Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

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Heimat · Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
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Das Testamentꝰ 0 Von K. MA. Schimmelpfeng. 
Dem Keller erzählte seine Mutter Ju eine merbwürdige 
und fröhliche Geschichte: 
„Vor Seiten — es war kburz nach dem Jahr, als der 
große Bismarck das bleine Land Hessen in die Tasche 
gesteckt hatte, lebte in unserem Dorf der frühere hessische 
Major und spätere österreichische Oberst Baron Hans von 
Trott zu Solz. 
DOHas war ein Mann, der schon einige merkbwürdige 
Knoten in seines Lebens Teppich gewebt hatte. 
Als seĩnes angestammten Herrn Kegierung ein so plötz- 
liches Ende fand, war er mißmutig und voll Haß gegen 
Sismarck zurück auf sein Gut gekommen. And jseinem Haß 
mußte er irgendwie Luft machen. Deshalb trat er in das 
psterreichijche Heer ein. Um aber den dreimal verfluchten 
Sismarck noch besonders zu ärgern, wurde er zum Entsetzen 
jeiner Familie batholisch und heiratete eine Dame des öster- 
reichischen Adels. Aber der Haß hatte ihm kbein Glück 
gebracht. Denn seine Frau entlief bald nach der Geburt 
eines Sohnes mit einem kroatischen Leutnant, den er erwischte 
und in einem Duell unter vier Augen zum Teufel schickte. 
Nach diesem Vorfall kam Baron Hans nach Hessen 
zurück, und bald darauf begann zu unser aller Staunen sein 
Kampf gegen den Alkbohol, der nach dem Vortrag eines 
fremden Predigers so merkwürdig schnell einsetzte, jo merk- 
würdig schnell endete, und doch sein ganzes Leben andauern 
ollte. 
Die plötzliche Bebehrung des Barons war nicht ohne 
Konflikt geblieben. Sein VDetter und Gutsnachbar nämlich, 
der alte unverheiratete Freiherr von B. hatte bisher den 
Saron Hans als getreuen Sechkumpan gehabt, und er schätzte 
A7AIssC Geschichten vom Keller. 
hn aus der Maßen als anständigen Trinker. Ihm wollte 
es durchaus nicht in den Kopf, daß so ein hergelaufener Pre— 
iger ihm seinen treuen Freund und Mitbruder in alcoholicis, 
den er eben erst von neuem gewonnen hatte, wegnehmen 
ollte. Und er versuchte zuerst mit gutmütigem Poltern, 
ann mit freundlicher Überredung und zuletzt mit seiner weit 
ind breit berühmten hanebüchenen Grobheit, den jüngeren 
freund umzustimmen. Als er aber sah, daß Baron Hans 
igensinnig blieb, machte er ihm eine letzte große Szene 
ind nahm endgültig Abschied von dem Genossen froher 
Stunden. Dann ließ er eine große weiße Tafel am Ein— 
ang der Allee aufstellen, die zu seinem Herrenhaus führte 
ind auf der Tafel stand: „Juden, Katholiben und Keise- 
redigern ist der Zutritt verboten. Das Rentamt.“ Darauf 
ergrub er sich mit seinem Kummer und seinem berühmten 
Veinbeller und verließ das Haus nur noch zu burzen 
5paziergängen in den Parb. Nach etwa einem Monat war 
r tot. „An gebrochenem Herzen gestorben“, wie sein alter 
Zammerdiener respeltvoll dem Baron Hans melden mußte. 
Mit dem bei der althessischen Kitterschaft üblichen und 
vürdigen Pomp wuerde er beigesetzt, und jedermann wunderte 
ich und war gespannt auf den Tag, der die Veröffentlichung 
eines letzten Willens bringen sollte. Denn er war ein 
eicher Mann gewesen mit herrlichen Gütern in Hessen, in 
Ungarn und am Rhein. 
Saron Hans haͤtte unterdessen mit dem Eifer, von dem 
jeu Bebehrte meist besessen sind, nicht nur sich' selbst jeden 
Tropfen versagt, sondern auch seinen Arbeitern nicht mehr 
vie früher das Maß, das ihnen nach alter geheiligter Über- 
ieferung zustand, gegeben. Die vorsichtige Kevolution, die 
adurch unter der Arbeiterschaft entstand, die anfing, sich
	        
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