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Heimat· Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
Ur. 3/ 1020
Cescheinungsweisje Amal monatlich. Sezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr. Frũhere
Jahrgänge bönnen, soweit noch voreätig, vom Heimatschollen⸗Verlag nachbezogen werden
J. Jahrgang
Strupp õ Von Hermann Kölling. hn Sip—
Eines Morgens, es war kurz vor Ostern, vernahm
Fritzchen nicht das übliche Triumphgegacker. Bosorgt eilte
er in den Derschlag. Strupp saß, wie einst in schweren
Krankheitstagen, regungslos und in sich gebehrt im Neste
Ach, ein Rüchfall. Aberanstrengung beim Legen der über-
lebensgroßen Eier. Das ewige Mausern war doch wohl
das An- und Vorzeichen eines tiefeingewurzelten Leidens.
Edle Kührung übermannte ihn. Särtlich beugte er sich
herab, um das treue, fleißige Tier zu streicheln. Schwapp
ieraf ein wohlgezielter, derber Schnabelhieb die ausge-
streckte Hand, daß Slut nachging. Die Federspieße richteten
sich drohend empor, und ein grimmiges Knurren und Murksen
ließ sich hören.
Fritzchen war nicht der Mann, sich solcherlei Anart und
Undankbaͤrbeit gefallen zu lassen. Mit sicherem Grisff um.
jaßte er beide Flügel in der Leibesnähe und schleuderte die
Kebellin in den Stall hinaus. Das wütende Gebeif der
aljo Beförderten rührte ihn nicht im geringsten. Sieh mal
einer. Im Nest war diesmal nur ein einziges Ei, das er
gestern dringelassen hatte. Da war die Sünderin schon
wieder, pflanzte sich frech auf den alten Fleck, fuchtelte mit den
Flügeln, funkelte mit den großen Augen und gnurrte und
gurgelte in unheimlichen Tönen. Da ging ihm ein Licht
qauf. „Die gluckt“, murmelte er, „ist doch noch viel zu früh.
Wird wohl australische Mode sein. Was will das werden?
And was ist zu tun?“
Den ganzen Tag wandelte er wie ein Träumender.
Zum Weiterlegen zwingen? Anmöglich, wie die Erfahrung
lehrt. Fremde Eier unterlegen? Ausgeschlossen bei diesem
Federbleid. Die Sache einjfach laufen lassen? Dann wird
das unbefruchtete Ei bald faul, puh, und verstänkert den
ganzen Stall. Und ohne Eiunterlage sitzt auch das brut-
ürftigste Huhn nicht gern. .. Erst im Einschlafen kam ihm
in erlösender Einfall.
Die Osterferien hatten eben angefangen. Während der
Schulzeit war das Spielen sowieso zu kurz gekommen. Und
nucht umsonst hatte man ihm den Spitznamen Klebetitt ange-
ãngt. Denn die hohe Kunst, die Arche Noäh mit allem
Drin und Drumherum herzustellen, übte er, um nur ein
Zeispiel zu nennen, mit vollendeter Meisterschaft aus. Also
ührte er sich einen steifen Lehmbrei ein, formte daraus
munstgerecht Hühnereier von der Größe und Gestalt des
Strupp'schen, übermalte sie mit Kalkmilch und schob sie der
Brũterin trotz allen Sträubens und Aufplusterns und Gnurrens
istig unter. Das echte Ei nahm er an sich.
Das Tier war völlig betäubt von seiner blinden Brüte-
vut. Tag und Nacht hockte es auf den Lehmgebilden, als
volle es ein neues, unerhörtes Hühnergeschlecht zeugen.
Zaum gönnte es sich die Seit, die steifgewordenen Füße zu
ertreten. Dennoch: Die gewiß pfiffige Lösung einer
niffligen Aufgabe befriedigte Fritzchen durchaus nicht.
ʒobiel Liebe, Treue und Hingebung um ein Nichts an tote
Hinge verschwendet zu sehen, das war unnatürlich und
inmenschlich.
„Fritzchen“, sagte eines wunderschönen Tages der Vater,
du hast jetzt Ferien, und da bannst du die Steine von der
Vieje ablejen.“ — „And eine Kiepe voll Disteln für die
Schweine bringst du auch gleich mit“, fügte die Schwester hinzu.
Hei, das klang wie himmlische Musik. Endlich mal fern
ius dem muffigen Schafstall und dem engen Hof und den
ausend Plackereien der Alltagsarbeit. Er schulterte also
zine Kiepe auf und trabte trällernd zum Dorf hinaus.