Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

neu gezimmerte zusammengefüget, und nachdem ich, der Be— 
amte und nach mir jeder Gerichtsschöffe einen Nagel ein- 
geschlagen, aufgerichtet, mithin dem oben angezogenen hohen 
Kejbript ein Genüge geleistet, und dieser Actus beschlossen.“ 
Bemerbenswert ist an dem Bericht nicht nur die Wichtig- 
zeit, die der Here Kentmeister seiner Person beimißt und 
die in dem mehrfachen „ich, der Beamte“ zur Darstellung 
rommt, sondern auch die volle Effentlichbeit, in der zu 
ener Seit, wie die Hinrichtung der Deliquenten, so auch 
die Aufrichtung des Galgens geschah. Es liegt für uns 
ein gewisser Humor darin, wenn man zu diesem Abtus 
in feierlichem Suge aufzieht und wenn die Teilnahme daran 
nicht nur für die Gerichtsbeamten und Gerichtsschöffen, 
ondern auch für die Ortsvorsteher und ihre Gemeindemänner, 
a selbst für die Schulbnaben offiziell gemacht wird. Es 
iehlt nur noch die in alten Seiten bei Grenzabmessungen. 
Zaumpflanzungen und ähnlichen Anlässen übliche Ohrfeige 
in einen der Knaben, damit ihm die Veranstaltung für 
pãtere Seiten besser im Gedächtnis bleibe. Geradezu 
rrotesk aber wirkt die feierliche Nagelung des Galgens 
urch den Beamten und die Schöffen, die offenbar den 
dagelungen von Armeefahnen oder den Hammerschlägen 
ei Grundsteinlegung öffentlicher Gebäude nachgebildet ist. 
Inser Volk hat ja in vergangenen Tagen auch den Tod, 
nd selbst den Galgentod mit einem gewissen Humor be— 
andelt (die Hochzeit mit des Seilers Tochter). Aber in 
rner Seit gegen Ende des 18. Jahrhunderts, wo die Auf- 
lärung und die Sentimentalität ihren Anfang nahmen, 
zat man den ganzen Aufzug offenbar mit aufrichtiger Ehr— 
arbeit und strengstem Ernst veranstaltet, und der darin 
iegende Humor ist ein durchaus unfreiwilliger. Es gibt aber 
deute, die behaupten, der unfreiwillige Humor sei der beste. 
Erinnerungen an M. Herbert õ Von Else Schneider. 
In meinem Leben gab es eine Oase. So oft ich mich dahin 
flüchten konnte, blieb der Alltag mit seinem Krimskrams, seinen 
Sorgen und Nöten draußen. Das war ein stilles Simmer in der 
einen Keiter-ODilla im Osten der Stadt“): das Arbeitszimmer 
der Dichterin. Nicht groß, doch schön und gemütlich; Kunstwerke 
und Altertümer auf Borden und Konsolen wie auch in den anderen 
Zimmern. — M. Herbert (Frau Therese Keiter) war eine große 
Kunstliebhaberin und bennerin. Dunkle Mobel, Polster, Kißen, 
Decken und Vorhänge in Purpuerot, ihrer Lieblingsfarbe. Ein 
großer eichener Bibliothebschrank, den Danneckers Schillerbũste 
brönte, barg Schätze der Literatur — nur ihre eigenen Werke 
jand man nicht darinnen, sie hatte baum eines ihrer Bücher, alle 
wurden sie ihr abgebettelt, und sie konnte niemals Nein sagen. 
An einem Fenster nach der Gartenseite stand, mit Buchern 
und Schriften bedeckt, ihr Schreibtisch. Darauf lehnte eine sehr 
jute Kopie des bebannten Christuskopfes von Lionardo da Vinci 
aus der Brera in Mailand. M. Herbert liebte dieses Sild ũber 
alles und hat es in dem Gedicht „Vor dem Leiden“ verherrlicht. 
Man bonnte es vom ganzen Simmer aus sehen. 
Kechts neben dem Schreibtisch, auf einem mit rotseidener 
Decke verhängten Bũcherständer schimmerte die weiße Figur der 
Kranzwerferin, Nachbildung eines Genius in der Walhalläͤ. Und 
Slumen gab es bei ihr, Blumen in allen Simmern, in Schalen 
uind Dasen. Das ganze Jahr bedachten ihre Freunde sie damit, 
Sommer und Winter. Die Seele des Hauses aber war sie, die 
perehrte Dichterin! Immer werde ich sie vor mir sehen, die hohe, 
aufrechte Gestalt, die auch ihr schweres Leiden nicht beugen kLonnte, 
das edle Gesicht mit der 
chõnen Stirne, den dunkb- 
len. gaätig blickenden 
Augen und dem charabter⸗ 
pollen, weichen Mund. 
Als ich sie bennen 
lernte, war sie schon in 
grauen Haaren, doch im 
BSespräch bonnten ihre oft 
o matten Augen in ju—⸗ 
gendlichem Feuer auf- 
olitzen — und auch in 
Schelmerei, denn sie hatte 
auch Humor. Ein Hauch 
on Vornehmheit umgab 
ie, man konnte sich gar 
nicht denken, daß jemals 
ꝛtwas Niedriges an sie 
herantreten bönnte. Und 
doch hat gerade sie die 
leinen Leute gekannt, als 
vãre sie in diesem Milieu 
aufgewachjen. Es ist stau⸗ 
nenswert, wie sie sich in 
die Piyche eines alten 
Bettelweibleins und an⸗ 
derer armer Menschen 
hineindenken bonnte. Man 
*Reqensbura. 
ese nur ihre Erzählungen aus dem Volb: „Der wilde Dorneck“, 
Hungerbäum“, „Oberpfälzische Geschichten“ „Volbsgeschichten“ u. 
1. Es sind Meisterwerke. 
Spãter bonnte ich das schon besser begreifen, als sie mir aus ihrem 
deben erzählte, von ihrer Hessenheimat, dem geliebten Melsungen 
in der Fulda. Sie hat es in mehreren Romanen geschildert: Die 
Venderoths, Idealisten, Bartenwetzer und in kleineren Erzählungen 
mnd Sbkizzen. In der alten freiherrlichen Burg „Steinhaus“, und 
äter auf der „Rosenhöhe“, verlebte sie mit einem jüngeren 
Zruder eine wundervolle Kindheit in goldener Freiheit. Da 
hleppte sie statt der Puppen die Kaßen des Rabbiners und 
mderes Getier herum, spielte mit den Gassenbindern, den kleinen 
Barfũßerchen“, die sie zärtlich liebte. Das Haus lag weit draußen, 
in der Kasseler Landstraße, da lernte sie alle möglichen Leute 
ennen: Bärenführer, Seiltänzer, Holzhacker, Waldarbeiter, 
dandernde Schauspieler, Krämer, Bettler und Adelige. Und alle 
erzãhlten ihr etwas aus ihrem Leben und von ihren Schichjalen. 
Das ist charabteristijch jͤr M. Herbert. Güte und Teilnahme 
heinen schon als Kind an ihr sichtbar ausgeprägt gewesen zu sein. 
hr Leben lang haben alle Menschen, die sie bennen lernten, un— 
— — 
ffneten sich iher. Das hat sie wohl manchmal beglückt, aber noch 
‚eit öfter gequält und belästigt. Aller Welt Lasten wurden auf 
re Schultern geladen — nach den ihrigen fragte niemand. Und 
z bonnte die Leiden anderer fast physisch nachempfinden. Manche 
deute waren auch so naib, zu glauben, wenn sie der Dichterin des 
angen und breiten ihre Schicksale erzählten, ihr damit Stoff zu 
ꝛinem Roman zu geben. 
Doch um nicht jemand 
weh zu tun, opferte sie 
lieber Kuhe, Behagen., 
kostbare Arbeitszeit und 
Bejundheit. 
Wie oft habe ich ge⸗ 
heten: „Laß dich doch 
aĩicht ganz zugrunde rich⸗ 
ten! Landgraf, werde 
dart !“ 
Wohl jsagte sie in 
ietzter Seit einmal: „Ich 
verde doch einen Riegel 
orschieben mũssen, sonst 
lomme ich nicht mehr aus 
mit Kraft, Seit und — 
Beld.“ 
Doch sie tat es bis 
in ihr Ende nicht. Sie 
donnte niemand, der 
chriftlich oder mũndlich 
nit einem Anliegen zu 
hr bam, abweisen. Auch 
Undank, den sie nur zu 
»ft erfahren, änderte 
»aran nichts. Freilich 
vurde sie auch viel geliebt 
uind verehrt. Aber so 
viele Menschen sie auch 
Hersfeld. Die Kapelle des Hospitals am Johannistor. 
Aus Neuhaus. Geschichte von Hersfeld. (Hans Oit-Verlaq.)
	        
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