Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Neigungen fast ganz in der Wirtschaftsführung aufgeht, doch 
nicht, ohne zugleich eine treue Helferin des Dichters zu 
sein, dem blonden Töchterchen Holle, das in der Dorfschule 
Schreiben und Lesen lernt, und etlichen jungen Mädchen, 
die der Hausfrau bei der umfänglichen Arbeit in Haus und 
Garten, auf Ackern und Wiesen zur Hand gehen, wobei 
natürlich auch der Hausherr selber bräftig das Seine tut. 
Er, der drüben in Südafrika gelernt hat, unter viel primi- 
tiveren Derhältnissen auch beim Allereinfachsten zuzugreifen, 
steht hier, auf heimatlichem Boden, nicht minder seinen 
Wann, ob er nun das Futter für die Siegen besorgt oder 
das Holz, den einzigen Brennstoff hier, zerkleinert, die Erde 
wendet oder die Sense schwingt. Denn seine Verflochtenheit 
mit Natur und Volk ist beine literarische Phrase, sondern 
lebendige, wurzelfeste, eindeutige Lebensart — lebendig, 
wurzelfest, eindeutig wie das dichterische Werk. dem sie als 
menschliche Grundlage dient. 
Weit sind die Käume des Hauses, recht geeignet für 
einen Menschen, der Bewegung liebt, ein Saal fast das 
Arbeitszimmer des Dichters, der, alles andre als ein 
Stubenhocker, gleichwohl viele und schöne Bücher sein Eigen 
nennt und eine beträchtliche Sahl wertvoller Gemälde, die 
sein Dater um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Wien 
gejammelt hat. Die Möbel, Familienbesitz aus dem Empire 
und dem Biedermeier, passen vorzüglich zu den Simmern, 
denen durchaus anzumerken ist, daß sie einmal für den Ge— 
brauch eines Souveräns bestimmt und hergerichtet waren 
Fünf Jahre lang hat der Dichter hier an seinem großen 
Koman gearbeitet. Aber seine Vollendung bedeutete keine 
Entspannung für ihn. MAndere, teils neuere, teils ältere 
Pläne haben ihn alsbald wieder ins Joch gespannt. Und er 
pricht von ihnen als von einem unentrinnbaren Muß, in 
dessen DVerfolg er sich noch in diesem Jahr wieder nach 
Südafrika begeben wird. Zur Vollendung eines längst be— 
gonnenen VRomans bedarf es noch einmal eines bestimmten 
landschaftlichen Erlebnijsses im östlichen Kapland. Deutsch- 
Südwoest heischt ein eigenes Werk. Daneben wird es eine 
reiche Beute an bleineren Geschichten geben. Drei Bücher 
alsjo werden vielleicht das Ergebnis sein, aber sie fallen ihm 
nicht in den Schoß. Denn Hans Grimm ist Lein Schnell- 
schreiber. Sein starkes Sprachgefühl erlaubt ihm nicht, mehr 
als durchschnittlich drei Seiten Handschrift am Tag zu Papier 
zu beingen; auf den Buchumfang des neuen Komans ver— 
eechnet, kommen sogar nur anderthalb Druckhkseiten heraus. 
Dieses langsame Tempo, diese zähe Qualitätsarbeit ist an 
allem, was Grimm veröffentlicht, gleichsam sinnlich wahr— 
zunehmen: es genügt, einen beliebigen Absatz laut zu lesen, 
um zu spüren, wie jedes Wort aus tiefsten Quellen geistiger 
Empfindung aufgestiegen ist und zum schon geformten organisch 
sich gefügt hat. Nicht anders, als der Dichter selbst, ganz 
oersönlich, mit Heimat, Volk, Welt und Menschheit organisch 
erwachsen ist ... 
Der leise, feine, aber hartnäckige Kegen, der den Sommer- 
ag verschleierte, hat aufgehört. Die zarten blauen Buchten 
am weißbewölkten Himmel haben sich weithin ausgedehnt, 
die Wolken selber sich zu anmutigen, blaßrosa umränderten 
Hebilden zusammengezogen. Späte Sonne ruht warm auf 
Seeten, Büschen und Bäumen, auf dem kreisrunden, vom 
zchilf umstandenen Teich des Springbrunnens und auf dem 
leinen, gemauerten Gartenhaus, durch dessen sauber ge— 
unchte, mit Bildern antiker Plastik und Archĩtektur geschmückte 
Vand üppiger Epheu ins Innere gedrungen ist. Der bleine 
foxterrier jault um einen Igel herum, der sich zur stachlichen 
Augel zusammenrollt, was der kleinen blonden Holle 
uinbãndiges Vergnügen macht. Die Frau des Haujses pflückt 
inen Strauß voll-erblühter, dunkelroter Kosen für die 
cheidenden Gäste, die der Dichter, das Fahrrad führend, 
uind sein Töchterchen, um den munteren Hund besorgt, nun 
zum Bahnhof Bodenfelde geleiten. Und nur zu schnell 
ind ihre heiter winbenden Gestalten den Blicken der heim— 
värts Fahrenden entschwunden, welche die Fülle dieses Tages 
ils eine köstliche Bereicherung eigener Lebensfracht danbenden 
herzens nach Hause bringen. 
An eine adlige Frau— 
(Frau C. von Hanstein zum Gedächtnis.) 
Niemals ruhten Deine Händel 
Enggemaschtes graues Netz werb 
Deckt Frau Sorges neid'scher Wille 
Uüber Deines Hauses Glück. 
Doch durch aller Nebel Ballung 
Leuchtet Deines Willens Licht. — 
Niemals ruhten Deine Hände! 
Niemals ruhten Deine Füße! 
Immer ging dein grader Weg 
Durchs Gestrüpp der rauhen Tage. 
Immer war Dein Pfad voll Mühe;: 
Kegelmaäßig, wie die Sonne, 
Zog die Sorge ihre Fäden 
Durch die pflichtgefüllten Seiten. — 
Niemals ruhten Deine Füße! 
Niemals ward dein Herze müde! 
UÜber aller Qual des Lebens 
Slüht' der Güte stille Blume, 
Wuchs der Menschenliebe Baum 
Jeder, den Dein Blick berührte, 
Fühlte Deiner Seele Güte. — 
Niemals ward dein Herze müde! 
Und nun ruhen Deine Fuße, 
Deine Hände stille feiern, 
Deine Seele ging nach Hause 
Ewig blüht Dein edles Herz! 
K. A. Schimmelpfeng. 
Aus alter Seit. 
Aus einer Seit, da man noch höflich war. 
Wir leben heute im Seitalter des Hastens und Jagens. Alles 
geht maschinenmäßig; zuweilen selbst das Denben und Empfinden 
der Menschen. Schablonenhaft werden Beiefe geschrieben — von 
persönlicher Wärme ist darin wenig zu spüren, wenn sie nur den 
geschäftlichen Sweck erfüllen. „Sachlich unnötige KRedewendungen 
und Höflichkeitsfsormen bitten wir zu unterlassen“ — wie häufig 
lesen wir jetzt diese Anmerkbung. „Seit ist Geld.“ Charabteristisch 
für die Gegenwart. Man will Leine persönliche Note. 
And doch ist es noch keine 100 Jahre her, da bediente man 
sich auch in der Schriftsprache noch der größten Höflichkeit. Die 
junge Generation bennt kaum noch die Respekisausdrücke und 
ergebenen Redewendungen, die in den damals geschriebenen Briefen 
enthalten waren. Sie dokumtentieren eine Seit, in der es noch 
gemütlich langsam ging und alle Briefe mit peinlichster Sorgfall 
ils persönliche Charabteräußerung geschrieben und betrachtet 
vurden. Einen Einblick in die Umgangsformen der „guten alten 
zeit“ gestattet uns der nachstehend abgedruckte Brief, der im 
Jahre 1845 an den Bürgermeister der Stadt Melsungen (Baumann) 
gerichtet wurde: 
„Hochwohlgeborener besonders Hochzuverehrender 
Herr Bürgeemeister! 
Von der Aberzeugung ermuthigt, daß nur Sie Verehrungs- 
vũrdĩger Herr Bürgermeister der Einzige sind, welcher mir in 
ziner für mich sehr werthen Sache zu helfen im Stande ist, des 
halb nahe ich mich hiermit Ew. Wohlgeboren mit der ganz- 
jehorsamen Bitte, mich durch Ihren Edelmuth und Herzensgũte 
oon meiner Unruh zu befreien und meine ganzgehorsame Bitte 
uncht zu Verũbeln. 
Su Anfang dieses Monats fügte es sich, daß ich troß 
meines lahmen Armes dennoch hier eine Condition bekam, in
	        
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