Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Die nächste Frühdämmerung sah ihn schon das Kindbett 
beobachten. Drumherum lagen sechs leere, halbzerstörte 
Eierschalen. Dennoch führte die Glucke im Neste einen 
närrijchen Eiertanz auf. Aus dem Gackern und Murksen 
elang heftiger Verdruß. Die kbaum geborene Brut schien 
so unbändig zu sein wie die ungezogenen Bengel in der 
Schule. Da setzte sie sich energisch nieder und saß ein bleines 
Weilchen stocksteif. Bald aber wurde der Körper wie bei 
Erderschütterungen von unwiderstehlichen Gewalten in unruhige 
Sewegungen versetzt. Aus der dunklen, heißen Anterwelt 
tauchte zwijchen Mestrand und nacktem Pflegemutterleib ein 
niedliches Entenköpfchen mit munteren schwarzen Auglein 
auf. Darauf ein zweites bis sechstes. Die Tierlein wühlten 
und wälzten sich ins Freie und suchten das Weite. Sum 
Totlachen dieses Watscheln und Stolpern und Purzelbaum- 
schlagen über die ungefügen Heidebrautstrünke und sonstigen 
unzähligen Hindernisse. Der besorgten Glucke blieb nichts 
anderes übrig, als ihrerjeits das Nest zu verlassen. Mit 
lieblichen Schmeichellauten gluckte sie die Ausreißer an den 
Futternapf, der noch halb mit Weizen gefüllt war. Die 
Tierlein befanden sich, daran war bein Sweifel, auf der 
ersten Futtersuche. And weil im Schafmist nichts für sie zu 
holen war, so folgten sie willig den pflegemütterlichen Lock- 
rufen. bletterten täppisch über den niedrigen Napfrand und 
wühlten lustlos in der jüßen Speise. „Aha, diese harte Kost 
ist noch nichts für euch Grünschnäbel“, dachte Fritzchen, holte 
im Hui Weizenkleie vom Boden und gebochte Kartoffeln 
aus der Küche und verrührte beides zu einem weichen Brei, 
wie ihn die Enten von altersher lieben. Ja, das war eine 
Schmauserei. „So jung und schon so gefräßig“, meinte Fritzchen. 
Die Freßsäcke waren nudeldick, doch deshalb noch lange 
nicht zufrieden. Sie gingen wieder auf die Suche. Ja, sehr 
bpiel und vielerlei, das ist so rechte Entenart. Von ungefähr 
stießen sie auf den Wassernapf, der vor burzem frisch auf- 
gefüllt wurde. Mit wildem, unverdrossenem Eifer versuchten 
sie den hohen Kand zu erblimmen und purzelten wieder und 
wieder in die Streu zurück. Witterten sie das feuchte Element, 
das ihr Lebenselement ist? 
Fritzchen hob die Tierchen, so sehr auch die Glucke 
ꝛeifte und sich aufplusterte, Stück um Stück in den Teller. 
Hei, das war eine Lust, wie die gelben Dingerchen mit den 
dunklen Streifen herumfuhrwerkten und planschten und kranken 
und sich im Übereifer überschlugen und über den glatten Kand 
rutschten und wieder in die Höhe humpelten. Nein, für 
diese quicklebendige Gesellschaft war dies Betätigungsfeld 
viel zu blein. Aber stand nicht in der Küche eine aus- 
gemusterte Bratpfanne unnütz herum? Oder ein Eimer, der 
liefer ist, oder ... „Fritzchen, Suppe essen“, rief die Mutter. 
Oh, die dumme Störung, zumal man beinen rechten Hunger 
hat. Als er den Stall verließ, sah er vor dem Kuhstall 
eĩine große flache Wanne, in der eine Schwester den Kleie- 
trank für die Milchkühe einzurühren pflegte. „Die kommt 
wie gerufen“, jubelte Fritzchen in sich hinein. 
Nach der Heimbehr vom Schafhüten wurde sie unter dem 
Schutze der Stockfinsternis nicht fern vom Nest so in den 
Mist eingebaut, daß sie nicht herausragte und in der 
frühesten Frühe des nächsten Morgens bis zum Kande voll- 
gegossen. Die Entelein fühlten sich, wie Eisen vom Mag- 
neten, unwiderstehlich angezogen und vollführten ihre tausend 
und abertausend Wasserkünste zu Fritzchens hellstem Entzücken. 
Es störte ihn nicht im geringsten, daß die Luhfütternde Schwester 
alle Welt nach dem Verbleiben der Wanne ausjforschte und 
wie ein Kohrspatz über freche Spitzbuben schimpfte. 
Jedweder Tag brachte neue Beobachterfreuden. Die 
Tierlein fraßen nach Entenart unersättlich um sich herum 
ind gediehen vortrefflich. Wären sie nur nicht, wie einst 
hre Pflegemutter, vom unsinnigen Trieb ins Freie rein be— 
essen gewesen. Alle Wände jsuchten sie nach Schlupflöchern 
ib. And Fritzchen mußte jede Kitze, jedes Astloch mit 
Moos verstopfen, um gefährliche Körperverletzungen oder 
jar ein Entrinnen zu verhüten. Eine böse Ahnung quälte 
hn, daß ihre wilde Natur am heftigsten in der schranken- 
osen Freiheit hervorbrechen würde. Und außerdem gehörten 
ie ihm ganz allein. Mochte das ruhig eine seiner vielen 
Schrullen jein, die ihm alle Welt unter die Nase rieb. 
Am zweiten Pfingstfeiertage war nach alter Landessitte 
Dfingstreiten. Da übte auf einem Brachfelde weit draußen 
die allergrünste männliche Jugend ihre Keiterbünste ohne 
Sattel und Sporen und probierte dabei bis auf ein paar 
Sitzfeste die Fallgesetze. Die zugehörigen kleinen Mädchen 
olgten juchend den bühnen Keitern auf maiengeschmückten 
deiterwagen auf das Feld der Ehre. Der Kest der Be— 
vohner, einige schwer Bettlägerige ausgenommen, machte 
ich auf die Beine, um das heerliche Schauspiel zu genießen 
ind sachverständig zu begutachten. 
Ach du armes Fritzchen! Alle Geschwister hatte er 
im Stellvertretung beim Schafhüten beschworen und Korb 
iuf Korb bebommen. Die Schafweide befand sich fern vom 
Kennplatz. Die Luft war treibhausschwül und zum Ser— 
chneiden düsig und unsichtig. Die Schafe waren näschig 
vpie nie und machten tolle Bocksprünge. Pitti fraß Gras, 
vollte aber bein Schaf beißen. Es war zum Kasendwerden. 
Fritzchen warf sich in eine Furche, das Gesicht nach 
inten, und weinte bitterlich. Ihm konnte alles gleich sein, 
illes. In sein langes, finsteres Brüten grollte und rollte 
in Donnerschlag, und große Kegentropfen blatschten auf 
die Sohlen der zum Himmel gestreckten Füße. Er sprang 
iuf und prüfte das Wetter. Der bleierne Dunst hatte sich 
u schwer herabhängenden Gewitterwolken zusammengeballt, 
»ie knatternde Blitze schleuderten und lauwarme Wasser- 
luten ausschütteten. 
Die grüne und bunte Pfingstwelt schwamm im Kegen— 
zrau. Jede Bodenvertiefung wurde eine Pfütze, jede Furche 
in schmutzig wirbelndes Kinnsal, die Ackerkrume ein schwarzer 
Brei, wie eingerũhrte Stiefelwichse. An Fritzchen selbst 
par nach wenigen Minuten bein Faden mehr trocken. „Ein 
ichtiger Wolbenbruch, Gott sei Dank“, jubelte er, prügelte 
ind hetzte die Schafe, die ihre Hinterfront der Wetterseite 
ubehrten und das Haupt senkten, heimwärts und patschte 
eelenvergnügt durch den Wegschlamm. Im Dorfe stieß er 
iuf die vom Wetter verscheuchten Sportleute. Den Jüng- 
ingen waren ihre Keiterbünste, den Jungfrauen ihre schloh⸗ 
veißen Festkleider und allen Suschauern und Mitwirkenden 
ie gute Laune verdorben. Man bonnte es von den Ge— 
ichtern lesen. Eine gerechte Strafe des Himmels, wenn es 
e eine gab. 
Im Stall brütete wahre Backofenwärme. Die Schafe 
egten sich und wiederkäuten. Aus den dicken Fellen stieg 
in feiner Dunst wie Opferrauch auf. Die sanften Augen 
trahlten innige Sufriedenheit und Dankbarbeit aus. Man 
var ja sicher und trocken unker Dach und Fach. 
Hinter dem Verschlage aber rumorte und piepte und 
eterte es unheimlich. Die Entelein kobten wie tollwütig 
jegen die Bretterwände. War ihnen das Wetter in die 
Hlieder gefahren? Warum kehrten sie sich nicht an das 
»egütigende Glucken der Pflegemutter? Warum verschmähten 
ie das Wasser in der Wanne? Es schimmerte freilich gift- 
zrün und duftete bedenklich. Und als es Fritzchen unter— 
uchte, war es jauchenwarm und dicklehmerig, und die Algen 
iberzogen die Hand mit einer zartgrünen Haut.
	        
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