einige Zeit zu bleiben gedenbe. Volpracht wollte zum Ab-
schied seine Mutter küssen, aber sie reichte ihm nur bühl und
fremd die Hand, als sei sie schon eine Nonne geworden.
So sah er seine Mutter zum letztenmal.
Nachdem Volpracht in dieser Weise viel Verdruß und
Kummer gehabt hatte, erhielt er von Susanna Juliana
durch die Dermittelung ihrer Magd ein Briefchen, über das
er sehr beglückt war. Sie schrieb ihm, ihr Dater habe ihr
angemerbt, daß ihr etwas Angewöhnliches begegnet sein
müßse, und da habe sie ihm alles erzählt. Er sei darüber
sehr froh gewesen, denn wie er sagte, werde durch ihre
Oerheiratung ein altes Anrecht wieder gutgemacht, das er
einst Dolprachts Mutter angetan habe. Er bedauerte nur,
daß der Goldschmied nicht mehr lebe, von dem er damals
ein gewisses Kinglein gekauft habe mit einem roten Herzen
und der Inschrift: Ich bin din, du bist min, sonst wäre es
auch ein gutes äußeres Seichen gewesen, wenn Volpracht
ihr zur Verheiratung ein gleiches Kinglein an den Finger
hätte stechen können. Da habe sie geglaubt, von dem Ge—
schenl, welches sie von ihrem Verlobten erhalten, nicht
länger schweigen zu sollen, und nun sei ihr Dater über die
Maßen fröhlich gewesen, weil er diesen Ausgang als einen
Beweis dafür ansehe, daß das Vergangene gänzlich ver—
ʒziehen und vergessen sei. Ihr Dater hoffe nun, noch am
gleichen Tag mit Volprachts Mutter über die baldige Ver—
lobung und Hochzeit sprechen zu bönnen.
Volpracht gab sogleich der Magd ein Briefschen mit, in
dem er Susanna Juliana dringend bat, ihm zuvor noch
eine Unterredung unter vier Augen zu gönnen, da er ihr
etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Bald darauf bam die
Magd wieder mit einem Briefchen, in dem geschrieben
stand, daß Susanna Juliana sich zu bestimmter Seit bei
ihrer Muhme einfinden werde. Die Muhme werde sie
heide gerne einmal zu einem kurzen Gespräch allein lassen.
Volpracht begab sich zur festgesetzten Stunde in das
Haus der Muhme. Er wurde von der ältlichen, ungemein
dicken Frau mit vertrautem Lächeln empfangen, woraus er
sah, daß sie schon alles wisse, und es dauerte auch nicht lange,
jo befand er sich mit dem geliebten Mädchen allein in dem
Gemach, sodaß er frei mit ihr sprechen konnte. Die Muhme
hielt sich in der Nähe der Tür, um etwa doch auch ein
Wörichen von den Liebesgesprächen zu erhaschen, wie sie
deren leider in ihrem jungfräulichen Leben hatte entbehren
müssen; da sie aber harthörig war, bonnte sie wenig verstehen
von dem, was drinnen verhandelt wurde. Nur einmal glaubte
sie zu hören, daß Susanna Julianag in einem Tone, wie
ihn die Muhme von einer Braut nicht erwartet hatte, sagte:
„Sist du deiner Mutter darin gehorsam gewesen, daß du
dein Spiel mit mir getrieben hast, so sei ihr nun auch ge—
horsam bis zum Endel“ Es folgten darauf mehrere lebhafte
Kebden von der einen und der andern Seite, welche die
Muhme zu ihrem Leidwesen nicht verstehen konnte. Nur
glaubte sie — trotz ihrer schwachen Augen — durch das
Schlüsselloch zu sehen, wie Volpracht vor Susanna Juliana
niederstürzte, um ihre Kniee zu umfassen, und wie sie zurück-
wich, indem sie mit stolz erhobenem Kopf die Hand gegen
ihn ausspreizte. Einen Augenblick war dann alles still.
Noch einmal sprach Volpracht, aber beine Antwort jsolgte.
Da stürzte er mit verzweifelter Miene, die Lauscherin fast
iberrennend, die Treppe hinunter. Kurz darauf teilte
Sujanna Juliana ihrer Muhme und bald nachher auch ihrem
Oater mit, daß sie den Junker Dolpracht von Wickenborn
nicht ehelichen werde.
Am Morgen nach einer schlaflosen Nacht bereute Vol⸗
pracht, sich dem — allerdings begreiflichen — UAnwillen
des stolzen, aber umso liebenswerteren Mädchens so schnell
jefügt zu haben, und suchte eine Gelegenheit, wieder mit
hre zu jprechen. Diese Gelegenheit fand sich auch bald.
don dem Erber seines Hauses in der Rittergasse bonnte er
inen schmalen Streifen des Warktplatzes überschauen, und
jerade diesen Streifen breuzte Susanna Juliana, als Vol-
»racht am Fenster stand. Der Junber säumte nicht, ihr zu
olgen, und zu seiner Freude ging sie wieder in das nicht
ehr entfernte Haus der Muhme. Er wartete so lange, bis
ich die Frauen begrüßt und die wichtigsten Neuigkeiten
gejagt haben bonnten, dann krat er in die Türe. Er wollte
gerade eilends die Treppe hinaufsteigen, als die Muhme
erunterkam. Da die Stufen ohnchin nicht breit waren,
o zwang sie ihn durch ihre Körperfülle mit Leichtigkeit,
zalt zu machen. Er vermutete mit Recht, daß sie dies nicht
ius eigenem, bösen Willen tue, und um zu einem schnellen
ind guten Schlusse zu bommen, bat er sie mit freundlichen,
escheidenen Worten, ihn doch um Gottes und aller Heiligen
billen bei der Jungfer zu melden. Die Muhme, die in
hrer umfangreichen Brust ein weiches Herz hatte, fühlte
»in Lräftiges Mitleid mit dem unglücklichen Liebhaber, die
orgetãuschte Strenge ihrer Züge schmolz vor seinen Augen
ind wandelte sich in freundliches Wohlwollen, und sie ver—
prach, ihn alsbald zu melden, jedoch unter der Bedingung,
aß er beinen Schritt weiter tue. Sie schraubte sich mühsam
ie steile Treppe hinauf, verschwand in einer Türe ... und
am nicht wieder. Er wartete und wartete und tröstete sich
amit, daß dieses Waerten zu seiner Buße gehöre. Der
ichtstreifen, den die Sonne in den Hausgang warf, war
eträchtlich weitergerückt und hatte begonnen, die Wand
inaufzublettern, da ging endlich oben eine Tür, und wireklich
eschien wieder die Muhme mit hochrotem Kopf. Sogleich
vollte er hinaufstürzen, aber sie hielt ihn durch eine Hand-
ewegung zurück und kam einige Stufen herunter. Er tat,
ls bemerke er ihre abweisende Miene nicht, und bevor sie
och, gewaltig Atem holend, den Mund öffnen bonnte. hatte
er sie erreicht und rücksichtslos beiseite gedrängt. Da sie
»ines solchen Angriffs nicht gewärtig war, verlor sie den
halt und saß plötzlich wie ein harmlos spielendes Kind auf
er Treppenstufe, während der Junker hinaufjprang und in
em Gemach verschwand, aus dem sie gekommen war. Sie
rauchte geraume Seit, bis sie sich von ihrem Schrecken und
hrer Entrüstung so weit erholt hatte, daß sie an ein Auf-
tehen denken bonnte, und noch länger dauerte es, bis sie
ben die Tür öffnete. Swischen den beiden Personen im
Hemach schien sich indes nichts geändert zu haben, denn
sie Muhme hörte gerade noch, wie Susanna Juliana sagte:
Nie werde ich über die Schwelle Eures Hauses als Euer
fhgemahl treten!“ Der Junber stand einen NMugenblick,
ils suche er vergeblich das Wort zu fassen, dann warf er
»en Kopf herum und eilte zur Türe hinaus.
VDon da an schien es Volpracht aufgegeben zu haben,
Susanna Juliana zu gewinnen. Er führte in der Stadt
ind auf den benachbarten Gütern seiner Mutter und seiner
freunde ein ziellojes, unstetes Leben und machte durch seine
vilden, waghalsigen Streiche von sich reden, oft aber war
ꝛr auch tage-, ja wochenlang kaum zu sehen, sodaß man
weifeln konnte, ob er noch im Lande sei.
Anerwartet trat etwas ein, das seinem ruhelosen, un—
heschäftigten Geist ein Siel und seinem starken geschmeidigen
cörper Arbeit genug hätte geben bönnen, wenn ihn die
viderfahrene Abweisung nicht gänzlich zu einem anderen
Menschen gemacht hätte. Der Abt von Fulda erblärte sich
ämlich für einen Feind der landgräflichen Stadt, weil ein
andgräflicher Kitter einen der Freunde des Abtes nieder⸗