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Heimat · Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
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Das Testamentꝰ 0 Von K. MA. Schimmelpfeng.
Dem Keller erzählte seine Mutter Ju eine merbwürdige
und fröhliche Geschichte:
„Vor Seiten — es war kburz nach dem Jahr, als der
große Bismarck das bleine Land Hessen in die Tasche
gesteckt hatte, lebte in unserem Dorf der frühere hessische
Major und spätere österreichische Oberst Baron Hans von
Trott zu Solz.
DOHas war ein Mann, der schon einige merkbwürdige
Knoten in seines Lebens Teppich gewebt hatte.
Als seĩnes angestammten Herrn Kegierung ein so plötz-
liches Ende fand, war er mißmutig und voll Haß gegen
Sismarck zurück auf sein Gut gekommen. And jseinem Haß
mußte er irgendwie Luft machen. Deshalb trat er in das
psterreichijche Heer ein. Um aber den dreimal verfluchten
Sismarck noch besonders zu ärgern, wurde er zum Entsetzen
jeiner Familie batholisch und heiratete eine Dame des öster-
reichischen Adels. Aber der Haß hatte ihm kbein Glück
gebracht. Denn seine Frau entlief bald nach der Geburt
eines Sohnes mit einem kroatischen Leutnant, den er erwischte
und in einem Duell unter vier Augen zum Teufel schickte.
Nach diesem Vorfall kam Baron Hans nach Hessen
zurück, und bald darauf begann zu unser aller Staunen sein
Kampf gegen den Alkbohol, der nach dem Vortrag eines
fremden Predigers so merkwürdig schnell einsetzte, jo merk-
würdig schnell endete, und doch sein ganzes Leben andauern
ollte.
Die plötzliche Bebehrung des Barons war nicht ohne
Konflikt geblieben. Sein VDetter und Gutsnachbar nämlich,
der alte unverheiratete Freiherr von B. hatte bisher den
Saron Hans als getreuen Sechkumpan gehabt, und er schätzte
A7AIssC Geschichten vom Keller.
hn aus der Maßen als anständigen Trinker. Ihm wollte
es durchaus nicht in den Kopf, daß so ein hergelaufener Pre—
iger ihm seinen treuen Freund und Mitbruder in alcoholicis,
den er eben erst von neuem gewonnen hatte, wegnehmen
ollte. Und er versuchte zuerst mit gutmütigem Poltern,
ann mit freundlicher Überredung und zuletzt mit seiner weit
ind breit berühmten hanebüchenen Grobheit, den jüngeren
freund umzustimmen. Als er aber sah, daß Baron Hans
igensinnig blieb, machte er ihm eine letzte große Szene
ind nahm endgültig Abschied von dem Genossen froher
Stunden. Dann ließ er eine große weiße Tafel am Ein—
ang der Allee aufstellen, die zu seinem Herrenhaus führte
ind auf der Tafel stand: „Juden, Katholiben und Keise-
redigern ist der Zutritt verboten. Das Rentamt.“ Darauf
ergrub er sich mit seinem Kummer und seinem berühmten
Veinbeller und verließ das Haus nur noch zu burzen
5paziergängen in den Parb. Nach etwa einem Monat war
r tot. „An gebrochenem Herzen gestorben“, wie sein alter
Zammerdiener respeltvoll dem Baron Hans melden mußte.
Mit dem bei der althessischen Kitterschaft üblichen und
vürdigen Pomp wuerde er beigesetzt, und jedermann wunderte
ich und war gespannt auf den Tag, der die Veröffentlichung
eines letzten Willens bringen sollte. Denn er war ein
eicher Mann gewesen mit herrlichen Gütern in Hessen, in
Ungarn und am Rhein.
Saron Hans haͤtte unterdessen mit dem Eifer, von dem
jeu Bebehrte meist besessen sind, nicht nur sich' selbst jeden
Tropfen versagt, sondern auch seinen Arbeitern nicht mehr
vie früher das Maß, das ihnen nach alter geheiligter Über-
ieferung zustand, gegeben. Die vorsichtige Kevolution, die
adurch unter der Arbeiterschaft entstand, die anfing, sich