Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Nicht wahr, wenn man die Hände hebt vom „köstlich bereiteten 
Mahle“ und hat den mancherlei Genüssen des Tages noch einen 
Schnaps aufgesetzt, dann geht das Erzählen noch mal so schön! 
„Ellervatter, erzählt doch was aus der Seit, wo Ihr mal 
juung waret!“ xuft der Enkel ũüber den Tisch. Ellervatter nickt seinem 
jüngsten Enbel zu, der extra von der „Stadt“ heut abend ins 
Elternhaus gebommen ist, um Schlachtebohl zu feiern. 
„Ja, Jaböbchen, das ist doch fein, so zum Schlachtekohl mal 
heimritsjchen und morgen wieder in der Stadt sein! So gut hab 
ich's nit gehabt zu meiner Seit. Als ich beim Militär war und 
Sonntags Urlaub hatte, zog ich nachts um zwölf hier weg. Acht 
S5tftunden Wegs sind's, der Fußpfad sechs, und ich lief's in fünfen. 
Wenn der Hornist die Reveille blies, dann flitzte ich durch's 
Kajsernentor, daß ich noch in die andere Montur kam. Und dann 
ging's auf den Forst. — Net wahr, Jaböbchen, wenn du zu Fuß 
hättest laufen müssen, wärst du nit zum Schlachtefest gekommen!“ 
Mee — ganz wahrhaftig nicht“, lacht der Enbel. 
„Aber das war noch nit schlimml Mein ältester Bruder, der 
diente in Hanau, und damals gab's schon Eisenbahnen, aber immer 
aur so stückweis. Der hat einen in der Kompagnie gehabt, der 
tammte da oben aus dem Schaumburgschen. Mal ist der auch vom 
Urlaub daheim zurückgekommen. Eisenbahnen gab's auf der ganzen 
Strecke noch nit, und für die Extrapost hat er bein Geld gehabt. 
Drei Tage war er nun schon in Hanau fällig, und der Hauptmann 
ieß schon nach ihm fahnden. Dacht, er wär desertiert. Da 
kommt er dann am nächsten Tag durch's Kasernentor, wie gerad 
die Kompagnie vom Dienst eingerückt ist. Der Hauptmann nimmt 
ihn dann schön in Empfang: 
„Wo hast du, Kerl, gesteckt? Kannst du nicht daheim weggehen, 
wenn's Seit ist! Einsperren werd ich dich, daß du weder Sonne 
noch Mond siehst.“ 
Der Mond — da fällt ihm etwas ein wie eine Entschuldigung, 
er ist ja rechtzeitig abmarschiert, aber wie soll er das beweisen? 
„Herr Hauptmann“, stammelt er halb weinend, „als ich daheim 
weg ging, war der Mond wie so'n ganz kleines Sichelchen, und 
zeht ist er wie ein großes Wagenrad“. Dabei hat er mit beiden 
Armen einen Mond in die Luft gemalt, wie's gar beinen gibt. 
Der Hauptmann und alle Soldaten haben gelacht, und er hat 
für diesmal nichts abgebriegt. Nun rechnet euch mal aus, wie lang 
der Schaumburger gewalzt war!“ — 
VDom Militär — wer wußte als gedienter Mann da nichts zu 
erzãhlen? Aber am liebsten hören sie alle noch die alten Geschichten 
aus den Vorbriegsjahren, oder aus den kburhessischen Seiten. Der 
blutige Weltkrieg lastet noch zu schwer auf den einfachen Menschen, 
um davon im fröoͤhlichen Kreise zu erzählen. 
Das „Schnirer-Hänschen“. das die Nadel führt und ein 
muckerichtes bleines Ding ist, das sonst nicht viel spricht, hat schon 
mehrere vergebliche Anläufe gemacht zum Erzählen und bibbert 
»or Aufregung: „Habt ihr denn noch Ebels Henner gebannt? — 
Der war in Kassel bei der Artillerie gewesen. Er hatte sich da 
auch ein Mensche angeschafft, och, es war sogar was Besseres! 
Der Henner soll ja auch ein Staatsberle gewesen sein und hat in 
seiner Montur was vorgestellt. Jetzt, wo er heimßam — das 
Mensche war auch bei em — da sah er nit mehr so stolz aus; ne 
Janz ale Hose haͤtten se em geschickt voller Flicken. Se hatten ja 
auch nix daheim! 
Seinem Mädchen hatte er vorgemacht, was sie für ein großes 
Werk daheim hätten. Swei „wisse Schimmel“ hätte sein Batter! 
Der Henner war ein großer Gautenmacher“); aber seinem Lischen 
var nit spaßig zumute, und die Wohlhabenheit ihres Liebsten war 
he ein bißchen verdächtig geworden. Jetzt waren sie oben in unsere 
Flur gekommen. 
„Wo ist denn dein Land?“ fragte sie neugierig. Da standen sie 
gerad vor dem Bürgermeister seinem großen Weizenplan. 
»Guck, der Fleck ist mein!“ rief der Henner und schlug 
ch auf den großen Flichen am linten Schenbel. Gegenüber lag 
ein großes Kartoffelland vom Untermüller. Der Henner fuhr 
herum: „Und das ist öch min Fleck!“ Dabel haute er sich auf den 
Flicken am rechten Bein. Das Lischen machte runde Augen. Wo 
uin schöner Plan lag, schlug sich mein Henner auf einen andern 
Flicken: „Das ist öch min Flecks“ Da hielt das gute Wetter an, 
bis sie vor dem armseligen, scheiben Häuschen standen. Lischen 
guckte nach den Stallungen. Nix davor und nir dahinter! „Aber 
wo stehen denn eure Schimmel?“ 
„Dol“ jagte der Henner und machte die wacklige Hauskür 
auf. Da standen auf dem Hausflur zwei weiße Siegen — 
„Das sin inse wissen Schimmel, Mäijenl“ — 
Ja, son Kerle war der Ebels Henner!“ prahlt das Schneiderlein. 
„Schnirer · Hänschen, so'ne lange Kede hab ich all mein Leb⸗ 
iage noch nit von dir gehoört!“ ruft der dicke bleine Meßger ũber 
eSpaßmacher. 
en Tijsch. — „Stellt doch mal die Pulle mit dem Ehrbechschen ein 
ißchen weiter weg von dem Gassenhänschen und macht nen 
toppen draufl! Was so'n Schnirer ist, dem wird schon von dem 
Seruch ganz blimerant!“ 
„Dul!l — du, sei mal stilll Du weißt doch, der Karle, was dein 
Kollege ist, was der neulich für Weckewurscht gemacht hat! Nir 
ils Wecke und Wurschtebrũh in die Därme gestopft, und den Napf 
»oll Schwarten fanden sie nachher hinter dem Ofen. Was mag 
der wohl geblasen haben!“ — 
„Gut gebrüllt, Schnirer Hanschen! Gucket nur mal, was der 
»eut für 'nen Wortschwall hat! Sonst hat er immer das Mul in 
der Schieblade.“ — 
„Da fällt mir was ein“, springt hurtig die Bäuerin dazwischen, 
im beinen Sank auflommen zu lasen, „ihr sprecht da vom Mul in 
der Schieblade. — Drüben in Dürrenbach der Gotltfred, der allt' 
Musekante, der hatte, das wißt ihr ja alle, so 'ne rechte Bißzang. 
die knep das Mul zu und sagte allzemal acht Tage lang bein 
Vort, da mocht der Gottfred anstellen, was er wollte. WMal hat 
e auch wieder gebrummt, und dem Gotthred ist's mit der Seit 
ingweilig geworden, er schwätzt gern 'n Mul voll. 's Trinchen ist 
erad im Stall gewesen zum Mellben, da bommt dem Gotthfred ein 
Zedanbe. Schnell bramt er alles, was nur in den Schiebladen vom 
dũchenschrank drin ist, raus. Davon baut er einen Haufen auf den 
isch. Da bLommi's Teinchen rein, gerad wie er die unterste Schieb⸗ 
ade ausbramt, sieht verdußt die Unordnung und platzt los: „Alberer 
Zerle, was süchst de denn?“ — „Din Mul“, jagt der Gottfred.“ — 
Eine Weile ist es dann still geworden in der niederen Stube. 
Im die schweren Deckenbalben kbräuselt sich blauer Kauch von 
HNeifen und Sigarren. Man hört den Südwest ums Haus stampfen, 
ind heulend fährt es wie eine Schar Unholder durch den Schorn- 
tein. Der Hausherr guckt hinter den Scheiben hinaus. Der ab— 
iehmende Mond geistert durch schwarze Wolbenmassen. 
„Es bann jeder froh sein, der bei dem Wetter net über Feld 
raucht!“ — „Ja, das ist 'ne Nacht, wo man sich fürchten Lönnt!“ — 
Und jchon ist man mitten drin in der Stimmung für Spubgeschichten. 
der alte Großvater, der in seiner Jugend als Schustergejselle 
woch gewandert ist, weiß von seinem Freund aus der Borbener 
ßegend allerhand zu erzählen. 
„Der Kerl, der sah euch eines abends, als es schon ganz 
ämmoerig war, eine Ente in einem Graben schwimmen. Weit und 
reit kein Mensch und kein Haus. Er erwischt den Vogel fix an 
en Fittichen und will ihn mitnehmen. Aber da, die Ente wird 
mmer schwerer und schwerer! Er bann sie garnit mehr schleppen, 
er muß sie fallen lassen. Im NMu streicht sie ab durch die Luft und 
reischt von oben herunter: „Hätiest du mich nicht losgelassen. hätt' 
ch dir den Hals herumgedreht!“ — 
Dazu machen die Schlachtebohlsgäste freilich ungläubige Ge⸗ 
ijchter, und nur das Annchen und das Gustävchen, die am Ofen 
itzen und noch immer nicht ins Bett wollen, briechen dichter zu- 
immen. „Ja, Vatter, wie war das denn mit dem Dorf drüben 
5 Borken, wo der Bursche die Toten gesehen hat?“ fragt der 
auer. 
Der Ellervatter ist in Gang gebommen, stopft die Pfeife, kippt 
Feiterjack· auf den Fußboden, läßt sich Feuer geben und 
edt los: 
„Das ist an einem Neujahrsabend gewesen. Die Burschen 
»aben in der Wirtschaft gesesen, und einer hat sich vermessen 
ind gejagt, er wollte den Abend noch erfahren, wer im nächsten 
Jahre im Dorfe stürbe. Er hat sich mit noch elnem um Witter- 
iacht hinter die Kirchhofstür gestellt. Und da, wie's zwölf schlägt, 
ind elf Gestalten an ihm vorbeigegangen. Sie haben sie alle gendu 
rbannt bis auf den lehten. Und in derselben Keihenfolge sind sie 
iuch gestorben. Der eine hat noch gefehlt, und es ist schon in der 
Veihnachtos woche gewesen. Da hat eines Morgens elin toter 
handwerbsbursche auf der Straße gelegen. Eigentlich lag er in 
er Gemarkung des Nachbardorfs. Aber ein geiziger Bauer, der 
rũh zur Stadt wollte, fand ihn und schleppte ihn über die Grenze, 
im seinem Dorf die Beerdigungskosten zu ersparen. Und der 
fremde ist der Elfte gewesen.“ — 
Das war nun eine Geschichte, die unsere Gesellichaft schon 
edenklich stimmte. 
„Hal“ meint der Meßtzgger, „ihr erzählt da alles Geschichten, 
ie andern Leuten passiert ind. Aber ich habe selber mal was 
elebt, daß mir's heut noch net geheuer ist, wenn ich dran denbe. 
Ich erzähle nur, was ich wahr und wahrhaäftig gehört habe mit 
igenen Ohren. 
Ich war noch ein junger Kerle und hatte bei meinem Schwager 
n Wengerschhusen geschlachtet. Es war spät geworden, als ich 
anz alleine über den Wald ging. Den ganzen Abend hatten sie 
chon von „Wannerdingern“ erzählt, dabei auch ein Stũckchen von 
em verwunschenen Fuhrmann, der sein Vieh so geschunden und nun
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.