Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

zur Strafe ewig in der Nacht rumfahren mußte. Fürchten kat ich 
nich net, wie ich da allein den Berg raufsstieg. Ich hatte ja meine 
Messer bei mir! 
Aber wie ich schon im Wald gerad auf der Höhe bin, hör 
ich im Tal hinter mir, wie verrũckt die Hunde bellen. Ein Kasseln 
kommt dann von unten herauf. Jetzt hör ich's schon ganz deutlich 
auf dem Wege hinter mir. Der Mond ist hinter die Wolken ge 
krochen, aber ganz deutlich bann ich den Weg sehen. Jetzt dröhnt 
es dicht hinter mir, nun über mir: schnaubende Pferde, Ketien 
klieren und Hũh-hott brüllt eine gräßliche Stimme! — Dann 
ist's vorbei. Die Räder rasseln noch lange drüben im Gelstertal. 
Ich war pitschenaß, wie ich heimkam.“ — 
Das war starker Tobabl Eine Weile sinnt jeder noch an der 
Geschichte herum, und dann kommen Vermutungen aller Ärt. Wer 
fährt wohl bei Nacht einen schlechten Waldweg⸗ 
Die Alten gucken still in die Gläschen, und die Jungen finden 
de Inben bald wieder. Es ist doch zu schön, sich mal so recht zu 
gruseln! 
Dann kommen noch Geschichten vom bleinen Mannchen, vom 
Männchen mit der roten Kappe, vom spubenden Kalb mit den 
zwei Köpfen — schier unerschöpflich ist der Vorratl Und wenn 
dann die Gäste um Mitternacht heimwärts tappen durch das stock 
finstere Dorf, — wer weiß, ob ihnen nicht eins von den Wanner- 
dingern zur Seite geht? 
Die Mãdchen halten fũr alle Fälle schon ietzt ihre Burschen fest. 
Die hessische Sagensammlung. 
Es fehlt uns in Hessen immer noch die Sagensammlung, die 
mit den Mitteln moderner Forschung alles vorhandene und noch 
erreichbare Sagengut erfaßt, sichtet und ordnet, und zwar ordnet 
nicht nach einem Sammlerschema, sondern nach inneren organischen 
SZujammenhãngen, so daß ein lebendiges Sild hesfischen Volbs. 
tums entsteht und damit zugleich das Kernstück einer hessischen 
Stammeskunde. Eine umfassende und quellenmäßige Sagensammlung 
aljo, wie sie die mitteldeutschen Landschaften von Schlesien bis 
Thũringen, wie sie das Rheinland und Westfalen bereiks besitzen 
und der Harz sie jeßt bekommen wird. Ver Herausgeber des 
deutschen Sagenwerbes, das im Verlage von Eugen Diederichs 
in Jena erscheint, Paul Zaunert, hat nun auch für Hessen diese 
Arbeit in Angriff genommen. Es handelt sich hier nicht um eins 
von jenen allzuvielen Bũchern, die dadurch zustande Lommen, daß 
aus zwölfen ein drelzehntes gemacht wird. Es soll, soweit es bei 
einer Sagensammlung moõͤglich ist, etwas Endgültiges geschaffen, 
ganze und grũndliche Arbeit getan werden. 
Dazu brauchen wir die Mitwirbung aller, die irgendwie die 
Mõglichkeit haben, Sagenquellen zu erschließen. Es ist bei uns 
in Hessen darin bisher viel zu wenig geschehen, es ist bereits viel 
versäumt worden. Mit jeder Sage, die verblingt und vergessen 
wird, geht ein Stũck Volkstum verloren. 
Die Sagen müssen wörtlich, so wie man sie erzählt bebommt, 
aufgeschrieben werden, unter möglichster Beibehaltung des Mund 
artlichen, bejonders der Bezeichnungen für die Wesen und Vor— 
gänge der Sagen und sonstige Dinge des Volbsaberglaubens. 
Nicht zu vergessen sind dabei Angaben über den Ort, wo die Sage 
her ist, wesentlich sind solche ferner ũber die Person des Erzählen. 
den, nach Alter, Stand, Geschlecht und Herkunft (ob zugewanderter 
oder Alt· Anjaãssiger), auch ũber sein Verhältnis zu dem Erzählken, 
ob er es frũher in seiner Jugend gehört oder neuerdings, ob von 
denen, die es erlebt haben, oder od er es selbst erlebt hat. Auch 
ob die Sage ofter erzählt wird oder nur vereinzelt auftritt. 
Nach den bisherigen Erfahrungen geht man bei dem Nach— 
jorschen am besten von verschiedenen Ausgangspunbten vor, und 
zwar: 
1. von Grtlichkeiten aus, indem man fragt nach Sagen, die 
sich knüpfen an: Berge, Felsen, Höhlen, Steine. — Vorchristliche 
Grabstätten. — Ruinen, Schlösser, Gutshöfe, alte bürgerliche 
Bauten. — Kirchen, Kirchhöfe, Klöster, Bilder, Kreuze, Glochen. 
Wäãlder und einzelne Bäume. — Berg und Hũttenwerbe, Mählen, 
Hämmer. — Guellen, Brunnen, Flüsse, Seen, Moore. — NAuf- 
fallende Flurnamen und andere merbwürdige Ortsnamen. 
2. kann man vom Stofflichen, vom Sagentypus ausgehen. 
Da bann es sich z. B. handein um: Sauber (Festbannen, Feuer— 
segen, Liebeszauber, Sauberbũcher, Wünschelrute, Verwũnschung 
und Fluch, Kreuzweg, Sauberzeit, z. B. Christnacht). — Einzelne 
Personen, die im Besitz besonderer geheimer Krafte und Känste 
sind (Schwarzkünstler, Wunderdobtoren, Jäger, Sigeuner, Juden, 
Schãfer usw.). — Hexen, Vachtmahr (Alp), Wehrwolf. — Die 
Heiligen; geweihte Dinge; besondere Kräjste der Geistlichen. — 
Das „zweite Gesicht“ (Dorschau bünftiger, meist unglũcklicher Er— 
eignisse, z. B. Todesfälle, Brãnde uswp.); Vorbedeutungen, Träume. 
ARophezelungen (Zukbunftsbriege, politische Umwãalzungen, Tausend⸗ 
ãhriges Keich, Himmelszeichen, große Naturereignijje, Klima- 
inderung). — Der Tod (Erscheinung oder Anmeidung von 
zterbenden, andere Vorgänge in der Todesstunde, oder beĩ der 
deiche usw. — Wiederbehrende Tote (wie sie zu befragen sind; 
oarum sie umgehen; Erldsung uspp). — Lichtpub, gespenstische 
kiere (Katzen, Hunde, Hasen ujw.), Keiter, Jäger und Kuischen. — 
dergrabene Schätze (Geldfeuer, Spub bei solchen Stellen; Gold⸗ 
eld, vergrabene Waffen, leßteres mit Vorsicht). — Geschichten 
om Teufel (wie er geprellt wird; unerblãrlicher Reichtum; Be⸗ 
jebenheiten mit Trinbern, Kartenjpielern. Freimaurern). 
3. von der Keichs⸗, Landes und Ortsgeschichte aus; solche 
Sagen knũpfen sich z5. B. an: Kriegszeiten (Schweden. Franzosen, 
Tosaken, Weltbrieg, KRevolution) — Religidjse Bewegungen 
Keformation, Seblierer, Propheten). — Einzelne geschichtliche 
2ersönlichkeiten (Landgrafen und Kurfürsten, den Alton Frißz 
Napoleon, Jéerome, Ddenberg, Kothschild). — Gutsheren, Sarone., 
Origlnale“. — Berũchtigte Kauber. Seuchen (den schwarzen 
Lod usw.). — Entstehung von Oetschaften. Merbwũrdigbeiten der 
Ortsgeschichte. — 
Mitteilungen, moglichst auf einseitig beschriebenem Papier 
und mit genauer Angabe des Abjenders, werden erbeten an 
De. Paul Saunert, Kassel⸗Wilhelmshöhe, Landgraf-Karlste. 58. 
(Unsere Leser, die in der Mehrzaͤhl dem Dorf entstammen 
ind auf dem Lande wohnen, werden, vertraut mit dem Denken 
ind Dichten des Volkes, deni Herausgeber der Sagen wertvolle 
Dienste leisten Lönnen. Und am guten Willen zur Mitarbeit wird 
es, so hoffen wir, auch nicht fehlen. Es giit eine Dankesschuld 
in die Heimat abtragen und altes Sagengut vor der Vergeßen- 
eit bewahren. Die Schriftl.) 
Schoolversiemnis b. 
(Abteroder Mundart.) 
Das Annemargret woar änn gähnz fuhles Wieb ), 
Nischdoon?ꝰ) woar sinn liwwester) Sielbertrieb, 
Unn dän gähnzen Daag imme Fenster gelai); 
Drimme?) woar'sch unn bleab's“) änne darme Frais). 
Sinnem Maichen?) hädd's sällen 10) sinn Kleid geflickt, 
Ann sällen es aini) zor Schoolen geschickt. 
ODoa hädd där Lehrer mogi Ernst gemacht, 
Unn's Annemargret zor Ahnzeigeñ gebroacht. 
Doa bimmet) das Wieb zumme Lehrer wie wild. 
Unn brischt!) und gaabet'sj, schbebtabelt unn schilt. 
„Wo brich ich de Warb här, ich oarme Frai?! 
Doa bunn i) Se mich liwwer glich dot geschlaĩ 10) 1* 
Där Lehrer äß gain!) Dreenen!) nit schdarkb. 
Hä packt in de Daschen: „Hier habt Ihr die Marb! 
Nun bessert Euch aber auch, Annemargret, 
Und hört auf zu weinen; seid ruhig und gehtl“ — 
Där Lehrer drifft oaweds ) dän Härr Subberdänt, 
Där ai das Annemargrete goat bännt. 
„Die Frau hat die Sache mir weinend erzählt; 
Was wollte ich machen? Ich gab ihr das Geld!“ 
Sãhle?) druff seaht?i) där Lehrer dän Härr Sebberdar. 
„Die Macrgrét bezahlte die Maͤrk doch, nicht wahr? 
„Die Frau ist zu arm, das wissen Sie ja! 
's ist beigelegt, — weil nichts zum Pfänden da!“ 
Kinteln a. d. Weser. Helene Brehm. 
Schnurrpfeiferecien. 
„Banns dunnert, dann ferrt ich mich, dann bet ich!“ 
In eine Schule im Kreise Melsungen kommt Anno 190 der 
efürchtete Kreisschulinspebtor. Nach einigen Stunden der Prũfung 
ommt auch die Gesellschaft der bleinen Osterrekruten zum Unter 
icht. Sie sollen Gebete hersagen. Da bommt die Keihe an einen 
Jungen, welcher schweigsam bleibt um alles in der Welt. Nun, 
nein Sohn“, sagt der Inspebtor, „betest du denn ũberhaupt nichte 
Der Junge nickt. „Nun, wann betest du denn? — Kasch erkläet 
»er Junge; „Banns dunnert, dann fserrt (fürchte) ich mich, dann 
»et ichl“ And dieweil nun an dem Tag bein Gewitter kam, so 
var auch der Junge nicht zum Beten zu bringen, obwohl 3wei 
Hewaltige, der Lehrer und der Kreisschulinspektor, vor somanden 
Xieje. 
) Schulversãumnis.*) Weib.*) Michtstun. ) liebster. *) liegen. o) darum. 7) blieb's. 
) Frau. 9) Mädchen. Tochter. 10) selten. 1) auch. 12) ßommt. 18) weint. 44) schreit. 
) rõnnen. 16) schlagen. ) geqgen. 18) Träãnen. 18) abends. 20) bhald. 219 sieht.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.