Heimat⸗Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
N 24 / 1926 J Erscheinungsweise 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 Me. im VDierteljahr. Frũhere
42 Jahrgänge kbönnen. soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen⸗Verlag nachbezogen werden
6. Jahrgang
Swischen den Jahren õ Von K. A. Schimmelpfenqo.
Es ist Abend. Im Ofen brummt ein schönes Feuer,
der Platz am Schreibtisch ist gemütlich warm. VDon der
Wand her lächelt freundlich das Bild der Mutter.
Ja, sie lächelt, und die Gewalt lieber Augen zwingt
die Gedanben zurück in die Tage, da noch ihr lebendiges
Wesen um uns war. Ach, ihre Lebendigkeit ist ihm immer
nahe, so lang der Keller noch im Lichte wandeln darf!
Und sie ist besonders wach, da sein bleiner Junge aus
denselben nachdenblich-fröhlichen Augen guckt, die sie hatte.
Der schönen Winterabende muß er denben ....
Es ist „Swischen den Jahren“, die Seit von Weih—
nachten bis Neujahr. Das ist halbe Festzeit; ein altes
Kecht im Elternhaus hat seine bestimmten Kegeln geprägt.
Es wird an den Abenden zwischen den Festen der Weih⸗
nacht und des neuen Jahres nicht gearbeitet, sondern sie
sind dem Spiel, dem Erzählen und der frohen Anterhaltung
geweiht.
Da war es in einem Jahr ...
Der älteste Bruder hatte einen Freund mitgebracht, der
Schwester Derlobter war da, und so saß eine zahlreiche und
lebendige Gesellschaft um den Tisch. Da kam die Kede
auf den Berg, in dessen Schutz das Dorf lag, und es
wurde gesprochen über die Sage von der Frau Holle, die
auf dieses Berges Kücken wohnt ...
Da war der junge Forscher, der leise und mitleidsvoll
lächelte über derlei Glauben. Er erblärte alles in schönen
Sätzen. Aber dabei wurde irgend etwas verdunkbelt, wo es
nun doch blar sein sollte.
Sis die Mutter sacht den Kopf schüttelte und anfing
zu erzählen. und alles wieder zusammenwarf, was der
*NAus: Geschichten vom Keller.
gelehrte Schwiegersohn eben so schön auseinandergelegt
hatte. Und merkwürdig, — auf einmal wurde es wieder
varm und hell. ....
O, ihr alten Frauen und Mütter, was für ein Geheim—
nis ist es um euchl Da ihr ins Simmer kommt, geht ein
kicht auf; da ihr redet, klingt die Luft; da ihr erzählt,
vird das Herz fröhlich und ruhig; da ihr tröstet, wird das
ꝛauhe Gemüt glatt; da ihr den einfachen Landwein bietet,
vied's ein Göttergeschenk; da ihr einen Apfel schält, scheint
»ie Himmelskugel in eurer Hand zu schweben; da ihr lächelt,
zlänzt der Kaum!
O, ihr Alten! nicht seid ihr der Mannesliebe Siel. Ihr
eid die wesenhafte glänzende Krone, die in großer Kuhe
iber allen Suckungen des körperlichen Liebens schwebt ...
Mutter, was für eine merbwürdige Frau warst Du doch!
Wie bonnte es zu Dir passen, Du rechtgläubige Christin,
aß Du zu strenger Pflicht machtest, an jedem Apfelbaum
venigstens eine Frucht hängen zu lassen für den wilden
jäger? Du rechtgläubige Christin, für Wokan mußten wir
en Apfel hängen lassen? Ich drohe Dir mit dem Finger,
iber Du lächelst und erzählst mit Deiner lautklaren ver—
altenen Stimme an jenem Abend zwischen den Jahren
Deinen erwachsenen Kindern die dunbelheile Geschichte vom
eiligen Berg ....
Oder erzählte der Berg? Warst Du der Berg? der
Berg war in Dir? — Du lächelst von der Wand her und
rzählst:
„Das hat der Johannes eben sehr hübsch auseinander⸗
jelegt. Nun will ich es wieder zusammenfalten, und wir
vollen es wegräumen. And ich will Euch dann mal sagen,
vas ich mir so vom Berg denbe ....