Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

oerheilt, blaßrosa. Hals lang, kahl, der Kropf verdickt sich 
ichtbarlich beim Fressen von unten her. Kumpf (hier stockte 
er), ja viel kräftiger als beim gewöhnlichen Bauernhuhn, 
ja stärber als beim größten Hahn im Dorfe. Aber die 
Bedeckung (und hier fiel er ganz aus der Kolle). Federn 
wie starre, am Ende zersplissene Spieße. Farbe grau, nein 
gelblich, nein überhaupt nicht zu bestimmen. In den Bürzel ver⸗ 
einzelt hineingesteckt wie Stopfnadeln in ein Nähkissen. Von 
einem Schwanz gar kbeine Kede. Ach die vielen federlosen 
Stellen. Mit großen bläulichen Pusteln wie von Hügelchen 
überlagert. Wenn man sie sich ins Kiesenhafte vergrößert 
dächte (hier fing er an zu phantasieren, was in der Schul- 
naturgeschichte niemals vorkam und vorkommen durfte), dann 
hatte man einfach die berühmten Blauen Berge in Australien, 
die vor kurzem in der Erdkunde drangewesen waren. Glied- 
naßen (hiermit behrete er zur richtigen Naturgeschichte zurück), 
i) Flügel halbnackt. Die paar Schwungfedern struppig. 
Zum Fliegen nicht zu gebrauchen. Nichtmal zum Flattern. 
Höchstens zum Schwunggeben beim Laufen wie beim Strauß. 
b) Beine sehr bräftig. Keine Federhosen an. Sogar Ober⸗ 
schenbel nackt und bloß. Dreĩ Sehen nach vorn, eine nach 
hinten, wie gewöhnlich, aber ungewöhnlich die langen, ein- 
wärts verbogenen Krallen. Daher wohl der Wackelgang. 
VDermehrung — nun, man wird ja sehen. UÜbrigens war 
der Napf leer, und die Beschriebene behrte holpernd in ihr 
Nest zurück, um sich zufrieden quarrend der Verdauung hin- 
zugeben. Der erste Ausgang war geglückt und ließ 
Größeres hoffen. 
Seine Blicke und Gedanken behrten wieder und wieder 
zu den kahlen Hautstellen zurück. „Mausern im Februar“, 
'o spann er in sich hinein, „das ist doch urkomisch. Aber 
oielleicht hat Dudelack diesmal doch nicht geschwindelt. 
Südlich vom Aquator haben die Leute entgegengesetzte 
Jahreszeiten von uns. Und Australien mit den Blauen 
Bergen liegt tkief unten auf der südlichen Halbkugel. Und 
da leben lauter merkwürdige Tiere, die es sonst nirgends 
auf der Welt gibt. So stark rauhen auch unsere Hühner 
nicht. Höchstens die Schwerkranken. Aber der Patient 
ist gottlob auf dem Wege der Besserung. Da müssen die 
Federn wiederkommen. And ein märchenschönes Gejieder 
sollen manche australischen Dögel haben. Da ist der 
Paradiesvogel. Weiß man denn, ob nicht gerade dieser 
hier einer ist? Einem gerupften Hahn sieht auch bein 
Mensch seine Federpracht an. Warten wir's ruhig ab ...“ 
And Fritzchen wartete und wartete. Aber die Blauen 
Borge und die starren Federspieße darauf, die so seltsam 
varen wie die schattenlosen australischen Bäume, blieben 
unverändert. Sollte diese DVogelart so von Natur beschaffen 
sein? Möglich! Oder sollte gar eine böse Hautbrankheit 
im Spiele sein? Da war sein schnurriger Onbel Christian. 
Der hatte von den Soldaten eine speckglänzende Glatze 
und ein pustelübersätes Gesicht mitgebracht. Er war Stamm- 
gast beim Doktor und Apotheber des nahen Städktchens, 
und jeder von ihnen versprach ihm unermüdlich einen 
lippigen Haarwuchs und verschrieb ihm immer neue Wässer 
und Salben und Pomaden, die er in einen Geheimschranb 
— 
liche Drogenniederlage, deren gemischte Gerüche die Nase 
schärfer und eigentümlicher bitzelten als der darin gewiß 
nicht zu verachtende Schafmist. Fritzchen war Onbel Christians 
erklärter Liebling. Er war das einzige irdische Wesen, 
das beinahe glaubte, die militärischen Aufschneidereien und 
EFijenfressereien des maulheldischen Onbels wären wirblich 
wahr, der Haarschwund und die Pusteln kämen vom Helm- 
deüchen und das Einschmiersel wirle Wunder dagegen. 
Aljo verjuchte er am Vogelleib Fläschchen auf Fläschchen, 
Züchschen auf Büchschen, Pomadenstange auf Pomaden- 
tange. Davon erstrahlten die Blauen Berge und die 
Ffederspieße im höchsten, reinsten Fettglanz; aber der Feder— 
yaldwuchs blieb aus. 
Im übrigen gedieh die Fremde ganz vortrefflich an 
deib und Seele. Das Mattrosa des Kammes färbte sich 
im in Purpurrot. Am ganzen Leibe enhlwickelten sich 
v»olligrunde Fettpolster. Kein Wunder bei diesem Mppetit. 
zie hoben die Blauen Berge empor, wie unterirdische 
Hewalten die Gebirge der Erde auftfürmen. 
Auf Anordnung des Daters saß Fritzchen jeden Tag 
ingere Seit an der offenen Stalltür (der guten Beleuchtung 
vegen). In seinem Schoße lag mit zusammengebundenen 
Seinen ein Schaf. Es war ein gesegnetes Tälen“)jahr, 
vie es nur selten vorkommt. Fritzchen faltete mit wohl⸗ 
eübter Hand hübsch der Keihe nach die dichten Wollen- 
ũschel auseinander. Wenn der scharfe Adlerblick auf der 
loßen Haut einen linsenartigen braunen Körper erspähte, 
ann wurde er mit spitzen Fingern sicher gepackt, auf einen 
lutigen Opferstein gelegt, der zur Seite lag, und mit einem 
»olzpantoffel zermalmt. Das mag als eine nicht gerade 
ppetitliche, vor allem langweilige Beschäftigung gelten, wie 
ꝛder Kenner versichert. In diesem Falle aber war für 
Ablenkung und Belustigung reichlich gesorgt. Ehe sich 
fritzchen ans Werk machte, öffnete er die Tür zum Ver— 
chlag. Die Fremde kbam, vom breiten Lichtstreifen an- 
elockt, herausspaziert. Nach einigem Lustwandeln im Stalle 
egab sie sich in die Krippe. Die Körnerausbeute war nur 
jering und lohnte die Mühe des Suchens kaum. Darum 
jeß sie sich auf den Stallmist herab und hub an zu scharren. 
hei, wie sausten die langen, kräftigen Beine schräg nach 
echts und links hinten; wie flogen die Schafsrosinen und 
diefernnadeln und Moosstũckchen und Heidelbeer- und Heide⸗ 
rautstrünke umher, nicht selten den Schafen in die zwinkern- 
en Augen. Bald hüpfte sie auf die geduldigen Wollen- 
räger, die sich vom Fressjen ausruhten und gedanbkenvoll 
iederbäuten. Die gutmütigen Geschöpfe waren Hühner- 
esuch gewöhnt und hatten nichts gegen Spaziergänge auf 
hrem dicken Fell einzuwenden. Nach einiger Seit fiel es 
fritzchen auf, daß die Lämmer von der Fremden für ihre 
5prung- und Kletterbünste bevorzugt wurden. Sie unter- 
uchte auch ihre noch kurze Wolle und pickte und pickte. 
die Lämmer ließen es willig geschehen und bogen den 
Zücken mit wohligem Behagen unter den sanften Schnabel- 
ieben. Fritzchen schlich neugierig näher, äugte und staunte. 
Auch die Lämmerchen waren mit Täbken übervölbert. UAnd 
eder Schnabelhieb beförderte einen Quälgeist in den uner- 
zründlichen Kropf. „In das Wolldickicht der Alten bann 
ie nicht hineindeingen. So klug sind die meisten Menschen 
nicht“, dachte Frißchen bewundernd. Nun, das war will— 
ommene Hilfe. 
Die schöne Witterung schlug um zu richtigem Dreck- 
petter. Die Fremde wagte sich einige Male aus dem 
edrückenden Dunkel des Hintergrundes bis zur Schwelle 
der offenen Stalltür. Die eisbalten, windgepeitschten Kegen- 
trähnen sausten erbarmungslos auf die nackte Haut hernieder. 
Ddie Blauen Berge und die Täler und Ebenen ringsum 
jefen tiefblau an. Der ganze Körper wurde von einem 
eftigen Schauer geschüttelt. Das Tier zog sich in die 
barme Sone zurück. „Da sieht man's deutlich“, dachte 
fritzchen, dem das Durchweichen bis auf die Haut und in 
eder Jahreszeit nur ein Spaß war, „daß sie ein echter 
Tropenbewohner ist. Onbel Christian. der Gardemann in 
*y JZecken.
	        
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