Die nächste Frühdämmerung sah ihn schon das Kindbett
beobachten. Drumherum lagen sechs leere, halbzerstörte
Eierschalen. Dennoch führte die Glucke im Neste einen
närrijchen Eiertanz auf. Aus dem Gackern und Murksen
elang heftiger Verdruß. Die kbaum geborene Brut schien
so unbändig zu sein wie die ungezogenen Bengel in der
Schule. Da setzte sie sich energisch nieder und saß ein bleines
Weilchen stocksteif. Bald aber wurde der Körper wie bei
Erderschütterungen von unwiderstehlichen Gewalten in unruhige
Sewegungen versetzt. Aus der dunklen, heißen Anterwelt
tauchte zwijchen Mestrand und nacktem Pflegemutterleib ein
niedliches Entenköpfchen mit munteren schwarzen Auglein
auf. Darauf ein zweites bis sechstes. Die Tierlein wühlten
und wälzten sich ins Freie und suchten das Weite. Sum
Totlachen dieses Watscheln und Stolpern und Purzelbaum-
schlagen über die ungefügen Heidebrautstrünke und sonstigen
unzähligen Hindernisse. Der besorgten Glucke blieb nichts
anderes übrig, als ihrerjeits das Nest zu verlassen. Mit
lieblichen Schmeichellauten gluckte sie die Ausreißer an den
Futternapf, der noch halb mit Weizen gefüllt war. Die
Tierlein befanden sich, daran war bein Sweifel, auf der
ersten Futtersuche. And weil im Schafmist nichts für sie zu
holen war, so folgten sie willig den pflegemütterlichen Lock-
rufen. bletterten täppisch über den niedrigen Napfrand und
wühlten lustlos in der jüßen Speise. „Aha, diese harte Kost
ist noch nichts für euch Grünschnäbel“, dachte Fritzchen, holte
im Hui Weizenkleie vom Boden und gebochte Kartoffeln
aus der Küche und verrührte beides zu einem weichen Brei,
wie ihn die Enten von altersher lieben. Ja, das war eine
Schmauserei. „So jung und schon so gefräßig“, meinte Fritzchen.
Die Freßsäcke waren nudeldick, doch deshalb noch lange
nicht zufrieden. Sie gingen wieder auf die Suche. Ja, sehr
bpiel und vielerlei, das ist so rechte Entenart. Von ungefähr
stießen sie auf den Wassernapf, der vor burzem frisch auf-
gefüllt wurde. Mit wildem, unverdrossenem Eifer versuchten
sie den hohen Kand zu erblimmen und purzelten wieder und
wieder in die Streu zurück. Witterten sie das feuchte Element,
das ihr Lebenselement ist?
Fritzchen hob die Tierchen, so sehr auch die Glucke
ꝛeifte und sich aufplusterte, Stück um Stück in den Teller.
Hei, das war eine Lust, wie die gelben Dingerchen mit den
dunklen Streifen herumfuhrwerkten und planschten und kranken
und sich im Übereifer überschlugen und über den glatten Kand
rutschten und wieder in die Höhe humpelten. Nein, für
diese quicklebendige Gesellschaft war dies Betätigungsfeld
viel zu blein. Aber stand nicht in der Küche eine aus-
gemusterte Bratpfanne unnütz herum? Oder ein Eimer, der
liefer ist, oder ... „Fritzchen, Suppe essen“, rief die Mutter.
Oh, die dumme Störung, zumal man beinen rechten Hunger
hat. Als er den Stall verließ, sah er vor dem Kuhstall
eĩine große flache Wanne, in der eine Schwester den Kleie-
trank für die Milchkühe einzurühren pflegte. „Die kommt
wie gerufen“, jubelte Fritzchen in sich hinein.
Nach der Heimbehr vom Schafhüten wurde sie unter dem
Schutze der Stockfinsternis nicht fern vom Nest so in den
Mist eingebaut, daß sie nicht herausragte und in der
frühesten Frühe des nächsten Morgens bis zum Kande voll-
gegossen. Die Entelein fühlten sich, wie Eisen vom Mag-
neten, unwiderstehlich angezogen und vollführten ihre tausend
und abertausend Wasserkünste zu Fritzchens hellstem Entzücken.
Es störte ihn nicht im geringsten, daß die Luhfütternde Schwester
alle Welt nach dem Verbleiben der Wanne ausjforschte und
wie ein Kohrspatz über freche Spitzbuben schimpfte.
Jedweder Tag brachte neue Beobachterfreuden. Die
Tierlein fraßen nach Entenart unersättlich um sich herum
ind gediehen vortrefflich. Wären sie nur nicht, wie einst
hre Pflegemutter, vom unsinnigen Trieb ins Freie rein be—
essen gewesen. Alle Wände jsuchten sie nach Schlupflöchern
ib. And Fritzchen mußte jede Kitze, jedes Astloch mit
Moos verstopfen, um gefährliche Körperverletzungen oder
jar ein Entrinnen zu verhüten. Eine böse Ahnung quälte
hn, daß ihre wilde Natur am heftigsten in der schranken-
osen Freiheit hervorbrechen würde. Und außerdem gehörten
ie ihm ganz allein. Mochte das ruhig eine seiner vielen
Schrullen jein, die ihm alle Welt unter die Nase rieb.
Am zweiten Pfingstfeiertage war nach alter Landessitte
Dfingstreiten. Da übte auf einem Brachfelde weit draußen
die allergrünste männliche Jugend ihre Keiterbünste ohne
Sattel und Sporen und probierte dabei bis auf ein paar
Sitzfeste die Fallgesetze. Die zugehörigen kleinen Mädchen
olgten juchend den bühnen Keitern auf maiengeschmückten
deiterwagen auf das Feld der Ehre. Der Kest der Be—
vohner, einige schwer Bettlägerige ausgenommen, machte
ich auf die Beine, um das heerliche Schauspiel zu genießen
ind sachverständig zu begutachten.
Ach du armes Fritzchen! Alle Geschwister hatte er
im Stellvertretung beim Schafhüten beschworen und Korb
iuf Korb bebommen. Die Schafweide befand sich fern vom
Kennplatz. Die Luft war treibhausschwül und zum Ser—
chneiden düsig und unsichtig. Die Schafe waren näschig
vpie nie und machten tolle Bocksprünge. Pitti fraß Gras,
vollte aber bein Schaf beißen. Es war zum Kasendwerden.
Fritzchen warf sich in eine Furche, das Gesicht nach
inten, und weinte bitterlich. Ihm konnte alles gleich sein,
illes. In sein langes, finsteres Brüten grollte und rollte
in Donnerschlag, und große Kegentropfen blatschten auf
die Sohlen der zum Himmel gestreckten Füße. Er sprang
iuf und prüfte das Wetter. Der bleierne Dunst hatte sich
u schwer herabhängenden Gewitterwolken zusammengeballt,
»ie knatternde Blitze schleuderten und lauwarme Wasser-
luten ausschütteten.
Die grüne und bunte Pfingstwelt schwamm im Kegen—
zrau. Jede Bodenvertiefung wurde eine Pfütze, jede Furche
in schmutzig wirbelndes Kinnsal, die Ackerkrume ein schwarzer
Brei, wie eingerũhrte Stiefelwichse. An Fritzchen selbst
par nach wenigen Minuten bein Faden mehr trocken. „Ein
ichtiger Wolbenbruch, Gott sei Dank“, jubelte er, prügelte
ind hetzte die Schafe, die ihre Hinterfront der Wetterseite
ubehrten und das Haupt senkten, heimwärts und patschte
eelenvergnügt durch den Wegschlamm. Im Dorfe stieß er
iuf die vom Wetter verscheuchten Sportleute. Den Jüng-
ingen waren ihre Keiterbünste, den Jungfrauen ihre schloh⸗
veißen Festkleider und allen Suschauern und Mitwirkenden
ie gute Laune verdorben. Man bonnte es von den Ge—
ichtern lesen. Eine gerechte Strafe des Himmels, wenn es
e eine gab.
Im Stall brütete wahre Backofenwärme. Die Schafe
egten sich und wiederkäuten. Aus den dicken Fellen stieg
in feiner Dunst wie Opferrauch auf. Die sanften Augen
trahlten innige Sufriedenheit und Dankbarbeit aus. Man
var ja sicher und trocken unker Dach und Fach.
Hinter dem Verschlage aber rumorte und piepte und
eterte es unheimlich. Die Entelein kobten wie tollwütig
jegen die Bretterwände. War ihnen das Wetter in die
Hlieder gefahren? Warum kehrten sie sich nicht an das
»egütigende Glucken der Pflegemutter? Warum verschmähten
ie das Wasser in der Wanne? Es schimmerte freilich gift-
zrün und duftete bedenklich. Und als es Fritzchen unter—
uchte, war es jauchenwarm und dicklehmerig, und die Algen
iberzogen die Hand mit einer zartgrünen Haut.