Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Heimat · Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
* 15/ 1927 
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 RM. im Vierteljahr. Frũhere 
Jahrgänge können, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-VDerlag nachbezogen werden 
I. Jahrgang 
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Das Grab der Witfrau s Von Heinrich Kuppel. 
„Jaja, wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu,“ warf 
der Lehrer ins Gespräch, legte den Tabtstock weg und 
wandte sich zum Gehen. 
„Wer's Glück hat, dem balbet der Ossel So heißt das 
bei uns Buren. Das müssen Sie doch wissen, Herr Lehrer!“ 
eief der Weftlaufer-Just dazwischen. 
Und die Bauern, die in den engen Schulbänkben oder, 
weil sie da die Knochen nicht recht unterbringen bonnten, 
oben drauf hockten, hoben die bantigen Köpfe mit den 
»artlojen Gesichtern und lachten bräftig. Dabei ging mancher 
Slick voll leisen Neides zum Hausccker-Hein, der vor zwei 
Tagen auf dem Pferdemarbkt der Kreisstadt den dritten 
Preis, einen braunen Einspänner mit Geschirr und Wagen, 
gewonnen hatte. 
„Hein, darauf kannst du einen ausgeben!“ schlug ein 
Bursche vor. 
„Kann ich“, gab der junge Bauer zu. „Sonnabend, 
vwenn die Singstund' vorbei ist, laß ich ein Faß Freibier 
auflegen.“ 
Aber nach der nächsten Singstunde tranben sie bein 
Freibier. Wohl bamen sie zusammen, aber mit tiefernsten 
Mienen. Denn der Hausccker-Hein lag auf dem Stroh. 
Wie im Hui war er von seiner schönen Frau und von 
seinem zweijährigen Jungen weggestorben. Und nun übten 
die Männer und Burschen den Grabgesang: „Wie sie so 
janft ruhn ...“ Das sangen sie andern Tags dem Hein 
als Scheidegruß nach ins Grab. And manch einer mußte 
sich zusammenreißen, seine Stimme zu halten und nicht vor 
Kührung zu schwanken. Denn der Hein war ein gar 
guter Kerl gewesen. Aber die Boesten trifft's ja stets am 
ersten. Nur mit seinem Vater hätt' er's besser machen 
önnen. Doch lag das wohl an seiner Frau. Man weiß ja, 
vie Schwiegertöchter gegen Alte auf dem Auszug sind. 
Die Katrin stand am Grabe ihres Mannes, rang die 
hãnde, vergoß Tränenbäche und tat bis in den Tod ver— 
weifelt. Die alte Dodewäschern hatte vorher einigen hand⸗ 
esten Weibern gesagt: „Paßt 'n bißchen auf, sonst passiert 
im End' noch was! Denn die, wie die ihren Wann so 
jern gehabt hat, so freßgern, sag ich Euch, die ist imstand 
ind springt ihm nach ins Grab.“ And so hatten denn zwei 
uraschierte Weibsleute, die minder schwer am Leide trugen, 
—— 
hand zu sein, wenn sie der Totenlade nachsinken wollte. 
Alle Leichenleute nahmen Anteil an der armen jungen 
frau, die in ihrem Witwenleid wie ein betrübter Engel 
ussah. Das mochten auch die Burschen meinen, die hinter 
em sperrigen Lebensbaum wispernd und bispernd die Köpfe 
ujammensteckten und verstohlene Blicke nach der Hauptleid- 
ragenden gehen ließen. 
Wahrhaft erbarmungswürdig sah der alte, tiefgebeugte 
hausecker aus. Hatte er schon bisher wenig gute Tage 
esehen — wie sollt' es nun erst werden, da sein Junge 
ot warl Ach. wär er doch für ihn gestorbenl Aber ein 
cChristenmensch muß seinem Herrgott stillhalten und abwarten. 
vas er mit ihm vorhat. 
Im Rhöndorf war der Leichenschmaus noch üblich. 
Nan nannte das „den Tröster trinken“. Und so tranken 
enn die Leichenleute einen guten Tröster. Die Witfrau 
außte, unbeschadet ihrer Trauer, die Wirtin machen und 
zie Gäste nötigen. Denn ungeheißen griffen sie nicht zu. 
So ging sie, ihrer Pflicht gemäß, von dem zu jenem Gast 
ind sah, ob's ihm nicht fehle. Sah eine von den Frauen. 
J
	        
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