dennoch, wie wurde ich überrascht ũber die Hoheit, Vollendung,
Einfachheit und Güte dieses Angesichts!“ Das Thema der Anter—
haltung war Grimms Arbeitsgebiet, nämlich seine altgermanischen
Forschungen. Am nächsten Tage weilte Wilhelm als Gast im
Goethehaus. DVon dem Mittagessen gibt er eine interessante
Schilderung. Ein großer Teil der Unlerhaltung drehte sich um
das von Ludwig Grimm gestochene Porträt der Bettind v. Arnim.
Wilhelms Wunsch, durch Goethes Vermittlung zwei weetvolle
Handschriften aus der Weimarer Bibliotheß mit Jabob zusammen
in Kassel benutzen zu Lönnen, wurde erfüllt. Goethe entlieh die
Bände auf seinen eigenen Namen und sandte sie mit einem freund⸗
lichen Schreiben Jabob zu. Sicher ein Beweis für Goethes Wert-
schãtzung der Brüder.
Im Juni 1811 wollte Jakbob Grimm Goethe in Weimar
besuchen, fraf ihn aber nicht, da dieser gerade in Karlsbad weilte.
Am 3. September 1815 trafen Wishhelm und Ludwig Grimm
Goethe in Frankfurt, und zwar im Hause der Familie Guaita—.
Boethe hatte gewũünscht, die Seichnungen Ludwigs zu sehen, und
jo betrachtete er mit Interesse Seichnungen, die kürzlich in Hersfeld
und Steinau (bei Schlũüchtern) gemacht worden waren. Darunter
befand sich „Das Preußje aus Schlüchtern“, das verschmitzte Ge—
sicht eines Handelsjuden mit seiner üblichen Frage als UAnterschrift:
„Nix * bestelle nach Schlichtern? ke Haasebãlkge? nix von Waar?“
Nach der Abreise der Brüder bam auch Jabob nach Frankbfurt,
jah aber Goethe nur burz (‚im Blick“). Das war das einzige
Mal, daß Jakob Geimm überhaupt Goethe sah!
Einige Wochen später trafen Wilhelm und Ludwig den Dichter
in der Gemäldegalerie zu Heidelberg. Goethe erbundigle sich freund-
lich nach ihren augenblicklichen Arbeiten und erkundigte sich bei
Ludwig nach dem Verlauf seiner Rheinfahrt.
Kurz nach dem Tode der Christiane besuchte Wilhelm den
Dichter zum zweiten Male in Weimar am 19. Juni 1816. Trotzdem
Goethe bis jetzt seit dem Tode seiner Gattin einsam gelebt hatte,
nahm er den Besucher freundlich auf und unterhielt sich mit ihm
ũber Fragen der Seit in Politi? und Religion. Den Wunsch
Boethes beim Abschied, die Schriften der Brũder vollständig zu
besitzen, erfüllte Wilhelm sofort nach der Kückbehr und übersandte
de Aer mit einem eingehenden. charabterisierenden Schreiben
In eine neue Wendung traten die Beziehungen der Brũder
zu Goethe durch den Plan der Gründung einer Gesellschaft für
Erforschung deutscher Geschichte, der von dem Frhrn. von Stein und
Savigny ausging. Da Goethe die Arbeiten der Brüder auf dem
Gebiet der deutschen Altertumskunde wohl bannte, suchte er ihre
Mitarbeit zu gewinnen. In der gemeinsam verfaßten und von
Wilhelm unterschriebenen Antworf vom 20. 9. 1816 geben die
Brimms ihre Ansicht wieder und fügen einen eigenen Plan bei.
Sie legten das Hauptgewicht auf die literarische Seite und
empfahlen zunächst die Sammlung von Urkunden. Diesen Plan
jandte Goethe an den Frhen. v. Stein mit dem Hinweis, daß er
„den Bibliothekar Herrn Grimm in Cassel“ zur Teilnahme auf-
gefordert hätte. Allerdings entwickelte sich die Gejellschaft anders
wie geplant war. AUnter Ausschluß rein literarischer Werhe stiftete
Frhr. v. Stein am 20. Januar 1819 zu Frankfurt die „Geseilschaft
für ältere deutsche Geschichtskunde“, an deren Gründung weder
Boethe noch die Grimms beteiligt waren. Die Schöpfung dieser
Gesellschaft sind bebanntlich die Monumenta Germaniae historica.
Ein regor Briefwechsel sete auf beiden Seiten ein in den
Jahren 1828 und 1824 anläßlich der beiderseitigen Beschäftigung
mit jerbischer Dichtung. Jakobs AÄbersetzung von Wubs Serbischer
Brammatik rũhmt Goethe als ein verdienstvolles Werk und benutzte
ñie selbst. Dessen Besprechung serbischer Gedichte in den Göttinger
Gelehrten Anzeigen fand so sehr Goethes Beifall, daß er von
jeinen eigenen Vorarboiten über serbische Dichtung abstand. Goethe
und Grimm sandten sich gegenseitig ihre Arbeiten zu und teilten
sich brieflich die Ergebnisse ihrer Forschungen mif. Für seinen
Aufsatz „Serbische Lieder“ wußte Goethe beine bessere Quelle zu
finden als Jakob Grimms Vorréède zu seiner Übersetzung der Serbi—⸗
jchen Grammatik, an die sich Goethes Arbeit sehr eng anschließt.
Ludwig Grimms Arbeiten begleitete Goethe mit freundlichem
Interesse. Mehrfach sandte ihm Wilhelm Stiche seines Bruders
zu, die dann in der Seitschrift „Kunit und Altertum“ qünstig
bejprochen wurden.
Goothes im Alter zunehmende Neigung zum Griechentum
entfremdete ihn den Brũdern Grimm. Gleichwohl bewahrten ihm
die Brũder stets ein ehrendes Gedenken. Bei der Nachricht von
seinem Tode meinte Wilhelm: „Einen Mann wie Goethe werden
wir nicht wiederbekommen. Sein Tod ist ein Abschnitt in der
Geschichte der deutschen Bildung und Poesie“. Wie auch nach
Goethes Tod sein Geist in den Grimms lebendig war, beweist
vor allem ihr Wörterbuch. in dem nach Wilhelms Worten Goethe
ver Mittelpunbt ist. Jabob Grimm hielt in seiner Schillerrede von
1859 einen ehrenden, warmen Nachruf auf Goethe. In den so
eichen Beziehungen Goethes zum Hessenlande steht jein enges
derhältnis zu den Brüdern Grimm obenan.
00
Nassauern.
Man hörk oder gebraucht gar selbst bisweilen die Kedensart
nassauern“, ohne über die Bedeutung bzw. Entstehung des Aus-
rucks recht unterrichtet zu sein. Manche meinen wohl gar, es sollte
amit den Nassauern etwas angehängt werden, das für diese gerade
leine Schmeichelei bedeute. Am glaubwürdigsten erscheint noch
achstehende Erblärung.
Das frũhere Herzogtum Nassau besaß bebanntlich beine eigene
dandesuniversität. Gießen, Marburg, Bonn lagen ja nicht allzu
veit. Nassau hatte aber an verschiedenen Universitäten reich—
ich dotierte Stipendien für seine Landeskinder ausgeseßt. So
interstüßte die Regierung unbemittelte Studenten ihres Landes
i. q. dadurch, daß sie ihnen Freit ische verschaffte, die anscheinend
n Göttingen recht gut waren und deshalb auch manchem Nicht-
lassauer begehrenswert erschienen. Gelang es nun einem solchen,
ine zufällig offene Stelle zu erhalten oder für einen gerade
ranben Nassauer einzuspringen, so wurde er von den Berechtigten
cherzweise als „Nasjauer“ bezeichnet, obwohl er bleiner war, sondern
nassjauerte“, indem er sich als Nassauer ausgab.
Seitdem gebraucht man die Redensart er nassauert“, wenn
einer auf Kosten anderer sich Oergünstigungen zu verschaffen weiß,
die ihm für seine Person eigentlich nicht zustehen. O.
Schnurrpfeifereien.
D's reéne Blut.
Dem Jost jeine Eltern nannten ein Werbchen ihr eigen; weil
ber das, was es brachte, zum Leben nicht ganz ausreichte, sührten sie
daneben noch eine bleine Gastwirtschaft. Jost mußte im Sommer, wenn
die Feldarbeiten drängten, einspringen ünd die paar Gäste bedienen.
So war es auch heute wieder. Jost hatte zuerst eine ganze
Weile vor sich hin semeliert. Dann Lam eine höchst angenehme
Uberraschung, Kannhinerch (gohann Heinrich). der Nachbarsjunge,
tellte sich ein. Der stand in Josts Alter und war dessen bester
Kompeer (Genosse).
Die zwei zogen bald auf Entdeckungsreisen im Hause herum,
vuschbelten (jchlichen) vom Boden bis in den Keller, und nichts
lieb unversucht, was eßbar war. Die Hogtzeln und Schnitzen
m Sack am Boden an der Wand, die Würste auf der Würste—
rammer wurden angebnabbert. Der Saft auf der Oberstube und
der Schmant in der Küche mußten ebenfalls dran glauben.
Zuletzt waren die beiden bleinen Taugenichtse in den Keller
jeraten, oi, da lag Faß an Faß, in den größten befand sich der
Lembach“ und in den halb so großen „ordinär“ BSier. Halti, da-
zinten träumte auch ein Fäßchen, in dem die beiden Jungen Libör
ermuteten. Swar jetzt gab's einen Haben, das Fäßchen war nicht
ingesteckt, nur sein hölzerner Spund gab beim heftigen Berühren
ach. Da wußten sich aber die Entdeckungsreijenden zu helfen. Sie
olten jeder einen Strohhalm herbei und suckelten (jogen) um—
chichtig durch sie den jüßen, roten Likör ein. Und das Seug
chmeckte „ebelig schön“.
Wie lang die beiden gesuckelt haben, weiß ich nicht, aber es
nuß ziemlich ausgiebig gewesen jsein. Kaum bam nämlich Kannhinerch
iach Hause in ihre Stube, da mußte er sich furchtbar übergeben.
„Das war so wahr und so wahr das helle Blut, was da aus
einem Munde floß.“
Gleich eilte Annels, seine Mutter, zur Nachbarn, der Wirkin,
die eben vom Felde gekommen war: „Du, Lißche, inser eß velon,
dã brecht d's reene Slut“ (Du, Elisabeth. unser ist verloren, der
dricht das pure Blut).
Jost hörte das mit an und lächelte verständnisvoll und über—
egen. Auf den scharf fragenden Blick seiner Mutter, der etwas
chwante, beteuerte er treuherzig. daß er so gewiß und so gewiß
yon nichts wisse.
Doch auch er sollte nicht lang verschont bleiben, auch er mußte
ich heftig übergeben und erbrach das „reinste“ Slut.
Da roch seine Mutter alsbald alles und sagte: „Ehr zwei
Satãner, ehr seid ewerem Libeer gewäst! Annels, gaͤbb dich sefréed.
Kannhinerch sterbt net.“
Die aber blieb dabei und brisch (weinte) zum Himmel hinein:
„Schwei mir still. de Jung eß veion. hä brecht schonnd d's reene
Slut“. Schw.
Dann kann ich ihm auch nit gehelfen.
Die in den Jahren von 1181 bis 92 auf Kosten des Landes—
herrn erbaute. inn Innern und Außern gleich nüchtern gehaltene