Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

freudigen Ereignissen in Hühnerfamilien, nur in einer stark 
remdländisch angehauchten, barbarijschen Mundart. Er fühlte, 
daß ihm ein großer Stein vom Herzen plumpste, und er fühlte, 
als er sich umsichtig vorwärts kastete, noch etwas ganz anderes. 
Etwas Kundes und Glattes und Hartes und Warmes. Im 
Triumphe trug er's zur offenen Stalltür. Im Worgenschein 
rin schlohweißes Ei, den gewöhnlichen Hühnereiern sehr 
ãhnlich an Gestalt, nur größer als sie, viel größer. Und 
orgsam legte er's an den Fundort zurück. Das Gegacker 
hielt mit unverminderter Stärke noch eine lange Weile an. 
Es lohnte auch die gewiß nicht bleine Mühe der Erstgeburt. 
Am nächsten Morgen wiederholte sich das weltentrückte 
und welkverzückte Kabeln zur gleichen Seit und mit dem 
gleichen Erfolg. Fritzchen sprang mit dem noch lauwarmen 
Ei in die Küche, wo die Mutter sich Mehljsuppe quirlte, und 
hielt es ihr strahlenden Auges vor die Nase. „Junge“, 
sagte sie mißbilligend nach flüchtigem Hinsehen, „wie bannst 
du nur der jungen, unerfahrenen Gans das erste Ei weg⸗ 
nehmen. Sie soll wohl das Nest verlassen?“ — „Die und 
solche Eier legen“, erwiderte Fritzchen naserümpfend, „guck 
doch mal genau hin.“ Sie setzte eine Kennermiene auf, prüfte 
gewissenhaft und jah abwechselnd das Ei und Frißchen ver— 
wundert an. „Komisch“, murmelte sie kbopfschüttelnd und rührte 
die Suppe weiter. 
Fritzchen brachte nun jeden Morgen ein Ei ungefähr 
bon der Größe, wie es die jungen Anfänger unter den Gänsen 
egen. Davon gab es, weil Dudelackh sich nicht blicken ließ, 
als Sonntagsschleckerei ein mächtiges Kührei mit Speckh. 
Man kat ihm alle Ehre an in Wort und Werkb. Fritzchen 
im besonderen, dem die Lobpreisungen lange nicht dick genug 
aufgetragen waren, bemerkte vorlaut, daß so was Herrliches 
überhaupt noch nicht auf den Tisch gekommen wäre. Kein 
Kaiser und bein König bönnte es besser haben. Doch wenn 
er nicht gewesen wäre ... Den Rest der unvorsichtigen 
Kede schluckte er erschrocken hinunter. 
Das schlimme Wetter schlug wieder zum guten um. 
Der Iltis wurde erwischt (was eine besondere Geschichte 
st). Sämtliche Hühner des Hofes spektabelten allerwegen 
»erum, als ob sie das Eierlegen neu erfunden hätten. Fritz- 
hen hatte alle Hände voll mit dem Sammeln der Eier zu 
un, und der anrückende Dudelack bekam eine schöne Wucht 
davon zugeschleppt. 
Die Mutter streute den Hühnern fleißig Körner aus. 
Das war gewiß richtig und notwendig. Denn von nichts 
zibt's nichts. Dennoch erzeugte es beim Fritzchen schwere 
Herzensbeklemmungen. Verführt vom schmeichlerisch süßen 
Puttputt der Mutter, wie von der milden Vorfrühlingssonne, 
die heiter durch die vielen Ritzen der verriegelten Stalltür 
zineinströmte, hatte die Gefangene schon wiederholt sehr ener⸗ 
zische Versuche gemacht, aus dem muffigen Kerber ins Freie 
und in die Freiheit zu entrinnen. Wie würde die arge Welt 
ihr erstes öffentliches Auftreten aufnehmen? 
Einmal hatte Fritzchen in jugendlichem Leichtsinn die Stall⸗ 
lür nur lose angelehnk. „Puttputt“ tönte es lieblich von 
draußen. Fritzchen sah noch gerade, wie der Türspalt sich 
herbreiterte und die Fremde sich hindurchdrängte. Er sprang 
ihr nach. Su spät. Im gestreckten Galopp eilte sie zur 
Futterstelle, teilte nach allen Seiten Schnabelhiebe aus und 
pickte, daß es eine Art hatte. Die Mutter hielt verwundert 
nit dem Streuen inne und rief eine Tochter herbei, die gerade 
heim Kühetränken war. Ein großer Bruder, der zufällig 
Heu vom Boden holte, mußte natürlich auch noch hinzustoßen. 
Fritzchen stand in der Stalltür und spitzte die Ohren. 
Es entging ihm beine Miene, beine Bewegung, bein Wort. 
Die Drei führken eine lebhafte Unkerhaltung. Wo könnte 
zas Antier nur her sein? Wie vom Himmel gefallen. Nach— 
zars Hühner wären doch berngesund. Und wie schnurrig 
s aussähe. AUnd wie gefräßig und wie frech es sei. Und 
ewiß hautkrank. Denn zur Mauser sei es noch nicht Seit. 
Und Hautbrankheiten steckten an. Das kbönnte eine schöne 
BZescherung geben. Vielleicht ein Schabernack eines Land⸗ 
treichers. Oder die Niedertracht eines Bösewichts. „Ich 
hlage das Biest einfach tot“, rief grob der große Bruder. 
don der Mutter erfolgte kein Widerspruch und von der 
‘chwoester begeisterte Sustimmung. 
Der Grobian holte eine Wistforke, schlich sich wie ein 
endianer auf dem Kriegspfade zwischen die von der Freß- 
sier ganz benommenen Hühner, holte aus und schlug im 
Alinden Eifer fehl. Das ganze Volk fühlte sich frevelhaft 
ingegriffen und gab angstgackernd Fersengeld. „Puttputt“ 
ztete es aus drei Menschenmündern wie Friedensschalmeien. 
die Freßbegier überwand die Furcht, und die Hühner behrten 
zgernd zurück. Die Führung übernahm mit langsam-abge⸗ 
iessenen Schritten die Fremde. Sie faßte dabei die drei ver— 
ãchtigten Menschenbilder scharf ins Auge und pickte mit 
leiß in angemessener Entfernung von ihnen. Der große 
Zruder hielt seine Mordwaffe listig auf dem Rücken und 
vartete auf den günstigen Augenblick. Der wollte und wollte 
richt Lommen. Die Frauen streuten verschwenderisch Körner 
or sich aus. Umsonst. Sie legten die ganze Süße ihrer 
zeele in das verführerische Puttputt. Auch diejes teuflische 
'ockmittel verfehlte seinen Sweck. Da riß dem Mordbuben 
er Geduldsfaden, und der Blutdurst übermannte ihn. Mit 
ochgeschwungener Mistgabel und wildem Kriegsgeschrei stürzte 
r auf die Fremde los. Ach, großer Bruder, armer Tölpel, 
a mußtest du dir eine Dümmere aussuchen. Die Angegriffene 
aste davon, in langen Sätzen, mit gestrecktem Halse und 
vpeggespreizten Flügeln, genau so wie der verfsolgte Vogel 
5trauß, der bebanntlich auch in heißen Ländern wohnt und, 
oĩe geschrieben steht, das schnellste Tier auf Erden ist, viel 
chneller als der allerschnellste Araberhengst. So geschah 
is, daß dem langbeinigen Verfolger hier die mächtigen Sötze 
jar nichts halfen. Im wüsten Sickzack ging es her und hin. 
And wenn in einem gefährlichen Augenblick der mörderische 
Streich niedersauste, dann war das Opfer schon wieder einige 
Meter weit weg. 
Fritzchen schwebte peinvoll zwischen Hoffnung und Bangen. 
Der große Bruder schwitzte und beuchte und fluchte zum 
ßotterbarmen. Da stießen die Frauensleute als Hilfstruppen 
u ihm und deckten ihm die Flanken. Das Opfer wurde 
—XV 
ind in eine burze Sackgasse zwischen Schuppen und Scheune 
edrängt. Von hier gibt es bein Entrinnen. Schon holt 
er große Bruder aus zum Todesstreich. Da, ein durch— 
ringender Schrei. Fritzchen fällt dem Wüterich in den Arm. 
fin burzes brüderliches Balgen. Der Schwächere liegt bald 
im Boden. Er empfängt alle fehlgegangenen Hiebe in ver— 
ielfachter SZahl. And diesmal sitzen sie gut. Die Schwoster 
ilft beim Dreschen. Die Mutter spielt den Friedensengel. 
Ddas Opfer benutzt die allgemeine Verwirrung, entschlüpft 
ind verschwindet. Die Verfolger suchen umsonst den Hof 
ib. Dabei verraucht allmählich die Mordsucht. Jedermann 
ehrt friedlich an seine Arbeit zurück. 
Fritzchen fand die Fremde zusammengekauert, schweratmend, 
nit weitaufgerissenem Schnabel und tieftraurigen Augen auf 
hrem Nest, bereit, auch noch im Tode ihr eignes Legeei mit 
em Leibe zu decken. 
Am Abend versammelten sich die Bauernmädchen zur 
spinnte im großen Wohnzimmer. Fritzchen waltete wie 
mmer seines Amtes als Beleuchtungsdirektor. Er saß am
	        
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