Heimat· Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatbunst
J
Nr.2/ 1020
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr. Frũhere
Jahrgänge bönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatjchollen-VDerlag nachbezogen werden
T. Jahrgang
Strupp õ Von Hermann Kölling.
Fritzchen hantierte im Schafstall herum. Mit einem
Strohwisch säuberte er die Krippen und schüttete aus einem
großen Henkbelkorbe Lupinenschalen hinein. Plötzich hielt
er mit der Arbeit inne und lauschte angespannt. In das
Kuscheln und Schnurpsen und Pruschen der schmausenden
Schafée mischten sich gedämpft von fernher sanft und lang
hinhallende Flötentöne. Im Husch war er zum Stall hinaus,
über den Hof, auf der Dorfstraße. Da stand, wie geahnt,
im Schneegeriejel des gepfeffert balten Februartages ein
einsames wohlbebanntes Gefährt. Auf dem Vordersitz, der
in Wahrheit ein großer Eierbasten mit vielen strohgepolsterten
Fächern war, saß sein alter Gönner und väterlicher Freund,
der Geflügelhändler Dudelack. Bis über die Ohren war
er in einen Schafpelz gehüllt und lockte und lockte auf der
Holzflöte mit lieblichen Rattenfängerweisen. Aber heute
wollte keiner Lommen. Das Wetter war abscheulich, jed⸗
wedes Hühnernest leer und die österliche Legezeit nicht fern.
Fritzchen begrüßte flüchtig den einsamen Flötenbläser und
schwenkte flugs nach der Hinterfront des Fuhrwerkbs ab.
Da waren in drei Stockwerben Geflügelbästen aufgebaut.
Durch die Drahtgitter der Außenseite kLonnte man bequem
hineinschauen. Sie waren leer bis auf einen einzigen. Darin
hockten wohl zehn Hühner dichtgedrängt auf einem Haufen,
die Federn aufgeplustert, den Kopf eingezogen und die
Nickhaut zum Schlummer wie eine weiße Gardine über die
Augen herabgelassen. Doch hinten in einer dämmerigen
Ecke, abjeits des wärmenden Fleisch- und Federklumpens,
was war das nur? Offenbar auch ein Huhn. Einige Körper—
stellen waren nackt und blau angelaufen, andere nur dünn
und struppig befiedert. Eine gerupfte Hühnerleiche? Nicht
doch. Der ganze Körper schien leise zu beben. Die Vor—
siebe für leidendes und seltsames Getier, die Fritzchen bei
hartgesottenen Seelen manchen Spott eintrug, rührte ihm
ins Herz. Er fröstelte in seinem dünnen Jäckchen, so
wetterfest er auch war.
„Na, Fritzchen, das Wundertier gefällt dir wohl; für was
»ältst du es denn?“ sagte schmunzelnd Dudelack. der unbe-
nerkt hinzugetreten war.
— „Für ein armes, brankes Huhn“, erwiderte Fritzchen und
ah seinen Gönner unsicher und wehleidig an. Der bannte
hen abenteuerlichen, von unzähligen Schmöbern überfütterten
Sinn seines jungen Freundes, der allzugerne in fremden
Velten herumschwärmte, nur zu genau.
„Junge, Junge“, rief er vorwurfsvoll, „du bist ein
erũhmter Keiseonbel und Naturforscher und weißt das nicht?“
Fritzchens Augen wurden beträchtlich größer.
„Ein echter Australier ist's.“
Fritzchen jperrte auch den Mund weit auf, daß die Schnee—
locken ungehindert hineintanzten.
„Du weißt doch, Fritzchen, daß ich in der ganzen Welt
erumkomme. Da war ich auch mal bei den wilden Negern,
ie von der Sonne so schwarz gebrannt sind wie Stiefel-
vichje. Denbe nur, in der Brathitze läuft alles nackt herum.
Alles, das kannst du mir glauben. Die Menschen, die
5chafe, und natürlich das Hühnervolk erst recht.“
„Die Neger in Australien?“ rief vorwurfsvoll Fritzchen,
der sich in seinem geographischen Wissen und Gewissen ver—
etzt fühlte. „Naja oder dort herum in dieser verrückten
Hegend. Kurz und gut, ich denbe bei mir, du willst doch
einem Freunde Fritzchen ein lebendiges Andenken mit—
ringen.“ „Er flunkert wieder“, dachte Fritzchen bei sich,