Kirche zu Kirchditmold enthält einen besonderen Stand, der
laut Inschrift für den damaligen Minister von Wittorf bestimmt
war, dessen Familienwappen ihn auch heute noch ziert. Diesen
Stand benutzte später der jeweilige Oberförster zu Kirchditmold in
einer Eigenschaft als höchste amtliche Person des Ortes. Im
Anfange des vorigen Jahrhunderts war der Inhaber dieses Amtes
der durch seine derbe Offenheit wie durch seine treue Anhänglich—
deit an das angestammte Fürstenhaus bekannte Forstmann Grau—
Ob dieser seine Erbauungostunde nicht lieber in Gottes freier
Natur als innerhalb der kaähien Wände eines Steinbaues suchte
mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls bleibt die Tatsache bestehen
daß unser Oberförster. als er gelegentlich eines in Kirchditmold
abgehaltenen Kiechenkonvents zu dem in der Kegel nicht zu ver—
achtenden Festschmaus eingeladen worden war, nicht nur an diesem
teilnahm, sondern als Mann von Takt und Bildung auch den
vorausgehenden Gottesdienst besuchte, in dem nach der Predigf
sich die Geistlichen der Klasse unter die Gemeinde mischten, um
durch entsprechende Fragen und deren Beantwortung durch die
Gefragten sich ein Bild von dem Glaubensstand der Gemeinde⸗
glieder zu verschaffen. Grau saß in seinem abgeschlossenen Stande
und dachte eben bei sich: es wird doch kbeiner zu dir heraufsteigen
als sich schon die Türe öffnete und ein Schwarzrock eintrat, den
sichtlich wenig erfreuten Oberförster fragend: „Glaubt Er denn
mein Freund, daß alle Menschen selig werden?“ Auf diese Frage
erfolgfe im Brummton ein verdrossenes „Ja“. — „Schön“, fuhr
der Geistliche fort, „wir hoffen es wenigstens; wenn aber einer
sich nicht bekehrt und Buße tut, wie solls dann mit dem werden?“
Argerlich über das ihm zu lange dauernde Verweilen des Pfarr—
heern bel seiner Person, wohl auch ũüber die ihm unbequew
erscheinende Fragestellung, antwortete der biedere Forstmann
„Dann kann ich ihm auch nit gehelfen!“ und wandte dem Ein—
deingling den Kücken, um ihm damit zu verdeutlichen, daß eine
weitere Unterhaltung in dieser Form nicht erwunscht sei. Opl.
Kampfe liegen. Das setzte Heiner so lange fort, bis den zwei
Bäans die Bosheit (Wut) bam und sie sich wechselseitig am Hals
ackten, daß die Federn stoben. Das war dann jseine größte Freude.
Wieder vollführte er diesen Santansstreich, da kam der Herr
dehrer dahergegangen und sah dem eine ganze Weile zu. Das
Nachspiel folgte am anderen Morgen in der Schule, es mag liebevoll
ibergangen werden. Als angenehm schien es Heiner übrigens nicht zu
empfinden, er schrie dabei, daß man's über sieben Häuser hören bonnte.
Das hielt ihn aber werter nicht ab, sich noch an demselben
Dormittag mit seinem Röttchen (Freunden) herumzudallmchen
— prũgeln). Allen Tag, den Gott werden hieß, geschah das.
deiner schien von den Gaänserichen etwas abgekuckt (gelernt) zu
haben, wenn er auch zehnmal unten lag, immer fing er wieder von
euem an. Hei, wie blies er die Pausbacken aufl Ganze Betzel
haare flogen zur Erde. Das ging so, bis der Lehrer die Schul—
tube betrat. Und der verstand gar beinen Spaß in solchen Dingen
uind wusch „Freund“ und „Feind“ mit derselben Lauge. Heiner Lam
o zu semer zweiten Tracht. Damit trat für den Tag eine Ruhepause
zwijchen den Kampfhähnen ein, von denen Heiner der Ausbund war.
Eine ganz besondere Nichtsnutzerei wurde während der Schreib-
tunde ausgeführt. Da war die Tochter des Försters und die des
ARarrers. Die saßen in der Bank vor Heiner und jemen Freunden.
Jedem der beiden Mädchen baumelte ein armläanger Sopf über
»en Rücken. Die band Heiner zusammen oder tunkte ihr unteres
Ende wie einen Punsel in eins der Tintengläser. Das geschah
inter diebischer Freude von Heiners „Gesellschaft“. die diesmal
ines Sinnes mit ihm war.
Wenn nun die zwei Mädchen am Ende der Schulstunde aus der
Bank treten wollten, o weh, dann merbkten sie, daß sie jemand „zu⸗
ammengeboppelt“ hatte. Oder ihre Eltern hielten ihnen daheim
treng vor, ihre Jacken seien wieder arg mit Tinte beschmiert.
Eine stramme Untersuchung jeitens des Lehrers in der Schule,
dem die aufgebrachten Mädchen das gesteckt (mitgeteilt) hatten,
folgke am nächsten Tag. Heiner und seine Genossen waren gleich
m Verdacht, und wenn sie auch dem Lehrer noch so unschuldige
Augen zuwarfen, die Geschichte blieb doch auf ihnen hängen. Wer
wei Stunden Nachsitzen abruppen (absitzen) mußte, das war Heiner.
Aber auch seine ganze „Bank“ war damit bedacht worden.
Heiner rächte sich dadurch, daß er einen Bovist in den Schul⸗
ofen legte, der vom Gang aus geheizt wurde. Der verursachte
einen ganz unbeschreiblichen Geruch.
Und dem Lehrer steckte er ein paar Späneln (Stecknadeln)
in dessen Stuhlpolster. Das was seine Rache im besonderen.
Die gejsalzene Strafe, die es allemal jeßte, fruchtete immer —
bis zum nächsten Mal. Schw.
Siuüchoerti d i
Vom Büuchertische der Heimat.
Heiner.
Er hieß Heiner. Das hob ihn heraus aus dem großen Haufen seiner
Taufnamensvettern, die Heinerich oder Hinnerch genannt wurden.
Heiner war ein bleiner Tunichtgut. Ging er auf der Dorfstraße
jchlappchig (nachlässig) dahin, äugte er stramm in alle Höfe, und
wenn da zwei Gääns (Gänjseriche) standen, auf einem Bein, um
träumerisch in ihr Inneres zu schauen, ruhte er nicht eher, bis die
sich am Kragen hatten. Er trieb sie zusammen, bog beide Arme,
schob sie ein blein wenig nach vorn und schlug mit den Oberarmen
gegen die Brustjeiten. daß es blatschte, wie das von den Flügeln
der Gänseriche zu hören ist, wenn diese Vögel miteinander im
Pestalozzis Liebesfrühling. Ein Briefwechsel. Ausge⸗
wählt von K. Engelhard. A. Bernecker, Heimatschollen-Verlag,
Meljungen. Halbleinen 3,4— RM.
Es muß als ein besonderes DVerdienst des Verlags angesprochen
werden, daß er dieses Seugnis der gegenseitigen Entwickelung und
Erziehung zweier Liebender, Pestalozzis und seiner Nannette, zur
Pestalozʒifeier neu aufgelegt hat. Pestalozzis Streben, den Menschen
zum Bärger durch die Lebensgemeinschaft der Wohnstube“ zu
bilden, hat in dem Verkehr mit Nannette Schultheß seine Wurzeln
und jeinen Inhalt gefunden. Weit über ein bloßes Wohlgefallen
hinaus weitet sich die Liebe der beiden Edelmenschen zu einem
Leben der Jugend und einer in sich jelbst Kuhe und Befriedigung
bergenden Arbeit im geräumigen KReich einer allgemeinen Menschen-
liebe. Ich wünsche das Bandchen in die Hand recht vieler junger
Menschen, damit sie erbennen möchten, daß Liebe ihren eigenen
Himmel hat und im steten Wachsen und Keifen ihre vollste Be—
friedigung findet. Wi.
Or. Ludwig Friedrich Werner (Boette) Aus einer
vergessenen Ecke. I. Keihe: Hesjsische Bauern. Verlag Herm.
Beyer 8 Söhne, Langenjsalza 1926.
Diesjer dritte, die Veröffentlichungen „Aus einer vergessenen
Ecke“ abschließende Band enthält siebzehn längere Aufsäßze, „die
in ihrer Folge eine Volbskbunde pfychologijcher Art ergeben. Und
zwar schreitet der Gang der Darstellung vom Außerlichen zum
Innerlichen des Menschen.“ Der Verjsfasser würdigt das hessische
Sauerntum in seinen guten und vorbildlichen Wesenszũgen, in
jeiner bodenständigen Kraft, darauf letzten Endes Volk und Staat
beruhen. ohne doch seine Schwächen zu ũübersehen. Er verwahrt
sich mit Recht dagegen, daß so viel Verkehrtes und Oberflächliches
ãber das Volk geschrieben wird. Das Schlußkapitel,Der deutsche
BSauer in primitiver Gemeinschaftsfarbe“ nimmt burz und sachlich
Stellung gegen volbskbundliche Veröffentlichungen von Hans Nau—
nann, die ein falsches Bild vom deutschen Bauern zeichnen. Das
Buch mit seinem in fleißiger Arbeit gesammelten und sorgfältig
jesichteten Material ist eine Fundgrube für jeden, der Sinn für
dolbskunde hat, zumal für jeden Lehrer, Pfarrer und Beamten
iuf dem Lande. Immer wieder versetzen mich die „Eckenbücher“
n meine der „vergessenen Ecke“ naheliegende Dorfheimat, und
neine Kindheit im Bauernhaus und meine Jahre als Lehrer im
Bauerndorf bestätigen dem Verfasser, wie tief er geschürft und wie
vahr er die Seele des Volbes erfaßt hat. R.
Märchen. „Meinen deutschen Märchenschaßz“ nennt Eugen
Ddiederichs die neun Bände Deutsche Märchen, die bei ihm
xjchienen sind. Das ist ein stolzes Wort des Verlegers. Aber
e hat ein Kecht zum Stolz. Denn wenn auch vier Bände altes
ßut umfassjen, so hat er den anderen fünf Bänden Raum in seinem
dause gegeben, als sie darum ankblopften, und er hat dem herr—
ichen neuen Schatz ein schönes und würdiges Kleid gegeben.
Das ist eine hohe Tat von ihm. Sein stolzes Wort hat also
Sinn. Wir nehmen es ihm gerne ab.
VDon vier der neuen Bände möchte ich reden. Denn den
ünften, die „Donaumärchen“, benne ich nicht und muß ihn also
iusschalten. Es bleiben zwei Bände „Märchen seit Grimm“
Saunert) und zwei Bände „Plattdeutsche Märchen“ (Wissel).
Ich will eine ordentliche und solide Besprechung liefern, er
erlangt es, der Herausgeber dieser Blätter. — Ja, wie joll man
as aber machen, wenn man vor einem solchen herrelichen Schatz
teht? Da kbann man doch nur jubeln, jauchzen und danken! Ver—
nũnftigkeit vor einem Schatz ist unnatũrliche Verstellung!
Ich lese regelmäßig das eine und andere unserer Literatur-
lätter. Wenn ich so auf die letzten Jahrgänge zurücksehe, wundert
nich etwas sehr. So viele gelehrte und de Leute schrieben
arin über so viel ihrer Meinung nach Gutes. Und es kblang von
zeit zu Seit wohl auch mal ein Ton der Begeisterung irgendwo