Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Wimpeln ins Tal hinabgrüßen und der Alma mater PFhilippina 
»uldigen! Soll ich das Programm des Jubelfestes auf- 
'ollen, das ja in allen hessischen Seitungen zu lesen steht? 
Oder soll ich von all den Vorbereitungen reden, die die 
Stadt und ihre Bewohner treffen, um einen recht festlichen 
Eindruck zu erwecken, der Neupflasterung ganzer Straßen, 
der Auffrischung und Neubemalung, deren sich nicht nur eine 
Anzahl abademischer und sonstiger amtlicher Gebäude, sondern 
uch die Bürgerhäuser in ihrer Mehrheit unterziehen; oder 
den anderen Vorbereitungen, die getroffen werden, um all 
die Tausende von Gästen, die man erwartet, unterzubringen? 
Es wird noch mancher Schritt und mancher Handschlag 
getan werden müssen, ehe alles fertig ist und klappt. Aber 
2s8 wird mit fröhlichem Herzen und lachendem Munde getan, 
denn ganz Warburg ist schon jetzt in Jubelfeststimmung. 
Moͤgen auch die Gäste solche Stimmung mitbringen — 
den „alten Herren“ wird sie ohnehin nicht fsehlen —, und 
nõgen sie die bleinen Anbequemlichkeiten, die die räumliche 
Enge von Warburg bietet und die aller guter Wille nicht 
ganz überwinden kLann, geduldig mit in Kauf nehmen. 
Dann wird das Fest wohlgelingen und ausblingen in 
die Schlußstrophe des Warburg Liedes von Paul Warnbe: 
Keiner Born der Weisheitslehre, 
Stadt der Jugendherrlichbkeit, 
Stadt der Freiheit, Stadt der Ehre, 
Marburg, blüh in Ewigkeit! 
v⸗ 
Aus alter Seit. 
⸗⸗ 
Frühere Jubelfeste der Marburger 
Anivpersität. 
Es ist die vierte Jahrhundertfeier, die die 1521 gegrũndete 
Universität Marburg in diesem Jahre begeht. Drei andre Jubel- 
ahre sind ihr vorausgegangen, 1621, 1721, 1821, und es wird 
nancher Leser fragen, wie es denn damals beim Aniversitäts- 
ubilãum hergegangen ist. —— 
Das erste Jubilãum 1627 ist ũberhaupt nicht gefeiert worden. 
Man war in jener Seit auf die Jubelfeste und Jahrhundertfeiern noch 
ncht so eingestellt wie in unjseren Tagen, und der schreckliche Dreißig ⸗ 
ahrige Krieg, der damals schon fast ein Jahrzehnt hindurch 
Deuijchland verwũstete, entvöllerte und aussog, ließ kaum eine 
Jubilaumostimmung aufkommen. Aberdies exijtierte die Aniversität 
Marburg eigentlich gar nicht mehr. Ihre Trümmer waren nach 
Kassel übersührt, ganz Oberhessen war infolge der Mißregierung 
des gelehrken Landgrafen Moritz unter hessen-darmstädtische VDor⸗ 
mundschaft gestellt, und was in Marburg 1627 bestand, war die 
dorthin verlegte Aniversität 
Sießen. 
Desto feierlicher wurde 
das zweite Jahrhundertfest 1121 
hegangen, und die handschrift- 
liichen Annalen der Aniversität 
Marburg ergeben folgendes 
Programm: Am 18. August 
abends Einläuten des Festes 
mit allen Glocken. Am 14. 
norgens früh gegen 5 Uhr 
Hotlesdienst in der Lutheri-⸗ 
chen, Schloß⸗, Deutschhaus⸗ 
ind französischen Kirche. Um 
8 Uhr morgens feierlicher Auf- 
zug zum Auditorium Philoso- 
ohicum, von da nach der 
Keformierten Kirche 3. Kebto⸗ 
eatsũbergabe vom Projfessor 
Schröder auf Dr. Kirchmeyer. 
—Dem Universitätsarzt Betge 
von Singlis, der die privilegia 
icademica trug, und den beiden 
Pedellen mit den Szeptern 
olgten Rebtor, Prorebtor und 
Probanzler, die Deputierten 
der AUniversitäten Gießen, 
Rinteln, Duisburg, Herborn, 
Hanau und des Kasseler Karo⸗ 
inums, die Marburger 
Professoren, die Doktoranden 
ind die ca. 500 Studiosi, vom 
Fechtmeister geführt; darauf 
Stadtrat, Geistlichkeit und Be⸗ 
amte; endlich „des Hochfürst- 
ichen Deputati Exzellenz (von 
Einsiedel) mit einem Comitat 
von etlichen der Nobleße“. Jede 
Abteilung wurde von einem 
bejonderen Marschall gefũhrt. 
„Die Gassen waren mit Mahen 
hesteckt. und war eine unbe⸗- 
chrelbliche Menge Volls auf den Gassen und in den Häusern⸗ 
da alle Fenster bis auf das Dach voller Suschauer lagen“. In 
der Kirche führten Kektor und Prorektor den fürstlichen Depu⸗ 
ierten zuͤ seinem Ehrensiße. Vor der Orgel war ein Katheder 
ufgerichtet und vor diesem ein mit einem roten Teppich bedeckter 
Tijch, duf dem zwei sammetne Kissen mit den Privilegien der 
Inivbersität und den Szeptern lagen. 
Der Gottesdienst begann mit einer ‚chönen Musique“, ihm 
olgte eine Predigt des Professors der Theologie Duising, und 
war zu Ehren der auf einen Tag zusammenfallenden Geburtstage 
es Landgrafen und des Prinzen Friedrich, mit denen man das 
Iniversitãisjubiläum verbunden hatte. Nach dem von der Gemeinde 
esungenen Tedeum, das draußen von den Böllerschũssen der Ar⸗ 
illerie und den Salven der Musbetiere begleitet wurde, betrat 
er Kanzler der Aniversität das Katheder, eröffnete im Namen 
er Landesherren die Jubelfeier und ließ die von Kaiser Karl V. 
rtfeilten Universitãtspelbilegien verlesen. Mun ersolgte die Reb⸗ 
dratsũbergabe an den designierten Prorebtor, nachdem der ab⸗- 
ehende Kebtor eine Obation von den Judenjubilaeis“ gehalten 
und die Ernennung des Prinzen 
Friedrich zum Rebtor Magni- 
Icentissimus verłũndet hatte. 
dach altem, noch heute üb— 
lichem Brauch wurden dem 
neuen Prorebtor die Insignien 
der Universität, die z3wei 
Szepter, die Statuten und 
Privilegien, die Matribel, die 
Siegel und die Schlũssel im 
Namen des prinzlichen Kebtors 
ũbergeben. Jeßt war die Reihe 
an dem neuen Leiter der Uni⸗ 
persität, mit einer Rede „de 
meritis Principuml andgraviorum 
Hassiae in rem literariam und 
bpornehmlich academiam nos- 
tram“ (von dem Verdienste der 
hessischen Landgrafen um die 
Wissenschaft, besonders um 
unsere Universität) das Regi- 
ment zu ergreifen und die 
Landesfürsten von dem Fun⸗ 
dator, dem Gründer der Ani— 
versität, Philipp dem Groß⸗ 
mũtigen, an bis auf den zur 
Zeit regierenden zu preijen. 
Nach einer abermaligen 
Lurtzen Musique“ hielt der 
Prosessor Hartmann die eigent 
siche Jubiläumsrede von den 
Schickjalen der Aniversität, 
womit also der Actus dieses 
Tages beschlossen und man in 
boriger Ordnung wieder aus 
der Kirche bis ans Rathaus 
ging, woselbst die Prozession 
um 4 Uhr anbam.“ Die ganze 
Feier haite also ununterbrochen 
z Stunden gewährt, sodaß man 
auf jede der gehaltenen Keden 
mit vorgehender u. nachfolgen⸗ 
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