Ich jehe sie noch sihen, die Annelore. Mitten im Spinnstuben-
breis saß sie, eifrig strickend. Su beiden Seiten Ringellöckchen auf
der Stirn., ihre strahlenden Blauaugen bedeckend. sodaß sie oft
VKichard Sprick: Dalentin Traudt. Phot.C. Achenbach, Kassel.
diese widerspenstigen Haarringlein mit den blanken Strickstöcken
zurechtweijen mußte. Dabei flossen ihre Worte wie blinkend Silber
von ihren Lippen, während die blitzenden Strickstöcklein ganz allein
X—
Zu den interessantesten ihrer Erzahlungen gehörfen die grausige
Geschichte vom Forstläufer Lenz und die Sagen vom „Predigerstuhl“
und den „Wichtelrainen“, die Lore am Schlusse meiner „Erinne⸗
rungen“ erzählen soll.
Gern träum' ich als Kind mich zurũck und erinnere mich oft
der Spinnstubenbilder in unserem Hause. Ich mochte damals wohl
8-10 Jahre zählen; meine Schwester, die die „Spinnstuben“ ab⸗
hielt, 20 Jahre. Es waren etwa 12-215 Mädchen, die mit meiner
Schwester bonfirmiert worden waren, und die dann eine „Votte“
hildeten. Es gab damals in meinem Heimatort wohl so jolcher
Spinnstubenrotien. Ein Anterschied nach arm oder reich gab es
nicht; niemand dachte daran. Jedes dieser Dorfmädel nahm die
Kameradinnen 82514 Tage in der elterlichen Wohnung auf, und
es war für mich immer eine große Freude, wenn ich hörte, daß
die Reihe wieder an uns war. Der große, eichene Tisch mit den
bier gedrehten und unten verbundenen Säulen wurde in den
Hintergrund der Stube vor das Sofa gerücht, in dessen Ecke ich
laujschte. Die große, sauber gepußte Petroleumlampe wurde an
einem langen Braht tiefer gehängt, und traubengelb leuchtete das
boll gefũllie Glas zu mir herüber in mein Sofaceckchen.
Da geht die Haustũür. Mit dem Strickzeugkörbchen im Arm
erscheint die blonde Annelies, meiner Schwester beste Freundin,
eines ehrbaren Stellmachers einzige Tochter. Freundlich grũßend
nimmt sie ihren Platz ein. Ein begonnenes Gespräch wird durch
die Anbunft von dem „Trienchen“, der „Lissewett“, dem „Marth⸗
chen“, dem „Bärrchen“ und den andern unterbrochen. Nach
und nach sammeln sich alle. Die im rechten Winbkel aufgestellten
beiden Bänbe sind voll besetzt. Hölzerne Stühle, mit hohen ver⸗
zierten Lehnen werden herbeigeholt. Nun ist der Kranz geschlossen.
Die einen stricken, Hansburts Annelies, eine sehr geschickte
Schneiderin, näht, die andern häbeln, flicken, jpinnen. Das Summen
der drei zierlichen Kädchen wirbt urgemütlich.
Zunãächst werden die wichtigsten Dorfneuigkeiten besprochen;
dann stecken wohl zwei oder drei die Köpfe zusammen, anzudeuten,
daß es Heimlichbeiten gibt. Zuerst Kichern, dann blingendes
Lachen, daß selbst Mutter und Großmutter, die im Hintergrunde
Woile spinnen, aufhorchen. Von diesen Hoeimlichbeiten habe ich nie
etwas erfahren.
Eine ganz besondere Freude war es mir, wenn die Eltern
eines der Spinnstubengäste geschlachtet hatten. Ich bebam dann
regeimãßig mein „Schlamperwürstchen“, und sehnsũchtig wartete ich
des Augenblickes. in dem die Erwartete erschien. Mit geübtem
Slick musterte ich unauffällig, und richtig — irgendwo im Körbchen
der in der Schürze erspähte ich das „Pabefchen“, und mein freund-
iches Gedenkben hat sich nicht am wenigsten nach der Größe des
Vãũrstchens gerichtet. — Außerdem wurden noch zwei ziemlich
zroße Bratwürste auf den Tisch des Hauses niedergelegt, auf die
nusternd im Augenblick aller Blicke gerichtet waren. Moch an
emselben Abend wurden sie gebraten. Das war das Amt meiner
Mutter. Die Burschen hatten die „Witterung“ bald weg. Mit
eisen Lockpfiffen unter dem Fenster, dann mit kleinen an die
„cheiben geworfenen Schneebãällchen verbũndigten sie ihr Kommen.
Zas war mir nicht recht; denn meistens mußte ich dann „ver⸗
hwinden“, und meine 80 jährige Großmutter ging dann auch in
hre Kammer. Mit Gepolter, die Treppe herauf, betraten acht
bis zehn rotwangige Burschen, das beche Hütlein auf dem Kraus-
zaar sitzen lassend und befangen lächelnd — die Stube. Langsam,
aber sicher tappten sie auf die Holden zu, und sehr oft geschah es,
)aß kbein Mädel, der Derabredung gemäß, aufblickte oder ein
Wort jprach. Das waren für die „Kecken“ sehr verlegene Augen-
licke, bis die schwarzhaarige „Lissewett“ sich des Kicherns nicht
nehr enthalten konnte. Dann allgemeines Lachen und der befehlende
Vunsch: „Sätzt üch döch!“ Aber wohin? Einige blemmten sich
wischen die Madels, die andern holten sich die bereitgestellten
Ztühle und hockten unbeholfen auf den Holzschemeln in respekt-
»oller Entfernung. Indessen hatte meine Mutter die Wöürste
gebraten, der Tisch war gedeckt. Im NMu war ein Fäßchen Bier
‚angesteckt‘“, und von der Wurst blieb meist für mich noch was
ibrig. Oft bonnte ich vor dem Lachen und Schreien der Gesellschaft
nicht einschlafen und war froh, wenn das Poltern auf der Treppe
inzeigte, daß Schluß war. Langsam verhallte das helle Lachen
n 5 epemaren Winternacht. und irgendwo pfiff der Nachtwächter
die Swolf.
Bei solchen Gelegenheiten bam es nicht selten vor, daß ũber⸗
nũtige Streiche verübt und grausige Geschichten erzählt wurden.
50 wurde an einem stahlharten Winterabend folgende Wette
jemacht: „Grebe Hans“ sollte von unserer Stube aus zu dem
ftwa 800 Meter entfernten Johannjoste Schounentor laufen, mit
Tohle drei Kreuze daran malen und sofort zurückkommen. „Häusners
Fonn“ verpflichtete sich dagegen, während dieser Seit einen schönen,
unden Bauernkäse aufzuessen. ohne Sutat. Wer die Wette verlor,
nußte ein Liter Kognakb bezahlen. Damit nun bein Irrtum oder
Zetrug vorkam, wurden am Tore zwei einwandfreie Seugen auf-
estellt. — „Konn“ hatte, damit er recht schnell fertig wũrde, ein
jroßes Stück Käse zwischen den Sähnen, aber je mehr er kbaute,
esto schwieriger wurde die Geschichte. Ich sehe den „Konn“
och, wie er verzweifelnd seine Kinnlade mit den Händen in
Zewegung setzt und zuletzt allos aufgibt unter dem johlenden
ßelächter aller Burschen und Mädchen. Da wird die Haustüre
iufgerissen, zugeschlagen. Eine leßzte ganz verzweifelte Anstrengung
es „Konn“, und Hans steht mit hochgerötetem Gesicht mitten in
»er Stube, atemringend. VDerloren die Wette, und „Konn“ muß
die leßten Reste jeiner Niederlage mit seinem teuren Kognak
inunterspũlen.
Mit selbsterdachten Gespenstergeschichten suchten die Burschen
»ie Holden zu ängstigen, und manch eine benutzte die Gelegenheit,
ich dichter an die Seite ihres Auserwählten zu buscheln. Aber
zuch die Mädels warteten oft mit grausigen Geschichten auf.
Besonders verstand es „Schnierers Marthchen“, solche Geschichten
u erzählen. Vielleicht hafte sie dieselben von ihrem VDater, der
urch sein Geschäft weit in der Welt herum bam. Eine ihrer Er—
ählungen ist mir noch treu im Gedächtnis: In einem entfernten,
injamen Walddörfchen ist's gewesen. Da machten die Burschen
nit den Mädchen eine Wette. Eine der Dorfschönen sollte nachts
iuf den Friedhof gehn und ein langes Kũchenmesser auf das Grab
ines Selbstmörders stecken. Die dreiste und sonst furchtlose Martlies
rblãrt sich bereit. In gewisser Entfernung folgen zwei Burschen im
euschnee. Martlies geht durch die Lũcke der Totenhofshecke neben
er Tür an der langen Keihe der Gräber und hölzernen Kreuze
ntlang, schnurstracks auf das bestimmte Grab los, kniet und sticht
»as Messer in den Hũügel. Plötzlich fühlt sie, daß sie nicht wieder
och kann. Sie hat nicht gemerbt, daß ihre „gedruckte“ Schürze
uf das Grab festgeheftet ist. Sie glaubt, ein unsichtbarer Geist
iehe sie nach unten für ihren Frevel. Unter einem entsetzlichen
Aufschrei sinkt sie vorn über. Da nahmen die Burschen Reißaus.
Unler furchtbar quälender Angst wartet man lange vergebens auf
Nartlies. Da entschließen sich alle Burschen, nachzusehen. Die
zpur geht wohl auf den mondbeschienenen., gespensterhaften Friedhof;
ber eine zweite führt nicht heraus. Angstlich geht es vorwärts
im schauerlichen Ort. Da zeichnet sich ein langes, schwarzes Etwas
harf vom gefrorenen Schnee ab — Wartlies. Das Gesicht zur
Erde gebehrt, die Hände in den Schnee gebrampft — ein Herz-
chlag hat dem jungen Leben ein jähes Ende bereitet.