Bändern gehaltene rote Müßchen, das die Mädchen und Kinder,
die in der Tracht ũberhaupt allerliebst aussehen, iragen, jesjelt jo⸗
fort das Auge. Dabei hat die Schwaälmerin, die ũber den weißen
Wadenstrũmpfen niedrige Schuhe mit bleinen Stöckeln trägt, einen
ausgejprochen zierlichen Gang. Die volle Farbenpracht wird an
Festtagen, bei Verlobung, Hochzeit, Taufe und bei den alljahrlichen
Kirmesfesten zur Schau getragen. Dann bommen zu der reichen
Festleidung noch wert
bolle Ketten, Kopf-
outz sowie Gold⸗ und
Buntstickereien, „Eb-
en“ und „Bretter“
genannt, die auf dem
Kũcken und auf den
Hüũften aufgelegt wer⸗
den. Und zum Lobe
derschwãlmerinnen sei
es gesagt, daß sie bis
in die Neuzeit zumeist
an ihrer Tracht fest-
halten. Die Männer
dagegen haben in den
ietzten 530 Jahren dem
alles gleichmachenden
Geist der Reuzeit nicht
tandgehalten, woran
die nach 66 einge⸗
führte allgemeine
Wehrpflicht die Haupt⸗
schuld trägt. Die
jungen Burschen, die
sich wãhrend ihrer 8-
jährigen Dienstzeit
an das Städtische ge—
wöhnt hatten, wurden
nach ihrer Räckkehr
der heimatlichen Tracht
nehr und mehr un—
reu. Dazu kam, daß
die Kleinbauern neben⸗
dei zumeist ein Hand⸗
verb betrieben, das
jie meist mit den
Stãdtern in Berũh⸗
eung brachte. Um
1900 trugen von 300
nãnnlichen Emwoh—
nern nur noch 92
Tracht. Nuch die
rassigen Bauerntypen
werden jehr selien,
doch findet der Maler
auch heute noch gute
Modelle.
Was auch immer
n der Schwalm das
Auge schaut, die
Landschaft, das Dorf
und jeine Bewohner,
alles bietet reiche
malerische Ausbeule.
Fürwahr, es muß eine
Lust gewesen sein,
—A
erisch zu entdecken,
und diese Lust war
Berhard von Keutern
eschieden.
Wer war denn
aun dieser Gerhard
oon Reutern“)? Es war einer von den Millionen Auslands⸗
deutschen, mit denen wir Reichsdeutschen uns jetzt, nach dem
großen deutschen Unglück, viel enger verbunden fühlen als vor
er. In den frũheren euͤssischen Gstjeeprovinzen, in Livland war
Keutern 1794 von deutschen Eltern geboren. Als Leibhusar Lam
zr in den Freiheitskeiegen nach Deutschland, verlor aber in der
Ooͤlberschlacht beiĩ Leipzig seinen rechten Arm. Welch furchtbarer
Schlag für einen Menschen, der den Maler in sich fühite. Keutern
⁊) Vergleiche meine Nufsätze in Hessenbunst 1910 522. (N. G. Elwerts- Verlag
Marburq-Sahn.)
erzagte nicht. Schon wenige Tage nach seinem Anglück machte
»r Dersuche, mit der linken Hand zu schreiben und zu zeichnen.
lach einem Jahr war er mit der ÜUbung der linken Hand so
veit fortgeschritten, daß er im Verlust der rechten bein Hindernis
ũr seine Kunst sah und dem Gedanben nahetrat,. sich ihr ganz
zu widmen.
Nach Willingshausen bam Keutern zum erstenmal im Sommer
1814, um seine VDer—
—X
zell zu besuchen.
Eine doppelte Liebe
sesjelte ihn bald an
die Schwalm. 1820
purde er mit der
ũngsten Tochter des
Schloßheren in Wil⸗
ingshausen getraut.
Und die andere Liebe
var die des Käünst-
ers zur malerischen
Schwãlmer Landschaft
ind ihren Bewohnern.
Fine Kunstschule hat
Keutern niemals be—
ucht; nur vorüber⸗
jehend hat er auf
einen Keijsen in Bern,
Dũsseldorf, Kasjel und
VWeßlar bei nam—
haften Malern gear⸗
beitet. Im übrigen
ernte er Seichnen
und Malen allein nach
der Natur, „und nie⸗
nals hat ein Schũler
dem besten aller Mei⸗
ter mehr Ehre
gemacht.“
Am staärksten ist
er vielleicht von Goe⸗
the, den er wieder—
holt in Weimar be—
uchte, beeinflußt und
mmer wieder im
Hlauben an seine
rũnstlerijchen Fähig-
reiten bestärbt worden.
Seine ersten Schwäl⸗
mer Bilder von 1827
und 28 sind künstle⸗
»isch noch nicht auf
er Höhe der späteren
Arbeiten, aber für die
rachtenkunde von
zroßem bulturgeschicht⸗
ichen Wert. Ich nenne:
Hochzeitsgãste“ (vgl.
Abb. — geschappelt:
Anne Kathrin Ort
u. Johann Riebeling),
Eine Taufpatin in
Schwälmer Tracht“
Liesbeth Daum),
Trauerzug“ (Paul
Dörr mit Frau und
Tochter), „Eine Trau⸗
ung in Willingshau⸗
en“ (vgl. Abb. — Lud⸗
wig Dörr, Trinchen
Neusel; Metropolitan
5chanz aus Siegenhain traute), „Fritz v. Schwertzell auf der Jagd
m freien Felde“ (im Willingshäuser Schloß befindlich), „Schwälmer
Zauern in Sonntagstracht‘. Besonders gelobt wurde von Goethe
»as Bild „Drei Schmalkalderinnen, Körbe verbaufend“, das auf
in Marburger Erlebnis zurückgeht, uns aber leider nicht erhalten
st. Auch das älteste Willingshäuser Landschaftsbild stammt von
Keutern, der es Goethe schenkte. Es hängt noch jetzt im Goethe—
aus in Weimar, und zwar im sogenannten Majsolikazimmer.
Aus dem Jahre 1885 stammt die Darstellung einer Schwäl-
ner Bauernfamilie bei der „Hausandacht“ (vgl. Abb., 2. Fassung
G. v. Keutern: Die Strickerin 1839.
MAus Hessenbunst 1922. (M. G. Elwert⸗Derlag Marburg-Lahn.)