Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

rommission der besetzten Rheinlande beschlossen, seine sofortige 
Ausweisung sowie innerhalb von 4 Tagen auch die NAusweisung 
einer Familie anzuordnen. 
Der Oberdelegierte: gez. de Lillers. 
An den Herrn Spezialkommissar und Chef des Kreises 
Wiesbaden zur Ausführung; an die Herren Delegierten in den 
Abteilungen, an den Herrn Delegierten des Sollkomitees beim 
Landesfinanzamt in Wiesbaden, an den Herrn General des 
30. A. K. in Wiesbaden zur Kenntnis, an den Herrn Ober— 
tommissar der französischen Kepublik in der Rheinland-Provinz 
zu Coblenz. 
Kheinarmee, Generalstab, Franzõsijche Republik. 
Seheimpoliʒzei, Kreis Wiesbaden. Verhandelt 
NMr. 436. am 9. Februar 1928. — 
Protoboll ũber die Verhaftung und Ausweisung des Friedrlch 
Wilhelm Heinz Seelig, Deutscher, 46 Jahre, Oberzollinspektor, 
vohnhaft in Wiesbaden, Neuberg 2. 
Wir, Leon Michel Piat, Spezialkommissar, Lommandiert zum 
Sicherheitsdienst bei der französischen Rheinarmee, Chef im Kreijße 
Wiesbaden, Polizeioffizier und Hilfsrichter beim Sivil- und Militär- 
jericht, handeln nach der Anweisung des Herrn Oberdelegierten 
im Dijstrikt Wiesbaden zufolge Befehls vom heutigen Tage unter 
Seheimnummer 437 und beschreiben nachfolgend die sofortige Aus- 
veisjung des Herrn Oberzoilinspebtors Seelig: 
Gegen 7 Uhr früh haben 
wie den DVorgenannten auf unser 
—A 
aftung durch die Geheimagenten 
Lannro und Reimerdinger, ihm 
unsere Machtbefugnisse erklärt, 
owie Personalien festgestellt, ihm 
genügend Seit zur ÜÄÜberlegung 
gegeben und ihn darüber aufge- 
lärt, daß er zwangsweise sofort 
die besetzten Gebiete verlassen 
mũßte, widrigenfalls er nach der 
Derordnung 125, nach Artikel o, 
8 2 des Rheinlandabkommens 
(Anhang 3. Friedensvertrage) 
der französischen Militärgerichts- 
»arbeit ũberantwortet werden 
vürde; gleichzeitig wurde ihm er⸗ 
zffnet, daß in Ausfũhrung derselben 
Serordnung jeine Familie inner⸗ 
»alb vier Tagen zwangsweise die 
ejetzten Gebiete verlassen mũßte. 
Herr Oberzollinspeltor Seelig 
zat hieraufhin erblärt, daß er 
auf Befehl seiner Behörde die 
Anordnungen der franz. Macht⸗ 
»ehdrde fũür ungesetzlich halte und 
ie durch nichts im Rheinlandab⸗ 
lommen gesetzlich gestũtzt wũrden, 
daß er infolgedessen sie auch nicht 
anerbennen könnte. Er hat noch hinzugefügt, daß er auf das heftigste 
jgegen die Ausweisungsmaßnahme Einspruch erhebe, daß er sich 
aber dem Swange fügen mässe. Herr Seelig hat ferner erklärt, 
daß seine Familie, bestehend aus seiner Gattin Anne geb. 
Thomann und seinem Töchterchen Inge im Alter von 14 Monaten, 
ich ebenfalls den Befehlen der Kheinlandoberbommission wider- 
ehßen wũrde. 
Aus vorstehenden Gründen haben wir gegenwärtige Ver— 
handlung aufgenommen, die Herr Oberzollinspebtor Seelig unter- 
zeichnet hat in meiner Gegenwart, worüber ihm eine Abischrift 
— 
Geschlossen am 9. Februar 1923 in Wiesbaden. 
Der Spezialkommijssar: 
gez. F. W. Heinz Seelig. gez. Piat. 
(Siegel.) 
VOerdrãngten⸗Ausweis: 
Der Oberzollinspektor Heinz Seelig, bisher beschäftigt beim 
Hauptzollamt in Wiesbaden als stellvertretender Hauptzollamts- 
leiter, Besoldungsgruppe IX, Dienstalter 1. 6. 1909, ist von der 
französijchen Besaßungsbehörde am 9. 2. 1924 gezwungen worden, 
mit seinen Familienangehörigen, Ehefrau und ein Kind, das besetzte 
Bebiet zu verlassen. 
Alle Behörden werden ersucht, den Ausgewiesenen in jeder 
Weise zu unterstützen. 
Casjel, den 13. Februar 1928. 
Der Präsident des Landesfinanzamts. 
(Siegel.) Unterscheist. 
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. — Reichszentrale 
ũr Heimatdienst Berlin, den 3. 8. 1928. 
An das Reichsministerium des Innern. 
In der Anlage werden Postkarten und Klebezettel „Edith- 
ingeborg Seelig“, die im Ruhrgebiet verbreitet worden sind, ũber⸗ 
andt, und stellen ergebenst anheim, sie dem Vater, Oberzollinspebtor 
zeelig, der aus Wiesbaden ausgewiesen ist, zuzustellen.“ — 
Wohin nicht die Melsunger Bürgergarde führt! 
Mit Kurhessen-Schurri! 
Ihr ergebenster F. W. Heinz Seelig. 
Frankenberger Geschichtsrückblick. 
Oiereinhalb Jahrhunderte waren am 9. Maied. J. verflossen 
eit jenem großen Brandunglück von 1476, das jählings über Fran- 
enberg hereinbrach und die Stadt fast völlig in Asche legte. Der 
Zrand begann des Mittags um] Uhr bei heißem, trockenem Wetter 
ind Wassermangel in der Stadt. Schnell breitete sich das Feuer 
n der Mittelgasse, dem Geismarer Viertel und der Schmiedegasse 
us, und der Wind führte es weiter bis zum Rathaus, das seinen 
Intergang in den Flammen jand, und bis zur Liebfrauenkirche, 
ie arg mitgenommen wurde. Von der Alltstadt blieben nur noch 
die Kapelle auf der Heide und 
rinige Häuser erhalten, und dann 
führte der Wind das Feuer über 
die Mauer in die Neustadt. Da 
herbrannten die Kapelle St. 
Johannis, das Hospital Elijabeth, 
zie Pfeffermühle und die Ober- 
mnühle, und nur das Kloster St. 
Heorgenberg blieb stehen. Die 
Not der Einwohner war über— 
groß, zumal ein strenger Winter 
olgte und ein großes Sterben 
unser Menschen und Vieh ein— 
traf. Frankenberg war 3war 
nicht die einzige Stadt, der so 
großes Unheil widerfuhr; aber 
she Wiederaufbau, ihr siegreicher 
Kampf gegen andere schädliche 
Einflüsse bezeugen auch die Tat— 
raft ihrer Bewohner. 
Am 20. November d. J. 
varen 280 Jahre seit der Schlacht 
uuf der Totenhöhe bei Franken⸗ 
erg vergangen. Machdem der 
ejsische General Geyso Herb⸗ 
tein im Vogelsberg erobert hatte, 
erschien zu seiner Verstärkung der 
chwedijche General von Löwen- 
haupt. Suerst wurde die von dem 
Hesj. Darmstädtijchen General 
on Eberstein belagerte Stadt Siedenbopf entsetzt, worauf sich 
kberstein bis Frankenberg zurũckzog. Sein allzu sorglojses Der— 
beilen bei Frankenberg sollte ihm zum VDerhãngnis werden. Die 
5chweden und Hessen rũckten über Marburg bis Frankenberg vor. 
Inweit der Stadt erreichten Geyso und Söwenhaupt im Dunbel 
er Nacht ein tiefes Tal. Hier ordneten sie bei Anbruch des Tages 
20. Nobember 1646) ihre Reiterscharen und sandten einzelne 
Jeiterhaufen voraus, welche die feindlichen Wachen warfen und 
is in die Tore der Stadt eindringen sollten. Löwenhaupt stellte 
ich an die Spitze des rechten, Geyso an die des linken Flägels. 
kberstein merkte, daß er es mit einem größeren Heerhaufen zu 
un habe, und steilte sich deshalb mit seiner ganzen Macht auf der 
dotenhoöhe zum Kampfe auf. Löwenhaupt fsolgte dem Feinde und 
sing zuerst zum Angriff ũüber, wurde aber von Eberstein tapfer 
ibgewiesen. Schon hielt Löwenhaupt alles für verloren, als Geyso 
nit den hessijschen Keitern in vollem Trabe seinem Gegner in die 
flanke fiel und die schon wanbenden feindlichen Scharen allenthalben 
barf. Einen vollständigen Sieg hefteten beide an die schwedischen 
ind hessischen Fahnen. 500 Tofe ließ der Feind auf dem Schlacht- 
eide zurũck. Unter den 800 Gefangenen befand sich auch der 
unge Graf Moritz Heinrich von Nassau-Hadamar, dessen Entlassung 
ach Münster (wo jsein VDater als bevollmächtigter Gesandter des 
caijers weilte) die Landgräfin. Amalie von Hessen-Kassel mit 
Zücksicht auf die Susammendbunft der Friedensunterhändler bewirkte. 
Außerdem wurden 1000 Pferde, neun Fahnen und der ganze Troß 
»es Grafen von Eberstein erbeutet, der mit nur 100 Reitern ũber 
zie Eder und bis in den Westerwald floh— 0 
EtidhIngeborg Seelig (14 Monate alt) aus Wiesbaden ausgewiesen. 
Grund: Gefährdung der Sicherheit der französischen Besatzungsarmoe.
	        
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