außerordentlichen Professoren und Privatdozenten. — Nach einer
musikalijchen Einleitung erfolgte im großen Hörsaal der AUni⸗
hersitãt die Festrede des Professors der Seredsamkeit Or. Wagner
nit einem Kuckblick auf die Schicksale der Anstalt in den 300
Jahren ihres Bestehens, darauf Ordensverleihung durch den
Kurfürstlichen Bevollmaächtigten.
VDom Aniversitãtsgebãude ging der Sug in gleicher Ordnung
wie vorher zum Rasthaus, wo nach 2 Uhr große Mittagstafel
mit 180 Gedecken im festlich geschmũckten Saal serviert und durch
patriotijche Toaste verjchönt ward. Um 6 Ahr fsolgte ein Musib⸗-
sest in der Pfarrkirche, um ꝰ Ahr abends Fackelzug der Studenten ·
schaft. die nachher samt ihren alten Herren auf dem Kampfrasen
hewirtet ward.
Der zweite Tag der Feler war ein Sonntag und begann
nit einer lirchlichen Feier, derentwegen die sonst um 9 Ahr ũb⸗
ichen Hauptgottesdienste in der Pfarrkirche und St. Elisabeth auf
rüh 1 Ahr verlegt waren. Um halb neun Ahr sammelte sich der
Zug in und vor der Elijabethkirche und zog von dort um 9 Ahr
in derselben Ordnung wie ktags zuvor zur Aniversitätskirche, wo⸗
Marburg. Herenturm oder Weißer Turm. Nach einem Mauarell von
ei jedoch die Studenten Spalier bildeten. Dort erfolgte nach einer
nusikalischen Einleitung Gejang der ersten drei Strophen des vom
Superintendenten und Professor D. Justi gedichteten Liedes nach
er Melodie Eine feste Burg“, der die Konstitution des Liedes
anierdings nicht ganz gewachsen war, danach eine Predigt des
Konsistorialrats Prof. D. Beckheim ũber Phjalm 106, 1-65. die
zaum eine halbe Stunde gewährt haben kann, wie denn ũberhaupt
das Ausmaß der Reden beld dieser dritten Jubelfeier von dem
der zweifen angenehm absticht. Swei Schlußverse des Justischen
Liedes mit Orgel und Instrumentalbegleitung und der Segen be⸗
endeten die Feier.
Ein zweiter Festabt im großen Hörsaal schloß sich an: Musib,
lateinijsche Kede des Prof. der Rechte Or. Platner ũber die wahre
Sestimmung der Aniversitäten und ihren wichtigen Einfluß auf
das Staatswohl. Hiernach erfolgten Ehrenpromotionen sämtlicher
zier Fabultäten. Unter den neubeeierten Doktoren der Theologie
Hefinden sich der Präsident des Konsistoriums zu Mühlhausen im
Eljaß und der Pastor prim. an S. Michaelis Hamburg; unter den
dociores jur. der Kurfuũrstliche Bevollmãchtigie, Exz. v. Porbeck,
inter den philosophischen der Staatsrat Vr. Frher. K. v. Savigny,
Prof. der Kechte und Ritter des Eisernen Kreuzes in Berlin, der
Kapellmeister Ludwig Spohr in Kassel und eine Dame. Frau Joh.
Wyttenbach geb. Gallien in Paris.
Abends fand großer Boͤll auf dem Kathaus statt, vom Ma⸗
gistrat veranstaltet, dessen Liberalität und Sorgfalt gerühmt wird,
es wurden zahlreiche Gäste, darunter mehrere hundert Studenten
reichlich bewirtet. Gleichzeitig jand allgemeine Festbelustigung mit
feuerwerk auf dem Kampfrasen statt. Das anstãndige Betragen
er Bürger, die der Polizei keinen Anlaß zum Einschreiten gaben,
vied gelobt.
Eine kleine Nachfeier im engeren Kreise ward am Abend des
0. Juli am Dammelsberg gehalten, die allerdings durch ein Gewitter
stoas gestört ward, aber jũr die, die sich nicht stören ließen, um
o vergnũgter verlief.
Sur Erinnerung an die Feier ward eine schwere silberne
denkmũnze geschlagen mit dem Brustbild des Kurfürsten, Rüchjeite
rei ineinander berschlungene Lorbeerbränze.
Neben der offiziellen Druckschrift Justis läuft als Lurzweiliger
Zommentar der obengenannte Fesibericht eines alten Burschen
her. der von vier durchschwärmten Tagen und Nächten erzãählt, in
enen die alten Herren, Amtmänner, Arzte, Lehrer, Pfarrer ujw.
ich mit den jungen „Studiermachergesellen“ wieder jung gefühlt
ind zwar mit einigem Radau, mit Gläser- und Flajchenzertrũmmern,
ber doch ohne eigentliche Exzesse nach alter Surschenweise unter
ßleichgesinnien fröhlich gefeiort haben. Das Schriftchen jetzt der
feier einige helle Lichter auf und gibt manche nette Augenblicks⸗
bilder — heute wũrde
man sagen „Moment -
aufnahmen“ — jo wenn
ein alier höchstvergnũg⸗
ter Vater Arm in Arm
mit seinem studierenden
Sohne naht; wenn alte
Freunde sich mit schal⸗
senden Kũssen und Kose⸗
namen, die heute als In⸗
urien gelten wũrden, be
Jrũßten. Auch die hũb⸗
schen jungen Wädchen,
die zum Feste erschienen
sind, hat der alte Schlin⸗
gel nicht ohne Wohl⸗
gefallen betrachtet.
Merkwũrdig ist nur, daß
sich die Mãnner im Bei⸗
jein so vieler hüũbscher
Mãdchen untereinander
gebũßt haben.
Hosjen wir, daß sie
auch bei dem vor uns
liegenden Jubeljest in
heüen Scharen erschei⸗
nen, die wũürdigen und
doch so fröhlichen alten
Herren, die mit den
flotten Burschen wieder
sung werden, aber ohne
Schmatzen, und die
hũbjchen jungen Da⸗
men, — hoffent ·
ich gibt es noch solche trotz Bubikopf — die den jungen Herren
das Herz warm machen und den alten ein Schmunzeln entlocken!
Der Hexenturm.
Der Hexenturm ist ein Stück der alten Schloßbefestigung, ein
edrungener Bau mit mehr als meterdicken Mauern und bleinen,
chießschartenartigen Fenstern. In der Volbsvorstellung ist er das
Befängnis, in das vormals die Hexen geseßt wurden, ehe man
ie richtete.
Aus einer Postkarte mit dem BSilde des Hexenturmes und
wei bleinen, nicht dazu gehörigen Flͤcken — es war wohl das
ehte Exemplar im Laden des Papierhändlers aewesen — las man
folgenden handichriftlichen OVers:
Hier siehet man mit Klecksen
Oerziert, ein Bildlein zart,
Den Turm, darin die Hexen
Man einst hat aufbewahrt.
Und Hexen gibt's noch heute.
Ich sag es ohne Scherz,
Uns armen Männerleuten
Oerzaubern sie das Herz.
Lebt'jt du in alten Tagen,
Du schönes Hexelein.
Dich sperrt man sonder Fragen
Zkängst in den Turm hinein!
W. KRitter aus Hessenkunst 1919 (Elwert, Marburq).
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