Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

außerordentlichen Professoren und Privatdozenten. — Nach einer 
musikalijchen Einleitung erfolgte im großen Hörsaal der AUni⸗ 
hersitãt die Festrede des Professors der Seredsamkeit Or. Wagner 
nit einem Kuckblick auf die Schicksale der Anstalt in den 300 
Jahren ihres Bestehens, darauf Ordensverleihung durch den 
Kurfürstlichen Bevollmaächtigten. 
VDom Aniversitãtsgebãude ging der Sug in gleicher Ordnung 
wie vorher zum Rasthaus, wo nach 2 Uhr große Mittagstafel 
mit 180 Gedecken im festlich geschmũckten Saal serviert und durch 
patriotijche Toaste verjchönt ward. Um 6 Ahr fsolgte ein Musib⸗- 
sest in der Pfarrkirche, um ꝰ Ahr abends Fackelzug der Studenten · 
schaft. die nachher samt ihren alten Herren auf dem Kampfrasen 
hewirtet ward. 
Der zweite Tag der Feler war ein Sonntag und begann 
nit einer lirchlichen Feier, derentwegen die sonst um 9 Ahr ũb⸗ 
ichen Hauptgottesdienste in der Pfarrkirche und St. Elisabeth auf 
rüh 1 Ahr verlegt waren. Um halb neun Ahr sammelte sich der 
Zug in und vor der Elijabethkirche und zog von dort um 9 Ahr 
in derselben Ordnung wie ktags zuvor zur Aniversitätskirche, wo⸗ 
Marburg. Herenturm oder Weißer Turm. Nach einem Mauarell von 
ei jedoch die Studenten Spalier bildeten. Dort erfolgte nach einer 
nusikalischen Einleitung Gejang der ersten drei Strophen des vom 
Superintendenten und Professor D. Justi gedichteten Liedes nach 
er Melodie Eine feste Burg“, der die Konstitution des Liedes 
anierdings nicht ganz gewachsen war, danach eine Predigt des 
Konsistorialrats Prof. D. Beckheim ũber Phjalm 106, 1-65. die 
zaum eine halbe Stunde gewährt haben kann, wie denn ũberhaupt 
das Ausmaß der Reden beld dieser dritten Jubelfeier von dem 
der zweifen angenehm absticht. Swei Schlußverse des Justischen 
Liedes mit Orgel und Instrumentalbegleitung und der Segen be⸗ 
endeten die Feier. 
Ein zweiter Festabt im großen Hörsaal schloß sich an: Musib, 
lateinijsche Kede des Prof. der Rechte Or. Platner ũber die wahre 
Sestimmung der Aniversitäten und ihren wichtigen Einfluß auf 
das Staatswohl. Hiernach erfolgten Ehrenpromotionen sämtlicher 
zier Fabultäten. Unter den neubeeierten Doktoren der Theologie 
Hefinden sich der Präsident des Konsistoriums zu Mühlhausen im 
Eljaß und der Pastor prim. an S. Michaelis Hamburg; unter den 
dociores jur. der Kurfuũrstliche Bevollmãchtigie, Exz. v. Porbeck, 
inter den philosophischen der Staatsrat Vr. Frher. K. v. Savigny, 
Prof. der Kechte und Ritter des Eisernen Kreuzes in Berlin, der 
Kapellmeister Ludwig Spohr in Kassel und eine Dame. Frau Joh. 
Wyttenbach geb. Gallien in Paris. 
Abends fand großer Boͤll auf dem Kathaus statt, vom Ma⸗ 
gistrat veranstaltet, dessen Liberalität und Sorgfalt gerühmt wird, 
es wurden zahlreiche Gäste, darunter mehrere hundert Studenten 
reichlich bewirtet. Gleichzeitig jand allgemeine Festbelustigung mit 
feuerwerk auf dem Kampfrasen statt. Das anstãndige Betragen 
er Bürger, die der Polizei keinen Anlaß zum Einschreiten gaben, 
vied gelobt. 
Eine kleine Nachfeier im engeren Kreise ward am Abend des 
0. Juli am Dammelsberg gehalten, die allerdings durch ein Gewitter 
stoas gestört ward, aber jũr die, die sich nicht stören ließen, um 
o vergnũgter verlief. 
Sur Erinnerung an die Feier ward eine schwere silberne 
denkmũnze geschlagen mit dem Brustbild des Kurfürsten, Rüchjeite 
rei ineinander berschlungene Lorbeerbränze. 
Neben der offiziellen Druckschrift Justis läuft als Lurzweiliger 
Zommentar der obengenannte Fesibericht eines alten Burschen 
her. der von vier durchschwärmten Tagen und Nächten erzãählt, in 
enen die alten Herren, Amtmänner, Arzte, Lehrer, Pfarrer ujw. 
ich mit den jungen „Studiermachergesellen“ wieder jung gefühlt 
ind zwar mit einigem Radau, mit Gläser- und Flajchenzertrũmmern, 
ber doch ohne eigentliche Exzesse nach alter Surschenweise unter 
ßleichgesinnien fröhlich gefeiort haben. Das Schriftchen jetzt der 
feier einige helle Lichter auf und gibt manche nette Augenblicks⸗ 
bilder — heute wũrde 
man sagen „Moment - 
aufnahmen“ — jo wenn 
ein alier höchstvergnũg⸗ 
ter Vater Arm in Arm 
mit seinem studierenden 
Sohne naht; wenn alte 
Freunde sich mit schal⸗ 
senden Kũssen und Kose⸗ 
namen, die heute als In⸗ 
urien gelten wũrden, be 
Jrũßten. Auch die hũb⸗ 
schen jungen Wädchen, 
die zum Feste erschienen 
sind, hat der alte Schlin⸗ 
gel nicht ohne Wohl⸗ 
gefallen betrachtet. 
Merkwũrdig ist nur, daß 
sich die Mãnner im Bei⸗ 
jein so vieler hüũbscher 
Mãdchen untereinander 
gebũßt haben. 
Hosjen wir, daß sie 
auch bei dem vor uns 
liegenden Jubeljest in 
heüen Scharen erschei⸗ 
nen, die wũürdigen und 
doch so fröhlichen alten 
Herren, die mit den 
flotten Burschen wieder 
sung werden, aber ohne 
Schmatzen, und die 
hũbjchen jungen Da⸗ 
men, — hoffent · 
ich gibt es noch solche trotz Bubikopf — die den jungen Herren 
das Herz warm machen und den alten ein Schmunzeln entlocken! 
Der Hexenturm. 
Der Hexenturm ist ein Stück der alten Schloßbefestigung, ein 
edrungener Bau mit mehr als meterdicken Mauern und bleinen, 
chießschartenartigen Fenstern. In der Volbsvorstellung ist er das 
Befängnis, in das vormals die Hexen geseßt wurden, ehe man 
ie richtete. 
Aus einer Postkarte mit dem BSilde des Hexenturmes und 
wei bleinen, nicht dazu gehörigen Flͤcken — es war wohl das 
ehte Exemplar im Laden des Papierhändlers aewesen — las man 
folgenden handichriftlichen OVers: 
Hier siehet man mit Klecksen 
Oerziert, ein Bildlein zart, 
Den Turm, darin die Hexen 
Man einst hat aufbewahrt. 
Und Hexen gibt's noch heute. 
Ich sag es ohne Scherz, 
Uns armen Männerleuten 
Oerzaubern sie das Herz. 
Lebt'jt du in alten Tagen, 
Du schönes Hexelein. 
Dich sperrt man sonder Fragen 
Zkängst in den Turm hinein! 
W. KRitter aus Hessenkunst 1919 (Elwert, Marburq). 
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