Nach solchen Geschichten wurde die Stimmung sehr gedrückt,
und manch Eine suchte auf dem Heimweg den lang begehrken,
nãnnlichen „Schutz“, und im Traum hat sie dann vielleicht noch der
armen Martlies eine stille Träne nachgeweint.
Wie ein immersprudelnder Bronnen flossen die Worte der
hlonden Annelore ũber die Lippen. In ihrem Erzählton lag ein
angenehmer Klang. Daher mag es gebommen sein, daß ich gerade
ihren Erzählungen mit geschärstem Ohr lauschte, besonders der
grausigen Geschichte vom Förster Lenz:
„Es war im tollen Jahre 1848. Mit der Hochachtung vor
Obrigkeit und Gesetz war es auch im lieben Hejssenlande schlecht
bestellt. Die Bauern wilderten, und alles war,vogelfrei“. BSe⸗
sonders war der „Schwarze Hain“ als Wilddieb weit und breif
ꝛerũchtigt. Der Foörster Lenz hatte im „Umberg“ schon manche
Stunde seines Schlafes geopfert, um dieses Menschen habhaft zu
verden. Vergebens! Der „Schwarze Hain“ foppte und täuschte
den Grünrock, wo er nur bonnte. Am Heiligen Abend war es
gewesen. Es schneite, was nur herunter wollte. Und während
in der Kirche das „Ehre sel Gott“ ertönte, fielen im Umberg kurz
hintereinander drei scharfe Schũsse.
Sis zum „Dunbelweg“ hatte sich Lenz geschleppt, dann war
er zusammengebrochen. Kirchgänger fanden ihn am andern Morgen,
die Hände gebrampft und das Gesicht im Schnee vergraben. Seit
der Seit wandert der Geist des Ermordeten von der Abend—
dämmerung bis zum Morgengrauen den „Dunkelweg“ hinauf und
hinunter bis zur „Blauen Peisch“, um sich dort das BSlut abzu—
waschen. Wer spät abends vom Nachbardorf Appenfeld Lommt,
vählt lieber den Umweg, um nicht mit dem „Schwarzen Geist“
zusammenzutreffen. An der Stelle, wo der Förster lag, springt
eit der Seit ein blares Quellchen aus dem Gartenrain, Lenz
quelle“ genannt — —.“
Wie andächtig hatte ich der Lore zugehört. Gerade der
„Dunkelweg“ war unsere schönste Kodelbahn. Sonne und Mond
chienen kaum dahin, und die „Lenzquelle“ gerade schenkte uns
das nõtige Glatteis. Wenn aber die ersten Abendglockenschläge
der nahen Kirche erkönten, eilte jeder — die Mädels mit ängst-
iichem Geschrei voraus — so rasch er nur mit Schlitten und Schhit—
chuhen bonnte, auf dem geradesten Wege durch Gärten und Wiesen
dem Hause zu mit dem Angjstruf: „Der schwarze Geist kommt!
Der schwarze Geist bommt!“
Nicht so düster und schaurig wie die Geschichte vom „Lenz“,
iondern heil und lieblich ist „Die Sage vom Predigerstuhl).
„Es mag vor mehr als hundert Jahren gewesen sein. Der
Winter hatte sich früh und schaärf eingessellt. Da trat baid Mangel
an Brennholz ein. An gelinden Tagen eilten dann die armen
Leute in den Wald, um Holz zu sammeln. Das war bald spärlich,
oder es lag kief verschneit. Die beiden Kinder eines Korbmachers
aus Raboldshausen haͤtten sich so tief verirrt, daß sie Leinen Aus-
weg aus dem „Großen Walde“ finden konnten. In starker Dämme—
eung erst kamen sie im verschneiten Walde an die Stelle, die man
heute den „Predigerstuhl“ nennt. Die Kinder hatten schon alle ihre
Gebete unter Tränen zum Himmel geschickt, und das Schwosterchen,
»on Müdigbeit ũbermannt, iegte sich an den Weg unter die hohen
Tannen, wo Laub und Moos noch etwas frei geblieben waren.
Dem Bruder war es blar. daß sie hier nicht bleiben bonnten.
Nachdem er das weinende Schwesterlein getrösiet, bletterte er auf
einen Erdhügel, zog seine Mütze vom Kopfe. hob die Kechte zum
rinzigen Sternlein, das am Himmel blinbte, und rief laut: „Lieber
Bott, wenn du uns glücklich nach Hause führst, dann will ich
delnen Namen preisen. Allen Menschen, auch den Heiden, will
ich deinen Ruhm verbündigen.“ Dann weckte er das schlafende
Kind, zog ihm das wärmende Tuch dichter um die Schultern und
jagte;: Hast du gehört, was ich dem lieben Gott versprochen
habe? Das will ich getreulich erfüllen, dann wird er auch meine
Sitte erhören und uns jetzt den rechten Weg führen, homm!“
Dabei nahm er das Kind bei der Hand und sagté: „Lieber Gott,
aun zeige uns den Wegl!“ Plötzlich war's, als ob der Wald in
Feuer getaucht sei. Ein gewaltiger „Feuerbaum“ prasselte unter
donnerähnlichem Getöse am Himmel hin. Eng schmiegien sich die
Kinder aneinander; dann sagke der Bruder: Komm! Der liebe
Gott hat geantwortet“, und er zog das ängstliche Kind in der
Kichtung des Feuorbaumes fort. Nach mehr als zwei Stunden
iahen sie die ersten Lichter und hörten das Kufen suchender Menschen.
Mit Freudentränen schlossen die glücklichen Eltern die Kinder
in ihre Aerme. Bald ward die Geschichte in der ganzen Um—
gegend bekannt. Einer der Herren vom Schlosse Neuenstein
*) Wir bringen diese bebannte Sage in der vorliegenden Fassung, weil sie dem
abulierenden Volksmund zu enistammen scheint und doch ganz verschieden ist von
den Fassungen W. Despers (Der Kreis Homborg, VOerlag Elwert, Marburg) und
h. Ruppels (in KeVehrhan, Sagen aus Hessen und Nassau, Eichblatt. Verlag
Leipzig). Vergl. auch Ne. 1 Jahrg. 6 der HeimatSchollen.
hörte auch davon, ließ den Korbmacher mit dem Knaben zu sich
wpmmen und sich alles haarblein berichten. Dann versprach er,
ur die Ausbildung des Sohnes Sorge zu tragen.
Ein Jahrzehnt und mehr verging. Ein herrelicher Julijonntag
var ũber die Berge und Täler gekommen. Von überall hätte sich
ine große Menschenmenge auf der Waldhöhe eingefunden. Unter
»en Klängen aller Glocken der Umgegend hielt dort oben der
orbmachersohn seine Danb und Abschiedspredigt. Da blieb bein
Auge tränenleer. Mit einem Schiffe ist Kaspar nach Afriba
gegangen“ und nie wieder zurũckgeblehrt. Den Wilden, denen er
redigte, ist er zum Opfer gefallen.
Sum Andenben an dieses wunderbare Ereignis krägt dieser
Dlatz jür immer den Namen „Predigerstuhl“.
Den „Predigerstuhl“ zu sehen, war nun der sehnlichste Wunsch
neines Knabenherzens. Wie oft bin ich dann, als ich größer war,
in der Hand meiner „Eller“, die ihre Verwandten in „Käckers“
Keckrode) und „Gittersdorf“ bei Hersfeld besuchte, an dem
eedigerstuhl vorbeigegangen. Dann wußte auch die „Eiler“ so viel
zu erzählen, daß man nie müde wurde, ihrem Wort zu lauschen.
Die Sage von den Wichtelrainen.
Der Wanderer, der auf weitem Weg von der Kreisstadt H.
»urch mehrere Dörfer die Hänge des Knüllkopfes erblettert und
en „Grundrain“ (wo es „wanert“) glücklich hinter sich hat, ist
roh, wenn er auf den „grünen Bänben“ des Hirschberges“ sich
in wenig ausruhen und verschnaufen bann. Richtet er dann den
ßSlick gerade aus, so sieht er etwa 200 Meter aufwärts im Walde
inter den silberglänzenden Stämmen der schlanken Buchen zwei
unkle Felsen aufragen. Es sind die „Wichtelraine“, die geheim—
usvolle Wohnung der Wichtelmännchen. FJeder eilt, um añn dieser
Stelle des Waldes vorũberzukommen, damit ihm die Wichtel beinen
ztreich spielen oder sich von ihm tragen lassen, wie es einmal dem
jJakbob Kunz erging.
Annelore bennt diese Geschichte:
„Kommt der „Künze Jobbob“ an einem stürmischen Herbst-
bend spät aus der Stadt zurũck, in der er „Geschäfte“ gehabt hat.
taum hat er den Scheitt in den Wald getaän, ruft da eine ängst-
jche Stimme seinen VNamen. Voll Mitleids ruft Künze Mann?:
„Komm mit!“ Im NAu sitzt ihm ein Wichtel im Nacken und raunt
hm zu, wenn er ihn mitnähme und wieder hierher trüge, solle er
»ine Belohnung haben.
Su Hause wartet die Annelies schon längst auf ihren Mann.
Die Kinder sind zu Bett, und die Petroleumlampe ist am Erldschen.
Zasch behrt Annelies zum Sonntag noch die Stube und steilt den
Zehricht auf der Dreckschippe hinter die Stubentür. Da kbommi
hr Mann mit der seltenen Last angestolpert. Des Scheltens ist
ein Ende und Annelies wirft voller Wut mit der Drechschippe
ach ihrem Mann. Schnell wendet sich Kunz und trägt die Last
urück. Wieder zu Hause angebommen, sieht er neben der Stuben—
ũr etwas blinken und leuchten. Blanbes Gold! Er erzählt es
einer Frau. Schneller kam die noch nie aus dem Beti. Das
ann nur Gold aus dem Kehricht sein! Aber wie sie auch sucht:
don Schippe, Kehricht und Gold findet sie keine Spur mehr!“
Diese Geschichte der Annelore hatte mich neugierig gemacht,
ind für den nächsten Sonntag wurde von meinen Schulkameraden
eschlossen, dem Geheimnis auf den Grund zu bommen.
Es waren uns wohl zwanzig und mehr Jungen, alle „schwer
ewaffnet“ mit Stõöcken und Messern. Keiner von uns hatte die
jeheimnisvollen Wichtelraine je gesehen! Langsam rückten wir
»or, wie immer „Spohrs Hein“ und „Annchens Willem“* voran.
Vir sind erstaunt ũüber den wunderbaren Aufbau der durch einen
dohlweg getrennten „Burgen“. Die rechts ist größer und schöner
ind aus lauter faustgroßen, rhomboidförmigen Granitstückchen dach-
iegelartig aufgebaut. Anmõglich, auch mit Hilfe des Messers
inen dieser Steine aus seiner Fuge zu lösen.
Während so die einen versuchen, stehen die andern von ferne,
ind nur langsam rũcken sie näher. Aber schon ist „Spohrs Hein⸗
nuf die Burg geblettert. Einzelne ihm nach. Ba bemerbten sie
inter den Wurzeln der alten Eiche ein Loch, das schräg von oben
n die Burg geht. „Kommt mal hierher, hier kriechen sie reins“
Das war eine mübsame Kletterei. Gerade groß genug ist das
doch, um einen Wichtel hindurchschlüpfen zu lassen. Daß nur
einer heraus kommtl Doch nein, die bewachen doch die goldne
Weife“ und das goldne Spinnrad. Irgendwo poltert ein Stein
ibwärts. Plõötzlich schreit einer: „Sie bommen, sie bommen!“
Nach aͤllen Himmelsrichtungen stiebt die Schar auseinander,
uind erst nach langer Seit jammein wir uns auf den „Nebelwiesen“.
Nie wieder haben wir uns in die Nähe der „Wichtelraine“
sewagt, und erst der Gedanbe, daß die hohe Försterei die Burg
prengen und die goldne „Weife“ (Haspel) und das Spinnrad
erausholen würde, hat uns allmählich wieder beruhigt.