Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

einige Zeit zu bleiben gedenbe. Volpracht wollte zum Ab- 
schied seine Mutter küssen, aber sie reichte ihm nur bühl und 
fremd die Hand, als sei sie schon eine Nonne geworden. 
So sah er seine Mutter zum letztenmal. 
Nachdem Volpracht in dieser Weise viel Verdruß und 
Kummer gehabt hatte, erhielt er von Susanna Juliana 
durch die Dermittelung ihrer Magd ein Briefchen, über das 
er sehr beglückt war. Sie schrieb ihm, ihr Dater habe ihr 
angemerbt, daß ihr etwas Angewöhnliches begegnet sein 
müßse, und da habe sie ihm alles erzählt. Er sei darüber 
sehr froh gewesen, denn wie er sagte, werde durch ihre 
Oerheiratung ein altes Anrecht wieder gutgemacht, das er 
einst Dolprachts Mutter angetan habe. Er bedauerte nur, 
daß der Goldschmied nicht mehr lebe, von dem er damals 
ein gewisses Kinglein gekauft habe mit einem roten Herzen 
und der Inschrift: Ich bin din, du bist min, sonst wäre es 
auch ein gutes äußeres Seichen gewesen, wenn Volpracht 
ihr zur Verheiratung ein gleiches Kinglein an den Finger 
hätte stechen können. Da habe sie geglaubt, von dem Ge— 
schenl, welches sie von ihrem Verlobten erhalten, nicht 
länger schweigen zu sollen, und nun sei ihr Dater über die 
Maßen fröhlich gewesen, weil er diesen Ausgang als einen 
Beweis dafür ansehe, daß das Vergangene gänzlich ver— 
ʒziehen und vergessen sei. Ihr Dater hoffe nun, noch am 
gleichen Tag mit Volprachts Mutter über die baldige Ver— 
lobung und Hochzeit sprechen zu bönnen. 
Volpracht gab sogleich der Magd ein Briefschen mit, in 
dem er Susanna Juliana dringend bat, ihm zuvor noch 
eine Unterredung unter vier Augen zu gönnen, da er ihr 
etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Bald darauf bam die 
Magd wieder mit einem Briefchen, in dem geschrieben 
stand, daß Susanna Juliana sich zu bestimmter Seit bei 
ihrer Muhme einfinden werde. Die Muhme werde sie 
heide gerne einmal zu einem kurzen Gespräch allein lassen. 
Volpracht begab sich zur festgesetzten Stunde in das 
Haus der Muhme. Er wurde von der ältlichen, ungemein 
dicken Frau mit vertrautem Lächeln empfangen, woraus er 
sah, daß sie schon alles wisse, und es dauerte auch nicht lange, 
jo befand er sich mit dem geliebten Mädchen allein in dem 
Gemach, sodaß er frei mit ihr sprechen konnte. Die Muhme 
hielt sich in der Nähe der Tür, um etwa doch auch ein 
Wörichen von den Liebesgesprächen zu erhaschen, wie sie 
deren leider in ihrem jungfräulichen Leben hatte entbehren 
müssen; da sie aber harthörig war, bonnte sie wenig verstehen 
von dem, was drinnen verhandelt wurde. Nur einmal glaubte 
sie zu hören, daß Susanna Julianag in einem Tone, wie 
ihn die Muhme von einer Braut nicht erwartet hatte, sagte: 
„Sist du deiner Mutter darin gehorsam gewesen, daß du 
dein Spiel mit mir getrieben hast, so sei ihr nun auch ge— 
horsam bis zum Endel“ Es folgten darauf mehrere lebhafte 
Kebden von der einen und der andern Seite, welche die 
Muhme zu ihrem Leidwesen nicht verstehen konnte. Nur 
glaubte sie — trotz ihrer schwachen Augen — durch das 
Schlüsselloch zu sehen, wie Volpracht vor Susanna Juliana 
niederstürzte, um ihre Kniee zu umfassen, und wie sie zurück- 
wich, indem sie mit stolz erhobenem Kopf die Hand gegen 
ihn ausspreizte. Einen Augenblick war dann alles still. 
Noch einmal sprach Volpracht, aber beine Antwort jsolgte. 
Da stürzte er mit verzweifelter Miene, die Lauscherin fast 
iberrennend, die Treppe hinunter. Kurz darauf teilte 
Sujanna Juliana ihrer Muhme und bald nachher auch ihrem 
Oater mit, daß sie den Junker Dolpracht von Wickenborn 
nicht ehelichen werde. 
Am Morgen nach einer schlaflosen Nacht bereute Vol⸗ 
pracht, sich dem — allerdings begreiflichen — UAnwillen 
des stolzen, aber umso liebenswerteren Mädchens so schnell 
jefügt zu haben, und suchte eine Gelegenheit, wieder mit 
hre zu jprechen. Diese Gelegenheit fand sich auch bald. 
don dem Erber seines Hauses in der Rittergasse bonnte er 
inen schmalen Streifen des Warktplatzes überschauen, und 
jerade diesen Streifen breuzte Susanna Juliana, als Vol- 
»racht am Fenster stand. Der Junber säumte nicht, ihr zu 
olgen, und zu seiner Freude ging sie wieder in das nicht 
ehr entfernte Haus der Muhme. Er wartete so lange, bis 
ich die Frauen begrüßt und die wichtigsten Neuigkeiten 
gejagt haben bonnten, dann krat er in die Türe. Er wollte 
gerade eilends die Treppe hinaufsteigen, als die Muhme 
erunterkam. Da die Stufen ohnchin nicht breit waren, 
o zwang sie ihn durch ihre Körperfülle mit Leichtigkeit, 
zalt zu machen. Er vermutete mit Recht, daß sie dies nicht 
ius eigenem, bösen Willen tue, und um zu einem schnellen 
ind guten Schlusse zu bommen, bat er sie mit freundlichen, 
escheidenen Worten, ihn doch um Gottes und aller Heiligen 
billen bei der Jungfer zu melden. Die Muhme, die in 
hrer umfangreichen Brust ein weiches Herz hatte, fühlte 
»in Lräftiges Mitleid mit dem unglücklichen Liebhaber, die 
orgetãuschte Strenge ihrer Züge schmolz vor seinen Augen 
ind wandelte sich in freundliches Wohlwollen, und sie ver— 
prach, ihn alsbald zu melden, jedoch unter der Bedingung, 
aß er beinen Schritt weiter tue. Sie schraubte sich mühsam 
ie steile Treppe hinauf, verschwand in einer Türe ... und 
am nicht wieder. Er wartete und wartete und tröstete sich 
amit, daß dieses Waerten zu seiner Buße gehöre. Der 
ichtstreifen, den die Sonne in den Hausgang warf, war 
eträchtlich weitergerückt und hatte begonnen, die Wand 
inaufzublettern, da ging endlich oben eine Tür, und wireklich 
eschien wieder die Muhme mit hochrotem Kopf. Sogleich 
vollte er hinaufstürzen, aber sie hielt ihn durch eine Hand- 
ewegung zurück und kam einige Stufen herunter. Er tat, 
ls bemerke er ihre abweisende Miene nicht, und bevor sie 
och, gewaltig Atem holend, den Mund öffnen bonnte. hatte 
er sie erreicht und rücksichtslos beiseite gedrängt. Da sie 
»ines solchen Angriffs nicht gewärtig war, verlor sie den 
halt und saß plötzlich wie ein harmlos spielendes Kind auf 
er Treppenstufe, während der Junker hinaufjprang und in 
em Gemach verschwand, aus dem sie gekommen war. Sie 
rauchte geraume Seit, bis sie sich von ihrem Schrecken und 
hrer Entrüstung so weit erholt hatte, daß sie an ein Auf- 
tehen denken bonnte, und noch länger dauerte es, bis sie 
ben die Tür öffnete. Swischen den beiden Personen im 
Hemach schien sich indes nichts geändert zu haben, denn 
sie Muhme hörte gerade noch, wie Susanna Juliana sagte: 
Nie werde ich über die Schwelle Eures Hauses als Euer 
fhgemahl treten!“ Der Junber stand einen NMugenblick, 
ils suche er vergeblich das Wort zu fassen, dann warf er 
»en Kopf herum und eilte zur Türe hinaus. 
VDon da an schien es Volpracht aufgegeben zu haben, 
Susanna Juliana zu gewinnen. Er führte in der Stadt 
ind auf den benachbarten Gütern seiner Mutter und seiner 
freunde ein ziellojes, unstetes Leben und machte durch seine 
vilden, waghalsigen Streiche von sich reden, oft aber war 
ꝛr auch tage-, ja wochenlang kaum zu sehen, sodaß man 
weifeln konnte, ob er noch im Lande sei. 
Anerwartet trat etwas ein, das seinem ruhelosen, un— 
heschäftigten Geist ein Siel und seinem starken geschmeidigen 
cörper Arbeit genug hätte geben bönnen, wenn ihn die 
viderfahrene Abweisung nicht gänzlich zu einem anderen 
Menschen gemacht hätte. Der Abt von Fulda erblärte sich 
ämlich für einen Feind der landgräflichen Stadt, weil ein 
andgräflicher Kitter einen der Freunde des Abtes nieder⸗
	        
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