Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

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Im Klosterhaus Lippoldsberg õ Von Will Scheller. 
underts gegründet worden war und im vierzehnten Jahr- 
undert, in dessen Beginn der Bau der sehr beachtenswerten 
omanischen Kirche fällt, seine Blütezeit erlebt hat. Während 
er bald folgenden Verfallsepoche war es ein ständiger 
ʒankbapfel zwischen Hessen und Braunschweig. Die Kefor- 
nation machte dem durch Auflösung des Klosters und Der— 
vandlung in landgräflich hessisches Kammergut ein Ende. 
dandgraf Philipp errichtete in Lippoldsberg einen Eisen- 
ammer, der jahrhundertelang bestanden hat, böser Schicksale, 
ejonders im Dreißigjãhrigen Krieg, unerachtet. Schon damals, 
ils abwechselnd baiserliche, schwedische, lüneburgische und 
essische Truppen die Gegend unsicher machten, saßen die 
Grimms in Gdelsheim. Landgraf 
Larl richtete sich droben in Lip-— 
»oldsberg nächst der Kirche ein 
Jagdschlößchen ein; unter preuß. 
Herrschaft, die auch dem Lippolds 
erger Eisenhammer ein Ende 
nachte, wurde aus dem ganzen Ge⸗ 
däudekbomplex eine Domäne, die 
iber schon vor dem Welltbrieg ihre 
Aufteilung erfuhr. Hans Grimm 
ꝛrwarb aus zweiter oder dritter 
Hand das Herrschaftshaus mit dem 
Harten und haust darin gewisser⸗ 
naßen als ein Landwirt bleinen 
Stils, der sein Brot selber backt, 
eine Früchte und sein Gemüse 
elber zieht und auch seinen Wein 
elbsteigen beltert. Er ist hier, in 
der Heimat seines Blutes, was 
er jein will, ein freier deutscher 
Mann auf freier deutscher Scholle. 
Aher er fühlt, auch hier, die Enge, 
darein widriges Geschick das 
deutsche Volk gebannt hat und aus 
velcher es geistig zu lÿösen er auch 
ein dichterisches Schaffen und 
Virken für verpflichtet hält. Hier, 
vo bein Stückchen Land mehr feil 
st, wo die Erde, der wunderschönen 
Landjchaft und der üppigen Frucht⸗ 
darbeit unerachtet. nicht weit genug 
ist, um alle ihre Kinder zu tragen 
und zu nähren, hier entstand das 
größte Werk, das Hans Grimm bis- 
er geschaffen hat, der Koman „Volb ohne Kaum“, der vom 
eutschen Volk und seiner Lebensnot handelt und, mit dem 
käuten der Glocke von Lippoldsberg beginnend, den Weg 
indeutet, der aus der Enge der Heimat in die Weite der 
Velt führt, ohne die Lebenswerte heimatlichen Seins und 
Vesens am Kande liegen und verbommen zu lassen. 
Der Dampfer hält nicht in Lippoldsberg, sondern erst in 
Sodenfelde. Von dort sind es freilich nur wenige Minuten 
nach Lippoldsberg zurück an Wiesen und Kornfeldern ent— 
ang. Im Dorf selbst, in welchem Bauernhäuser hessischer 
ind niedersächsischer Bauart friedlich nebeneinander stehen, 
lommt der Dichter, eine hohe, schlanke Gestalt, seinem Be— 
uch entgegen, froh, daß jemand aus der weiteren Welt, 
ind wäre sie räumlich noch so nah, seine Abgeschiedenheit 
einmal belebt. Denn sonst ist er, dessen männliche Wesensart 
zu den auffälligsten Merkmalen seiner Erzählkunst gehört, 
ruur von Frauen umgeben: der Gattin, die kroß künstlerischer 
Schier unzählige Wendungen und Krümmungen schreibt 
die Wejer mit ihrem Lauf zum Meer in das deutsche Land, 
eine rause Lebenslinie, die den Eindruck macht, als wäre 
sie in jchwerem Kampf dem Boden abgerungen. Besonders 
aber in ihrem Anfang. And die Goschichte des deutschen 
Oolbes bestätigt diesen Eindruck, denn hier, zwischen dem 
hannoverschen Münden im Süden, wo Fulda und Werra 
zusammenströmen, und dem hessischen Carlshafen weiter im 
Norden, wo nach dem Einfluß der Diemel die Weser fürs 
Erste lotrecht meerwärts fließt, hier, wo vom Westen und 
bom Osten mannigfaltige und sorstreiche Höhenzüge, der 
Solling zumal und der Keinhardswald. gegeneinander grenzen. 
hier haben auch harte Ausecin- 
andersetzungen zwischen deutschen 
Oolksstämmen, zwijschen den Sach- 
sen und den Hessen, die gemeinig- 
lich dem fränklijschen Verbande zu⸗ 
gerechnet werden, über das Wasser 
der Weser hinweg stattgefunden. 
Hier, in diesem stammesgeschicht 
ichen Grenzgebiet, ist die Ur— 
heĩmat jener Familie Grimm, deren 
bedeutendster Sohn im Geistes 
leben der deutschen Gegenwart eine 
Kolle von beständig wachsender 
Wirkung spielt. Hans Grimm, 
dessen Vorväter in Gdelsheim an 
der Weser gesessen haben, Hans 
Grimm, der geistige Kepräsentant 
des Kolonialdeutschtums, ein Dich⸗ 
ter, der sich wie nur wenige seines 
gleichen der deutschen VBolksgemein⸗ 
schaft verbunden und verpflichtet 
fühlt, hat kurz nach dem Welt⸗ 
krieg, da es ihm nicht gelang, in 
Odelsheim jselbst wieder boden- 
ständig zu werden wie seine Ahnen, 
im benachbarten Lippoldsberg ein 
Anwoesen erworben, das ihn nicht 
bloß mit der Natur, sondern auch 
mit der Geschichte dieser Scholle, 
dieses heimatlichen Stückchens 
Erde, lebendig verkettet. Denn 
das Klosterhaus, das er mit dem 
zugehörigen Garten und mehreren 
berstreut liegenden Ackern und 
Wiesen behaust, hat mancherleĩ erlebt, was ihm neben dem 
SZauber der Ehrwürdigkeit den Keiz historischer Merb⸗ 
vürdigbeit vermittelt. 
Wenn der Dampfer, der von Münden nach Hameln 
fährt, eine etwas mehr als zweistündige Keise hinter sich 
und eben Gieselwerder zur Linben passiert hat, kommt 
rechterhand, wenige Schritte vom Weserufer landeinwärts 
entfernt, ein auffallend sauberes Dorf in Sicht, aus dessen 
von fetiem Grün der Laubbäume durchsetztem bunten Dach- 
gewirr der dunkle Bau einer alten Kirche mit barockem 
Turmaufsatz aufragt, und dicht daneben ein besonders hohes, 
rötliches Dach: das ist das Klosterhaus Lippoldsberg, in 
welchem Hans Grimm, der hessische Dichter deutscher Lebens⸗ 
eechte, seit einigen Jahren seßhaft geworden ist, heimisch an 
einer Stätte, die, wie vermerbt, vielerlei Schicksal erfahren 
hat. Wie schon der Name verrät, stand dort ehedem ein 
Kloster. ein Nonnenkloster, das gegen Ende des elften Jahr— 
Slick auf das Klosterhaus Lippoldsberd.
	        
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