Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

wohl, daß die Bedingung des Feindes endgültig sei und 
ihnen nichts andres übrig bleibe, als auf die Opferwillig- 
zeit der Jungfrauen zu hoffen. 
Es dauerte nicht lange, so wurde der fuldische Anter- 
händler auf sein Nachsuchen in die Stadt eingelassen und 
hor den Schultheißen und die Schöffen geführt. Die Kunde 
von seinem Auftrag verbreitete sich jchnell. Allein es zeigte 
sich, daß die Jungfrauen beineswegs den Schritt zur Be— 
freiung der Gefangenen kun wollten. Suerst weigerte sich 
sene Jungfrau, um die mehrere Jünglinge warben: sie be— 
hauptete, sie fühlte sich bkeinem von ihnen verbunden, und 
niemand war, der das Gegenteil beweisen konnte. Ihre 
Henossinnen erblärten, wenn sie, die dreifach Geliebte, sich 
nicht zu diesem Opfer entschließe, so bönne es ihnen erst 
eecht niemand zumuten; übrigens hätten sie auch keineswegs 
die Macht, ohne den Willen ihrer Eltern über ihr Herz 
und ihre Hand zu verfügen. Mit diesem Bescheid zog der 
Unterhändler ab, während nicht wenige bedauerten, daß er 
zeinen Auftrag zur Anterbreitung von Friedensvorschlägen 
gebracht oder mitgenommen habe. 
Der fuldische Kitter ließ den Unterhändler die Ankwort 
der Jungfrauen im Beisein der Gefangenen wiederholen. 
Nachdem er sich eine Seitlang an ihrer Enttäuschung geweidet, 
agte er, er habe sich überzeugt, daß sie das Kriegs- 
vesjen noch nicht genũgend erlernt hätten, um sich mit einem 
o gefährlichen Ding ohne Schaden abzugeben, deshalb 
volle er sie wieder heimschicken, damit sie das Fehlende 
noch ergänzen bönnten, auch rate er ihnen, sich mit mehr 
Fleiß ihren Geliebten zu widmen, auf daß sie ein andermal, 
venn sie wieder für sie zu sterben gedächten, ihrer Liebe 
icherer wãären. Daraufhin ließ er die elf Jünglinge — 
Dolpracht von Wickenborn blieb als einziger gefangen — 
dis ans Ende des Lagers führen. Wenn sie aber geglaubt 
»atten, daß sie nun ohne weiteres heimgehen könnten, so 
purden sie bitter enttäuscht. Im Angesicht ihrer Mitbürger, 
ier noch außerhalb der Bogenschußweite wurden sie von 
einigen Knechten völlig entkleidet, dann mußten sie nieder— 
enien, und die Handgelenke wurden ihnen an die Fußge— 
senbe gefesselt. Nachdem dies geschehen war, sagte der 
fuldische Kitter: „Ihr seid nun freil Kehrt heim in Eure 
Stadt!“ Gebrochen vor Sorn und Scham jsaßen sie da 
mit gekrümmtem KRücken und gebeugtem Haupt; keiner rührte 
sich von der Stelle. Aber als der Morgen bam, waren 
alle verschwunden. Tiefe Spuren im Staube zeigten, wel⸗ 
hen Weg sie mühselig auf den Knien gebrochen waren. 
In der Stadt herrschte ungeheure Entrüstung über den 
Schimpf, der den Jünglingen widerfahren war. Diele aber 
schüttelten die Köpfe darüber, daß Volpracht, noch ehe er 
bon dieser Demütigung wissen bonnte, auf seine Befreiung 
berzichtet haftte. Susanna Juliana allein verstand ihn. Sie 
hatte mit ihrem Vater eine AUnterredung, über die er in 
große Aufregung geriet. Den ganzen Tag ließ er sie nicht 
mehr aus den Augen. Aber am nächsten Morgen, ehe 
der Hahn zum ersten Male rief, schlich eine dunkle Gestalt 
aus dem Hause und eilte durch die menschenleeren Gassen 
dem Tore zu. Die Wächter verwunderten sich sehr, als sie 
ihr ins Gesicht blickten, doch willfahrten sie ihrer Bitte, 
zffneten das Pförtchen in dem großen Tor und ließen die 
Hestalt hinaus. Außerhalb der Mauern blieb sie einen 
Augenblick wie zögernd im Schatten stehen, dann schritt 
sie langsam mit burzen Schritten vorwärts, daß baum die 
Spitzen ihrer bloßen Füße unter dem Saum des grauen 
Mantels zum Vorschein bamen. Sie erreichte die äußersten 
Wachen und fand sie schlafend. Moch einmal zauderte sie, 
dann berührte sie mit der Fingerspitze die Schulter eines 
der Schlafenden. Der Wächter fuhr erschrocken auf; er 
ah noch einen weißen Arm unter dem grauen Mantel ver— 
hwinden und blickte die Gestalt mit irren Augen an. Da 
barf sie den WMantel von sich und stand vor ihm in weißem 
Züßerhemd, einen langen Strick um den Hals und um die 
handgelenke; auf ihrem Fingerring glühte ein blutrotes 
herz. „Geleite mich zu deinem Herrn!“ sagte sie, und er 
ehorchte. Vor dem großen Selt des Führers hieß er sie 
varten. Der Kitter gab ihm drinnen flüsternd einen Be— 
ehl, dann ließ er sie eintreten, während der Knecht sich 
ntfernte. Ohne Demut, aber auch ohne Anmaßung trat 
ie vor den Feind und sagte: „Ich habe Eure Bedingung 
rfüllt, nun erfüllt Euer Versprechen und gebt den Junber 
dolpracht von Wickenborn freil“ „Wie heißt du?“ „Su— 
anna Juliang Schaufuß.“ Er maß die hohe Gostalt, die 
hn fast um Kopfesgröße überragte, mit Bewunderung. 
Um die Jungfrau ein wenig zu ängstigen, sagte er: „Also 
»ist du damit einverstanden, daß dein Derlobter durch den 
5faub zu den Mauern der Stadt bricche wie die andern?“ 
Ihr Auge blitzte ihn an. „Was Ihr jenen getan habt, 
die beine Fürbitterinnen fanden, werdet Ihr dem Junbker 
ücht antun, für den ich mich vor Euch gedemütigt habe!“ 
Du schätzest dein Opfer hoch ein!“ sagte er mit leichtem 
5pott; dann, indem er sich ihr vertraulich näherte, fuhr er 
ort: „Aber du hast recht, es zu tunl Eine schönere Für— 
itterin ist selbst unter den Heiligen nicht zu findenl“ Ihr 
ßesicht nahm einen stolzen Ausdruck an. „Werdet Ihr 
fkuer Wort halten?“ „Ich werde es nicht halten! .... 
Ich habe es bereits getan! Der Junbker ist frei und 
nag wohl schon das Stadttor erreicht haben.“ „Dann ist 
neine Aufgabe erfüllt, ich will ihm folgen!“ Sie schickte 
ich an, hinauszugehen, aber er vertrat ihr den Weg. „Wie 
edaure ich, daß du es so eilig hast, mich zu verlassen, um 
em bartlojsen Knaben zu folgen! Aber ich muß dir AUr— 
aub geben. Suvor jedoch gestatte, daß ich deine Ban de 
öse!“ Er nahm von einem Tischchen einen feinen Dolch, 
chnitt vorsichtig den Strick an ihren Handgelenben durch 
ind legte den blitzenden Stahl wieder beiseite. Dann er— 
jriff er behutsam die Schlinge, die um ihren Hals lag, und 
egann, sie mit den Fingern zu lockern. Sie ließ ihn ge— 
vähren und sah ruhig auf ihn nieder. Sein Blick begeg— 
iete dem ihren. Plötzlich wurden seine Augen wie trunken, 
eine Hände zitterten und ließen den Strick fahren ... er 
treckte die Arme aus ... und wild preßte er die AÜber— 
aschte an sich. Einen Augenblick nur ... da stieß sie 
hn mit bräftiger Faust zurück, daß er wider die Achse des 
zeltes taumelte. Sie fühlte den Strick um ihren Hals. 
fin Kuck... und sie hob die Schlinge über ihren Kopf 
ind warf sie um seinen Hals. Er glaubte einen Augen- 
lick an einen rauhen Scherz, aber ein Blick in ihr wild— 
ntichlossenes Gesicht zeigte ihm die Gefahr. Mit aller 
Zraft juchte er den Strick zu lösen, umso fester zog sie ihn 
ujammen. Er schlug und stieß nach ihr und wollte ihr den 
ztrick entreißen, aber fest hielt sie ihn in der geballten Lin⸗ 
en und wehrte mit der Kechten die Streiche ab. Plötz- 
ich faßte sie die Schlinge dicht unter seinem Kinn und 
jab dem Ende einen Schwung, daß es über den Quer— 
alken des Seltes flog. Ehe er die neue Lage erbannte, 
atte sie das Ende wieder gefaßt. Mit Anspannung aller 
Zräfte zog sie ihn hoch, wie er sich auch mit Füßen und 
fäusten dagegen wehrte. „Kufe doch um Hilfe, Feigling!“ 
euchte sie. Er rang nach Atem, blaurot im Gesicht, und 
rat nach ihr. Plötzlich schlang sie den Strick mehrmals 
im die Achse, band schnell das Ende zu einem Knoten 
zaran fest und stürzte zum Selt hinaus. Draußen mäßigte
	        
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