Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

ohne den gebührenden Radau vor sich und endete mit dem von 
den Gewählten gespendeten Freitrun?. 
Die Kompagnie hatte nach dem Lurfürstlichen Geseß ihr eigenes 
Hericht. Als Strafe galten: einfache Verwarnung, Tadel vor 
berjammelter Mannschaft, Geld- und Arreststrafen, Ausstoßung 
aus der Kompagnie. Das durch die Wehr zusammengesetzte 
Bericht hatte mitunter Gelegenheit, Strafen zu verhängen. Meistens 
handelte es sich dabei um Widersetzlichkeiten. Sehr oft finden wir 
aber auch Wachvergehen. Bei der eingerichteten Bürgerwache, 
einer Art Feuer- und Nachtwache, war in den Jahren eine gewisse 
Rachlässigkeit entstanden. Man verließ das Wachtlokal vor der 
Zeit, wartete nicht auf Ablösung, ging auch mal äberhaupt nicht 
hin. So folgten Geldstrafen. War der Bestrafte nicht in der Lage, 
eine Strafe zu zahlen, so mußte er dafür städtische Arbeiten verrichten 
(empfehlenswerte Einrichtungl). Als Arrestlokal diente das Amts- 
gefängnis. Und nach den Ouellen hat hier manches Mitglied Muse ge⸗ 
funden, über die Ausdeutungsmög- 
lichkeit eines vorschnell gesprochenen 
Wortes eifrigst nachzudenben. 
* 
Dritter Teil: 
Mas das Jahr 1848 brachte 
und wie in Melsungen 
Kevolution war. 
So rollte des Dienstes gleich⸗ 
gestellte Uhr ihre Seit ab. Man 
exerzierte, veranstaltete Schieß⸗ 
ibungen, saß zu Gericht, wählte 
Oorgesetzte, schimpfte ũber die Seit, 
jfeierte Feste und sandte dem Stadt⸗ 
eat Kechnungen zur gefälligen Be— 
gleichung zu. Und mitten in diese 
behãbige Bũrgerruhe donnerte auf 
zinmal ein rasendes Gewitter 
hinein. Es zog herauf das Jahr 1848 
Die geschichtlichen Ereignisse 
dieser Seit sind bekannt. Uns 
interessieren hier nur die lokalen 
Ereignijse im Susammenhang mit 
unserer Bürgerwehr. 
Schon das Jahr 1841 hatte 
einen Vorgeschmack bommender 
Eroignisse geboten. Die in ganz 
Deutschland eingetretene Mißernte 
machte sich in unserer Stadt eben⸗ 
falls bemerkbar. Lebenomittel 
waren zü baum erschwinglichen 
Preisen zu haben. Fleisch war außer⸗ 
ↄrdentlich Rnapp. Wahre Treib⸗ 
jagden wurden von Unberufenen 
in den nahen Wäldern abgehalten. 
Die äußerst spärlich vorhandene 
Frucht wurde am hellen Tage vom 
Felde gestohlen. Endlich wurde 
es A— geehen daß am 
7. utnant Lotz ei 
Baßg⸗ nepun i ee Ojfiziersepauletten und Offiziersdegen der Melsunger Bürgergarde 
Felde betraute. Swar frat wieder lum eee nee ee eeend 
Ordnung ein. Doch die sich nun 
ũberstürzenden Ereignisse griffen auch in die Bürgergarde ein- 
schneidend ein. 
Am 6. März 1848 war in Hessen der Landtag einberufen 
worden, der am 11. 3. zusammentrat. An diesem Tage erschien 
das Presjegesetz, das die eingeführte Sensur aufhob und der Presse 
die ersehnte Freiheit brachte. Am 10. 4. 1848 wurde das Am- 
nestiegesetz verabschiedet, das allen denen Straffreiheit zusicherte, 
die sich am Umsturz und an der Verletzung der Verfassung beteiligt 
hatten. Am gleichen Tage wurden die Wahlen zur National- 
oersammlung ausgeschrieben. Melsungen bildete den 6. Wahlbezirk 
(Hessjen zählte 11 Bezirbe), zu dem noch die Amter Felsberg, 
Spangenberg, Witzenhausen, Großalmerode und Lichtenau gehörten. 
Man jchwamm in einem Meere vaterländischer Begeisterung — 
auch in unserer Stadt. 
Seitens der burfürstlichen Regierung erinnerte man sich in 
diesen ereignisreichen Märztagen der Bürgerwehr. Man erblickte 
in ihr das Instrument zur Aufrechterhaltung der Kuhe und Ord- 
nung im Lande. Am 21. März 1848 erschien die Verfügung 
Nr. 905 H. Pe., die die Bürgergarde neu aufleben ließ und ihr 
weitgehende Rechte und Befugnisse einräumte. 
Der damalige Hauptmann Heine, ein Mann von Tatbraft 
und Entschlossenheit, macht am 29. 8. 48 den Stadtrat darauf 
rusmerksam, daß seit 5 Jahren keine Äbungen stattgefunden hätten 
ind somit die Kompagnie nicht ausgebildet sei, die Seit erfordere 
ofortige Abhilfe. Und nun begann wieder das Leben von 1881, 
ingefeuert durch die Erlebnisse der Gegenwart. Ein ehemaliger 
Unteroffizier Hartmann Schulz, der in der Stadt als Pensionär 
vohnte, übte allabendlich mit jungen Bürgergardisten. Eine für 
eden Ernstfall eingerichtete Mache wurde im Rathaus untergebracht. 
Munition beschafft und Schießũübungen wurden veranstaltet. Natürlich 
ab es bei den abendlichen, stundenlangen ÜUbungen Hunger und — 
Durst. Ein Einwohner, Philipp Rehn, beantragt deshalb bei dem 
Nagistrat, daß er bei den UÜbungen den Mitgliedern Wecke und 
Sranntwein feilbieten dürfe, was gestattet wurde. Den Marsch 
egeln die Muͤsibanten, die von Tambour Kilian unterrichtet wurden. 
Zald tritt ihm ein Wettbewerber in der Person eines F. Kaul 
entgegen, der am 13. 3. 48 für sein Spiel 12 Taler fordert. Doch 
»as Vorspielen seiner Kapelle fiel nicht zur Sufriedenheit qus, und 
er begnügte sich schließlich mit 
d Taler Gehalt. Doch damit gab 
iich Kilian nicht zufrieden. Er 
zriff zum musibalischen Wettstreit 
und berichtet hierüber in seiner 
Fingabe an den Stadtrat: 
„Es wird den Mitgliedern 
des verehrlichen Stadtrates nicht 
entgangen sein, daß am vorigen 
Sonntag, als der Tambour 
Kilian des Morgens um Ahr 
Keweille schlug, derselbe vom 
Pfeifer Kieber in Schwarzen⸗ 
derg mit einem bleinen Flötchen 
unterstützt wurde, wodurch jedes 
musikalische Ohr gewiß recht 
angenehm überrascht worden ist, 
indem durch die Flötenbegleitung 
Harmonie herbeigeführt ward.“ 
Entweder entbehrte nun der 
Stadtrat des musibalischen Ohres, 
oder er hatte mehr Sinn für die 
Harmonie des politischen Gesche— 
hens, genug, ein Stadtmusibus Feld- 
ner schlägt den Takt und beginnt 
pãter (26. 11. 48) eine eigene Ka- 
pelle auszubilden — Die Wehr 
elbst war wieder in Ordnung. 200 
Mitglieder gehörten ihr an. Da 
jie jedoch nur 131 Gewehre hatte, 
o lieferte das burfürstliche Seug- 
haus aus den allerdings veralteten 
Bestãnden 80 Stũck aus. 
Doch nun sollte auch Mel⸗ 
ungen jein KRebolutionchen haben. 
Die Ereignisse dieses Tages sind 
jo heiterer Natur, daß wir ihnen 
gern einige Seilen widmen. 
In jenen Märztagen herrschte 
ãberall eine nervõse AÄUberreizung, 
die ja verständlich ist. Jeder bleine 
Vorfall wurde bei der sogar jehr 
ũberreizten Regierung in Cassel 
zur rebolutlonären Bewegung ausgedeutet. Unausgesetzt sausten 
bie Stafetten nach Cassel — amtliche und nichtamtliche — und 
hrachten mitunter die tollsten Nachrichten. 
Auf Grund der burfürstlichen KRegierungsverfügung vom 21. 8. 
848 haiten Bürgermeister Baumann und Bauptmann Heine nach 
Lassel'am 2N. 83. berichtet: „Es ist bis jetzt hier nicht die geringste 
Störung der öffentlichen Kuhe und gesetzlichen Ordnung vor— 
eremmen.“ Am gleichen Tage noch sollte jedoch das Ereignis 
zintreten. 
Der jũdische Handelsmann Wertheim aus Rotenburg mußte 
vohl einige Glaubensgenossen, die seine Kunden waren, bei einem 
Heschãft mächtig über den Löffel barbiert haben. Auch andere 
Zunden schienen mit ihm nicht zufrieden. Am besagten Tage er— 
chien Wertheim in unserer Stadt, um zu erfahren, wie sein Ge— 
chãftchen bekommen sei. Er besuchte zur ersten Orientierung einen 
ßlaubensgenossen in der Nähe der Kirche. Doch hatte dieser bein 
derständmis für das Gebaren seines Geschäftsfreundes. Nach er— 
egter Auseinandersetzung kam es zu Tätlichkeiten, die sich vom 
daus auf die Straße sortsetzten. Im Nu war die nötige Menschen⸗ 
nenge zur Stelle, die mit aufmunternden und zündenden Worten 
n das Gefecht eingriff. Einige Suschauer, die auch zu den 
ackierten gehörten, griffen auch tätlich ein, und bald war die schönste 
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