Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

für fünfzig Jahre der Treue in einer einzigen Familie — 
der Junge hatte es einmal staunend bewundert. Ein ganz 
altes, gebücktes Frauchen — der Junge hatte es einmal 
gesehen an einem Nachmittag bei einem Besuch, und auf-⸗ 
gefallen war ihm doch trotz seiner jungen Jahre, daß die 
weißhaarige Großmutter nicht mehr an Rechten und an 
Liebe besaß als die treue Magd. And ein Schimmer von 
ihren Augen war in ihm verblieben, und jetzt blitzte es auf 
vie Veilchenblau unter dem Busche. Sie hat vom alten 
Schreiber ein Denkmal bebommen, die treue Rufina, das 
gewißlich noch leuchten wird, wenn beiner mehr über die 
Sedeutung jenes goldnen Kreuzes mehr als drei Worte 
zu jagen weiß. 
Aus seinen Schreiberjahren hat der Alte beine Gestalt 
in seinen Bildern verewigt, aus den Abten hat bein 
Schicksal ihn zum Nachschaffen gereizt. Gewiß hat er's 
selbst nicht gewußt, daß da und dort ein harmloses Wort, 
ein kleines unscheinbares Ereignis sich festgehakt hatten in 
seinem empfindsamen Gemüt. Fragte ihn aber die Nächbarin 
des öftern, wo denn nun diese böstliche Gestalt ihm einmal 
entgegengetreten sei, dann zuchte nicht selten der Schreiber 
hilflos mit den Achseln und erinnerte lächelnd an den Kobold 
in der Brille. J 
Manch Dutzend Bildlein — die schlechtesten sind es 
gewiß nicht — redet von Kindern, Knaben und Mägdlein 
jeden Alters. Da mußte die Nachbarin nicht jelten ganz 
fassungslos staunen. Und hellauf lachen. Und des öfteren 
die bittersten Tränen weinen. 
Wo hatte der Mann, der niemals eine Familie besessen, 
— 
wohl kaum einmal eins richtig belauscht hatte, woher hatte 
dieser alte Hagestolz solch fabelhafte Kenntnis des Kinder- 
gemüts? Wer hatte die feinen Fäden ihn sehen gelehrt, 
die, vielfältig und oft nur schwer zu deuten, Elternherzen 
mit jenen der Kinder verbinden? Der das so köstlich 
geschildert hatte, der hatte dazu die Farben aus dem eigenen 
Herzen genommen und aus seinem unverbrauchten Kinder- 
gemüt. And sie streichelte ihm dann wieder einmal in 
Gedanken die runzligen Wangen, nannte ihn heimlich ihren 
lieben Dater, und das Wunder eines nicht mehr fernen, 
alles überstrahlenden festlichen Tages schien ihr wieder ein— 
mal ein Endlein näher gekommen. 
Von Kindern schrieb der alte Schreiber und schrieb für 
die Kinder. Gewiß hatte einmal das Märchen selbst seine 
Wiege geschaubelt, und vielleicht stand's gar jetzt noch 
manchmal unerkannt an seinem Bette. Nicht gar oft mußte 
das freilich geschehen sein. Dafür waren aber auch die 
paar Mäerlein wie taufrische Blümlein von der schönsten 
Engelsspielwiese des Himmels. 
Und von Tieren schrieb der Alte, gab dem guten Hebtor, 
dem getreuen braunen Kohlengaul, seine Geschichte wie Jabob, 
dem Kaben, und Bubi, dem nie vergessenen Schäflein; daß 
um ein Tier ein Menschenherz brechen kann: dem Schreiber 
mußte man's glauben. Daß an einem unvernünftigen 
Geschöpf ein Mensch, sei er todkrank an Leib oder Seele, 
wie durch ein Wunder wieder gesunde: dem Schreiber ist der 
Seweis auch für einen harten Sweifler gelungen. 
Nur von der Liebe schrieb der Alteé nicht, fand für sie 
nur immer ein paar zarte Worte, wenn der Verlauf seiner 
Fabel ihn zwang, ein Pärlein sich finden zu lassen. Hat 
ihr gewiß damit nichts von ihrer Hoheit genommen, nein, 
himmlischer, heiliger ist sie dem Leser geworden, eine Opfer- 
flamme, zu der ein Sterblicher sich nur mit niedergeschlagenen 
Slicken naht, eine holdselige Gestalt. vor der sich die 
geschwätzige Lippe schließt. 
Oder hat er nie geliebt, der alte Schreiber? 
Es glänzt auch in seinen Geschichten bein höfisches 
Parkett, es funbeln beine Orden im Flammenmeer der 
lichterreichen Kronen, es rauschen keine Schleppen und — 
es reizt auch nicht das harmloseste Skandälchen. 
Er ist ja auch nie weiter als in seine Schreibstube 
gekommen. 
Darum woeiß er auch nichts von dem Meer und seiner 
geheimnisvollen Gewalt, nichts von der Wüste, von den 
Tropen oder gar von der Eiswelt der Pole. Und als 
hintergrund rollt hinter seinen Gestalten sich bein Stück 
ruus der Weltgeschichte auf, es sei denn ein prächtig Bild 
ener stürmischen, blutigen und zum Spott nicht minder wie 
zum Lachen aufreizenden Tage, da man die Freiheit zu 
uchen auf die Straße ging, den freien Mann bewies in 
Zerker und Tod, den freien Mann zum Spottbild machte 
n lächerlichem Getu und fürchterlichen Keden. Er war als 
Bube mit durch jene Tage gelaufen, der Schreiber, und hat 
jewiß nicht allzu schief über jene Seiten berichtet. Welt— 
jeschichte ist ihm das nicht gewesen. Das bißchen Ein— 
jebläute aus der seligen Schulzeit her war ja in alle Winde 
erflogen. 
Und welsche Worte hat er gemieden, der alte Schreiber! 
Was aus den Kindern seiner Muse geworden ist? 
Darüber bönnte am besten wohl der alte Schreibtisch 
berichten. Eins seiner Gelasse nach dem andern füllte sich 
bis oben hin an mit des Schreibers zurückgewiesenen 
Manujkripten. 
Ein weltfremder Kerl! hätte der Schreibtisch vielleicht 
jebnarrt. Gibt sich zufrieden, wenn andrer Arteile verschieden 
auten von seineml And erkennt die andern womöglich als 
ie richtigen an, der gutmütige Altel Empfängt die miß- 
atenen Kinder, wie die Mutter das von den ihren empfängt, 
in dem die Welt den bleinen Höcker entdeckt hat und das 
ie mit Spott durch die Gassen gejagt hat, blind für die 
dle Seele, die deutlich sprach aus frommen, frohen Augen! 
ztreicht wie die Mutter mit zarten Fingern den Mißhandelten 
»eruhigend über den Rücken, läßt sie bei frohen Worten 
ie Schrecken vergessen, hält sie dann ängstlich daheim zwischen 
hren vier Pfählen, weidet sich an der Gotktähnlichkeit, die 
ene übersahen, und das bleine Höckerlein ist für sie nicht 
Oorhanden. 
Zu beschaulich, gar zu schlicht und einfach, in die heutigen 
Zeiten nicht recht passend und wie die Höcherlein alle 
zießen: der Schreiber hat nur ein verzeihendes Lächeln 
gehabt, hat sein Kindlein, froh über dessen glückliche Kück- 
zehr, beruhigend gestreichelt und es den andern zugesellt in 
den Fächern des alten Möbels. 
Hat beins zum zweiten Mal hinaus in die Welt geiagt. 
der merbwürdige Alte. 
Sis auf eins. 
Sis auf sein Buch! 
Das Buch, das erscheinen mußte!l Das seine Widmung 
ogar schon besaß. Man wird sich ihrer gewißlich erinnern. 
Als Junge war er einmal auf dem Stadtturm beim 
ilten Knöppert gewesen. Der Blick von oben in die 
camine, auf die glänzenden Dächer, die lächerlich Leabbelnden 
Menschen und Tiere hatte ihm unendliches Vergnügen 
jemacht. Aber über mancherlei hatte er auch maßlos gestaunt. 
Daß der alte Knöppert, solch ein Hüne, ein ehrsamer 
Schuster sein kLonntel Gar zu gern hätte er den gebeten, 
doch einmal aufzustehen von seinem Schemel. Weil er gewiß 
an die Decke des Puppenstübleins stoßen würde, der Knöppert. 
Daß der Turmschuster trotz des Stelzfußes so lustig 
ofeifen und lachen und solch kuriose Geschichtlein erzählen 
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