Heimat · Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
* 15/ 1927
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 RM. im Vierteljahr. Frũhere
Jahrgänge können, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-VDerlag nachbezogen werden
I. Jahrgang
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Das Grab der Witfrau s Von Heinrich Kuppel.
„Jaja, wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu,“ warf
der Lehrer ins Gespräch, legte den Tabtstock weg und
wandte sich zum Gehen.
„Wer's Glück hat, dem balbet der Ossel So heißt das
bei uns Buren. Das müssen Sie doch wissen, Herr Lehrer!“
eief der Weftlaufer-Just dazwischen.
Und die Bauern, die in den engen Schulbänkben oder,
weil sie da die Knochen nicht recht unterbringen bonnten,
oben drauf hockten, hoben die bantigen Köpfe mit den
»artlojen Gesichtern und lachten bräftig. Dabei ging mancher
Slick voll leisen Neides zum Hausccker-Hein, der vor zwei
Tagen auf dem Pferdemarbkt der Kreisstadt den dritten
Preis, einen braunen Einspänner mit Geschirr und Wagen,
gewonnen hatte.
„Hein, darauf kannst du einen ausgeben!“ schlug ein
Bursche vor.
„Kann ich“, gab der junge Bauer zu. „Sonnabend,
vwenn die Singstund' vorbei ist, laß ich ein Faß Freibier
auflegen.“
Aber nach der nächsten Singstunde tranben sie bein
Freibier. Wohl bamen sie zusammen, aber mit tiefernsten
Mienen. Denn der Hausccker-Hein lag auf dem Stroh.
Wie im Hui war er von seiner schönen Frau und von
seinem zweijährigen Jungen weggestorben. Und nun übten
die Männer und Burschen den Grabgesang: „Wie sie so
janft ruhn ...“ Das sangen sie andern Tags dem Hein
als Scheidegruß nach ins Grab. And manch einer mußte
sich zusammenreißen, seine Stimme zu halten und nicht vor
Kührung zu schwanken. Denn der Hein war ein gar
guter Kerl gewesen. Aber die Boesten trifft's ja stets am
ersten. Nur mit seinem Vater hätt' er's besser machen
önnen. Doch lag das wohl an seiner Frau. Man weiß ja,
vie Schwiegertöchter gegen Alte auf dem Auszug sind.
Die Katrin stand am Grabe ihres Mannes, rang die
hãnde, vergoß Tränenbäche und tat bis in den Tod ver—
weifelt. Die alte Dodewäschern hatte vorher einigen hand⸗
esten Weibern gesagt: „Paßt 'n bißchen auf, sonst passiert
im End' noch was! Denn die, wie die ihren Wann so
jern gehabt hat, so freßgern, sag ich Euch, die ist imstand
ind springt ihm nach ins Grab.“ And so hatten denn zwei
uraschierte Weibsleute, die minder schwer am Leide trugen,
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hand zu sein, wenn sie der Totenlade nachsinken wollte.
Alle Leichenleute nahmen Anteil an der armen jungen
frau, die in ihrem Witwenleid wie ein betrübter Engel
ussah. Das mochten auch die Burschen meinen, die hinter
em sperrigen Lebensbaum wispernd und bispernd die Köpfe
ujammensteckten und verstohlene Blicke nach der Hauptleid-
ragenden gehen ließen.
Wahrhaft erbarmungswürdig sah der alte, tiefgebeugte
hausecker aus. Hatte er schon bisher wenig gute Tage
esehen — wie sollt' es nun erst werden, da sein Junge
ot warl Ach. wär er doch für ihn gestorbenl Aber ein
cChristenmensch muß seinem Herrgott stillhalten und abwarten.
vas er mit ihm vorhat.
Im Rhöndorf war der Leichenschmaus noch üblich.
Nan nannte das „den Tröster trinken“. Und so tranken
enn die Leichenleute einen guten Tröster. Die Witfrau
außte, unbeschadet ihrer Trauer, die Wirtin machen und
zie Gäste nötigen. Denn ungeheißen griffen sie nicht zu.
So ging sie, ihrer Pflicht gemäß, von dem zu jenem Gast
ind sah, ob's ihm nicht fehle. Sah eine von den Frauen.
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