Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Er überlegte und lauschte. Die Haus- und Hojftür 
elinbten und klapperten zu vielen Malen. Stimmen, die sich 
entfernten, waren zu vernehmen. Endlich wurde es still, 
ganz still. Alle Hausbewohner waren, bis auf ihn selber, 
zum Nachmittagstanze in der Schenke ausgeflogen. Ent— 
jchlossen öffnete er die VDerschlagtür. Die Entelein rasten 
im wilden Übereinander zum Stalle hinaus. und er folgte 
ihnen auf dem Fuße nach. 
Der warme Platzregen war in einen eisig Lalten Landregen 
übergegangen, und ein hohler Wind blatschte die dicken Kegen- 
strähnen gegen die Stallwände. Der ganze Hof war eine 
einzige Kegenpfütze, aus der erhöhte Stellen wie eine flache 
Inselwelt herausguckten. 
Die ausgelassenen Tierchen warfen sich inbrünstig in die 
schmutzige Flut und planschten und manschten, bald paddelnd, 
bald schwimmend, je nach der Wassertiefe, immer suchend und 
jchnatternd und gründelnd, immer vorwärts, der Scheune zu. 
Dor dieser befand sich in der linken Hofecke das große, tiefe 
Jauchenloch, von einer Holzverschalung eingefaßt. Hier 
sammelten sich die Abwässer; denn Schlamm und angeschwemm- 
ter Dünger verstopften den Abzugsgraben. Keiner war zum 
Lüften und Käumen da, und Fritzchen hütete sich allerschönstens, 
Hand anzulegen. Dieser braune Tümpel wurde von den 
Entelein als Standquartier auserwählt. Wie Kobolde, husch 
und hurr, schossen sie hin und her, auf und nieder. daß es 
rine Lust zu sehen war. 
Ein herzbellemmendes Angstgegacker riß Fritzchen aus 
der sinnig innigverzückten Betrachtung. Ach Struppl In 
der Schafstalltür trieb sie ein wunderlich unsinniges Wesen. 
Die Sündflut schien sie nach kurzen Anläufen immer wieder 
in den warmtrockenen Stall zurückzuscheuchen. Hallo, nun 
speingt sie meuchlings mit einem langen Sat in das kaltnasse 
Element hinaus. Stelzend watet sie von Inselchen zu Inselchen, 
hier und dort zögernd und kurz verschnaufend. Endlich hat 
sie ihre teuren Lieben erreicht. Da steht sie flügelschlagend, 
um das gefährdete Gleichgewicht zu erhalten, auf dem schmalen 
VOerschalungsrand der Jauchengrube. Da starrt sie fassungs- 
los auf das wüste Treiben ihrer Lieblinge, die sie in Todes- 
gefahr wähnt, und kauert sich nieder und gluckt und lockt 
vergebens die Teufelsbeut zum Unterbriechen. Die kalten 
Kegensträhnen peitschen mitleidlos die nackte Haut, die sich 
wie ein Klumpen Himmelblau im grauen Kegengerinnsel 
ausnimmt. Die spärlichen Federbüschel sind zujammengeklebt, 
wie wenn Fritzchen sein Borstenhaar mit Pomade aus Onkel 
Christians Büchse einschmiert. Und immer dringender, 
schneidender, gellender betteln die Hilferufe das blindwütige 
Jungvolb. 
Auch das abgehärtete Fritzchen rührt endlich ein leijer 
Schauer. And die Abendfütterung mag nicht mehr ferne 
jein. Die Halbdämmerung bann allerdings von der breidicken 
Luft herrühren. Also genug des Spaßes für heute. Es 
hilft alles nichts, ihr widerborstige leine Gesellschaft. Hinein 
in den Stalll! Da blinkt die Hoftür. VDerflixt. Die Schwester 
kommt im Putz vom Tanze zum Kuhfüttern. Sie bestaunt 
das triefende Fritzchen und die blauangelaufene Strupp und 
die niegesehene und niegeahnte Entenbrut und blatscht in 
die Hände und lacht und lacht. Ja, flüchte nur. Mit 
Fritzchens Fäusten ist nicht zu spaßen. Aber der Schleier 
des Geheimnisses ist gerissen. Für ewig. 
Das kalte Kegenwetter hielt während der ganzen 
Pfingstwoche an. Fritzchen ließ, da einmal nichts mehr zu 
berheimlichen war, dem Schicksal freien Lauf und den Ente— 
lein erst recht. Sie trieben sich den lieben langen Tag in 
den Pfützen des Hofes umher, natürlich mit Dorliebe im 
Jauchenloch. dessen Verstopfung zwar behoben wurde. das 
iber von den Dachtraufen immer neue Wajsserzufuhr bekam. 
die reizenden Wasserschauspiele der jungen Entengesellschaft 
anden viele Zuschauer. Sie machten aus ihrer Bewunderung 
ind Begeisterung bein Hehl und brachten auch ein wenig 
Mitleid für Strupp auf, die ihren Pflegekindern allerwegen 
iuf dem Fuße folgte. Denn sichtbarlich ging mit der 
Armsten eine Veränderung zum Schlimmen vor sich. Sie 
raß wenig und trank nicht viel. Nach den großen Wasser⸗ 
ahrten im Regengeplätscher drüchte sie sich in ihr Nest, 
roch förmlich in sich hinein und döste vor sich hin. Das 
Zautblau blieb als Grundfarbe. Größere und bleinere 
flechen von unbestimmbarer Farbe mischten sich hinein und 
nehrten sich von Tag zu Tag. Der purpurne Schein des 
Tammes verblaßte. Die Fettpolster schrumpften zusammen. 
Ddie Warzenhügelchen wuchsen und färbten sich jo unheimlich 
zunkelblau wie die Kiefern der nahen Höllenberge nach 
Sonnenuntergang. Die Federspieße starrten trostloser denn 
e. Die Nickhaut sank oft und auf lange wie ein weißer 
dorhang über die glanzlos⸗glasigen Augen herab. Sperrangel⸗ 
veit stand der Schnabel offen. Oft lief ein Schauer über 
den Leib wie eine bühle Windboe über den stillen blauen 
Masserspiegel. Offenbar eine schwere Erbältung. „Wenn 
je nun auch einen Schnupfen briegte“, weinte traurig niesend 
Feitzchen, dem vom anhaltenden Durchweichen die rote 
Nase wie ein Brünnlein lief. 
Mit Strupps Krankheit schien in gleichem Maße ihre 
eiebe zu den Pflegekindern zu wachsen. Es war mit den 
Zzänden zu greifen, daß sie am liebsten das Bett gehütet 
ätte. Kaum aber rührte sich die Brut und schnatterte in 
hrer bindischen Weise, so machte sie sich zum Ausgang fertig 
ind folgte mit heijerzerrissenem Glucken, das wie eine zer— 
orstene Blechglocke klang, den wilden Toberichen in das 
gesundheitmordende Unwetter. 
Eine neue Hitzewelle ging über das Land. Gras und 
Kräuter spritzten förmlich aus dem regengesättigten Erdreich. 
Am Sonntag nach Piingsten bonnte Fritzchen seine Schafe 
pieder austreiben. In wenigen Stunden waren sie satt zum 
Zersten, und schon lange vor Sonnenuntergang behrte er 
eim. „Was werden die Entchen wohl auf dem abgetrockneten 
dofe anfangen.“ Dieser Gedanke hatte ihn schon während 
des Hütens geplagt. Beim Einzug in das Dorf peinigte 
er ihn bis zur Unerträglichbkeit. 
Die durstigen Schafe liefen gewohnheitsmäßig zum KRöhr⸗ 
rog, den ein Röhrbrunnen unaufhörlich mit frijchem Quell- 
vasser speiste. Das überschießende Wasser floß in den Dorf- 
eich, der nur in Seiten ungewöhnlicher Dürre eintrocknete 
ind dann mit seinem gärenden Faulschlamm die ganze Um- 
jegend verpestete. Die Regengüsse der Pfingstwoche hatten 
hn bis zum Kande aufgefüllt, sodaß die mächtigen rohen 
findlinge, die ihn ringförmig einrahmten, nur mit den dicken 
Köpfen aus der tkrüben Flut guckten. 
Fritzchen bemerkte bereits von ferne, wie ein stattlicher 
Dogel von Steinkopf zu Steinkopf hüpfte und so den Teich 
rufgeregt umbreiste. „Strupp“, schoß es ihm durch den Sinn. 
Vie kam sie her? Was war ihr geschehen? Was hatte 
ie vor? Er setzte sich in Trab und ging bald zum Lauf— 
chritt über. Am Teich machte er pustend und schnaufend 
Halt. Darauf war ein fröhlich lärmendes und zanbendes 
ind spielendes Gewimmel von schwimmendem Gesjlügel. 
Sänse- und Enteneltern mit ihrem junggrünen und bereits 
edernden Gefolge. Mitten unter ihnen eine Gruppe ohne 
führung und Begleitung: seine sechs Entelein. Was war 
as für eine Schauenswonne, wie sie tauchten und gründelten 
uind dabeĩ bunstgerecht die Stielzchen in die Höhe hoben 
und zur Erhaltung des Gleichgewichts blitzschnell mit den 
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