Nicht wahr, wenn man die Hände hebt vom „köstlich bereiteten
Mahle“ und hat den mancherlei Genüssen des Tages noch einen
Schnaps aufgesetzt, dann geht das Erzählen noch mal so schön!
„Ellervatter, erzählt doch was aus der Seit, wo Ihr mal
juung waret!“ xuft der Enkel ũüber den Tisch. Ellervatter nickt seinem
jüngsten Enbel zu, der extra von der „Stadt“ heut abend ins
Elternhaus gebommen ist, um Schlachtebohl zu feiern.
„Ja, Jaböbchen, das ist doch fein, so zum Schlachtekohl mal
heimritsjchen und morgen wieder in der Stadt sein! So gut hab
ich's nit gehabt zu meiner Seit. Als ich beim Militär war und
Sonntags Urlaub hatte, zog ich nachts um zwölf hier weg. Acht
S5tftunden Wegs sind's, der Fußpfad sechs, und ich lief's in fünfen.
Wenn der Hornist die Reveille blies, dann flitzte ich durch's
Kajsernentor, daß ich noch in die andere Montur kam. Und dann
ging's auf den Forst. — Net wahr, Jaböbchen, wenn du zu Fuß
hättest laufen müssen, wärst du nit zum Schlachtefest gekommen!“
Mee — ganz wahrhaftig nicht“, lacht der Enbel.
„Aber das war noch nit schlimml Mein ältester Bruder, der
diente in Hanau, und damals gab's schon Eisenbahnen, aber immer
aur so stückweis. Der hat einen in der Kompagnie gehabt, der
tammte da oben aus dem Schaumburgschen. Mal ist der auch vom
Urlaub daheim zurückgekommen. Eisenbahnen gab's auf der ganzen
Strecke noch nit, und für die Extrapost hat er bein Geld gehabt.
Drei Tage war er nun schon in Hanau fällig, und der Hauptmann
ieß schon nach ihm fahnden. Dacht, er wär desertiert. Da
kommt er dann am nächsten Tag durch's Kasernentor, wie gerad
die Kompagnie vom Dienst eingerückt ist. Der Hauptmann nimmt
ihn dann schön in Empfang:
„Wo hast du, Kerl, gesteckt? Kannst du nicht daheim weggehen,
wenn's Seit ist! Einsperren werd ich dich, daß du weder Sonne
noch Mond siehst.“
Der Mond — da fällt ihm etwas ein wie eine Entschuldigung,
er ist ja rechtzeitig abmarschiert, aber wie soll er das beweisen?
„Herr Hauptmann“, stammelt er halb weinend, „als ich daheim
weg ging, war der Mond wie so'n ganz kleines Sichelchen, und
zeht ist er wie ein großes Wagenrad“. Dabei hat er mit beiden
Armen einen Mond in die Luft gemalt, wie's gar beinen gibt.
Der Hauptmann und alle Soldaten haben gelacht, und er hat
für diesmal nichts abgebriegt. Nun rechnet euch mal aus, wie lang
der Schaumburger gewalzt war!“ —
VDom Militär — wer wußte als gedienter Mann da nichts zu
erzãhlen? Aber am liebsten hören sie alle noch die alten Geschichten
aus den Vorbriegsjahren, oder aus den kburhessischen Seiten. Der
blutige Weltkrieg lastet noch zu schwer auf den einfachen Menschen,
um davon im fröoͤhlichen Kreise zu erzählen.
Das „Schnirer-Hänschen“. das die Nadel führt und ein
muckerichtes bleines Ding ist, das sonst nicht viel spricht, hat schon
mehrere vergebliche Anläufe gemacht zum Erzählen und bibbert
»or Aufregung: „Habt ihr denn noch Ebels Henner gebannt? —
Der war in Kassel bei der Artillerie gewesen. Er hatte sich da
auch ein Mensche angeschafft, och, es war sogar was Besseres!
Der Henner soll ja auch ein Staatsberle gewesen sein und hat in
seiner Montur was vorgestellt. Jetzt, wo er heimßam — das
Mensche war auch bei em — da sah er nit mehr so stolz aus; ne
Janz ale Hose haͤtten se em geschickt voller Flicken. Se hatten ja
auch nix daheim!
Seinem Mädchen hatte er vorgemacht, was sie für ein großes
Werk daheim hätten. Swei „wisse Schimmel“ hätte sein Batter!
Der Henner war ein großer Gautenmacher“); aber seinem Lischen
var nit spaßig zumute, und die Wohlhabenheit ihres Liebsten war
he ein bißchen verdächtig geworden. Jetzt waren sie oben in unsere
Flur gekommen.
„Wo ist denn dein Land?“ fragte sie neugierig. Da standen sie
gerad vor dem Bürgermeister seinem großen Weizenplan.
»Guck, der Fleck ist mein!“ rief der Henner und schlug
ch auf den großen Flichen am linten Schenbel. Gegenüber lag
ein großes Kartoffelland vom Untermüller. Der Henner fuhr
herum: „Und das ist öch min Fleck!“ Dabel haute er sich auf den
Flicken am rechten Bein. Das Lischen machte runde Augen. Wo
uin schöner Plan lag, schlug sich mein Henner auf einen andern
Flicken: „Das ist öch min Flecks“ Da hielt das gute Wetter an,
bis sie vor dem armseligen, scheiben Häuschen standen. Lischen
guckte nach den Stallungen. Nix davor und nir dahinter! „Aber
wo stehen denn eure Schimmel?“
„Dol“ jagte der Henner und machte die wacklige Hauskür
auf. Da standen auf dem Hausflur zwei weiße Siegen —
„Das sin inse wissen Schimmel, Mäijenl“ —
Ja, son Kerle war der Ebels Henner!“ prahlt das Schneiderlein.
„Schnirer · Hänschen, so'ne lange Kede hab ich all mein Leb⸗
iage noch nit von dir gehoört!“ ruft der dicke bleine Meßger ũber
eSpaßmacher.
en Tijsch. — „Stellt doch mal die Pulle mit dem Ehrbechschen ein
ißchen weiter weg von dem Gassenhänschen und macht nen
toppen draufl! Was so'n Schnirer ist, dem wird schon von dem
Seruch ganz blimerant!“
„Dul!l — du, sei mal stilll Du weißt doch, der Karle, was dein
Kollege ist, was der neulich für Weckewurscht gemacht hat! Nir
ils Wecke und Wurschtebrũh in die Därme gestopft, und den Napf
»oll Schwarten fanden sie nachher hinter dem Ofen. Was mag
der wohl geblasen haben!“ —
„Gut gebrüllt, Schnirer Hanschen! Gucket nur mal, was der
»eut für 'nen Wortschwall hat! Sonst hat er immer das Mul in
der Schieblade.“ —
„Da fällt mir was ein“, springt hurtig die Bäuerin dazwischen,
im beinen Sank auflommen zu lasen, „ihr sprecht da vom Mul in
der Schieblade. — Drüben in Dürrenbach der Gotltfred, der allt'
Musekante, der hatte, das wißt ihr ja alle, so 'ne rechte Bißzang.
die knep das Mul zu und sagte allzemal acht Tage lang bein
Vort, da mocht der Gottfred anstellen, was er wollte. WMal hat
e auch wieder gebrummt, und dem Gotthred ist's mit der Seit
ingweilig geworden, er schwätzt gern 'n Mul voll. 's Trinchen ist
erad im Stall gewesen zum Mellben, da bommt dem Gotthfred ein
Zedanbe. Schnell bramt er alles, was nur in den Schiebladen vom
dũchenschrank drin ist, raus. Davon baut er einen Haufen auf den
isch. Da bLommi's Teinchen rein, gerad wie er die unterste Schieb⸗
ade ausbramt, sieht verdußt die Unordnung und platzt los: „Alberer
Zerle, was süchst de denn?“ — „Din Mul“, jagt der Gottfred.“ —
Eine Weile ist es dann still geworden in der niederen Stube.
Im die schweren Deckenbalben kbräuselt sich blauer Kauch von
HNeifen und Sigarren. Man hört den Südwest ums Haus stampfen,
ind heulend fährt es wie eine Schar Unholder durch den Schorn-
tein. Der Hausherr guckt hinter den Scheiben hinaus. Der ab—
iehmende Mond geistert durch schwarze Wolbenmassen.
„Es bann jeder froh sein, der bei dem Wetter net über Feld
raucht!“ — „Ja, das ist 'ne Nacht, wo man sich fürchten Lönnt!“ —
Und jchon ist man mitten drin in der Stimmung für Spubgeschichten.
der alte Großvater, der in seiner Jugend als Schustergejselle
woch gewandert ist, weiß von seinem Freund aus der Borbener
ßegend allerhand zu erzählen.
„Der Kerl, der sah euch eines abends, als es schon ganz
ämmoerig war, eine Ente in einem Graben schwimmen. Weit und
reit kein Mensch und kein Haus. Er erwischt den Vogel fix an
en Fittichen und will ihn mitnehmen. Aber da, die Ente wird
mmer schwerer und schwerer! Er bann sie garnit mehr schleppen,
er muß sie fallen lassen. Im NMu streicht sie ab durch die Luft und
reischt von oben herunter: „Hätiest du mich nicht losgelassen. hätt'
ch dir den Hals herumgedreht!“ —
Dazu machen die Schlachtebohlsgäste freilich ungläubige Ge⸗
ijchter, und nur das Annchen und das Gustävchen, die am Ofen
itzen und noch immer nicht ins Bett wollen, briechen dichter zu-
immen. „Ja, Vatter, wie war das denn mit dem Dorf drüben
5 Borken, wo der Bursche die Toten gesehen hat?“ fragt der
auer.
Der Ellervatter ist in Gang gebommen, stopft die Pfeife, kippt
Feiterjack· auf den Fußboden, läßt sich Feuer geben und
edt los:
„Das ist an einem Neujahrsabend gewesen. Die Burschen
»aben in der Wirtschaft gesesen, und einer hat sich vermessen
ind gejagt, er wollte den Abend noch erfahren, wer im nächsten
Jahre im Dorfe stürbe. Er hat sich mit noch elnem um Witter-
iacht hinter die Kirchhofstür gestellt. Und da, wie's zwölf schlägt,
ind elf Gestalten an ihm vorbeigegangen. Sie haben sie alle gendu
rbannt bis auf den lehten. Und in derselben Keihenfolge sind sie
iuch gestorben. Der eine hat noch gefehlt, und es ist schon in der
Veihnachtos woche gewesen. Da hat eines Morgens elin toter
handwerbsbursche auf der Straße gelegen. Eigentlich lag er in
er Gemarkung des Nachbardorfs. Aber ein geiziger Bauer, der
rũh zur Stadt wollte, fand ihn und schleppte ihn über die Grenze,
im seinem Dorf die Beerdigungskosten zu ersparen. Und der
fremde ist der Elfte gewesen.“ —
Das war nun eine Geschichte, die unsere Gesellichaft schon
edenklich stimmte.
„Hal“ meint der Meßtzgger, „ihr erzählt da alles Geschichten,
ie andern Leuten passiert ind. Aber ich habe selber mal was
elebt, daß mir's heut noch net geheuer ist, wenn ich dran denbe.
Ich erzähle nur, was ich wahr und wahrhaäftig gehört habe mit
igenen Ohren.
Ich war noch ein junger Kerle und hatte bei meinem Schwager
n Wengerschhusen geschlachtet. Es war spät geworden, als ich
anz alleine über den Wald ging. Den ganzen Abend hatten sie
chon von „Wannerdingern“ erzählt, dabei auch ein Stũckchen von
em verwunschenen Fuhrmann, der sein Vieh so geschunden und nun