Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

ob Kais. Majestät und sie selbst es vor Gott und ihrem 
Hewissen verantworten bönnten, „diese elende, arme und 
gebrechliche Leute wieder ins Elend zu weisen und dagegen 
die unnützigen, hoffärtigen, zanksüchtigen und vielfräßigen 
Mönche wieder einzusetzen“‘. Da zogen die Kaisj. Räte 
mit bewegtem Herzen und Gewissen wieder ab, und 
die ganze Klage fiel ins Wasser. Der letzte nominelle 
Abt Hermann Engel starb 15174 im Hainaerhof zu Frankfurt 
pergl. Dersch, Hessisches Klosterbuch; Holthausen, Das 
Landeshospital Haina). 
Mit den elenden Männern aber, deren mancher wohl eine 
wenig saubere Vergangenheit hatte, war ein Haufen Waisen- 
rinder und Findlinge aus dem ganzen Lande, mit denen 
man nirgend hinwußte, in Haina untergebracht, die dann nach 
bollendetem 12. Lebensjahre in Dienst und Lohn gegeben 
werden sollten. Da sie in dieser Umgebung in der Gefahr 
geistiger und sittlicher Derwahrlosung lebten, so hat der Pfarrer 
Kau sich ihrer treulich drei Jahre lang mit Erziehung und 
Unterricht angenommen. Jetzt schreibt er an die Fürstlichen 
Käte, daß er wegen der Menge seiner Amtsgeschäfte nicht 
imstande sei, den Unterricht an den Kindern fortzuführen, und 
hittet, daß man jemand anderen sende, die Arbeit fortzusetzen. 
Der Brief lautet wie folgt: 
Gottes Gnade zuvor, 
Edle und gestrenge, günstige, liebe Heren. E. Str. werden 
ich zu erinnern wissen, wie ich gestern der armen, unerzogenen 
Zinder halber bei E. Str. angesucht und gebeten, nachdem 
ch sie nun drei Jahre unter meiner Disziplin gehabt, mit 
neinen befohlenen Kirchengeschäften aber dermaßen beladen, 
ch solcher Kinderzucht in die Länge nicht obliegen kann, man 
wollte doch so wohl kun und einen hierzu verordnen, der auf 
jolche Dinge warten müßt; habe aber hierauf von E. Str. 
noch beine Antwort bekommen. Als bitte ich noch, man 
wollte doch durch Gott in diesem Stück die hohe Not ansehn 
und bedenkben. 
Sonderliche Schulen hier anzurichten, ist nicht mein 
Begehr noch Suchen, allein das suche ich, daß die armen 
Kinder, die man doch ohnedaß hier nährt und unterhält, nicht 
so mutwillig und jämmerlich versäumet werden möchten. Soll 
man sie hinausjagen, wo wollen sie sich dann erhalten, wer 
pill sie an jseinen Tisch nehmen? Soll man sie den andern 
alten Männern unter die Hand kun? Wer sind die Männer, 
die hierzu tüchtig seind, sintemal sie wohl not hätten, daß 
andre auf sie warteten? Oder wie sollt oder kLönnte man 
die Jugend denen befehlen, die ihr lebelang vielleicht selbst 
nicht gut gewesen sind? Ach, liebe Heren, ich bitte doch 
zurch Gott, man wollte doch dem Herrn Christo auch ein 
Käumlein in dem Hospital Haina lassen. Weijet man ihn 
schon zurück in den Viehstall, will er doch mit uns zufrieden 
ein. Denn wer weiß, auf welcher Seite Herr Christus 
am meisten und nächsten bei uns wohnt. Was die Alten 
diejes Orts anlanget, seind zwar viel frommer Leut unter 
hnen, und ist ein herrlich und christlich Werk, daß soviel 
armer, alter Leut hier unterhalten werden, und wird das 
hne Zweifel unserm gnädigen Landesfürsten hochlöblichen 
Hedächtnis ein ewiger Kuhm sein; aber dagegen, ist zu 
bermuten, auch das wahr sein, daß ihrer viele das Ihre 
verfressen, versoffen, verspielt, verhuret und verbubet haben, 
ja noch bei diesem Almosen Schande und Laster treiben, 
da nicht offenbarlich, doch heimlich, ja, die es Gott und 
hrem Landesfürsten weder Dank noch Lohn wissen, ich 
vill gar geschweigen, daß sie für ihre Obrigkeit ein andächtiges 
daterunser beten sollten. Dagegen aber hält man die armen, 
ungen Kinder an, daß sie beide in der Schul und in der 
Kirchen täglich auf ihre Kniee vor Gottes Angesicht sitzen 
nũssen und müssen für ihre liebe Obrigkeit und für dieses 
Hospital bitten. Meint ihr wohl nicht, liebe Herrn, daß 
olches Gebet durch die Wolken deinge und die Obrigbeit 
amt diesem Hospital solches Gebet genieße? Meinet ihr 
uͤcht, daß Gott und die lieben Engelein jubilieren und sich 
reuen, wenn solche arme Kinder ihre unschuldige Händlein 
jen Himmel aufheben und mit einfältigem und kindlichem 
Herzen aljo zu Gott stammeln? Was meint ihr wohl, 
vie's um die Welt stehen würde, wenn die Welt der Kinder 
Hebet in der Schul nicht hätte? Und wenn wir sonst beinen 
Nutzen von der Schul hätten, denn das Gebet sollt uns 
ies einige Stück doch bewegen, daß man mit ganzem Ernst 
an allen Orten Schulen hielte, wo man nur kbönnte. Läßt 
nan diese angefangene Dijziplin, als ich doch nicht hoffe, 
allen, so sage ich das, man ziehe im ganzen Fürstentum 
Hessen größere Erzbuben nicht als eben in diesem Gottes- 
»aus Haina. 
Denn die jungen Kinder werden gewöhnet, von 
Jugend auf den Namen Gottes zu lästern und zu schänden; 
ie werden gewöhnet zur Dieberei, zur Unzucht und 
andren Lastern. Da werden sie dann vom Henber ge— 
stäupet, gehenkt, gerädert und sonst auf andere Wege ge— 
schändt, dero Exempel man wohl erzählen könnt, und über 
dem allen werden ihre Seelen, die Christus mit seinem teuren 
Slut erkauft hat, dem Teufel übergeben. Was meinet 
hr, günstige, liebe Herrn, was Gott dann hierzu sagen 
vürde? And wie wollten wir immermehr bestehen, 
venn uns der gerechte Kichter Christus hierum würde 
zu Kede stellen, wie denn an jenem Tage gewißlich ge— 
chehen wird? 
Darum, edle und gestrenge, liebe Herrn, bitte ich, E. Str. 
wolle doch auch ein Auge auf die Jugend dieses Orts 
haben. Ich hoffe nicht, wann man den armen Kindern 
schon einen Suchtmeister hielte, das Fürstlicher Ordnung 
hiermit zugegen sollt gehandelt werden. Was E. Gostr. 
hierinnen gesinnet ist, wollt E. Str. sich hierinnen günstiglich 
erklären. Dieselbigen ich auch bitte, sie wollten mir mein 
närrisch Schreiben zugut halten und alles zum Besten 
deuten. Befehle hiermit E. Str. dem lieben Gott zu 
seinem gnädigen Schutz. 
Datum den 16. Dezember (1515. 
E. Str. dienstwilliger Johannes Kau, 
Pfarrer allhier zu Haina. 
Ob der tapfere Pfarrer mit dieser Bitte durchgedrungen 
st und man ihm einen Gehilfen in der Erziehungsarbeit an 
en Kindern, einen Schulmeister oder Schulgesjellen, wie man 
amals Lehrer und Hilfslehrer nannte, gesandt hat, geht leider 
us den Abten nicht hervor. Man kLann sich aber Laum 
orstellen, daß die Fürstlichen Käte diesem „närrischen“ Sriefe 
aben widerstehen kLönnen; und wenn die Aufnahme von Kindern 
n das Hospital Haina nachher eingestellt ist, so mag auch das 
in Erfolg seines Schreibens gewesen jein. Daß er übrigens 
ücht nur das Herz auf dem rechten Flecke hatte, sondern 
uuch mit der Feder umzugehen wußte, beweist neben diesem 
ünftigen Brief eine Sammlung herzlicher Predigten, die er 
595 zu Frankfurt a. M. hat herausbommen lasjen, und eine 
Weltbeschreibung, d. i. schöne, richtige und vollkommliche 
osmographie des ganzen Umbreis der weiten Welt“, die 
1597 dem Landgrafen Ludwig von Hessen überreicht 
zat. Don Haina nach Wetter verjsetzt, ist er dort im 
Jahre 1600 gestorben. (Dergl. Strieder, Hess. Gelehrten- 
eschichte IX, 238 f.)
	        
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