in Siegenhain als Sohn 
ines Marburgers geboren, seinen hessischen Landsleuten, den 
Zewohnern seiner Heimat, bietet? Es bann nicht besteitten werden, 
aß dies, wie stark es auch immer empfunden werden mag, in 
Vorten schwer auszudrũcken ist — denn es ist was Innerliches, eias, 
on dem beiner viel Worte zu machen pflegt, weil es jedem zu 
em Schonsten, Feierlichsten gehört, das er bennt. Es ist etwas 
zeelijsches. Gewiß: all' die Bilder, auf denen der Hesse jein 
'and und jeine Leute gejpiegelt sieht, freuen ihn von Herzen. Es 
edeutet ihm eine redliche und berechtigte Erquickung, zu sehen, 
die ein großer Künstler das Leben im Lande zu Hessen benn— 
eichnend auf die Leinwand bringt. Es tut ihm wohl, dle impo— 
inten Bauerngesichter aus der Schwalm, Gesichter von Männern 
ind Frauen, die an Sucht und Arbeit, aber auch an Erjfolg ihrer 
Villenskraft wie ans Ertragen schwerer Schickjale gewöhnt find, 
o bedeutungsvoll abgemalt zu sehen. Es freut ihn, eigene Ein— 
rũcke vom Leben dieser Menschen, Alltag und Festtag, Arbeit 
ind Ruhe, Kirchgang und Kirmes abgebildet zu sehen in einer 
Veisje, die den Künstler zu einer Weltberühmtheit gemacht und 
ziner Heimat zum Ruhme gereicht hat. Aber es ist mehr als 
ieses Gegenstãndliche, was ihn zu diesen Bildern zieht, ebenso, 
bie es mehr ist als das eminent Künstlerische, was diese Schöp⸗ 
ungen so sehr aus der ganzen känstlerischen Entwicklung dieser 
seit hervorhebt. — Es ist, wie gesagt, schwer zu sagen, denn es 
iegt weder im Stoff noch in der Form, liegt in gae nichis Außerlichem. 
Ein Fremder 
ann es auch 
niicht empfin⸗ 
en, es ist eine 
Zache, ein 
Sefühlsmo— 
nent, das nur 
die Landsleute 
des Känstlers 
nit jeinem 
Schaffen ver⸗ 
indet, und 
auch dann, 
venn der Ge⸗ 
genstand nicht 
ausgesprochen 
yessijch ist. Was 
e»es also? 
was See⸗ 
isches, wurde 
chon gesagt, 
rin Gefühls 
noment. Wie 
ann dieses nun 
nWerken aus⸗ 
zedrückt wer⸗ 
en? Eines ist 
edenfalls blar: 
venn ein schaf⸗ 
ender Mensch, 
so wie Bantzer, 
mit allen Fasern 
jeines Wesens 
in der Heimat 
erwurzelt ist, dann gehört diese Verwurzelung zu den entscheidenden 
ẽ lementen seines Daseins und muß sich, bewußt oder nicht, in jseinem 
5chaffen auswirken. In seinen Bildern. ob sie nun hesische Bauerndae⸗
	        
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