Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Heimat· Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatbunst 
J 
Nr.2/ 1020 
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr. Frũhere 
Jahrgänge bönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatjchollen-VDerlag nachbezogen werden 
T. Jahrgang 
Strupp õ Von Hermann Kölling. 
Fritzchen hantierte im Schafstall herum. Mit einem 
Strohwisch säuberte er die Krippen und schüttete aus einem 
großen Henkbelkorbe Lupinenschalen hinein. Plötzich hielt 
er mit der Arbeit inne und lauschte angespannt. In das 
Kuscheln und Schnurpsen und Pruschen der schmausenden 
Schafée mischten sich gedämpft von fernher sanft und lang 
hinhallende Flötentöne. Im Husch war er zum Stall hinaus, 
über den Hof, auf der Dorfstraße. Da stand, wie geahnt, 
im Schneegeriejel des gepfeffert balten Februartages ein 
einsames wohlbebanntes Gefährt. Auf dem Vordersitz, der 
in Wahrheit ein großer Eierbasten mit vielen strohgepolsterten 
Fächern war, saß sein alter Gönner und väterlicher Freund, 
der Geflügelhändler Dudelack. Bis über die Ohren war 
er in einen Schafpelz gehüllt und lockte und lockte auf der 
Holzflöte mit lieblichen Rattenfängerweisen. Aber heute 
wollte keiner Lommen. Das Wetter war abscheulich, jed⸗ 
wedes Hühnernest leer und die österliche Legezeit nicht fern. 
Fritzchen begrüßte flüchtig den einsamen Flötenbläser und 
schwenkte flugs nach der Hinterfront des Fuhrwerkbs ab. 
Da waren in drei Stockwerben Geflügelbästen aufgebaut. 
Durch die Drahtgitter der Außenseite kLonnte man bequem 
hineinschauen. Sie waren leer bis auf einen einzigen. Darin 
hockten wohl zehn Hühner dichtgedrängt auf einem Haufen, 
die Federn aufgeplustert, den Kopf eingezogen und die 
Nickhaut zum Schlummer wie eine weiße Gardine über die 
Augen herabgelassen. Doch hinten in einer dämmerigen 
Ecke, abjeits des wärmenden Fleisch- und Federklumpens, 
was war das nur? Offenbar auch ein Huhn. Einige Körper— 
stellen waren nackt und blau angelaufen, andere nur dünn 
und struppig befiedert. Eine gerupfte Hühnerleiche? Nicht 
doch. Der ganze Körper schien leise zu beben. Die Vor— 
siebe für leidendes und seltsames Getier, die Fritzchen bei 
hartgesottenen Seelen manchen Spott eintrug, rührte ihm 
ins Herz. Er fröstelte in seinem dünnen Jäckchen, so 
wetterfest er auch war. 
„Na, Fritzchen, das Wundertier gefällt dir wohl; für was 
»ältst du es denn?“ sagte schmunzelnd Dudelack. der unbe- 
nerkt hinzugetreten war. 
— „Für ein armes, brankes Huhn“, erwiderte Fritzchen und 
ah seinen Gönner unsicher und wehleidig an. Der bannte 
hen abenteuerlichen, von unzähligen Schmöbern überfütterten 
Sinn seines jungen Freundes, der allzugerne in fremden 
Velten herumschwärmte, nur zu genau. 
„Junge, Junge“, rief er vorwurfsvoll, „du bist ein 
erũhmter Keiseonbel und Naturforscher und weißt das nicht?“ 
Fritzchens Augen wurden beträchtlich größer. 
„Ein echter Australier ist's.“ 
Fritzchen jperrte auch den Mund weit auf, daß die Schnee— 
locken ungehindert hineintanzten. 
„Du weißt doch, Fritzchen, daß ich in der ganzen Welt 
erumkomme. Da war ich auch mal bei den wilden Negern, 
ie von der Sonne so schwarz gebrannt sind wie Stiefel- 
vichje. Denbe nur, in der Brathitze läuft alles nackt herum. 
Alles, das kannst du mir glauben. Die Menschen, die 
5chafe, und natürlich das Hühnervolk erst recht.“ 
„Die Neger in Australien?“ rief vorwurfsvoll Fritzchen, 
der sich in seinem geographischen Wissen und Gewissen ver— 
etzt fühlte. „Naja oder dort herum in dieser verrückten 
Hegend. Kurz und gut, ich denbe bei mir, du willst doch 
einem Freunde Fritzchen ein lebendiges Andenken mit— 
ringen.“ „Er flunkert wieder“, dachte Fritzchen bei sich,
	        
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